Der 89./ 37. Monat – Ski français

Winterferien: Das bedeutet bei uns per Definition Skifahren. Leo ist mittlerweile im alpintauglichen Alter angekommen – zumindest nach französischer Interpretation. Nehmen österreichische Skischulen Kinder erst ab vier Jahren auf, darf man in Frankreich bereits ab drei Jahren das bekannte Wintersportgerät unterschnallen und sich in der örtlichen Skischule die ersten Unterweisungen abholen. Ähnlich wie bei Sarah Sophie beschließen wir, daß sprachliches Verständnis im ersten Kinderskikurs überbewertet wird und melden Leo in Samoëns in der Anfängergruppe an.

Leos erster Skikurs, Dezember 2018, Samoëns, F

Und das wir das getan haben, weiß nach nur einem Tag so ziemlich jeder auf dem Berg. Du verstehst recht schnell wie das Ganze technisch vonstatten geht und begnügst Dich freundlicherweise auch vollends damit zu wissen wie man so einen Hügel herunterfährt. Wer braucht schon Schneepflüge, Gleichgewicht und Lehrer die man sowie nicht versteht.

Jedenfalls gibt es definitiv nur einen Namen, den man von der Skischule fast über das ganze Plateau unaufhörlich verzweifelt vernimmt: „Leeeeeeeoooooooo“!

Am zweiten Tag wendet sich eine verzweifelte Lehrerin an Eure Mutter und erklärt ihr, daß alles prima ist, Du Schneepflug (das heißt hier Pizza) problemlos beherrscht, Anhalten kein Problem darstellt und Du auch durchaus Hindernisse erkennst und umschiffen kannst – aber es offensichtlich einfach nicht willst. Oder anders ausgedrückt: Bist Du an der Reihe, fährst Du fröhlich munter drauf los und breitest erst die Arme aus wenn Du unten angekommen bist um Dich gebührend in Empfang nehmen zu lassen. Und zwar unter Zuhilfenahme stoischster Ignoranz eines inzwischen fast flehentlich vorgetragenem Lehrerwunsch. Es hilft alles nix: Weder gutes Zureden der großen Schwester, die bekannte besonders ruhige und besonnene Pädagogik Eurer Mutter noch meine Übungsversuche mit Dir vor und nach der Skischule.

Am dritten Tag empfehlen Sie uns einen Privatlehrer. Warum Du allerdings dann ausgerechnet auf den hören solltest erscheint mir irgendwie unklar. Es steht fest – es muss etwas passieren, sonst schmeißen sie Dich raus oder hängen ihren Beruf an den Nagel. Und das geschieht am folgenden Nachmittag. Eure Mutter rauscht ins erstbeste Skigeschäft, erläutert die prekäre Problematik und verlässt besagtes Geschäft mit einem Gurtsystem und flexiblen Schraubzwingen mittels derer Deine Skispitzen in die gewünschte dreieckige Form gebracht werden. Das ganze sieht genauso bescheuert wie funktional aus und es folgt eine Übungseinheit die mich an den Witz nach dem Unterschied zwischen einem Rottweiler und einer jüdischen Mutter erinnert: „Der Rottweiler lässt irgendwann los!“ Damit dürfte Intensität und Zielvorstellung wohl hinreichend beschrieben sein. Am nächsten Morgen rekapitulieren wir vor der Skischule in strebsamer Manier unter vollstem Familieneinsatz. Die große Schwester dirigiert Dich mittels besagtem Gurt und die zwingend zusammengehaltenen Skier bleiben in gewünschter Position. Da das Ganze offensichtlich für Dich ganz interessant aussieht, fügst Du Dich artig in Dein Schicksal und schaust dabei noch nicht einmal besonders unglücklich aus. Nach zwei oder drei Abfahrten schraube ich die albernen Klemmen ab und siehe da: Du fährst eigenständig im Schneepflug den Berg hinab. Alles prima – soweit so gut. Einziges unwesentliches Manko: Während Deines Mittagsschlaf scheinst Du alles vergessen zu haben und ich habe mir gerade erst die Skier angeschnallt, da ertönt auch schon wieder der bekannte Bergruf: „Leeeeeeeeeeooooooooooo“!

„Das ist boshafter Vorsatz!“ schießt es mir durch den Kopf, ach nein geht ja nicht, Du bist ja erst drei. Einerseits ist es ganz charmant zu sehen wie Du Autoritäten nicht automatisch per Definition hinnimmst, andererseits macht es wahrscheinlich schon Sinn skilehrerischen Anweisungen Folge zu leisten. Was wir nach der Skischule gemacht haben, dürfte wohl klar sein. Der Gemütszustand Eurer Mutter ist vollständig zum Erliegen gekommen. Erfreulicherweise spielt zumindest das Wetter – im Gegensatz zum Vergangenem in diesem Jahr mit – und somit finden Deine fröhlichen Vormittagsübungen bei bestem Kaiserwetter statt. Deine Schwester hat Dir den Grundkurs Ski auf drei Punkte herunter gebrochen und wird wirklich nicht müde Dir diese gebetsmühlenartig vorzutragen:

1. Pizza machen -> 2. Arme auseinander -> 3. Augen nach vorne

Klappt auch alles prima – nur nicht in der Skischule. Mittlerweile sind wir am vorletzten Tag Deiner Grundausbildung angekommen und Du darfst erstaunlicherweise immer noch am Unterricht teilnehmen. Soviel Geduld bewundere ich zumal ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht darüber informiert bin, daß Eure Mutter in der Zwischenzeit bildhafte Beweise Deiner Fähigkeit an die Skilehrerschaft übermittelt hat und – ganz gewiss unter Zuhilfenahme höflichster Etikette – eine Debatte über deren Kernkompetenz entfacht hat was entweder deren Ehrgeiz geweckt oder wie ich eher vermute ein „In zwei Tagen sind sie ja weg“-Prinzip ausgelöst hat.

Wie dem auch sei, es folgt der letzte Tag und Du fährst vorbildlich, als wenn Nichts gewesen wäre, unter Beachtung sämtlicher Lehreranweisungen, den Berg hinunter, lässt Dich gebührend belobigen und wir können mit Eurer wieder gänzlich gut gelaunten Mutter die Heimfahrt antreten.

Und so auf der Höhe von Frankfurt hört sie überraschend sogar schon auf derart herrlich selbstzufrieden zu grinsen, allerdings nicht ohne noch einmal meinen Lieblingssatz los zu werde: „Na, hat doch geklappt!“

Die Jungs in Österreich nächste Saison tun mir jetzt schon ein bisschen leid.

Der 88./ 36. Monat – Titus & Tunella-Totale

Der November ist irgendwie derart unaufgeregt, daß es mir schon schwant dies kann nur die bekannte Ruhe vor dem Sturm sein. Schule, Kindergarten und witterungsbedingt die ersten Wochenenden, die wir mal wieder zu Hause verbringen: Das wars auch schon. Und da soviel Heimeligkeit ja aufs Gemüt schlagen kann denkt sich Leo „Süßes macht glücklich“! Sarah Sophie isst selbstverständlich auch immer mal wieder etwas Schokolade aber durchaus in überschaubaren Dosen. Leo hingegen entwickelt derzeit einen nicht enden wollenden Appetit auf alles was irgendwie aus Schokolade fabriziert ist. Das, gepaart mit meiner „Beim-zweiten-Kind-ist-man-entspannter“-Mentalität, kann dann schonmal dazu führen, daß so eine Packung Kinderschokolade nicht wirklich lange vorhält.

“Tunella-Totale”, Nov. 2018, Düsseldorf

Und gibt es dann am Wochenende auch noch Pfannkuchen zum Frühstück ist ja praktisch vorprogrammiert was passieren muss. Die allseits bekannte Schokoladencreme mit dem rot-schwarzem Schriftzug wird in mehreren Schichten auf den Pfannkuchen beordert bis der Belag ein Vielfaches seines Trägermaterials erreicht. Das ganze gefolgt von vollständigem Körpereinsatz während der Verspeisung. Ich denke darüber nach Dich ausschließlich in Badehose an den Tisch zu setzen, aber woran wischst Du dann die Schokoladenfingerchen ab und verwerfe die Idee. Sind dann zwei davon verputzt springst Du auf, lässt Dir widerwillig Kopf und Körper von Tunella – wie die Creme bei Dir nur noch heißt – reinigen und stapfst in Richtung Kühlschrank nicht ohne vorher ein Dessert einzufordern. „Papa, aber jetzt darf ich Dessert ich hab alles aufge-esset.“ Bestechende Logik, bei gleichzeitig spannender Sprachauslegung – da gibt es nichts zu bemängeln, denke ich mir während ich Schokolade hole. In diesen Wochen geht es gern mal aufs Trampolin, was in heutiger Zeit „Air-Hop“ heißt und es in der örtlichen Lokalität am Sonntag Vormittag auch den Kleinsten ermöglicht, schwingend umherzuhopsen. Folglich springt sich Leo dann die Schokolade förmlich von den Hüften bevor diese dort überhaupt ankommt. Ich vermute Dich genauso schlau wie gierig. Sitzen wir im Auto kommt vom Rücksitz nicht selten die Frage „Was hast Du zu essen dabei?“ Werden dann nur Apfelspalten nach hinten gereicht ist kindlicher Protest garantiert.

Folglich geht es nicht gerade selten im Anschluss zum „mittagen“ ins Restaurant, und meist in die mongolische Barbecue-Bude unseres Vertrauen da ihr beide hier eine großartige Grandiosität festgestellt habt: Das Dessert gehört zum Buffet dazu, d.h. Einschränkungen sind eher nicht gegeben. Und da überrascht Leo ein weiteres Mal: Eis ist nun gar nicht Deins, aber Wassermelone kannst Du in noch beängstigenderen Mengen zu Dir nehmen wie Schokolade. Selten sitzt ihr beide ruhiger und friedlicher am Tisch als hier. Sarah Sophie werkelt an der dritten Eis-Ladung Stracciatella während Leo hinter einem Berg Wassermelone nicht mehr zu sehen ist. Kinder glücklich – Eltern auch.

Im November eines jeden Jahres findet in Leos Kindergarten das sogenannte Lichterfest statt. Im Prinzip nichts anderes als ein kleiner Martinsumzug aber hier eben politisch korrekt religionsneutral umgebastelt. Und wer hätte es gedacht, da erlebe ich doch noch ein Highlight des Monats und zwar seitens meiner Tochter. Du möchtest nämlich mit, wenn Leos Kückentruppe im wahrsten Sinne des Wortes um die Häuser zieht. Ob das an dem übergroßen Weckmann liegt, den es dort zu verteilen gilt oder woran auch immer weiß ich nicht, jedenfalls klemmst Du Dir Deine, im letzten Kindergartenjahr, gebastelte Laterne unter den Arm und los gehts. Marianne, sozusagen „Head of Kücken“ hat einen Sohn der ein oder zwei Jahre älter sein dürfte als Du. Und an diesem Abend bekomme ich schonmal einen Vorgeschmack auf das was kommt wenn Du Dich nicht mehr nur für Pferde oder Papa interessierst und Eltern schwierig werden können.

Jedenfalls scheint Titus – so heißt der junge Mann – gehöriges Interesse an Deiner Person zu haben was Dir erstens nicht verborgen bleibt und zweitens offenkundig gut gefällt. Wenn Du Durst hast wird Titus der leere Becher gereicht, die Rosinen aus dem Weckmann muss er ebenso entfernen wie es völlig selbstverständlich erscheint Deine Jacke gereicht zu bekommen. Und als Dein Laternenstab einen Wackelkontakt offeriert muss Titus Ersatz beschaffen. Und der junge Kavalier scheint schon zu wissen, daß die Erlangung einer Gunst über Freundlichkeit und ordentliches Mittun vonstatten geht. Will meinen: Er tut wie ihm geheissen. Aber einem Achtjährigen zuzuhören wir er Dir Komplimente über Dein Kleid macht ist schon ganz großes Kino. Das möchte ich nicht unerwähnt lassen. Das putzige Kinder-Kavalier-Tun nimmt also seinen Lauf und Dir missfällt nachhaltig die Veranstaltung irgendwann verlassen zu müssen, als ich sehe, daß Leo müde wird und es Zeit für den Heimweg ist.

Eurer Mutter berichte ich abends am Telefon vom charmanten Lichterfest und bekomme den Kommentar „Na immerhin kommt sie mit dem Sohn vom Chef an“ zu Ohren, gefolgt von der zarten Wortspitze „Den hat sie Morgen sowieso wieder vergessen! Glaub mir!“

Tue ich natürlich nicht und frage am folgenden Tag beim Abendessen nach ob Du Titus noch mal sehen möchtest: Und da ist es wieder, dieses selbstzufriedene Grinsen Eurer Mutter als wir Deiner Antwort lauschen:

„Papa, wer ist Titus?“

Woher wissen Mütter sowas eigentlich?

Der 87./ 35. Monat – Israel

Es sind Herbstferien oder anders ausgedrückt wir sind mal wieder weg. Diesmal steht Israel auf dem familiären Reisezettel. Via Zürich landen wir am ersten Ferienwochenende mitten in der Nacht in Tel Aviv und fahren direkt Richtung En Bokek am Toten Meer. In den vergangenen Tagen habt Ihr Euch beide mehrfach genauestens erklären lassen wie sich das nun mit dem Schwimmen in dem bekannten Salzsee verhält und warum man dort so lustig im Wasser herumtreiben kann. Jedenfalls dreht sich in der ganzen Woche vor Abflug alles ausschließlich um Salz in allen Variationen. Nachdem ich Sarah Sophie erzähle, daß es im Anschluss an die salzige Badeaktion zu einer Übernachtung mitten in der Negev auf eine Alpakafarm geht, wo ihr auf der putzigen Kamelart reiten könnt bist Du völlig aus dem Häuschen und sprichwörtlich nicht mehr zu halten.

Soweit die Theorie. Praktisch sieht das dann so aus: Gegen halb sechs morgens trudeln wir mit dem Mietwagen am Toten Meer ein und suchen uns erstmal eine Frühstücksmöglichkeit. Praktischerweise sprechen hier offensichtlich alle Frühaufsteher vor Ort russisch und wir landen in einer – sagen wir mal rustikalen – Bretterbude die sich als Café zu tarnen versucht. Aber es gibt Muffins und somit zwei Kinder glücklich. Bei dem Preis müssen die jedenfalls derart köstlich sein, daß ich Zweifel hege, ihr beide esst jemals wieder irgendetwas anderes. Ausreichend gestärkt stürzt ihr euch ins salzige Nass. Leo nimmt „stürzen“ gleich wörtlich und legt sich auf dem Weg zum Wasser erstmal gepflegt lang, schürft sich das Bein etwas auf und rennt natürlich dennoch ins Wasser. Was nun folgt kann sich jeder ausmalen. Die Kombination aus offener Wunde und 30 Prozent Salzgehalt im Wasser treiben Leo unter lautestem Gebrüll doppelt so schnell aus dem Wasser wie Du hineingeraten bist. Halbe Stunde duschen auf Mamas Arm und ein weiterer Schokoladenmuffin beenden Leos Interesse an dem skurrilem Gewässer ein für allemal. Da hilft kein gutes Zureden, in die Salzlake kriegen wir Dich wohl während dieses Ausflugs nicht mehr.

Sarah Sophie habe ich vermutlich vorsätzlich, böswillig vergessen darüber aufzuklären, wozu die schmucken Holzhäuschen am Strand mit dem eingravierten „WC“ gedacht sind, jedenfalls folgt alsbald ein ohrenbetäubender Schrei meiner Tochter aus dem Wasser und Du entledigst Dich ebenso so schnell des salzigen Nass wie Dein Bruder, allerdings ohne Schokomuffin einzufordern. Tja, was wohl jeder schonmal im Meer erledigt hat brennt hier höllisch und das „Tote-Meer-Experiment“ darf als abrupt beendet betrachtet werden.

Macht ja nix, fahren wir eben in die Wüste. Die Alpakafarm liegt wirklich im absoluten Nirgendwo und Sarah Sophie packt freudig ihr mitgebrachtes Fernrohr aus, wissend um den Umstand, hier des Nächtens Sterne schauen zu können. So habe ich Dir das erklärt, versprochen und darf auch am Abend ganz gepflegt hiervon zurückrudern, da wir wahrscheinlich die einzige Nacht des Jahres erwischt haben, die hier bewölkt ist. Israel rutscht im kindlichen Freizeitranking bedrohlich unter Normalmaß. Jetzt müssen die Lamas ran. Zum Reiten sind hier nämlich gar nicht die Alpakas gedacht, sondern ihrer größeren Verwandten. Die Lama-Loopings mit Euch beiden klappen endlich mal ohne Kollateralschaden und Israel ist ruckzug wieder das tollste Reiseland überhaupt. Wer braucht da schon Wasser ohne untergehen und Sterne hinterm Wolkenvorhang.

Als nächstes folgt Jerusalem. Eure Mutter und ich haben schon einige – sagen wir mal interessante – Herbergen erlebt, unsere Bude am Yaffator in der Altstadt zu Jerusalem toppt aber so ziemlich alles. Wir haben zwei Stockbetten, die auch als Straßensperren der ersten Intifada hergehalten haben dürften, ein Doppelbett aus Zeiten König Davids und einen Balkon der – wenn man sie schlau hinstellt zwei Klappstühlchen Platz bietet und freundlicherweise immerhin drei ganze Abende nicht zusammengekracht sind – also sowohl Balkon als auch Stühle. Aber zentral gelegen, da kann man nicht meckern. Euch beiden ist das alles völlig egal, solange wir endlich zur Klagemauer aufbrechen, denn davon redet Sarah Sophie bereits die ganze Autofahrt hierhin.

Allerdings geht es gar nicht um die alte Tempelmauer an sich – sondern vielmehr hast Du Dir in den Kopf gesetzt, daß sich Leo etwas auf den Kopf setzen muss: Deine erste Kippa ist zu kaufen und wo kann man das wohl besser, als in Jerusalem. Meine Einwände, Leo braucht noch gar keine, weil er noch so klein ist, ignorierst Du selbstverständlich vollständig und so ziehen wir fröhlich suchend durch die Altstadt. Hingebungsvoll wird ausgesucht, am Kopf probiert, wieder weggelegt und erneut versucht. Irgendwann habt ihr beide Euch auf ein Objekt der religiösen Begierde geeinigt und Leo lässt es artig geschehen. Sarah Sophie ist glücklich. Wenn das Ihre Religionslehrerin sehen könnte, hätten wir bestimmt mindestens einen religiösen Fehltritt gut.

Höchstschwesterlich ausgesucht: Leos erste Kippa, Okt. 2018, Jerusalem, Israel

Also nun weiter zur Klagemauer. Dort angelangt stehen wir vor der Sicherheitsschleuse und die braven Beamten interessieren sich so gar nicht für das was wir hier zu veranstalten gedenken. Weitaus mehr Aufmerksamkeit wird hingegen meiner Kameratasche zuteil in der sich selbstverständlich eine 16mm Filmkamera verbirgt. Die Bolex H16 wird detailliert in Augenschein genommen und Kollege Eins fragt mich ob man da auch mal innen reingucken kann. Sofort fällt ihm Kollege Zwei ins Wort und gibt mit vorsorglicher Sachlichkeit nicht ohne selbstbewussten Unterton erklärend an, daß sich dort drinnen sicherlich ein Film befindet und die Kamera daher nicht zu öffnen sei. „Aber natürlich!“ jetzt wieder Kollege Eins. Es entsteht ein fachsimpelndes Gespräch zwischen den beiden dem ich interessiert lausche. Technisch auf einwandfreiem Niveau, dafür mit länger werdender Schlange an Menschen die sich mehr für Mauern als filmische Maschinen interessieren. Das interessiert die beiden übrigens überhaupt nicht und erst als sich eine amerikanische Dame im hinteren Schlangenbereich ob des Stau beschwert wird sie klipp- und klar darauf hingewiesen, sich doch bitte in Geduld zu üben: man habe hier schließlich jemandem vom deutschen Film stehen und um den müsse man sich jetzt kümmern. Die Antwort gefällt der Dame sichtlich nicht und ich schmunzele so vor mich hin. Nun hat aber auch Sarah Sophie genug vom Nicht-im-Mittelpunkt stehen und möchte endlich durch. Kollege Eins gibt mir die Kamera zurück, öffnet die Tür neben der Sicherheitsschleuse und wir gehen alle unkontrolliert hindurch. Ein spannendes Sicherheitskonzept bemerke ich während Sarah Sophie Leo die Kippa zum x-ten Mal gerade richtet und uns die beiden Beamten freundlich hinterher winken. So nun ist also der deutsche Film im Religiösesten des Judentum angekommen und ich muss erst mal einen Film einlegen. Das habe ich zur Sicherheit nämlich noch nicht gemacht.

Das Sicherheitspersonal soll hier so streng sein, habe ich gehört. Aber wahrscheinlich hat das die amerikanische Dame von vorhin einfach so in die Welt gesetzt, ohne zu wissen wovon sie eigentlich redet.

Der 86./ 34. Monat – Feiertage für alle

Die Schulzeit hat Sarah Sophie wieder zurück. Damit aber der Übergang von über sechs Wochen Sommerferien in die zweite Klasse weich genug vonstatten geht stehen die üblichen verdächtigen Feiertage vor der Tür.

Sarah Sophie stellt fest, daß, eine jüdische Schule zu besuchen bei den meisten nicht religionskonformen Freunden zum einen Fragen, aber vor allem ein wenig Begehrlichkeiten aufkommen lässt, wenn Du mal wieder mit tiefer Überzeugung verkündest die nächsten Tage frei zu haben. „Werkverbot“ heißt jenes ungelenke Wort welches das Arbeitsverbot an biblischen Feiertagen im jüdischen Kalender regelt und somit unserer Schule die Pforten verschließt. Der aktuelle Monat ist voll davon.

Erfreulicherweise fällt die Entstehung der Welt vor 5779 Jahren dieses Jahr auf einen Montag und Dienstag, womit Rosch Haschana somit zu einem langen Wochenende erweitert wird. Die alljährliche Reue, Buße und daraus resultierende Vergebung zu Jom Kippur wird uns unpraktischerweise diesjährig genau mitten in der Woche zuteil, was aber wiederum durch das Wüstenwanderungsgedenken in Verknüpfung mit der Dankfest zum Einbringen der Ernte an Sukkot an einem Montag und Dienstag kompensatorisch gerettet wird. Oder kurz gesagt: Zwei sehr lange Wochenenden und ein einsam dastehender Mittwoch verkürzen uns sowohl schulisch als auch arbeitsmäßig den September in diesem Jahr, bevor direkt zu Beginn des Oktober am Ersten und Zweiten desselbigen im wahrsten Sinne des Wortes wirklich „Schluss“ ist und mit dem „Schlussfest“ Schemini Azeret sowie Simchat Tora dann die Wintersaison eingeläutet wird.

Noch alles klar in der Feiertäglichen Formation?

Eure Mutter hat wie immer vorgesorgt und selbstverständlich Arbeits- sowie Religionskalender synchronisiert und wir juckeln mit der ganzen Mischpoke einfach mit. Sarah Sophie hat sich zum Geburtstag einen Besuch im Legoland gewünscht, den wir nun absolvieren. Wir entscheiden uns für den deutschen Ableger des dänischen Originals, gelegen in Günzburg zwischen Ulm und Augsburg, da wir an diesem langen Wochenende eine organisatorische Spezialleistung der besonderen Art zu bewerkstelligen haben, die selbst für unsere Verhältnisse schon bemerkenswert ist. Eure Mutter hat seit kurzem einen neuen Kunden, den sie zum einen für – bis dato – optimierungssportiv hält und zum anderen die beauftragte Betriebsstätte in einer für Düsseldorfer grenzwertig-obsolet anzusteuernden Gegend liegen hat: Wir sprechen über einen nationalen Konzern in Köln! Vorteil des Projektes ist der entfallende Hotelaufenthalt kombiniert mit dem Umstand sie in den nächsten Wochen immer mal wieder unter der Woche abends zuhause zu haben. Ihr beide findet das folgerichtig großartig und die Nummer startet ein wenig wundersam holprig.

Mit dem zuständigen Werksleiter gestalten sich bereits telefonische Absprachen im Vorfeld – sagen wir mal anspruchsvoll – und an einem der beiden „Legoland-Feiertagen“ möchte eben jener Kunde Eure Mutter vor Ort haben. Wir starten Freitag-Abend zu einem Bauernhof zehn Kilometer hiervon entfernt und ich werde postwendend zum „Welt-allerbesten-Papa“ deklariert, nachdem ich Sarah Sophie berichtet habe, daß es hier Hasen, Kaninchen und Ponys gibt.

Hasen über alles, Sep. 2018, Leipheim, D
Hasen über alles, Sep. 2018, Leipheim, D

Wenig überraschend hast Du den Kaninchenstall die nächsten drei Tage lediglich zum Essen und den nachmittäglichen Reitstunden verlassen. Leo kann bekanntlich mit kleinem Getier weit weniger anfangen und Du fütterst lieber hingebungsvoll jedes Rindvieh persönlich im Stall.

Keine Angst vor großen Tieren, Sep. 2018, Leipheim, D
Keine Angst vor großen Tieren, Sep. 2018, Leipheim, D

Erwähnenswert ist zudem der Umstand, daß ihr beide keinerlei Verwunderung an den Tag legt während wir Euch erklären, daß Eure Mutter den kleinen Familienausflug am Montag mitten in der Nacht kurzfristig verlässt um am späten Abend zurück zukommen. Wenn man je Strecke jeweils viereinhalb Stunden An-/ Abreisezeit mit dem Zug addieren muss, bleibt das einfach nicht aus. Sarah Sophie lässt sich ganz pragmatisch versichern, daß wir aber am Dienstag verbrieft ins Legoland gehen und fragt gewiss ganz zufällig nochmal nach, ob es denn auch Geschenke gibt, wenn Mama abends von der Arbeit kommt. Kindliche Prioritätenbildung nenne ich das mal vorsichtig. Leo lässt sich zur Sicherheit mehrmals täglich versichern, daß er mit „Mama Arbeit – Papa nein“ noch richtig liegt und die ganze Aktion geht komplett unaufgeregt über die Bühne. Mit Papa allein zuhaus geht also auch auf dem Bauernhof.

Da ist es wohl nicht ganz zufällig, daß wir zum Ende der ganzen Festtage in Berlin landen, Eure Mutter jedoch abermals von dort nach Köln muss. Diesmal zwar mit dem Flieger, dafür aber zwei Tage, folglich über beide Feiertage. Auch das hat bei Euch keinerlei Irritation hervorgerufen.

Ein paar Tage später wollte doch tatsächlich jemand von mir wissen, warum wir bei Jobs Eurer Mutter zuhause ums Eck denn nicht in den eigenen vier Wänden weilen und sie sozusagen verkehrtherum fliegen lassen, wenn sie doch feiertagsbedingt gar nicht arbeiten darf.

Wie kann man nur eine so dermaßen schwierige Frage stellen?

Ich habe an der Stelle dann lieber die Geschichte mit der Entstehung der Welt erklärt: Das ist eindeutig einfacher und schließlich fing damit der ganze Schlamassel ja überhaupt erst an!

Der 85./ 33. Monat – Der kleine Passagier

Die zweite Hälfte der Sommerferien steht an und somit unser Sommerurlaub. Mit einer Zwischenübernachtung geht es zur Fähre nach Livorno und von dort mit dem „Tweetyschiff“, wie Sarah Sophie die bunt bepinselten Schiffe der Moby Line getauft hat, weiter nach Korsika. Auf der Insel kommen wir leider mit mehr als zweistündiger Verspätung an und ihr stürmt mit Eurer Mutter direkt zum Strand. Da bleibt mir nur noch den Grill aufzubauen und was man sonst noch so für drei Wochen absolutes Nichtstun zu benötigen gedenkt.

Der Lebensrhythmus unserer Nachbarn kollidiert leider frontal mit unserem, da sie länger schlafen und wir zwangsweise durch Leo früher aufstehen oder vereinfacht ausgedrückt: Bei uns ist morgens Radau und nebenan ist es eher abends etwas illuster. Keine ganz guten Vorzeichen die aber ein kleiner Mann im Handstreich einfach mal wegwischt. Unser Gegenüber haben zwei Jungs im Alter von vier und acht, sowie eine elfjährige Tochter. Sarah Sophie und Tamina freunden sich schnell an und radeln jeden Morgen gemeinsam zum Basteln in den Miniclub und am Nachmittag kommt Tamina meist mit uns zum Strand. Ich habe einfach angenommen, das eine Elfjährige mit zwei kleineren Brüdern eigentlich froh ist, zeitweise diese eben mal los zu sein, was sich wiederum als völliger Nonsens herausgestellt hat, denn da gibt es ja jetzt einen Zweijährigen der sich offensichtlich als hervorragender Spielkamerad eignet. Das treibt so abstruse Stilblüten, das Leo von ihr hingebungsvoll im Schlauchboot umher gegondelt wird oder dasselbige umgedreht als prima Wasserrutsche fungiert, vorausgesetzt der „Kleine Passagier“ wie Dich Deine neue Freundin tituliert, wird immer wieder von ihr ans obere Ende gesetzt, denn da kommst Du alleine nicht herauf. Das stellt aber nun wiederum überhaupt kein Problem dar, solange Du nur breit genug grinst und lediglich ein Wort von Dir geben musst: „Nochmal!“

Auf dem Weg vom oder zum Strand wird Sarah Sophie dann richtiggehend eifersüchtig, da Leo sich standhaft weigert bei Dir auf dem Schoß im Bollerwagen zu sitzen. Entweder hockst Du bei Tamina oder Du steigst kurzerhand einfach aus und läufst lieber zu Fuß. Schwesterliche Nachsichtigkeit genauso weit gefehlt wie brüderliche Loyalität. Sarah Sophie versucht sogar einen Trick: „Leo, auf dem Rückweg sitzt Du aber bei mir auf dem Schoß?!“ Du antwortest auch brav mit einem gönnerhaften „OK“, was Du aber wahrscheinlich auch bei der Frage nach einen Sprung aus einem Flugzeug entgegnen würdest. Auf der anschließenden Rückfahrt fordert dann Sarah Sophie das vermeintliche Versprechen ein und wer sitzt völlig überraschend auf Taminas Schoß: „Der kleine Passagier“. Ob Zufall oder weibliche Intuition kann ich nicht sagen, jedenfalls kommst Du eines Tages auf die Idee Julius, den vierjährigen Bruder von Tamina ebenfalls mit zum Strand zu beordern. Der zeigt zwar anfänglich wenig Interesse aber ein Bestechungsversuch seitens meiner Tochter mit einem Eis am Strand funktioniert tadellos. Julius will selbstverständlich nun ebenfalls im Bollerwagen mitfahren und Du setzt ihn kurzerhand auf den Schoß von Tamina, schnappst Dir Deinen Bruder und ich ziehe vier Kinder durch die Gegend. Respekt, da weiß jemand was er will und vor allem wie er es bekommt. Von nun an ist das ganze übrigens kein Thema mehr und Leo darf Diskussionslos bei Tamina sitzen.

Morgens passiert gerne folgende Szenerie: Leo wird wach, versorgt sich zur Stärkung klammheimlich selbständig mit einem Riegel Kinderschokolade aus dem Kühlschrank und klettert aus unserem Campingbus um wahrlich aus vollem Halse in Richtung Nachbarschaft nur ein Wort zu brüllen: „Tamina“. Die fällt wahrscheinlich sprichwörtlich aus dem Bett und auf Deine Spieldecke die Du schonmal vorausschauend platziert hast, derweil Du die Bauklötze herbei hiefst. In der nächsten Stunde brauche ich mich um Dich nicht mehr zu kümmern und Du weißt auch schon genau was ich mit meiner freien Zeit anfangen könnte. Mit einem zielstrebigen „Papa, Brot!“ verweist Du auf mein Fahrrad und beorderst mich offenkundig zum örtlichen Bäcker. Schon schön wenn jeder weiß was er will und auch noch bekommt. Aber das hatten wir ja bereits, wenn auch bei Deiner Schwester.

Die nächsten Tage brauchst Du Tamina im Übrigen gar nicht mehr aus dem Bett zu brüllen, da sie bereits in ihrer Hängematte baumelnd auf dich wartet und Du Dir es natürlich nicht zweimal sagen läßt, in selbige zu klettern um umhergeschaukelt zu werden. Und um den „Kleinen Passagier“ vollends glücklich zu machen tritt ab der zweiten Woche eine neue Lieblingsbeschäftigung auf Euer abendliches Spielprogramm: Tamina setzt Dich in unseren Bollerwagen und zieht Dich auf ihrem Hoverboard stehend quer über den ganzen Campingplatz – und der ist nicht gerade klein. Das lustige Gefährt hat es Dir übrigens besonders angetan, macht aber gar nix, denn Tamina fährt mit Dir selbstverständlich auch zusammen auf dem Board. Langsam mache ich mir Sorgen, was wir in der Zeit anfangen, wenn unsere Nachbarn die Heimreise antreten. Familie Tamina fährt nämlich drei Tage vor uns nach Hause. Am ersten Strandtag ohne Freundin taucht wie aus dem Nichts plötzlich Ellen auf und möchte mit Dir planschen gehen. Sicherlich noch Trennungsschmerz gegrämt verweigerst Du Dich allerdings störrisch. Und zwar ganze zehn Minuten. Nachdem die Avancen mit zwei Barbiepuppen gesteigert werden stapfst Du nebst Schippe und Förmchen los und warst nicht mehr gesehen.

Am nächsten Morgen springst Du aus dem Bett, lugst aus dem Fenster und schmetterst ein schmachtvolles „Ellen“ in den neuen Tag. Ich bin beeindruckt: Der „Kleine Passagier“ ist ein Filou.

Beide sind übrigens blond. Da lässt sich doch ein Tendenz erkennen, oder?

Der 84./ 32. Monat – Gan Israel

Die Sommerferien stehen an. Selbst Berufsvagabunden wie uns fällt es schwer die gesamten sechs Wochen Schulferien unterwegs zu sein, das sprengt definitiv Budget und Kundenverständnis meinerseits. Unser Sommerurlaub ist in diesem Jahr auf ganze drei Wochen im August geplant, womit in Konsequenz die ersten drei Ferienwochen Sarah Sophie tagsüber eine Beschäftigung braucht. Leos Kindergarten hat seine Betriebsferien bereits hinter sich; er ist somit „versorgt“ und Sarah Sophie entscheidet sich für das zweiwöchige Sommercamp der Gemeinde und geht in der dritten Woche ein paar Tage in Ihrem ehemaligen Waldkindergarten einfach mit.

Sarah Sophies erstes Sommercamp, Juli 2018, Düsseldorf, D
Sarah Sophies erstes Sommercamp, Juli 2018, Düsseldorf, D

Das führt zu dem skurrilen Umstand, daß Sarah Sophie, Leo und ich unter der Woche zunächst den Kindergarten ansteuern um Leo in seine Pusteblumen-Gruppe zu entlassen und dann zu Sarah Sophies Schule fahren, da dort der allmorgendliche Treffpunkt nebst gemeinsamen Frühstück ist. Es gibt zwei Sommercamps: das von unserer Gemeinde in der zweiten Ferienhälfte und jenes der orthodoxen Chabad Lubavitch, welches die ersten beiden Ferienwochen übernimmt und somit das für Dich in Frage kommende ist.

Ja, ich gebe zu nach der Anmeldung einen Anflug von minimaler Skepsis nicht gänzlich beiseite schieben zu können, da mir das eigene Verständnis für „der rechten Lehre angehörend“ – nichts anderes bedeutet bekanntlich orthodox – eher fehlt und ich verhindern möchte das Du religiös überfrachtet wirst, denn ich bin der festen Überzeugung Religion sollte auch Spaß machen und vor allem eigeninteressenhaft erfahren werden.

Nach der Anmeldung passiert erst einmal wochenlang überhaupt nichts, aber schon nach zweimaliger Nachfrage werden die ersten Infos per eMail gereicht. Jetzt weiß ich zumindest wann wir wo hin müssen. Das Programm folgt ein paar Tage später und zerstreut meine Befürchtungen fürs erste schonmal. Abenteuerspielplatz, Klettergarten und einiges mehr klingen nun nicht so direkt nach heilsgewisser Hirnwäsche. Ich bin beruhigter.

Am ersten Ferientag bringe ich Dich also zur Schule, erkundige mich zu welcher Gruppe Du gehörst, deponiere die gewünschten Ersatzklamotten an der entsprechenden Stelle und begehe erfolgreich den ersten Fauxpas: Ich reiche den beiden Madrichot – man besteht hier auf der hebräischen Bezeichnung – Deiner Truppe die Hand zur Begrüßung. Volltreffer – aber eben voll daneben. Für die erste der jungen Damen stellt das kein Problem dar, aber Nummer zwei starrt mich entsetzt an, beginnt sich hektisch zu entschuldigen und sitzt gefühlt auf Ihren Händen. Blitzschnell schießt mir die Geschichte vernunftwidrig, verspäteter EL AL-Maschinen durch den Kopf, die gerne mal eineinhalb Stunden am Boden bleiben, weil sich der ein oder andere brave Charedim stur weigert neben einer Frau Platz zu nehmen. In meinem Fall sozusagen nur mit umgedrehten Geschlechtervorzeichen. Ich versichere daß die nicht erfolgte Handreichung für mich gewiss kein Problem darstellt, sondern im Gegenteil, es mich besonders freut anstelle ihrer Hand, meine Tochter in ihre vertrauensvolle Hände zu legen. Puh – gerade noch die Kurve gekriegt und hat auch niemand bemerkt – glaube ich. Zur Erklärung muss ich hier vielleicht kurz anmerken, daß Handreichungen zwischen Männern und Frauen bereits durch höchste rabbinische Autoritäten nicht explizit verboten sind wie ich mich vorher extra kundig gemacht habe, aber vielleicht möchte die junge Dame es besonders gut machen oder der Rabbiner ihrer Gemeinde hat zufällig etwas anderes erzählt. Wir haben das Problem auf jeden Fall erfolgreich umschifft.

Ansonsten bist Du vom Camp restlos begeistert was womöglich damit zusammenhängt, das hier Deine halbe Klasse ebenfalls angemeldet ist. Nachhaltig beeindruckt hat mich Euer Besuch auf dem Abenteuerspielplatz. Zur dortigen Abholung musst Du zunächst Deinem Unmut genügend Ausdruck darüber verleihen, daß ich es vergessen habe Dir einen Badeanzug mitzugeben. Deiner Meinung nach hat man als „so großer Erwachsener“ schließlich zu wissen, daß auf Abenteuerspielplätzen überdimensionale Planschbecken zu finden sind. Während ich über mein schändliches Verhalten nachdenke, trage ich Deine verteilten, pitschnassen Klamotten zusammen, denn der nicht vorhanden Badeanzug hat Dich offensichtlich nicht davon abgehalten in besagtes Planschbecken zu steigen. Doch zurück zu meinem erstaunten Eindruck. Ich finde es verständlich sehr gut, wenn Kinder frisch bekocht werden, habe aber auf einem Spielplatz nicht unmittelbar damit gerechnet Bierzeltgarnituren, einen riesigen Gastrogrill nebst zwei entsprechend dimensionierter Kompressorkühlboxen vorzufinden die vom Koch gerade in seinen Kleinlaster verladen werden. Hier nimmt man es wohl sehr genau und ich bin schwer beeindruckt. Ich frage bei Dir nach, ob das alles zu Euch gehört und bekomme nur die lapidare Antwort: „Ach das ist nur vom Mittagessen.“ „Aber natürlich!“ erwidere ich zustimmend. Noch spannender erscheint mir allerdings Dein Nachsatz mit verschränkten Armen: „Wir essen hier doch koscher!“ Was das nun wiederum mit dem imposanten Equipment zu tun hat bleibt im Dunklen. Da muss ich noch einen drauf setzen: „Habt ihr heute Mittag Fleisch gegessen?“ frage ich nach. „Ja, warum“ kommt von Dir retour. Wieder ich: „Vor dem Spielplatz steht ein Eiswagen, aber ich weiß nicht ob Du jetzt schon milchig essen darfst.“ Darauf wieder Du: „Ja, ja Papa das geht schon. Außerdem nehme ich Erdbeereis. Zur Sicherheit.“

Wir sind also mal wieder ein ganz klein bisschen jüdischer geworden. Masel tov!