2. Monat – Schwimmkunst

Deine Mutter ist von jeher eine große Freundin aktiver Freizeitgestaltung. Ich weiß nicht welcher Irrglaube mich dazu getrieben hat, zu glauben das könnte sich durch Deine Geburt ändern. Nichts da: Pioniere voran. Du bist kaum auf der Welt schon musst Du natürlich an allerlei Aktivitäten teilhaben. Gut, vor einer Vielzahl kindesentwicklungsnotwendiger Aufbaukursen bist Du noch gefeit, da Dir gewisse grundmotorische Fähigkeiten wundersamerweise nicht in die Wiege gelegt wurden, sondern auch Du diese ganz profan erlernen musst. Ich hörte das Babyschwimmen mit dem sechsten Lebensmonat empfohlen wird. Irgendwo stand aber auch das man damit nicht früh genug anfangen kann. Also fanden wir drei uns an einem Sonntag zu der völlig untadeligen Uhrzeit von 8.30 Uhr in dem Schwimmbecken der örtlichen Volkshochschule wieder. Es Bedarf wohl keiner gesonderten Erwähnung das sämtliche angereisten Kinder Dein Alter um den Faktor zehn übertrafen. Aber das kann uns selbstverständlich nicht davon abhalten in Badehose und Schwimmwindel zu steigen und in ein wohltemperiertes Bassin zu steigen

Was jetzt folgt, kommt einem Slastickfilm gleich. Einer der Esoterikszene nahe stehende Vorschwimmerin erklärt der ordentlich im Wasser stehenden Gemeinde von knapp einem Duzend Gleichgesinnter welches Kinderlied kollektiv anzustimmen ist, intoniert sogleich selbst und fordert die Wasserherde auf einen im Uhrzeigersinn rotierenden Kreis zu bilden, was natürlich unmittelbar geschieht. Die Mutter- bzw. Vatertiere der Herde breiten ihrer beiden Hände vor sich aus und balancieren den Nachwuchs gekonnt vor sich her. Mit größtmöglicher väterlicher Inbrunst absolviere ich den Schwimmparcour, schrecke vor eine Richtungswechsel genauso wenig zurück wie dem Befehl mich mit Dir um die eigene Achse zu drehen – mehrfach versteht sich. Mein Nachbar wirkt nicht so entschlossen wie wir, das merke ich sofort.

Unser Beckennapoleon mogelt ein paar Strophen dazu und das Wasserballett folgt kommentarlos. Ich möchte hier keine falschen Schlussfolgerungen ermöglichen: Wasser ist ein großartiges Element und Du fühlst Dich darin wohl also mache ich hier jeden Quatsch mit. Ich neige nur eben nicht direkt dazu in einer durch Kleingruppenzwänge domestizierten Erwachsenenbildungsstätte Dein Schwimmheil zu suchen. Aber es gibt ja Alternativen:

Ein Düsseldorfer Spaßbad ermöglicht das Babyschwimmen ganz ohne Kursteilnahme und schuljahresgleiche Verpflichtung. Es ist gewiss Zufall, aber bei dieser Institution müssen wir erst um 10 Uhr vorstellig werden. Ein Umstand der mir vorab schon sehr sympathisch ist. Es gibt ein ebenso temperiertes Becken mit hübscher Plastikpalme in der Mitte zur Dekoration um die ich Dich – zu diesem Zeitpunkt ja bereits bestens mit den notwenigen Griffen vertraut – einige Runden herumbugsieren. Die freundliche Schwimmfachkraft, diesmal knapp über 20 hält keine hochtrabende Vorträge, erklärt mich sicherheitshalber nochmal wie Du zu halten bist und limitiert das ganze auf 20 Minuten. Soviel Freiheit ist schon fast ungewohnt im jungen Vatersein. Wir umrunden die Palme, verlassen pünktlich das Becken, Duschen brav und ich bin vom öffentlichen Stadtbad restlos begeistert. Pay per Swim sozusagen, keine Wasserballettgruppe aus begeisterten Übervätern und ein Parkhaus unter der ganzen Einrichtung gibt es auch noch.

Die Freude über unsere neue Sonntagsbeschäftigung währt allerdings nur kurz: Am nächsten Tag blinzelst Du mir freudig mit einer Bindehautentzündung entgegen, die ich unter Deinem verständlichen Protest knapp zwei Wochen wegträufeln darf. Du schreist wenig, aber wenn, dann wahrhaft gewaltig – das wirst Du wohl von Deiner Mutter haben – die ist auch selten zickig aber wenn dann eben richtig: sie nennt das dann begründet.

Was das Schwimmen angeht, gehen wir in der nächsten Woche wieder zur Wasserballetttruppe der Volkshochschule.

Geschrieben in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.

1. Monat – das Kind muß aufs Wasser

Da Deine Mutter von Berufswesen ein aktives Normadendasein führt und ich ihre Leidenschaft für das relative Nichtvorhandensein von Heimat zumindest in geografischen Sinne durchaus teile, läßt dar erste Ausflug naturgemäß nicht lange auf sich warten. Es geht zwar nur ins Nachbarland aber immerhin. Inzwischen bist Du ganze drei Wochen und ich finde durchaus ausflugstauglich. Im Mamas „Bauch“ hast Du 25.000 Autobahnkilometer hinter Dich gebracht – da ist es an der Zeit die erste nautische aufs Konto zu hieven.

Glücklich ist wer Großeltern mit Bootsleidenschaft hat – Du gehörst dazu. Dein Opa kann sein Glück nicht fassen: Du bist auf den Tag genau drei Wochen alt und schon auf dem Wasser. Genau genommen in Deinem Kinderwagen im Boot meines Vaters – für ihn stehst Du damit allerdings unmittelbar vor Erlangung des Kapitänspatents. Stolz ist gar kein Ausdruck. Wir schippern die Maas einmal rauf und wieder runter, legen an, finden uns in einer Kneipe gegenüber eines Kieswerkes wieder. Das spielt aber alles gar keine Rolle mehr: die Sonne scheint, Du hast eine gefühlte Äquatortaufe hinter Dir und Dein versammeltes Großelternpaar väterlicherseits schwebt im siebten Himmel.

Abends grillen wir noch Schaschlik, Du schlummerst seelenruhig neben dem Funkenflug und spätestens nach der zweiten Schnaps weiß ich das Dein Opa rundum glücklich ist. Auch wenn er jetzt mit einer Oma verheiratet ist.

Geschrieben in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.

1. Monat – Rheinisch geboren

Genug irritierende Blick erntet jeder ohnehin, schleppt man ein gerade erst einige Woche altes Baby überall mit hin. Das ist normal, trotzdem unverständlich aber eben erträglich. Die deutsche Kleinfamilie hat sich bitte im verborgenen zu entwickeln. Beschließen zwei Elternteile durch die Niederkunft eines Dritten nicht zur ausschließlichen Milchbar auf zwei Beinen und einem für alles und jeden Verständnis habenden Diplompapi zu mutieren, wird man doch Zeuge der ein oder anderen Wunderlichkeit. Deine Mutter und ich haben uns jedenfalls fest versprochen und eben nicht zu dieser Familiendegenerationsstufe zu entwickeln. du bist eine wundervolle Bereicherung unseres Lebens aber beendest nicht unser selbiges. Bin ich mit Deiner Mutter vor Deiner Geburt spazieren gegangen – was selten genug vorkam – sind wir wie von Geisterhand geführt stets auf der Ratinger Straße gelandet, genauer gesagt im Füchschen. Meist haben wir uns selbst optimiert und sind spaziergangslos im Fuchs gelandet. Deine Mutter kann eben nicht anders, ohne kontinuierlichen Verbesserungsprozess läuft bei ihr nix.

Du bist der Grund das wir jetzt spazieren gehen und da wir Dir eine gepflegte urbane Sozialisation angedeihen lassen wollen betrachten wir zuviel Grün in Form von Bäumen und Wiesen als kontraproduktiv wodurch Du gerne an Samstagnachmittagen durch die Düsseldorfer Altstadt geschoben wirst. Vermutlich wird der benachbarte Graphik- und Künstlerbedarfladen – in dem man noch ein paar Erledigungen tätigen muß – der wahre Grund sein; jedenfalls landen wir irgendwann während Deiner ersten Lebenswochen zu Deinem ersten Besuch in der traditionsreichsten aller Düsseldorfer gastronomischen Institutionen.

Ich rangiere gekonnt und nicht eben ohne Stolz Deinen knallorangenen Kinderwagen durch die schmalen Gänge bis wir einen Platz finden um Dein Gefährt köbesfreundlich einzuparken. Die partizipierenden Passanten der umliegenden Tische schauen zwar ein wenig konstatiert als Dich Deine Mutter aus der Schlafstellung in Richtung Präsentationsmodus umstellt, geben aber irgendwann mittels verzweifeltem, voll Unverständnis triefendem Kopfschütteln ihr Unverständnis zur Gleichzeitigkeit von Kind und Kneipe zu verstehen. Diese Blicke genieße ich sichtlich und als der Köbes fragt: Zwei oder schon Drei Alt bist Du auch hier standesgemäß angekommen.

Prost allerseits.

Geschrieben in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.

Prolog: Das wird auf jeden Fall ein Junge

„Jungs geben die Schönheit, Mädels nehmen die Schönheit“ Dieses geburtsvorbereitende Vorurteil scheint Russen, Juden und Deutschen zu einen. Jedenfalls waren sich in Deinem Fall alle beteiligten Volksgruppen genau darüber hundertprozentig der gleichen Meinung. Mutti hat ein verhältnismäßig kleines Bäuchlein also wird es ein Junge. Der Junge heißt Sarah Sophie ist am 30.07.2011 geboren und wiegt 2.710 Gramm. Gut, die volkstümliche Geschlechtsbestimmung ging schon mal daneben, aber sonst gab es schon einiges zu berichten. Genau kann ich mich nicht wirklich erinnern, aber der fehlende freitägliche Gin-Tonic setzte Deiner Mutter derart zu, daß Sie Deiner Geburt entgegenfieberte wie ein ausgetrockneter Alkoholiker dem Ende seiner Therapie. Aber Du hast Dir Zeit gelassen. Genau genommen 3 Tage. Irgendwann waren sich die beteiligten Damen am Mutterprojekt: Fr. Enzel, die Gynäkologin; Anette, die Hebhamme; eine namenlose Ärztin im Krankenhaus und Deine Mutter einig, dass es nun doch langsam losgehen könnte und verfrachteten Euch an einem Mittwoch in die Kaiserswerther Diakonie. Kein Glück hatte, wer Schwester auf der Station Deiner Mama war: Es passierte nämlich exakt das, was nach einer sogenannten Geburtseinleitung meistens passiert: Rein gar nichts. Deiner Mutter, ausgezeichnet mit einer eher mangelhaften Geduld, beginnt also Ihre Umgebung wahnsinnig zu machen. Am zweiten Tag wird gar Anette zu Hilfe gerufen, aber auch sie weiß natürlich keine Abhilfe zu schaffen. „Das wird schon“, „das braucht seine Zeit“ sind Aussagen die wahrscheinlich jede werdende Mutter nicht hören möchte, Deine aber schongleich gar nicht. Du aber hast Dir Zeit gelassen und es passierte bis zu Freitag erstmals gar nichts. Am selbigen bin ich dann mit leichtem Übernachtungsgepäck in Richtung Krankenhaus umgezogen. Einmal mit Deiner Mutter im strömendem Regen durch den Park spaziert, das rechtsgedrehte homöopathisches Geburtswässer in eben diese Richtung gedreht und schon lief alles nach Plan. Freitagabend, 23:00 begann etwas was meine Wahrnehmung der Dinge nachhaltig verändert hat.

Dein Vater konnte erst am Freitag in die Klinik kommen, also hast Du artig auf ihn gewartet. Ein Kind sollte in eine Familie geboren werden, und die hat gefälligst vollständig anwesend zu sein. Samstag 4:45 Uhr warst Du da. Die längste Nacht meines Lebens endet mit dem Beginn Deines Lebens und das pünktlich zum Wochenende. Meine Tochter ist einfach großartig. Wir verbringen zwei Tage zu dritt in einem ein Meter breitem Bett, das sollte schon mal zusammenschweißen. Am dritten Tag sind wir als kleine Familie aus dem Krankenhaus aus- und zuhause wieder eingezogen. Deine Mutter und ich waren natürlich verzückt, dass Du da warst, aber eigentlich hast Du gefühlte 23 von 24 Stunden geschlafen. Meine Jungs, obwohl in den meisten Fällen selbst bereits gestandene Väter hielten sich erstaunlich zurück und so gab es kaum gute Ratschläge.

Was ein anständiger deutsche Sommer ist, so regnet es selbstredend im August gehörig und die ersten Tage verbrachten wir fast nur zu Hause zumal ich Dich gar nicht soviel anziehen konnte wie ich Dich vor Witterungseinflüssen, hustenden Passanten oder anderweitigen Bakterienkolonien schützen möchte. Die frühere Vater-Kind-Beziehungsphase erleben wir daher indoor, genau genommen Du auf meine Bauch liegend wobei ich mich ständig frage wie ein unmittelbar geborener Säugling diese Hügelregion als Schlafplatz auch nur annähend akzeptieren kann. Du jedenfalls findest ihn offenkundig wunderbar und bist regelmäßig nach Ablage in Solidaritätsschwanger-Gebirge friedvoll entschlummert. Ich konnte zu dieser Zeit folglich gar nicht abnehmen, wollte ich das Wohlsein meiner Tochter nicht unnötig aufs Spiel setzen.

Auch ein pessimistischer Hochsommer hat seine sonnige Tage und so ziehen wir mit Dir im Alter von zwei Wochen auf die Düsseldorfer Rheinwiesen um Deiner Mutter eine zweifache Freude zu bereiten: Es gibt wieder Sushi. Einer sekundär mitteleuropäisch sozialisierten Russin rohen Fisch vorzuenthalten und das nicht über Tage, sondern monatelang kann beinahe eine Überstellung an das UN-Tribunal in Den Haag rechtfertigen. Ist die Leidensphase dann aber vorbei, gibt es kein Halten mehr. Wie Japanerinnen Kinder bekommen, weiß ich nicht, hierzulande gilt Sushi schlichtweg als Schwangerschaftsinkompatibel. Folglich setzt nach erfolgter Niederkunft ein derart großes Verlangen ein, dass wir drei mittelgroße Tabletts an einem sonnigen Augustnachmittag auf die Rheinwiesen wuchten, und somit Deine Mutter in siebten Himmel wähnen. Das ich mir eher wenig aus Sushi mache ist an dieser Stelle zu vernachlässigen. Deine Mutter sitzt auf der Decke und freut sich über all die kleine Röllchen, die sie um sich verteilt hat. Ich sitze Ihr gegenüber, freue mich mit ihr und verteidige unserer kleines Territorium gegen so manche umfliegende Fußball.

Es ist schön sich als Held zu fühlen. Natürlich war das Sushi-Picknick meine Idee.

Geschrieben in Staufen im Breisgau, Baden-Württemberg, Deutschland.