“Jungs geben die Schönheit, Mädels nehmen die Schönheit” Dieses geburtsvorbereitende Vorurteil scheint Russen, Juden und Deutschen zu einen. Jedenfalls waren sich in Deinem Fall alle beteiligten Volksgruppen genau darüber hundertprozentig der gleichen Meinung. Mutti hat ein verhältnismäßig kleines Bäuchlein also wird es ein Junge. Der Junge heißt Sarah Sophie ist am 30.07.2011 geboren und wiegt 2.710 Gramm. Gut, die volkstümliche Geschlechtsbestimmung ging schon mal daneben, aber sonst gab es schon einiges zu berichten. Genau kann ich mich nicht wirklich erinnern, aber der fehlende freitägliche Gin-Tonic setzte Deiner Mutter derart zu, daß Sie Deiner Geburt entgegenfieberte wie ein ausgetrockneter Alkoholiker dem Ende seiner Therapie. Aber Du hast Dir Zeit gelassen. Genau genommen 3 Tage. Irgendwann waren sich die beteiligten Damen am Mutterprojekt: Fr. Enzel, die Gynäkologin; Anette, die Hebhamme; eine namenlose Ärztin im Krankenhaus und Deine Mutter einig, dass es nun doch langsam losgehen könnte und verfrachteten Euch an einem Mittwoch in die Kaiserswerther Diakonie. Kein Glück hatte, wer Schwester auf der Station Deiner Mama war: Es passierte nämlich exakt das, was nach einer sogenannten Geburtseinleitung meistens passiert: Rein gar nichts. Deiner Mutter, ausgezeichnet mit einer eher mangelhaften Geduld, beginnt also Ihre Umgebung wahnsinnig zu machen. Am zweiten Tag wird gar Anette zu Hilfe gerufen, aber auch sie weiß natürlich keine Abhilfe zu schaffen. „Das wird schon“, „das braucht seine Zeit“ sind Aussagen die wahrscheinlich jede werdende Mutter nicht hören möchte, Deine aber schongleich gar nicht. Du aber hast Dir Zeit gelassen und es passierte bis zu Freitag erstmals gar nichts. Am selbigen bin ich dann mit leichtem Übernachtungsgepäck in Richtung Krankenhaus umgezogen. Einmal mit Deiner Mutter im strömendem Regen durch den Park spaziert, das rechtsgedrehte homöopathisches Geburtswässer in eben diese Richtung gedreht und schon lief alles nach Plan. Freitagabend, 23:00 begann etwas was meine Wahrnehmung der Dinge nachhaltig verändert hat.
Dein Vater konnte erst am Freitag in die Klinik kommen, also hast Du artig auf ihn gewartet. Ein Kind sollte in eine Familie geboren werden, und die hat gefälligst vollständig anwesend zu sein. Samstag 4:45 Uhr warst Du da. Die längste Nacht meines Lebens endet mit dem Beginn Deines Lebens und das pünktlich zum Wochenende. Meine Tochter ist einfach großartig. Wir verbringen zwei Tage zu dritt in einem ein Meter breitem Bett, das sollte schon mal zusammenschweißen. Am dritten Tag sind wir als kleine Familie aus dem Krankenhaus aus- und zuhause wieder eingezogen. Deine Mutter und ich waren natürlich verzückt, dass Du da warst, aber eigentlich hast Du gefühlte 23 von 24 Stunden geschlafen. Meine Jungs, obwohl in den meisten Fällen selbst bereits gestandene Väter hielten sich erstaunlich zurück und so gab es kaum gute Ratschläge.
Was ein anständiger deutsche Sommer ist, so regnet es selbstredend im August gehörig und die ersten Tage verbrachten wir fast nur zu Hause zumal ich Dich gar nicht soviel anziehen konnte wie ich Dich vor Witterungseinflüssen, hustenden Passanten oder anderweitigen Bakterienkolonien schützen möchte. Die frühere Vater-Kind-Beziehungsphase erleben wir daher indoor, genau genommen Du auf meine Bauch liegend wobei ich mich ständig frage wie ein unmittelbar geborener Säugling diese Hügelregion als Schlafplatz auch nur annähend akzeptieren kann. Du jedenfalls findest ihn offenkundig wunderbar und bist regelmäßig nach Ablage in Solidaritätsschwanger-Gebirge friedvoll entschlummert. Ich konnte zu dieser Zeit folglich gar nicht abnehmen, wollte ich das Wohlsein meiner Tochter nicht unnötig aufs Spiel setzen.
Auch ein pessimistischer Hochsommer hat seine sonnige Tage und so ziehen wir mit Dir im Alter von zwei Wochen auf die Düsseldorfer Rheinwiesen um Deiner Mutter eine zweifache Freude zu bereiten: Es gibt wieder Sushi. Einer sekundär mitteleuropäisch sozialisierten Russin rohen Fisch vorzuenthalten und das nicht über Tage, sondern monatelang kann beinahe eine Überstellung an das UN-Tribunal in Den Haag rechtfertigen. Ist die Leidensphase dann aber vorbei, gibt es kein Halten mehr. Wie Japanerinnen Kinder bekommen, weiß ich nicht, hierzulande gilt Sushi schlichtweg als Schwangerschaftsinkompatibel. Folglich setzt nach erfolgter Niederkunft ein derart großes Verlangen ein, dass wir drei mittelgroße Tabletts an einem sonnigen Augustnachmittag auf die Rheinwiesen wuchten, und somit Deine Mutter in siebten Himmel wähnen. Das ich mir eher wenig aus Sushi mache ist an dieser Stelle zu vernachlässigen. Deine Mutter sitzt auf der Decke und freut sich über all die kleine Röllchen, die sie um sich verteilt hat. Ich sitze Ihr gegenüber, freue mich mit ihr und verteidige unserer kleines Territorium gegen so manche umfliegende Fußball.
Es ist schön sich als Held zu fühlen. Natürlich war das Sushi-Picknick meine Idee.