Der 21. Monat – Papa allein zu Haus

Unsere werktägliche Tochter-Vater Zweisamkeit wird in Deinem 21. Lebensmonat jäh unterbrochen. Deine Mutter hat nämlich beschlossen Dich zu einem Kunden einfach mal mitzunehmen und zu Deiner Betreuung ihre Eltern auch noch einzupacken. Da Dein mütterlicher Opa nun auch dem Pensionärswesen frönen darf, lassen sich solche Konstellationen recht problemlos realisieren. Also wird eine Ferienwohnung in der thüringischen Provinz angemietet und ich bin eine Woche kinderlos.

An einem Sonntag-Mittag verlässt Du, nebst großem Reisegepäck und entsprechender Entourage, das Rheinland. Mit einem Schlag herrscht eine beunruhigende Stille in unserer Wohnung. Um nicht direkt in tiefe Depression zu verfallen beschließe ich eine unweit gelegene Kneipe aufzusuchen um zu überprüfen ob hier vielleicht noch andere alleinstehende Herren die Zeit totschlagen und mir möglicherweise Ratschläge für die folgenden Tage geben können. Völliger Unfug wie ich feststellen muß, die hier verwahrten Probanden haben nur tagsüber Ausgang bekommen und dürfen am Abend wieder in dem heimeligen Schoß ihrer Familien zurück. Um mich von ihnen deutlich abzugrenzen bleibe ich einfach länger sitzen und schaue sogar noch in einer anderen solchen Lokalität nach ob dort Geistesverwandte gestrandet sind, aber das ist ebenfalls nicht der Fall.

Wieder Zuhause angekommen liege ich mal wieder in meinen eigenen Bett und nicht auf der Gästeliege im Zimmer neben Deinem Bett – ja, es ist wahr Du schläfst immer noch keine Nacht durch und ich neben Dir.

Das ist schon ein sonderbares Gefühl. Genauso wie das fehlende Babyphon was ich für gewöhnlich allabendlich mit mir herumtrage bevor ich mich zu Dir lege. Die Aussicht am kommenden Morgen aber selbstbestimmt aufstehen zu können hat eine gewisse Verlockung wie ich unumwunden zugeben muß. Während der Nacht passieren dann aber doch sonderliche Dinge. Unser Haus toppt alles mir bekannte in Hinblick auf Hellhörigkeit was wiederum bei einigen Kleinkindern verteilt auf mehrere Familien im Gebäude zu einem illustren Klangteppich führt. Das fällt – solange Du da bist – lediglich rudimentär auf, jetzt aber stehe ich mehrfach in der Nacht sprichwörtlich senkrecht im Bett wenn einer unserer kleinen Nachbarn akustischen Unmut verkündet. Das passiert mir nicht, wenn Du Zuhause bist. Komisch – entwickeln Eltern etwa ein selektives Gehör für den eigenen Nachwuchs? Wie auch immer dieses Prozedere wiederholt sich in den nächsten Nächten einige Male.

Unsere Versuche miteinander zu telefonieren scheitern meist nach wenigen Sekunden, da Du zwar mittlerweile verstanden hast was man mit dem kleinen weissen Kasten Deiner Mutter machen kann, die vielen bunten Apps darauf durcheinander zu schieben ist aber viel spannender als immer wieder „Papa doma“ (zu deutsch Papa ist Zuhause) zu brabbeln. Und etwas anderes sagst Du lustigerweise selten wenn Mama Dir das iPhone ans Ohr hält. Kurz und gut ich vermisse Dich ganz schrecklich und genieße es gleichzeitig wieder mal Abends aus dem Haus gehen zu können. Böse Zungen unterstellen mir, genau das jeden Abend getan zu haben, aber darüber hüllen ich hiermit offiziell den Mantel des Schweigens. Punkt!

In der Zwischenzeit konntest Du so großartige Dinge wie das Zwergenland erkunden. Gartenzwergfreunde irgendwo im Nirgendwo des Thüringer Waldes haben den wohl deutschesten aller kleinbürgerlichen Wunschträume wahr werden lassen und rund 1.700 der bunten Vorgartengesellen zusammengetragen damit sich die Volksseele daran erfreuen kann. Was unweigerlich die Frage aufwirft, ob man Ost- von Westdeutschen Zwergen unterscheiden kann. Das wird Dir aber ganz gewiss und völlig zu Recht total gleichgültig sein. Ich schätze viel spannender ist es, den bunten Knollennasenmännern nahezu auf Augenhöhe begegnen zu können.

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Und wer so viel Zwerge haben kann, der kann seinen Papa schon mal ein paar Tage vergessen. Mächtig gefreut hast Du Dich aber schon als wir uns am Freitag wiedergesehen haben. Und um den Trennungsschmerz zu mildern müssen wir erstmal eine Woche Urlaub machen. Am nächsten Tag fliegen wir nach Tarifa, da geht Deine Mutter kiten und wir haben wieder den ganzen Tag Zeit miteinander.

Buenas noches, Princesa.

Geschrieben in Tarifa, Andalucía, Spanien.

Der 20. Monat – Fisch, daß bessere Gemüse

In Deinem zwanzigsten Lebensmonat haben wir unseren neuen Campingbus in der Nähe des Bodensees abgeholt und konnten folglich nicht umhin, denselbigen auf eventuelle Untauglichkeiten zu überprüfen. Schon zwangsweise so weit im Süden starten zu können, nimmt selbstverständlich gehörigen Einfluß auf die Wahl des Reiseziels und so entscheiden wir uns für die Côte Azur. Es mutet fast schon etwas sonderbar an, aber seit Du auf der Welt bist, machen wir gefühlt ausschließlich Ausflüge nach Frankreich. Da mir allerdings eine frankophile Grundeinstellung nicht abzusprechen ist, nehme ich diesen Umstand zu gerne als gegeben hin. Außerdem will hier ja niemand auf hohem Niveau jammern.

Der Optimierungskompetenz Deiner Mutter huldigend, fahren wir zunächst mit ihr nach München wo sie einem lokalen Autobauer zu effizienteren Produktionswegen und kompetenterer Kommunikation verhilft und wir in einem 70er Jahre Flashback im ehemaligen Olympischen Dorf untergebracht sind. Das ist mittlerweile, zumindest partiell, ein Hotel und ich bin der festen Überzeugung in einem der Zimmer unterbracht zu sein, in denen die Münchener Attentatsszenen der Olympischen Sommerspiele von 1972 ständig durch mein Kopfkino geistern. Auf jeden Fall sieht die Fassadenansicht genau so aus wie die Fernsehbilder der zahlreichen Reportagen und Dokumentationen über diesen Wahnsinn. An die Liveberichterstattung kann auch ich mich natürlich nicht erinnern, aber als braver Sekundaner eines humanistischen Gymnasiums ist mir dieses Ereignis – unter anderen – als eines der prägnantesten der deutschen Nachkriegsgeschichte in Erinnerung geblieben. Nach drei Tagen gelebter Geschichtsretrospektive fahren wir alle zusammen zu dem mittlerweile bestens bekannten Flugzeugklapptischproduzenten dessen Fabrikationsstätte nur wenige Kilometer unweit des Campingbushändler unseres Vertrauens liegt um dann an einem Freitag unser neues mobiles Heim in Empfang nehmen zu können. Die Abholung erledigen wir zwei ganz alleine, da Deine Mutter selbstverständlich keine sinnlose Zeit vertrödeln will und lieber arbeiten geht, als sich Gasflaschenwechsel und Navigationsgerät erklären zu lassen. Ich scheine auf eine Vielzahl an Mitarbeitern dieses Ladens den Eindruck eines alleinerziehenden Vaters zu erwecken; jedenfalls wird uns mehr als einmal zum Kauf gratuliert und Dir in fürsorglicher Weise über den Kopf gestreichelt, untermauert mit den Worten „Na, da hast Du ja jetzt viel Platz mit dem Papa.“ Ich gebe aber zu auch mit Deiner Mutter dabei haben wir immer noch gehörig viel Platz, gerade im Vergleich mit unserem bisherigen Gefährt. Nachdem ich über etwa einhundert Knöpfe, Regler und Schalterstellungen informiert bin, füttere ich Dich und noch während wir vom Hof rollen, schläfst Du bereits tief und fest Deinen Mittagsschlaf.

Im Dorf des Flugzeugklapptischproduzenten angekommen, vergnügen wir uns noch etwas auf dem Spielplatz bevor wir am späten Nachmittag Deine Mutter abholen und gen Mittelmeer aufbrechen. Während der Fahrt wiederholst Du etwa 500 mal die Worte „Baby Auto“ was uns zu der Annahme verleitet, Du fühlst Dich hier pudelwohl. Das finde ich großartig.

Der erste Weg während solcher Ausflüge führt uns traditionell zunächst auf den lokalen Markt und beim Anblick der feilgebotenen Fischauswahl geht Deiner Mutter das Herz auf. Ich muss zugeben ebenfalls ganz gerne Fisch zu essen, ziehe aber ein gegrilltes Entrecote allem Meeresgetier eindeutig vor. Jean-Louis sieht imposant aus zwischen seinen Doraden, Seezungen und den lustigen flachen Fischen, deren Namen ich mir nie merken kann so auch jetzt nicht. Jedenfalls hat er einen neuen Stammkunden für die kommende Woche gefunden. Nachdem er erfährt, daß das nette kleine Kind nicht nur permanent frech grinsen kann, sondern nebenbei auch noch leidenschaftlich Fisch verspeist – selbst in so zartem Alter, wie er fachmännisch bemerkt – stehen wir kurz vor der Einbürgerung. Wir kaufen viel zu viel ehemals Schwimmendes und ziehen mit zwei großen Tüten von dannen.

Es ist kurz nach zehn Uhr morgens und ich beschließe Dein Mittagessen auf dem Grill zuzubereiten. Feuer frei und nach einer halben Stunde sind Grill und Fisch bereit. Nach dreißig weiteren Minuten steht Dein Essen auf dem Tisch und ich bin gespannt wie Du reagierst – schließlich findest Du erstmals ein ganzes Tier auf Deinem Teller. Erste Reaktion ist die Einforderung eines eigenen Essbesteck für Dich. Die angedachten Beilagen in Form von schnöden Möhren und ordinären Kartoffeln beachtest Du erst gar nicht. Viel mehr bekommt der platte Fisch Deine ungeteilte Aufmerksamkeit. Im Sinne eines halbwegs zivilisierten Umgang mit dem Meerestier nimmt Deine Mutter Abstand von Deinem dringenden Wunsch das Objekt lukullischer Begierde ganz alleine auseinander nehmen zu wollen. Auf Deinem eigenen Teller bestehst Du allerdings. So friemelt Deine Mutter mit bewundernswerter und vor allem für sie völlig untypischer Ruhe und Hingabe den Fisch in kindgerechte Häppchen, befreit diese von den letzten Gräten und legt die kleinen Stückchen auf einen kleinen Teller direkt vor Dir. Von diesem bugsierst Du die Häppchen mit einer kleinen Kindergabel dann an ihrem Bestimmungsort. Nur ganz selten darf Deine Mutter Dir direkt eine Portion verabreichen. Heute sind wir erwachsen und essen lieber ganz alleine.

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Bis so ein Fisch verspeist ist vergeht eine gute Stunde und zum Ende wirkst Du nicht nur ziemlich müde, sondern bist es auch tatsächlich. Aber so einen Triumph will schließlich ausgekostet werden. Ich halte also fest: Du bist noch einige Monate von Deinem zweiten Geburtstag entfernt, aber ganze Fische stellen kein Problem mehr dar.

Wir sind eine Woche in Nizza – Jean-Louis haben wir natürlich jeden Tag besucht. Aber manchmal habe ich mir abends, nachdem Du eingeschlafen bist, einfach so ein Steak gegrillt. Ganz für mich allein.

Vive la France, Mademoiselle Sarah Sophie.

Der 19. Monat – Opa Advanced

Gleich vorweg: Dein Opa – im vorliegenden Fall derjenige väterlicherseits – ist ein herzensguter und liebevoller Mensch der seinen Hang zum Pragmatismus kultiviert hat und überglücklich ist eine kleine Enkelin zu haben. Anlässlich meiner Geburt soll er auf die Frage ob Junge oder Mädchen geantwortet haben „Leider nur ein Junge“. Ob er das nun wirklich so geäußert hat, läßt sich nicht mit Sicherheit beantworten – böse kann ich ihm deswegen aber absolut nicht sein, da ich diese Aussage ebenfalls hätte tätigen können, denn ich gebe zu, es uneingeschränkt großartig zu finden Vater einer Tochter zu sein.

Dein Opa jedenfalls hat bis zu diesem Monat gehörigen Respekt vor der Möglichkeit bei Dir irgendetwas „kaputt“ zu machen. Diese Aussage stammt im Original nicht etwa von mir, sondern von ihm selbst. Auf den Arm nehmen geht so grade noch, aber nicht zu lange – wer weiß schon was hier alles zu beachten ist. Ich weiß, daß er es mir nicht übel nimmt, wenn ich behaupte, mit ganz kleinen Kindern kann er in eben dem Sinne nichts anfangen, daß er nichts falsch machen möchte und somit Deine kleinkindliche Frühbespassung gerne an Deine Oma abgibt.

So sieht ein klassischer Oma/Opa-Kinderbetreuungstag in meinem Familienteil folglich so aus: Oma und Opa holen Dich vom Kindergarten ab und fahren zu uns nach Hause, Du bekletterst Deine Oma und zeigst Ihr auch sonst wie was Du so alles gerade möchtest. Opa erledigt derweil diverse Besorgungen und arbeitet meist auch einen kleinen To-Do-Zettel Deiner Mutter ab, weiß mittlerweile wo im Drogeriemarkt die Windeln liegen, welche Größe Du gerade benötigst und was eben sonst noch wichtig ist. Dafür bin vor allem ich ihm sehr dankbar, denn so muss ich das nicht mit Dir zusammen erledigen und kann unsere gemeinsame Zeit sinnvoller nutzen. Was er bis dato jedoch weniger vollführen durfte, ist Dich direkt zu bespaßen und das auch über mehrere Stunden hinweg.

Aber eben nur bis jetzt!

An irgendeinem Tag in diesem Monat kann Deine Oma leider nicht am Kinderbetreuungsprogramm teilnehmen, da ihre ordentliche Erkältung ein kleinkindlichen Kontakt nicht gerade opportun erscheinen läßt. Kurzum, Dein Opa stand morgens ganz alleine in unserer Tür, da Du in diesen Tagen ebenfalls erkältungsbedingt nicht zum Kindergarten aufbrechen kannst. Der Flexibilität meines Lieblingskunden vertrauend fahre ich nur kurz in die Agentur, packe mir Festplatte nebst Briefing unter den Arm und bin nach einer guten Stunde zum Homeoffice wieder Zuhause. Was ich dort sehe kann ich schlicht nicht glauben:

Du sitzt mit Deinem Opa im Kinderzimmer auf dem Spielteppich und ihr baut mit den großen Bauklötzen imposante Stadtlandschaften zusammen. Hast Du davon genug – was bei Dir für gewöhnlich nicht allzu lange dauert – schiebt Opa hingebungsvoll seine kleine Enkelin auf Ihrem Retro-Bobycar-Ersatz quer durch das Zimmer um schließlich unmittelbar vor der Stoffkiste mit den Kuscheltieren einzuparken und diese mit Dir gemeinsam auszuräumen und sich anschließend von Dir genau erklären zu lassen welches Tier wie heißt und wer mit wem befreundet ist. Das Du außer Emma dem Zebra keinem Tier Namen gegeben hast, gehört zu derlei zweitrangiger Befindlichkeit deren Beachtung an diesem Tag völlig überbewertet wird und lediglich mit der Tatsache konkurriert, das Du ehrlich gesagt bis auf einzelne Wörter noch nicht wirklich erwachsenenkompatibel sprichst und folglich Dein Opa überhaupt nichts verstehen kann. All das spielt aber schlicht keine Rolle und interessiert Euch beide auch überhaupt nicht. Ein famoses Bild, dessen Existenz ich für absolut unmöglich gehalten habe.

Mein Vater läßt sich nur kurz zu der Aussage hinreißen, ich hätte doch ruhig im Büro bleiben können – hier sei alles prima, lediglich beim Tierpärchenpuzzle fehle ein Teil, aber dafür könntest Du mittlerweile schon „Auto“ sagen.

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Mobilitätsbezogene Vokabeln spielen in unserer Familie traditionell eine große Rolle. Ich bin sprachlos und scheine hier nicht weiter gebraucht zu werden. Zeit das Tagewerk zu beginnen. Noch während ich das Arbeitszimmer ansteuere parkt ihr beide aus und rumkurvt den Plüschtierzoo.

Und ehrlich gesagt, ich weiß nicht wer heute mehr von wem gelernt hat. Prima, so ein Opa ganz für sich allein.

Der 18. Monat – Adieu purée

Ungefähr die Hälfte Deines 18. Lebensmonat haben wir zwecks Winterurlaub in den französischen Alpen verbracht, den Rest in der niedersächsischen Provinz – genauer gesagt in dem hübschen Ort Hameln unweit von Hannover. Schmucke Fachwerkhäuser, Devotionalien zur mittelalterlichen Rattenfängergeschichte der Stadt an jeder Ecke und irgendein Unternehmen dessen Bestreben es ist durch Rat und Tat Deiner Mutter erfolgreicher dazustehen. Unser reiseerprobter Familienkleinbetrieb rollt an einem verschneiten Januartag dort an und ich beginne das Hotelzimmer zu kinderkompatibler Behelfsküche umzubauen. Gekocht habe ich natürlich bereits Zuhause und daher erfordert Deine Mittagsmahlzeit lediglich ein erhitztes Wasserbad. Deine Mutter püriert Dir noch frühmorgens den Fruchtbrei bevor Sie uns anschließend zwecks Nettohaushaltskonsoldierung den Tag über alleine läßt. Läuft alles prima bis wir am ersten Mittagsbrei angelangt sind.

Als unverwechselbare Tochter Deiner Mutter hast Du es Dir zu eigen gemacht, jegliche Dinge die Du nicht (mehr) magst strikt und rigide abzulehnen und zwar nicht irgendwann, sondern unmittelbar ab dem Moment zu welchem Deine Missbilligung einsetzt. Hier ist nun solch ein Tag. Du möchtest keinen Brei mehr zu Dir nehmen. Als braver Vater koche ich für Dich einige Tage im voraus, püriere alles und fülle es in tägliche Portionen ab. Zumindest was das mechanische Kleinheckseln angeht ist es damit nun vorbei. Ich sitze also mit Dir in der deutschen Provinz und kann mit Deinen Breigläßchen Türmchen bauen oder den Inhalt an herrenlose Hunde verfüttern, Du verweigerst die Nahrungsaufnahme vollständig und konsequent.

Bravo – wir haben ein Problem!

Eine bekannte Babynahrungsmarke mit hippem Namen könnte eine Lösung sein, dafür müssten wir aber zu einem Supermarkt und zurück, sowie auch noch ein solches Glas erwärmen, was mir zeitlich zu langwierig erscheint – zumal ich feststelle, daß ich keine Ahnung habe wo sich eine entsprechende Verkaufsstelle befindet. Also verfahren wir nach dem Ausschlussprinzip und gelangen beide flugs zu der Überzeugung das ein Restaurant die adäquate Alternative darstellt.

Unser Hotel trägt nicht nur den Namen „An der Altstadt“ es liegt auch tatsächlich entsprechend und wir finden uns recht schnell in einem der zahlreichen – zugegeben recht touristisch wirkenden – Hausmannskostlokale wieder. Der freundliche Wirt begrüßt Dich standesgemäß und bekennt mit anrührendem Augenaufschlag für ein so kleines Kind nicht das passende Präsent bevorratet zu haben. Den angebotenen Lutscher lehnen wir beide dankend ab und meine Frage nach einer handelsüblichen Gewürzgurke für Dich irritiert den Mann merklich. Eingelegte Salzgurken sind Dein Favorit während jedes Einkaufs im russischen Lebensmittelgeschäft unseres Vertrauens in Düsseldorf – daher vermute ich mit einem solchen Gemüse Deinen ersten Hunger gestillt zu bekommen. Klappt hervorragend, Wirt und Kellnerin erstaunt, Kind glücklich. Plan B funktioniert.

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Für Dein eigentliches Mittagsmahl scheint mir etwas Geschmortes das passende zu sein und ich bestelle ein Ragout nebst Extrateller für uns beide. Bis das Essen serviert wird, erlernst Du mit mir das gemeinsame Anstoßen von Getränken, da es mir nun auch an der Zeit zu sein scheint, zu der Du ein kleines Glas selbstständig halten kannst. Wer schon mittags lieber im Restaurant isst sollte auch die gastronomischen Basics beherrschen. Etwas Hilfestellung brauchst Du noch aber das Gläserklimpern findest Du verständlicherweise großartig. Wirt und Kellnerin sind abermals verzückt.

Nachdem aufgetragen wird, schneide ich Dir Fleisch und Gemüse in eine passende Form und Du verputzt in Seelenruhe nahezu eine halbe Portion. Das wiederum verzückt mich und zwar gehörig. Ich überlege ob zukünftig vor, respektive nach dem eigentlichen Kochvorgang Dein Essen in kleine Würfelchen zu schneiden ist und welche Variante die praktikablere ist. Vorher scheint mir irgendwie logischer.

Mittlerweile verspürst Du überhaupt keine Lust mehr noch weitere Zeit in dem Kinderstühlchen des Restaurants zu sitzen und meldest dieses Begehr lautstark an. Verständlich wie ich finde, es gibt ja auch nichts mehr zu essen. Nachdem Du im Anschluss das ganze Lokal inspiziert hast können wir gehen. Auf dem kurzen Weg zurück zum Hotel fällt mir ein, daß Dein geändertes Appetitverhalten durchaus vorhersehbar hätte sein können. Im unlängst vergangenen Urlaub hast Du Deine Vorliebe für Garnelen und Langusten entdeckt. Und mal ernsthaft, wer will danach noch Brei zu sich nehmen. Auf die Idee hätte Dein Vater auch früher kommen können.

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Guten Appetit für die Zukunft.

Geschrieben in Samoëns, Auvergne-Rhône-Alpes, Frankreich.

Der 17. Monat – Der Weg nach Nirgendwo

Es ist endgültig unaufhaltsam soweit: Dein Mutter arbeitet wieder ganz regulär, was wiederum drei Dinge zur direkten Folge hat. Erstens Gewinne ich einen Kasten Füchschen (einer meiner Freunde hat tatsächlich die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß Deine Mutter Zuhause bleiben möchte), zweitens wir beide sind unter der Woche ein ausschließliches Tochter-/ Vatergespann und drittens sieht am Ende des Monats unser Haushaltseinkommen wesentlich freundlicher aus. Punkt eins und drei sehe ich durchaus positiv, aber vor dem mittleren Umstand habe ich ganz offen zugegeben gehörigen Respekt wie man so schön sagt. Aber es hilft alles nix, das bleibt – wie zu vermuten ist – die nächsten Jahre so, also am besten unmittelbar akzeptieren und gut ist.

Soweit die Theorie. Praktikabel gestaltet sich das ganze dann doch etwas anders – Wer hätte das wohl ahnen können. Die Küchenschränke hat Deine Mutter mit allerlei nützlichen Tipps bepflastert und so weiß ich immer was zu tun ist. Meine Kreditwürdigkeit in Hinblick auf Babykompetenz spiegelt sich wohl bereits im ersten Satz unter der Überschrift „MORGENS“ wieder: „SSP wecken und wickeln“. Ich gehe davon aus wir hätten die erste Woche vollständig im Winterschlaf verbracht, wären mir derlei grundlegende kleinkindliche Bedarfsumstände nicht zugänglich gemacht worden. Aber die Umsicht und der Weitblick Deiner Mutter bewahrt uns vor zuviel Träumerei. Zu Beginn der ersten Woche unseres temporären „Alleinerziehender Vater“ – Projekt fliegt Deine Mutter um sieben Uhr morgens nach Basel, was wiederum bedeutet das die Nacht um kurz nach fünf zu Ende ist. „Irrwitzig früh“ bemerke ich noch leichtsinnig, nicht wissend, das ich bald eines besseren belehrt werde. Ich mache Dir also Dein Frühstück und wecke Dich gegen halb sieben, damit wir von hieran gerechnet noch knapp zwei Stunden Zeit haben bis wir zum Kindergarten aufbrechen müssen. Klappt alles prima und wir sind überpünktlich zum Singkreis bei den andern kleinen Menschen. Deine Oma holt Dich mittags im Kindergarten wieder ab und ich nehme Dich gegen 18:30 Uhr von ihr wieder in Empfang.

Wir spielen noch etwas bevor Du Dein Abendessen aus väterlicher Hand vollständig verweigerst und ich mich nach gefühlten Stunden vor Dir her balancierender Löffelakrobatik mit dem Gedanken arrangiere, daß ja drei kleine Löffel im Kind verbleibend besser sind als unzählige wieder aus dem Kind herausgespülte derselben. Zähneputzen klappt noch problemlos und dann beginnt ein dreiwöchiges Vabanque-Spiel wer hier jetzt das Sagen hat.

Bis dato sind wir auf dem Stand, daß ich Dich vor dem eigentlichen Zubettgehen einige Zeit auf dem Arm umhertrage, bis Du eingeschlafen bist. Pädagogisch inkorrekt aber wirkungsvoll. Wenn Du eingeschlafen bist, läßt Du Dich logischerweise anstandslos in Dein Bettchen legen. In diesen Tagen ist aber nichts wie es mal war. Um dem Ganzen eine gehörige sportliche Note zu verleihen, paart sich unsere mütterliche Zwangsemanzipation mit einer ordentlichen Erkältung Deinerseits die ein mehrmaliges Anwenden einer beliebten Meersalzlösung zu Tages- und Nachtzeiten notwendig macht. Ein Prozedere mit mäßiger Begeisterung auf Deiner Seite.

An Einschlafen ist nicht mal im Entferntesten zu denken und Du entwickelst in diesen Tagen eine neue Methode väterliches Entgegenkommen für Deine Vorhaben zu erwirken. Deine kleinen Ärmchen umschlingen meinen Hals und aus dieser Position bist Du nicht hinfort zu manövrieren – weder mit schönen Worten noch diversen Ablenkungsmanövern. Von martialischer Gewalt nehme ich an dieser Stelle ausdrücklich gehörigen Abstand. Kurzum Du hängst an meinem Hals und das durchgängig jede Nacht. Im Laufe der Zeit entwickele ich – so scheint es zumindest mir – eine respektable Fähigkeit welche Dinge so alles mit einem Kind in dieser Position zu realisieren sind. Es bleibt uns aber schlicht nichts anderes übrig, da Du jegliche Art von Stillstand, ganz gleich ob sitzend oder liegend nicht akzeptierst. Solange wir in Bewegung sind ist alles gut. Dieses Grundmuster kenne ich wiederum von Deiner Mutter wenn auch bezogen auf andere Lebensumstände. Das der Vollständigkeit halber.

Nach einigen Tagen sieht man mir offenkundig unser nächtliches Aktionsprogramm an und ich erfahre von profunder Stelle das es sich um völlig normales Verhalten Deinerseits handelt. Ich vermute allerdings hinter solchen Anteilnahmen pure Durchhalteparolen als freundschaftliche Geste. Ein Mitarbeiter meines Lieblingskunden – seines Zeichen hünenhafter Spanier – berichtet er habe seine Tochter kilometermäßig bereits mehrfach zwischen Düsseldorf und Andalusien hin- und hergetragen. Ich rechne kurz nach und komme mir klein und unscheinbar vor: wir sind noch nichtmal oneway in Madrid angekommen und mir fallen bereits tagsüber die Augen zu.

Da Du verständlicherweise kein Weichei als Vater dulden kannst, legen wir die Messlatte etwas höher. Zusätzlich bekommst Du auch noch einen weiteren Zahn. Nach einigen Tagen können wir uns arrangieren. Immerhin in den frühen Morgenstunden erklärst Du Dich bereit in Tiefschlaf zu verfallen und ich kann Dich und mich ins Bett legen. Es wird also besser. Gar nicht so übel, denke ich bei mir. Bereits zum Ende der zweiten Woche addieren sich mehrere Stunden Schlaf aufeinander. Man wird bescheiden. Deine Mutter erklärt den mit der vierten Woche beginnenden zweiwöchigen Winterurlaub in den Bergen zur finalen erzieherischen Maßnahme in Punkto Einschlafritual. Ich habe keine Ahnung wie sie das bewerkstelligen will, aber die Idee klingt gut. Ich bin dafür.

In der dritten Halsumklammerungswoche sind wir bereits Profis und ein eingespieltes Team. Liegst Du – also ich – nicht zu flach ist frühzeitig gegen drei Uhr Ruhe und wir schlafen einfach zusammen ein. Wir scheinen den Zenit überschritten zu haben, es wird eindeutig besser.

Noch einige Tage später ist neben französischer Alpenluft auch Deine Mutter wieder täglich um Dich herum und Du beginnst Dich freiwillig ganz alleine in Dein Reisebett zur Nachtruhe zu legen. Ich habe keine Ahnung wie sie das erreicht hat, aber meine Begeisterung kennt keine Grenzen. Das neue Jahr wird gut, ich weiß das.

Aber einmal Andalusien habe wir bestimmt geschafft, Prinzessin.