Der 77./ 25. Monat – Schneestrand

Es wiederholen sich Dinge auch in unserer Familie. Eure Mutter hat die vergangenen Jahre artig – wenn auch unter missmutigem Protest – die Winterferien in Österreich ertragen um der notwendigen sprachlichen Verständigung von Sarah Sophie und ihrem jeweiligen Skilehrer nicht im Wege zu stehen. Nach vier Skikursen in drei Jahren hast Du verständlicherweise aber auch mal genug von Skischulen und bereits im Sommer verkündet, ab jetzt nur noch mit mir zusammen auf den Berg zu ziehen.

Somit geht es also mal wieder nach Samoëns in die französischen Alpen. So schön Tiroler Pisten auch sind, ich muss Eurer Mutter uneingeschränkt Recht geben, daß das kleine Örtchen am Grand Massif doch irgendwie charmanter ist als beispielsweise der Söldener Apré-Skizirkus. Zumindest für frankophile Familien mit Kindern. Also packen wir unseren Campingbus voll und juckeln zu Beginn der Winterferien einfach mal los.

Die ersten Tage komme ich allerdings nicht auf der Piste ins schwitzen sondern von den täglich etwa vier Stunden die ich damit verbringe unseren Bus und die direkte Umgebung von gefühlten Tonnen an Schnee zu befreien. Oder anders ausgedrückt: Es schneit nonstop und zwar Tag und Nacht. Am dritten Tag wird es schlagartig wärmer und es gesellt sich Regen dazu damit das ganze dann rundum matschig werden kann. Kurzum: es könnte optimaler laufen. Wenn wir (mit unserem Campingbus) zum Einkaufen müssen, kommen wir nicht mehr aus eigener Kraft vom Fleck, da der Boden derart aufgeweicht ist, daß hier die Hilfe des lokalen Traktors vom Campingplatz von Nöten ist. Der fährt im Prinzip den ganzen Tag durch die Gegend um Irgendwo jemanden zu befreien. Solche Geschichten kann wahrscheinlich jeder erzählen, der auch im Winter auf einen Campingplatz fährt. Abgehakt, kennen wir jetzt auch.

Nach fünf Tagen scheint endlich die Sonne und es geht natürlich auf den Berg. Das wir hier nicht die einzigen sind ist klar und die tagelange Warterei macht die Pisten nicht leerer. Sarah Sophie und ich stehen aber tapfer am Lift an um dann bereits ab 2.000 Höhenmetern vollständig vereiste Abfahrten vorzufinden und Du dich – wie man so schön sagt – mehrfach „lang“ machst und langsam die Begeisterung an der ganzen Geschichte verlierst. Also schlittern wir wieder zurück auf das Plateau auf dem Eure Mutter mit Leo Ihr Basislager im Liegestuhl vor der Hütte bezogen hat. Ich fahre noch ein paarmal alleine – aber Spaß machen ist anders. Zumindest scheint die Sonne und wir beide fahren dann eben unaufhörlich die hier umliegenden „Babyhügel“ herunter. Winterliche Schadensbegrenzung könnte man sagen.

Aber ich wollte ja über Wiederholungen berichten: Eure Mutter konnte es damals nicht abwarten bis Sarah Sophie das erste Mal auf Skiern steht und kam, als Du zwei Jahre alt warst, mit diesen lustigen Gerätschaften, welche man unter normale Winterschuhe schnallen kann, hier aus einem Geschäft anspaziert. Die haben die vergangenen Jahre in der Garage verbracht und werden aktuell wieder am zweiten Kind reaktiviert. Und genau das findet Leo großartig. Wie man sich mit untergeschnalltem Wintersportgerät so fortbewegt wird Dir ja sozusagen direkt vor der Nase vorgemacht, also heißt es ab sofort „Papa komm“ und wir schieben uns gemeinsam im Zeitlupentempo über den Schnee. Sarah Sophie entdeckt unterdessen eine kleinen Hang und testet diesen derweil auf „Leo-Tauglichkeit“ wie mir berichtet wird. Nachdem Du genau das bestätigst muss der kleine Bruder mit seinen „Rutscheskiern“ also mit da runter was auch nach einigen Umfallern ganz manierlich gelingt. Den meisten Spaß scheinst Du allerdings daran zu haben sich immer wieder ein paar Meter von links nach rechts an uns alleine vorbeizuschieben, dann fachgerecht umzudrehen und das ganze wieder von der anderen Seite in Angriff zu nehmen.

Leos erster "Skitag", Dezember 2017 - Sarah Sophie, Dezember 2013, Samoëns, F
Leos erster „Skitag“, Dezember 2017 – Sarah Sophie, Dezember 2013, Samoëns, F

Wie sich doch die Bilder gleichen. Eure Mutter steht unterdessen mit der umherstehenden Nachbarschaft im Dialog um wahrscheinlich rein zufällig hoch erhobenen Hauptes zu betonen, daß Du zum einen gerade erst zwei geworden bist und zum anderen heute Dein allererster Tag auf den lustigen roten „Bretteln“ ist. Auch dieses Bild kommt mir sehr bekannt vor.

Mutterstolz scheint im übrigen recht ansteckend zu sein. Am kommenden Tag kommen uns im Dorf die Interessierten vom Berg mit entsprechendem neugekauftem Gerät entgegen.

Den nächsten Tag regnet es mal wieder und am daran anschließenden Sylvestertag ist es zwar trocken aber auf dem Berg derart nebelig das die Abfahrt ein kompletter Blindflug wird und Sarah Sophie endgültig keine Lust mehr hat die Skischuhe anzuziehen. Und das heißt bei Dir schon wirklich etwas. Gefühlt besteht der diesjährige Winterurlaub aus dem einen beschrieben Sonnentag an den Anfängernhügeln. Ein Hauch von Sauerland-Feeling macht sich da breit. Eure Mutter und ich haben ebenfalls die Nase gestrichen voll und überlegen nach Alternativen.

Vorzeitig nach Hause fahren kommt bei uns per Definition schon nicht in die sprichwörtliche Tüte und ein Blick auf Wetterbericht und Landkarte eröffnet allen Ernstes knapp 20 Grad bei Sonnenschein in 500 km Entfernung. Da muss nicht mehr überlegt werden, Eure Mutter räumt auf und ich hole den Traktor.

Am nächsten Tag sitzen wir in Nizza am Strand, machen Picknick und prosten uns mit einem Rosé zu. Der hat dann so ungefähr die gleiche Temperatur wie der Schneematsch der letzen Tage, fühlt sich aber um Längen besser dabei an.

Winterurlaub - Plan B, Januar 2018, Nizza, F
Winterurlaub – Plan B, Januar 2018, Nizza, F

Und auch diess Bild kommt mir schon wieder sehr bekannt vor.

Frohes neues Jahr!

Geschrieben in Roggel, Limburg, Niederlande.

Der 76./ 24. Monat – Shabbat shalom!

Es war klar, daß es kommt, aber die Geschwindigkeit wundert mich dann doch. Sarah Sophie ist bis jetzt völlig religionsfrei aufgewachsen und erzogen worden und auch sonst frei von institutionellen Religionsdogmen sozialisiert. Aber eben nur bis jetzt. Vier Wochenstunden Religionsunterricht und eine neunjährige beste Freundin in der Schule, die mir persönlich einmal gesagt hat wir müssen aufpassen was wir sagen, hier seien überall Christen in der Nähe, tragen einfach mal Früchte. Und das für gewöhnlich – wann auch sonst – am Freitag Nachmittag.

Die ersten Shabbat-Kerzen hast Du noch aus der Schule mitgebracht und dich damit zufrieden gegeben diese eben einfach mal anzuzünden. Aber dann haben wir eigene gekauft und da wir derzeit Winter haben, wiederholt sich jeden Freitag irgendwann um kurz vor fünf das gleiche Ritual. Eure Mutter ist zu dieser Zeit für gewöhnlich noch nicht zuhause sondern lungert ganz unorthodox in irgendeiner Airport-Lounge umher, tippt verbotenerweise meist noch emails an die Kundschaft und schert sich auch sonst recht wenig um irgendwelche mosaiche Verbote – was wiederum Sarah Sophie zur Überzeugung verhilft, daß sie ja nun die Frau im Haus ist und es somit ihr zusteht die Shabbat-Kerzen zu entzünden. Soweit so gut. Eine etwas freie Interpretation des Alters aber irgendwie schlüssig.

Leo holen wir also Freitag früher aus dem Kindergarten ab, nicht das er noch mitansehen muss, wie sein Vater zu Beginn des Shabbat ein Auto lenkt oder ähnlichen Gebotemissbrauch betreibt und Sarah Sophie nordet ab dann die versammelte Familie religiös ein. Aber eben mit Deiner ganz eigenen Interpretation. Ich habe Dir diese riesigen, langen Streichhölzer gekauft um erstens zu verhindern das Du dich schlicht verbrennst und zweitens sieht das ganze damit irgendwie noch gehaltvoller aus als mit den mickrigen kleinen Zündhölzchen.

Und es kann schonmal passieren, daß Du das Entzündungsritual ein halbes Duzend mal wiederholst, da irgendetwas nicht so ist wie es zu sein hat. Wir wünschen uns allen „Shabbat shalom“ und essen Challa was bei Leo wiederum wahre Begeisterungsstürme auslöst, da ich für gewöhnlich die Schummelvariante mit dicken Zuckerkugeln oben drauf kaufe. Aber so ein Feiertagsbeginn soll ja auch Spaß machen.

Sarah Sophie und "Ihr" Davidstern, November 2017, Düsseldorf
Sarah Sophie und „Ihr“ Davidstern, November 2017, Düsseldorf

Deine Kette mit dem Davidstern trägst Du übrigens neuerdings fast täglich und vermutlich werde ich nicht zuletzt deswegen ständig nach den bevorstehenden Feiertagen befragt. Da es bekanntlich im Judentum davon mehr als genug gibt und es in der Schule dann auch immer etwas zu feiern gibt sind aktuell noch alle Beteiligten mit dem Umstand hochzufrieden. Allen Vätern mit akut-dringlich-jüdischem Nachwuchs empfehle ich an dieser Stelle die „Local-Candle-Times“-Funktion auf chabad.org. Hilft – vor allem unterwegs – ungemein.

Wenn wir uns dann alle ein paar Minuten besinnlich genug gefunden haben, schleppen wir die brennenden Kerzen noch möglichst vor Sonnenuntergang in Dein Kinderzimmer, da sie – aus Gründen säkularer Brandprävention – nicht unbeobachtet im Wohnzimmer alleine vor sich hin kokeln sollten und aus religiösen Gründen eben nicht mehr bewegt oder ausgelöscht werden dürfen und schon nimmt allerlei diverses weltliches Spielzeug wieder den gebührenden Raum für Euch beide ein. Selbstverständlich möchte auch Leo mit den Zündhölzern hantieren und hier brauche ich überraschend überhaupt nicht tätig zu werden, denn Deine große Schwester erklärt Dir mit hingebungsvoller Ruhe in immer gleicher Rhythmik das gebotene weibliche Vorrecht auf eben diese Tätigkeit. Hierbei klingt schon Deine Stimme irgendwie sakraler als sonst. Den Teil mit den anderen Haushaltsvorbereitungen die traditionell ebenfalls von der Frau des Hauses an diesem Tag erledigt werden hast Du sicherlich rein zufällig außer Acht gelassen, denn das scheint Deiner Meinung nach nicht weiter notwendig zu sein wie Du mir erklärst, denn schließlich kommt bereits am Donnerstag ja Larissa zu uns und feudelt die Wohnung standesgemäß sauber. Erklärt wird mir das dann so: „Papa, Larissa ist ja auch eine Frau – damit ist doch alles wieder gut.“ Ich gehe davon aus, das Du dir das rabbinisch in der Schule hast absegnen lassen und zweifle das hiermit nicht mehr an.

Zum Abend hin erscheint für gewöhnlich Eure Mutter auf der Freitag-abendlichen Bildfläche und bei Familie Reichmann zieht mit Ihrem Klingeln (!) wieder eine gehörige Portion Laizismus ein. Vermutlich deswegen haben wir bei uns irgendwie das Gebot etwas an Bedürftige zu spenden familienintern individuell-optimiert uminterpretiert.

Jedenfalls zaubert jeden Freitag-Abend – also zu Shabbat-Beginn – Eure Mutter aus ihrem Koffer einige Geschenke für Euch beide. Wahrscheinlich seit Ihr die Bedürftigen und Eure Mutter befolgt so Ihre Mizwa.

Sitzen wir dann alle zusammen zum Abendessen am Tisch kann es schonmal passieren, daß sich Sarah Sophie wie selbstverständlich etwas ihrer Lieblingssalami auf die Challa legt. Dann schmunzeln wir alle ein bisschen ob des gebotenen Schlamassel aber so ist das bei soviel religiösem Input. Da muss sich eben jeder etwas bewegen.

Shabbat Shalom!

Geschrieben in Marseille, Provence-Alpes-Côte d'Azur, Frankreich.

Der 75./ 23. Monat – Wo ist Leo?

Die ersten Schulferien stehen an. In den Herbstferien Sonne und Strand haben zu wollen bedeutet zwangsweise in ein Flugzeug zu steigen und somit sind wir am Roten Meer in Ägypten gelandet. „Ja, ja – typisch immer von Individualität quatschen, fremde Kulturen kennenlernen wollen und dann das: Riesen Hotelkomplex, All-Inclusive und Kinderbespassung auf russisch von Olga und Co.“ Das personifizierte Grauen für mich, aber ich habe mich schlicht und einfach von Eurer Mutter und Sarah Sophie „belatschern“ lassen. 30 Grad Ende Oktober sind aber auch ein fieses Argument.

Wir machen also „Piratenschiffhotel-Urlaub“ wie das ganze Projekt ab sofort familienintern nur noch benannt wird, da hier in einer schier endlosen Poollandschaft eben ein Piratenschiff-Spielplatz eigebaut ist.

"Piratenschiffhotel-Urlaub", Hurghada, EGY, Oktober/ November 2017
„Piratenschiffhotel-Urlaub“, Hurghada, EGY, Oktober/ November 2017

Gleich vorweg, jedes Klischee und alle meine Vorurteile zu dem Thema sind bestätigt und erfüllt. Hat man daran einen Hacken gemacht, ist es ganz Okay. Das Hotel hat einige Boote und somit sind wir ausreichend maritim versorgt. Es könnte einem schlechter gehen.

Auf einer Bootstour zum Schnorcheln sitzt Sarah Sophie zwar lieber mit bewundernswerter Hingabe stundenlang in die Reling eingeklemmt und befestigt immer wieder neuen Köder an ihrem Angelhaken.

Sarah Sophie entdeckt das Angeln, Rotes Meer, EGY, Oktober/ November 2017
Sarah Sophie entdeckt das Angeln, Rotes Meer, EGY, Oktober/ November 2017

Das Du dabei nichts fängst stört Dich erst nach einer halben Ewigkeit und Du läßt Dich doch dazu bewegen mit Taucherbrille ins Wasser zu steigen. Und was die Große kann, will der Kleine erst recht. Leo paßt zwar keine der verfügbaren Masken, macht aber nix, Schwimmflügel an und runter vom Boot. Die Crew findet offenbar Gefallen an dem mutigen, dauergrinsenden kleinen Kerl und Leo wird ein besonderer Service zuteil. Einer der Taucher lockt mit Bergen von Brot die buntesten Fische vom Riff zu Leos Planscheplatz und Du bis derart aus dem Häuschen, daß Du dich zwischendurch immer wieder selbst unter Wasser tauchst. Scheint Dir aber völlig egal zu sein, Du lachst in einer Tour und wir hören ununterbrochen „Uiiiiihhhhhhh“ – Deine aktuelle Reaktion auf alles was Dich erstaunt und begeistert. Leo in Nemos Paradies könnte man sagen.

Ansonsten dauert es keine drei Tage und jeder kennt Dich. Mohamed, der Bootstourenvermittler den Eure Mutter mit Ihrem Verhandlungsgeschick in den Wahnsinn treibt, muss Dir jeden Tag irgendetwas auf den Arm malen, da kennst Du nix, das wird eingefordert, sonst kommt der Mann nicht an Dir vorbei.

Und hier macht Weglaufen noch dreimal mehr Spaß weil Dich immer irgendeiner an die Hand nimmt und wieder zurückbringt. Nach einer Woche hast Du das Prinzip aber noch weiter professionalisiert:

Unmittelbar hinter dem Strand befindet sich ein Spielplatz und hier holen entweder Deine große Schwester – die sich am Rande bemerkt immer besser in dieser Rolle gefällt – oder ich Dich nicht selten ab, wenn ich sehe, daß Dich ein freundlicher Servicemitarbeiter mal wieder zum Ort Deiner Begierde geleitet. Keine zwei Tage später machst Du das dann noch putziger. Erblickst Du einen der üblichen Verdächtigen, springst Du unverzüglich vom Strand auf, läßt Förmchen und Schaufel fallen, hängst Dich an seine Hand und schon spaziert ihr zu zweit schon mal los zum Spielplatz und ich kann wahrscheinlich froh sein, das Du nicht zur Paragliding-Station möchtest. Dir scheint das Prinzip jedenfalls Riesenspaß zu machen, wiederholt sich das ganze doch mehrfach täglich.

"Wer holt Leo?", Hurghada, EGY, Oktober/ November 2017
„Wer holt Leo?“, Hurghada, EGY, Oktober/ November 2017

Erstaunlich erscheint mir hingegen, daß der Strand-Spielplatz-Shuttle-Service keine Nachahmer findet. Alle anderen Kindern lassen sich artig von Ihren Eltern eskortieren, aber vielleicht grinsen die einfach nicht genug. Jedenfalls war die meistgestellte Frage der vergangenen zwei Wochen: „Wo ist Leo?“ Heute fliegen wir nach Hause, es dürfte also wieder ruhig am Strand werden.

Geschrieben in Hurghada, Al-Bahr al-ahmar, Ägypten.

Der 74./ 22. Monat – 16mm für den Schulstart

„Schule hat begonnen“. Diesen orangen Aufkleber auf dem Heck nahezu jedes Familienautos der 1970er Jahre gibt es – glaube ich – zwar nicht mehr, aber genau das passiert bei uns in diesem Monat. Sarah Sophies Einschulung steht unmittelbar bevor und ist das allumfassende Thema derzeit. Eure Mutter lässt es sich selbstverständlich nicht nehmen die Schultüte standesgemäß selbst zu basteln, auch wenn sie den dazu gedachten Bastelbausatz dafür auf einen der beliebten Ukraine-Jobs mitschleppen muss. Ich habe mal zaghaft nachgefragt, ob wir eventuell auf ein fertig konfiguriertes Modell Rückgriff nehmen können, aber alleine der Blick bedarf keinerlei Nachfrage mehr. Lustig stelle ich mir die fragenden Gesichter der jeweiligen Sicherheitsbeamten an den drei durchreisten Flughäfen vor, aber auf jeden Fall hast Du die garantiert sicherste Schultüte aller diesjährigen Erstklässler. Dafür verbürge ich mich. Wer hat schon eine Variante mit überstandenem Sprengstofftest.

Die wahrscheinlich weit gereisteste Schultüte des Jahrgangs 2017/ 2018
Die wahrscheinlich weit gereisteste Schultüte des Jahrgangs 2017/ 2018

Damit haben wir übrigens auch schon die richtige Überleitung zu Deinem großen Tag. Das Euer Vater unbedingt der Meinung ist denselbigen gefilmt festzuhalten steht außer Frage, aber es muss diesmal auch noch auf 16mm sein, was das Equipment unwesentlich imposanter aussehen lässt. Einen nochmals nachhaltigen Dank an Friedemann aus Hamburg für das Überlassen seiner Bolex H16. Dieses „handliche“ 5kg-Gerät schweizerischer Kamerapräzision passt mit angesetzten Pistolengriff in keine meiner Kamerataschen und somit lugt eben dieser metallene Handgriff aus der Tasche oben heraus. Mir ist völlig klar, daß dies gegebenenfalls zu eventuellen Nachfragen beim Betreten der Synagoge führen könnte. Aus Zeitgründen teilen wir uns morgens auf und ich bringe Leo in seinen Kindergarten um dann Dich und Deine Mutter in der Synagoge zu treffen, da dort Dein großer Tag seinen Anfang nimmt.

Erstaunlicherweise finde ich einen Parkplatz nur ein paar hundert Meter entfernt und spaziere mit der geschilderten Tasche in Richtung Eingang. Es dauert keine 10 Sekunden und ich vernehme hinter mir dieses typische Geknirsche welches ich akustisch eindeutig einem Funkgerät zuordne. Eine tiefe, hastige Stimme versucht bewusst leise etwas auf russisch hineinzusprechen und pünktlich etwa 50 Meter vor dem Eingang fängt mich ein sympathetisch dreinblickendes Kraftpaket von gefühlten 2×2 Meter Körpermasse ab um mich zu interviewen was ich hier denn so mache und ob er mal kurzfristig in meine Tasche schauen dürfe. Ja, als Frage war das nur rein rhetorisch zu verstehen. Da sich hier jemand in Konsequenz um die Sicherheit meiner Tochter kümmert, wird mir der mögliche kaukasische Nahkämpfer schnell sympathisch. Ich antworte wahrheitsgemäß über mein Ansinnen und werde unmittelbar mit der Fangfrage konfrontiert, wie denn die Klassenlehrerin meiner Tochter heissen würde. Nachdem ich erkläre, daß ich den Namen ja erst heute im Zuge der Einschulung erfahre, und ihn somit noch nicht kennen kann, verwandelt sich sein reservierter in einen freundschaftlichen Ton und er ruft den Funkgerät-Kollegen herbei, der offenkundig besser in Kamerabegutachtungen ist. Die Herren gehen ohne einen Kommentar von mir davon aus, daß man die Gerätschaft wohl nicht von innen inspizieren kann und jeder linst einmal hindurch. Dann darf ich passieren und werde drinnen von meiner Tochter mit den Worten „Papa, wo bleibst Du denn, es sind schon alle da?!“ begrüsst. Augenrollen inklusive!

Von der Synagoge geht es später zur Schule und hier findet das wahrscheinlich überall gleiche Prozedere in der Sporthalle statt. Verzückte Verwandtschaften gruppieren sich um ihre herausgeputzten Kinder, die wiederum ihre Schultüten stolz umhertragen. Einzeln werden die Namen aufgerufen und die betreffenden Kinder betreten voll freudiger Erwartung der kommenden Jahre die aufgebaute Bühne um sich begeistert der applaudierenden Menge zu präsentieren. Da wir zur 1b gehören, dauert das Warten des Aufrufs etwas länger und hier passiert der erstklässlerisch größte anzunehmende Unfall:

Die übervolle Schultüte verliert ihren Schwerpunkt am Kind und fällt auseinander. Wir sind bereits beim Buchstaben „B“ unserer Klasse und stehen somit Minuten vor einer Katastrophe wie mir die Reaktionen von Dir unzweifelhaft transportieren. Eure Mutter zaubert aus dem Nichts irgendwelchen Zwirn herbei und ich weiss einmal mehr warum in jede Kameratasche eine Rolle Gaffa-Tape gehört. Problem bei „M“ gefixt, bei „P“ Kindertränen getrocknet und nach erfolgtem Namensaufruf stolziert eine großes, kleines Fräulein Reichmann nebst Tüte auf die Bühne als wäre nichts gewesen. Das ist meine Tochter – und ich platze vor Stolz!

Ab jetzt also ein Schulkind, Düsseldorf, September 2017
Ab jetzt also ein Schulkind, Düsseldorf, September 2017

Eure Mutter verstaut einen Berg übrig gebliebener Süssigkeiten in ihrer Tasche und Du gehst mit Deinen neuen Klassenkameraden in Eure Klasse. Deine Rektorin fragt mich anschließend noch zu welchem Kind ich gehöre und das es ja sehr gut sei, jetzt jemand mit einer professionellen Kamera an der Schule zu wissen. Was immer das auch heissen soll. Zur Sicherheit habe ich mir dann mal eine eigene 16mm-Bolex gekauft – man weiss ja nie. Dafür übrigens vielen Dank an Gerhard aus Berlin.

So jetzt also ein Schulkind. Es bleibt spannend – und das ab sofort auch auf größerem Format.

Geschrieben in Hurghada, Al-Bahr al-ahmar, Ägypten.

Der 73./ 21. Monat – Waldfinale & möglichst mehr Meer

Es ist soweit: Sarah Sophies Waldkindergarten-Zeit geht zu Ende. Drei Jahre, welche wahrscheinlich zu den schönsten Deines Lebens gehören sind einfach vorbei. Mit dem Pragmatismus meiner Tochter kann ich nicht zwar nicht ganz mithalten, aber mit Deiner Aussage: „Papa, Wald ist gestern, heute ist Urlaub und morgen ist Schule.“ umschreibst Du unsere aktuelle Lebenssituation komprimiert durchaus treffend. Aber als ich Dich nach der üblichen Waldübernachtung des Abschlussjahrgangs morgens abhole und mir Deine gesammelten Werke, Forscherbücher und eine Fotomappe der vergangene Jahre überreicht werden, habe ich ziemlich nah am Wasser gebaut. Das gebe ich hier ganz offen zu und sieht man mir wohl auch an. Jedenfalls nimmt mich unser Waldhäuptling Erica fest in den Arm und versucht mich aufzumuntern: „Ihr seit ja nur ein Jahr weg, dann bringst Du doch Leo.“ Das stimmt nun auch wiederum und es hilft ja auch alles nix, für Sarah Sophie beginnt ein neuer Lebensabschnitt und da muss der alte wohl zwangsläufig weichen. Schön wars, Ende, Abspann und aus. Punkt!

Die letzten Tage vor dem Urlaub verbringt Sarah Sophie auf der Ponywiese und eigentlich wollten wir am Wochenende davor Freunde an der Ostsee besuchen, Ihr beide mit Eurer Mama am Montag früh von Hamburg in die Ukraine fliegen, damit ich Euch dann am darauffolgenden Samstag mit dem Campingbus in Bologna am Flughafen einsammeln kann und wir alle gemeinsam in Livorno auf die Fähre nach Korsika gehen. Soweit der Plan, klappt aber nicht, weil sich erst Leo mit Fieberkrämpfen, Bewusstlosigkeit und dem ganze daranhängendem Tamtam ins Krankenhaus und danach in die beliebte Kinderkrankheit „Hand-Fuß-Mund“ verabschiedet um einen Tag später auch Sarah Sophie damit anzustecken. Eure Mutter storniert Flüge, Hotel und Kindermädchen und erklärt den Ukrainern eine unabänderliche Terminverschiebung.

Sarah Sophies größte Sorge ist, daß nun der avisierte Urlaub ausfallen könnte, da sie bereits bei mir den Kauf eines Kinderschlauchboots ausgehandelt hat und für Leo mittels mehrmaligem Herumsuchen in der Garage die geeignete Auswahl an aufblasbaren Gummitieren zusammengestellt hat. Am Montag gibt der Kinderarzt grünes Licht, sofern bis Mittwoch bei Sarah Sophie keine Verschlechterung auftritt und Leos bunte Pusteln nicht weiter zunehmen. Der Countdown läuft somit und Sarah Sophie steht ungefähr zwanzigmal am Tag vor dem Spiegel und beäugt sich akribisch, um anschließend wieder bei Leo jeden Ausschlagspunkt zu zählen. Wir haben Glück und offenbar zwei robuste Kinder mit denen wir am Donnerstag-Abend in Richtung Süden aufbrechen können.

Auf der Insel brauchen wir auch nur zwei Strandbuden und einen Supermarkt um das geeignete Wassergefährt zu finden mit dem Sarah Sophie von nun an fröhlich jeden Tag umherpaddelt. Leo entdeckt in der Zwischenzeit das zur Verfügung stehende Ensemble der schwesterlich zusammengestellten Gummitiere und auch hier gilt: je größer desto besser. Bei dem Delphin klappt das Beklettern zu Lande zwar wunderbar, im Wasser erweist sich das Getier aber doch als recht unhandlich und nach dem dritten unfreiwilligem Tauchgang schleppst Du kopfschüttelnd und unaufhörlich „Nein, nein, nein, …“ brabbelnd das Spielzeug an den Strand.

In diesen Tagen stelle ich erneut fest, wie völlig angstbefreit Du bist. Schwimmen kannst Du naturgemäß natürlich noch nicht, aber das Element an sich findet Deine volle Zustimmung. Auch wenn Du mal wellengeschuldet umfällst, prustend nach Luft schnappst, ganz egal sofort wieder ab ins Wasser. Mittlerweile hast Du verstanden, daß Dich die lustigen roten Dreiecke an Deinen Armen über Wasser halten und Du dennoch mit den Beinen für genügend Vortrieb sorgen kannst. In Kombination mit Fridolina, dem grünen Krokodil Deiner Schwester, schaukelst Du jedenfalls begeistert durch den Seegang.

Leo und Fridolina, Korsika, F & Chiemsee, D, August 2017
Leo und Fridolina, Korsika, F & Chiemsee, D, August 2017

Wieder an Land äußert sich Dein ausgeprägter Wille dann schon mal etwas rustikal wie aktuell immer wieder zu beobachten: Du teilst bereitwillig Dein Sandspielzeug mit anderen Kindern, forderst das allerdings ebenso von den anderen ein. Ist dem dann mal nicht so, wird schonmal Dein Gegenüber mit der Schüppe traktiert und wenn Deine Schwester es wagt die Spielzeug-Eishörnchen an sich zu nehmen, bekommt sie gerne den Eimer in Richtung Kopf geschleudert. Alternativ sind wahrscheinlich lange Haare einfach dazu gemacht um daran ziehen zu können. Kurzum, in diesem Urlaub arbeite ich an Deinem Sozialverhalten mit Hochdruck.

Beruhigend sind glücklicherweise die meisten Reaktionen auf Seiten der Eltern der von Dir malträtierten. „Das geht vorbei. Jungs sind eben so.“ ist der meist gehörte Satz am Strand. Das will ich gerne glauben, aber beeil Dich gefälligst mal ein bisschen damit mein kleiner Rabauke. Mir gehen langsam die Entschuldigungen aus.

Geschrieben in Prien am Chiemsee, Bayern, Deutschland.

Der 72./ 20. Monat – Keine Angst vor großen Tieren

Leo entdeckt die Tierwelt für sich. Und zwar nicht etwa den nicht unbescheidenen Kuscheltiervorrat seiner Schwester, nein je größer und lebendiger desto besser. Dies gepaart mit Deinem schier grenzenlosen, vollständigem Ausbleiben des Gefühl Angst, läßt uns Eltern schon mehr als ein Mal zusammenzucken wenn man nicht schnell genug bei dem Halter des freundlich dreinblickenden Schäferhundes nachfragen kann, ob der Hund bestreichelbar ist oder eben nicht.

Ach was heißt hier streicheln, gerne umarmst Du Hunde die auch mal einen Kopf größer sind als Du selbst vollständig und denkst Dir so ein Schwanz ist bestimmt als eine Art Haltegriff konstruiert. Mittlerweile habe ich Dir gefühlt eintausend Mal erklärt, daß man nicht einfach jeden Hund in oder unter den Arm nehmen kann, weil der das unter Umständen weniger begeistert aufnimmt als Du selbst. Hilft aber bis dato überhaupt nicht und ich bin sehr dankbar bis heute kinderkompatiblen Vierbeinern begegnet zu sein.

Sarah Sophie hat so ihre eigene Art entwickelt mit der neuen brüderlichen Tierliebe umzugehen. Eines Tages – Leo ist gerade nicht da – brauchst Du unbedingt unaufschiebbar sofort irgendeine Kiste, die ich Dir glücklicherweise auch beschaffen kann um dann zusehen zu dürfen, wie Du Deine beiden Kuscheltiertruhen auf den Boden entleerst um anschließend in einer Seelenruhe eine hübsche Sammlung in besagte Kiste umzusortieren. Mit gekonnt gönnerhaftem Blick schiebst Du diese dann von Deinem in Leos Zimmer und verkündest mir voller Stolz, daß das jetzt Leos Kuscheltiere sind, Du sie ihm schenkst, damit der kleine Bruder damit schon mal das Kuscheln mit den echten Tieren üben kann. Entzückende Idee wie ich Dir bestätige, erziehungspraktisch aber wohl eher kontraproduktiv. Am Abend wird Leo dann allerdings dann auch jedes einzelne Tier aus seiner neuen Tierkiste persönlich von der Schwester überreicht inklusive detailreicher Erläuterungen zu Art und Gattung. Gekuschelt wird damit übrigens nicht, wieso auch, die laufen ja nicht weg.

Doch zurück in Leos Tierwelt.

Der gibt sich nicht mehr mit großen Hunden zufrieden, sondern hält gekonnt Ausschau nach noch Größerem. Da das diesjährige Sommerfest des Arbeitgebers Eurer Mutter unter dem Motto „Rodeo“ steht und neben dem zu erwartenden elektrischen Bullen mit Hilfe dessen sich die Großen zum Kasperl machen dürfen, es auch Ponyreiten im Firmengarten für den Beraternachwuchs im Angebot gibt, ist klar wohin die Reise gehen dürfte. Leo erscheint es völlig unverständlich wieso er nach nur drei Runden den Platz auf dem Ponyrücken wieder räumen soll, wo er sich offenkundig da oben prima arrangiert hat. Und an der Stelle ist es dann doch von Vorteil ein eineinhalbjähriger stetig grinsender Junge zu sein, jedenfalls wickelst Du die Pony-führenden Mädels damit vollständig ein und im Prinzip verbringst Du den gesamten Nachmittag zu Pferde.

Leos entdeckt die Ponys, Düsseldorf & Köngen, D, Juli 2017
Leos entdeckt die Ponys, Düsseldorf & Köngen, D, Juli 2017

Allmählich mache ich mir dann doch Gedanken was als nächstes kommt. Ich kenne nämlich niemanden mit einem Haustierelefanten in der näheren Umgebung. Macht aber nix, regelst Du ganz alleine und zwar auf der Geburtstagsparty Deiner Schwester.

Die findet auch in diesem Jahr wieder auf Ihrer heiß geliebten Ponyfarm statt und hier hat wohl jedes der älteren Mädels, welche hier aushelfen einen Hund und die sind auch alle da. Und schlagartig sind nun die kleineren Hunde Leos Objekt der Kuschelbegierde nachdem Du verstanden hast, das sich Bibbi und Co. auch noch prima umhertragen lassen wenn Du stoisch versuchst alle Hunde einer Größenabteilung in eine Reihe aufzustellen. Ganz schön tierisch eigensinnig das hier Deinen Anweisungen nicht gefolgt wird. Interessiert Dich aber nicht weiter, versuchst es eben nochmal.

Ein paar Tage später waren wir bei Freunden in Berlin und Leo hat wieder eine neue Kuscheltierfavoritin mit passenden Namen. Lea und Leo toben jedenfalls gerne gemeinsam durch den Garten. Lea ist übrigens ein ungarischer Kuvasz und nicht gerade zierlich.

Es geht also wieder größenmäßig nach oben. Aber auf Kamelen läßt sich ja auch trefflich reiten.

Geschrieben in Taglio-Isolaccio, Korsika, Frankreich.