Der 64./ 12. Monat – Take off bei den Kücken

Unser fröhliches WG-Leben hat sich eingependelt und wir schaffen es sogar noch zusätzlich Besuch aus Berlin hier unterzubringen. Geht alles, wenn man will. Die ukrainischen Betriebsausflüge Eurer Mutter halten wohl auch in den nächsten Monaten an und somit stellt sich die Frage, wie Leo in dieses Konstrukt unterzubringen ist. Er soll stets mit, soviel steht mal fest. Meine anfänglichen Bedenken muss ich schnell über Bord werfen, nachdem ich im vergangenen Monat feststellen durfte, daß mein Sohn alles andere als unglücklich aussieht wenn er auf Lena (dem Kindermädchen in der Ukraine) umher krabbelt. Zwischenzeitlich überlegen wir schon wie wir sie zu uns nach Hause bekommen – wenn das Wohnzimmer wieder frei wird, haben wir ja schlagartig unermesslich viel Platz. Aber die Idee bleibt ein Gedankenspiel.

Viel konkreter wird da nun das Projekt Kindergarteneingewöhnung für Leo. Wie wahrscheinlich jede Stadt, glänzt auch Düsseldorf mit zu wenigen Kita-Plätzen, vor allem für unter Dreijährige, der magischen Altersgrenze. Bereits vor Leos Geburt waren sich Eure Eltern einig, daß die Pleite mit der städtischen Kinderverwahrstelle von Sarah Sophie damals auf keinen Fall zu wiederholen ist und so ist Leo bereits, bevor wir wussten ob es überhaupt ein Leo wird, in einem privaten Kindergarten angemeldet und genau der erwartet nun Deine Eingewöhnung.

Eurer Mutter geht das natürlich alles überhaupt nicht schnell genug – sie reißt sich aber für Ihre Verhältnisse erstaunlich kraftvoll am berühmten Riemen und regt sich auch fast gar nicht auf, als sie Marianne vom Kindergarten am ersten Tag verwundert mit den Worten begrüßt: “Ach, wir dachten der Papa macht die Eingewöhnung. Der war ja auch bei der Anmeldung dabei.” Dies fürs Protokoll.

Alles läuft nach Plan, die Eingewöhnung dauert rund zwei Wochen und Leo findet von Anbeginn an sein neues Teilzeitzuhause offenbar großartig, jedenfalls krabbelst Du nicht gerade unglücklich vom mütterlichen Arm in den Kreis der anderen kleinen Menschen um Dich sogleich tatkräftigen Aufgaben zu widmen.

Leos Start bei den Kücken, November 2016
Leos Start bei den Kücken, November 2016

An dieser Stelle fällt mir ein, wie unendlich entspannter man mit dem zweiten Kind umgeht. Hatte ich bei Sarah Sophie im gleichen Alter noch wirklich ein schlechtes Gewissen, wenn ich sie morgens im Kindergarten abgeliefert habe, so freue ich mich jetzt einfach wie es Leo hier gefällt. Du machst es einem aber auch wirklich leicht. Ein normaler Wochentag sieht so aus:

Nach dem Frühstück fahren wir erst zu dritt in den Wald um Sarah Sophie bei sympathischem November-Schmuddelwetter ihrer Waldkindergartenbrigade zu übergeben, dann anschließend, nur noch zu zweit bei etwas höher gedrehter Heizung, Richtung Innenstadt. Hier angekommen, beschleichen mich machmal doch leichte Zweifel, ob der gerechten Verteilung der Kindergartenressourcen für Euch beide. Das mag damit zusammenhängen, daß sich Deine Schwester derzeit morgens bereits drei Schichten Klamotten unter ihre Waldjacke anzieht, ich Dir hier aber sogar die Söckchen wieder ausziehe, da in der – ich will es wenigstens einmal sagen dürfen – Pempelforter Luxus-Kinder-Pamper-Bude natürlich mittels Fußbodenheizung für ein wohliges Raumklima gesorgt wird. Dies und die warmherzige, unschlagbar angenehme Atmosphäre die einem hier entgegen strömt wenn Du von Marina, Trudi, Jan und Co. in Empfang genommen wirst, lassen mich aber schnell wieder an eine richtige Entscheidung von uns Eltern glauben.

Derlei geartete Zweifel in Richtung auf Sarah Sophie zerstreuen sich spätestens an den Tagen, wo ich nachmittags wieder in den Wald fahre und mir ein, mit allen Farben des Waldbodens verschmiertes Mädchen, mit offenen Armen entgegenläuft. Soviel Matsch macht offensichtlich glücklich.

Aber zurück zu Leo: Du kannst nicht schnell genug von mir weg krabbeln, bzw. unter Hilfestellung auf Deinen eigenen Beinchen zu Deiner Gruppe kommen um dann auf irgendeinem Arm sitzend mir fröhlich entgegen zu winken, während der ganze Kindergarten “Paka, Paka” (Tschüss auf russisch) trällert. Ein Ritual aus der der Eingewöhnung mit Deiner Mutter, auf originelle Weise, teamseitig vollständig assimiliert, übernommen. Väterlich versöhnt werde ich übrigens dadurch, daß Du mir, mit dem gleichen, fröhlichen Grinsen entgegen krabbelst, wenn ich Dich wieder abhole. Das beruhigt dann doch.

Hilft aber alles nix, auch der neue Kindergarten ist natürlich nur von begrenzter Dauer. Die Ukraine ruft und der familiäre Wanderzirkus zieht weiter. Diesmal aber nur für eine Woche und ohne große Schwester. Ich glaube mein Sohn hat unser Familienkonstrukt verstanden und mal ganz unter uns Jungs: So ein Kindermädchen ganz für sich allein ist auch nicht schlecht, oder? .

Viel Spaß bei Kücken und Co. und allseits guten Flug.

Übrigens, auch wenn gerade Ostern ist während ich diese Geschichte schreibe und ihr schon wieder in der Ukraine seit: Die Hasenmütze geht gar nicht, meine Damen.

Wenn mütterlicher Geschmack sinnlos waltet, Kiew, November 2016
Wenn mütterlicher Geschmack sinnlos waltet, Kiew, November 2016

Der 63./ 11. Monat – Wien, WG & Weiterreisen

Unsere gemeinsame Elternzeit ist vorbei und damit Eurer Mutter nicht zu langweilig wird, hat sie sich gedacht so ein hübsches Projekt in Nikopol, Ukraine kann nicht schaden. Damit das halbwegs familienkompatibel abläuft gibt es vor Ort das Kindermädchen Lena für Leo und einen lokalen Kindergarten für Sarah Sophie. Leo wird da gar nicht gefragt, er muss einfach mit und hat auch bereits vor der Elternzeit genügend Meilen auf seinem Frequent-Traveller-Baby-Konto angesammelt. Und Sarah Sophie hat sich unmissverständlich in den Kopf gesetzt ebenfalls mit Mama zu fliegen.

Damit ich zuhause nicht vor Einsamkeit eingehe, wohnen derzeit zwei Studentinnen der Medizin aus Armenien und der Mongolei in unserem Wohnzimmer. Das hat sich so ergeben, jedenfalls bei uns, da Eurer Mutter und mir nicht wirklich etwas anderes eingefallen ist als die beiden temporär zu adoptieren, nachdem auf unserer Rückreise am Strand von Ancona an einem Donnerstag das Telefon klingelt und uns Freunde aus Yerevan nach einer Wohnung für die Tochter eines guten Freundes, nebst deren Freundin in Düsseldorf fragen. Kein Problem, antworten wir, wir kümmern uns darum, wenn wir wieder zuhause sind. Das ist dann aber daran gescheitert, das die Damen bereits am kommenden Montag bei uns auf der sprichwörtlichen Matte stehen und der Düsseldorfer Wohnungsmarkt mit bezahlbarem Wohnraum eher übersichtlich sortiert ist. Wir kommen also am Samstag in Düsseldorf an, Eure Mutter packt alles direkt vom Campingbus in die Koffer und am Sonntag fliegen Dreiviertel meiner Familie via Wien nach Dnetopetrovsk. Amina und Saten folgen dann Montag früh bevor ich mich nach über zwei Monaten auch mal wieder zur Arbeit aufmache.

So geht ankommen bei Familie Reichmann.

Unsere neue muntere Multikulti-WG funktioniert unaufgeregt prima, anfangs nur mit den Mädels und mir alleine, dann noch mit Sarah Sophie dabei, da Du Dir überlegt hast, daß der ukrainische Kindergarten doch Deinem geliebten Waldkindergarten an Wertstellung eher unterlegen ist und Du somit nach zwei Wochen (allerdings vorab verabredet) wieder nach Hause, also nach Düsseldorf möchtest. Ein paar Wochen später folgen dann auch Eure Mutter und Leo. Spätestens dann wird es auch ein bisschen voll in der Hütte. Aber läuft!

Austrian Airlines nimmt zwar bereits Fünfjährige alleine mit auf die Reise und hängt Ihnen diese putzigen UM-Täschchen um den Hals und an die Hand eine Stewardess. Aber das ist dann selbst uns Berufsvagabunden etwas unheimlich. Außerdem muss man in Wien umsteigen, das auserkorene Abholwochenende ist ein “langes”, da der 3. Oktober diesmal auf einen Montag fällt. Das schreit förmlich nach einem Wiener Kurztrip. Ich fliege also am Freitag früh nach Dnetopetrovsk, muss abends mit den beiden Kollegen Eurer Mutter durch ukrainische Nachtclubs tingeln um dann am Samstag mit Sarah Sophie vodkageschwächt in Wien zu landen. Wir schaffen es auch beide im öffentlichen Nahverkehr Wiens zu bestehen und klopfen gegen 18 Uhr an der Rezeption unseres Hotels um von einem besorgten Portier mitgeteilt zu bekommen, das da wohl etwas schief gelaufen ist. Gut, die Buchungsbestätigung habe ich dann weggeworfen, alle Zimmer voll. In der Zwischenzeit bekommst Du Hunger und ich nutzte das schlechte Gewissen des Herbergsvater um die Wahl einer geeigneten Übernachtungsalternative an eben ihn zu übertragen. Wir verabreden uns in eineinhalb Stunden wieder zu sehen, deponieren unsere Koffer und folgen Deiner Aussage: “Papa, wenn es Abend ist, geht man entweder ins Bett oder ins Restaurant.” Bett haben wir keines, bleibt also nur das Restaurant. Das ist schnell gefunden, da wir mitten im MuseumsQuartier im siebten Bezirk sind und somit ordentlich zentral. Nach ein paar Gabeln Nudeln möchtest Du doch lieber schlafen und beschließt das auf dem Schoß Deines Vaters zu machen. Verständlich, wenn der Dir schon kein Hotel organisieren kann. Wenn Du schläfst, schläfst Du, da passiert selten etwas, was Dich davon abhält. Ich zahle die Rechnung und trage Dich zu unserem Gepäck zurück. Zwischenzeitlich hat der immer noch sehr peinlich berührte Portier ein anderes Hotel ein paar Straßen weiter gefunden und nach der dritten Entschuldigung seinerseits in wunderschönstem Wiener Charme bekommen wir ein Taxi. Dort lege ich Dich ins Bett und das war es dann auch schon für heute.

Die nächsten beiden Tage folgen leider meiner bisherigen Wien-Tradition: Es regnet meist – macht aber nix, denn Schloss Schönbrunn wartet mit einem Kindermuseum auf in dem man sich nebenbei anschauen kann wie seine k. und k. apostolische Majestät die Kindertage so verbracht hat (was mich offenkundig mehr interessiert als Dich), aber vor allem mit einen opulenten Verkleidungsfundus für große und kleine Besucher aufwartet. Man mag es nicht glauben, aber wir verbringen geschlagene vier Stunden in der kaiserlichen Umkleide. Kind glücklich, Regen egal.

Schloss Schönbrunn, Kindermuseum, Wien, Oktober 2016
Schloss Schönbrunn, Kindermuseum, Wien, Oktober 2016

Nach dem Nachmittagseis in irgendeiner kaiserlichen Hofkonditorei gehen wir noch Fische streicheln in einem ehemaligen Flakturm um dann am kommenden Tag im Prater die standesgemäße Riesenradfahrt gegen mehrfaches Ponyreiten und Karussellfahren zu tauschen. Verhandeln kannst Du wirklich, das muss man Dir lassen.

Nach dem Rückflug und der Ankunft in unserer Wohnung beäugst Du unsere beiden neuen Mitbewohnerinnen eingehend, läßt Dich von ihnen beschenken und verkündest stolz, das Du auch schon in Armenien warst und wir demnächst in die Mongolei reisen werden. Das wußte ich zwar zu dem Zeitpunkt noch nicht, aber die Idee klingt ganz gut – finde ich.

Herzlich Willkommen Zuhause, Prinzessin.

Der 62./ 10. Monat – Ökonomische Früherziehung

Unsere zweite Elternzeit neigt sich langsam dem Ende entgegen und es geht kontinuierlich in Richtung Norden. Über die Straße von Messina wieder aufs italienische Festland und nun etwas unorthodox kreuz und quer durch Kalabrien und Apulien. Sarah Sophie hat sich irgendwann mit der deutschsprachigen Kinderlosigkeit unserer jeweiligen Campingnachbarn abgefunden und mit einem gewissen Pragmatismus einem neuen Interessengebiet gewidmet: Es geht um Arbeit im weitesten Sinne. Derzeit dreht sich alles und jedes um dieses Thema und meist ziehst Du Schlussfolgerungen aus Deinen eigenen Aussagen. Die schönsten Stilblüten begleiten unsere weitere Reise und lassen uns alle so manche – sagen wir mal höflich – etwas schwierig-spezielle Situation mit Dir verzeihlich vergessen.

Eines schönen Tages entdeckt Sarah Sophie in einem Spielzeuggeschäft einen Besen samt Kehrblech in den Farben pink und blau. Selbstverständlich möchtest Du direkt beide Farbsets erwerben, da Du uns unmissverständlich das Blaue für Jungs und das Pinke für Mädchen zugehörig erklärst. “Papa, das Blaue schenke ich dann Leo. Dann kann er auch fegen.” Einwände in Richtung auf Leos altersbedingte, etwas eingeschränkte Motorik prallen natürlich an Dir ab und nach geschicktem Verhandeln kaufen wir überraschend doch nur den Mädchenbesen nebst Blech (und ein großes Eis um den Nicht-Schenken-Können-Schmerz erträglich zu gestalten). Am nächsten Morgen fegst Du munter mit dem neuen Besen durch unsern Campingbus. Als ich Nachfrage, woher der plötzliche raumpflegerische Bedarf erwachsen ist, erklärst Du mir mit diesem bekannten selbstüberzeugten Blick: “Papa, hier ist ja keine Larissa, also muss ich hier saubermachen.” Es beruhigt mich kolossal, daß in den vergangenen zwei Monaten nicht aufgefallen ist wer hier für eine gewisse Grundhygiene gesorgt hat. Dieser Jemand hat seine Aufgabe offenbar stehst im Verborgenem ausgeführt. Löblich so ein unsichtbarer Hausgeist. Und um diesem seine Arbeit nicht einfach wegzunehmen verlierst Du auch pünktlich nach dem dritten Reinigungsvorgang schon wieder das Interesse daran. Das ganze gipfelt dann in der Feststellung wer hier für was zuständig ist und dem ist auch absolut nichts mehr hinzuzufügen:

“Papa, Du hast jetzt immer Spüldienst und Putzdienst, Mama hat Wasch- und Leodienst und ich habe Spieldienst und Leodienst. Jeder hat zwei Sachen. Das ist gerecht!”

Überraschendes Objekt der Begierde. Apulien, September 2016
Überraschendes Objekt der Begierde. Apulien, I, September 2016

Unterdessen entdeckt Leo das Hinderniskrabbeln und purzelt gemütlich von so ziemlich allem was sich ihm gerade in den Weg stellt. Mittlerweile haben wir von den unentwegt vorbeiziehenden Händlern zwei Strandtücher und eine Trommel erworben, da Sarah Sophie nicht müde wird uns klarzumachen, daß Leo unbedingt eben eine solche Trommel benötigt. Eine Einschätzung die ich übrigens teile und somit war der Kauf nur eine Frage der Zeit und des Verhandlungsgeschick Eurer Mutter mit Strandverkäufer Nummer Siebenhundertdreiundzwanzig, oder so ähnlich.

An der Stelle bemerkt Sarah Sophie übrigens, daß der Warenverkauf der vorbeiziehenden Strandhändler eben deren Arbeit ist und dies ja eine schöne Arbeit sei, da man ja den ganzen Tag am Strand sein kann. Um jetzt den sich anbahnenden disputierenden Exkurs in die eventuell, möglicherweise doch vorhanden sein könnende Ungerechtigkeit der Chancenverteilung innerhalb der europäischen Gesellschaftsordnung vorzugreifen, deklariert Eure Mutter dies kurzerhand auf einen, genauso simplen wie rigiden Umstand: Da wurde eben nicht genug gelernt in der Schule und somit bliebt dann nur noch Strandverkäufer zur Auswahl, weil die Herren im Berufsranking eben qualifikationsbedingt eher im hinteren Bereich angesiedelt sind. Und dann verdient man gar nicht genug Geld, bzw. hat als Alternative vielleicht auch gar keine Arbeit und das wäre ja auch nicht gut. Diese Erklärung ist zwar nicht ganz neu, muss aber wieder herhalten. Meinen wahrscheinlich zu dilettantischen Versuch Dir zu erklären, daß soziale Herkunft, Schulbildung und daraus resultierende Chancengleichheit eben von so vielen Faktoren abhängen, hörst Du aufmerksam zu und Du beendest mit einer einzigen plakativen Aussage Deinerseits das Dilemma der elterlichen fundamental-diametralen Überzeugung zu diesem Thema:

“Papa, die Leute die zu wenig Geld haben, wissen vielleicht nicht wo es die Arbeit gibt. Dafür gibt es dann die Mama, deren Arbeit es ist denen zu helfen und ihre Arbeit besser zu finden.” So, damit haben wir dann auch das Unternehmensberatertum aus Sicht einer Fünfjährigen verstanden.

Die Sache beschäftigt Dich dann aber offensichtlich doch noch, denn am nächsten Tag bist Du eifrig beschäftigt mir am Strand Dein Sandeis zu verkaufen: “Papa, das Eis ist sehr lecker. Deswegen ist es sehr teuer. Und was lecker ist, ist immer gut und teuer, oder?” Zu einer Antwort komme ich gar nicht bevor Du mir die nächste Weisheit um die Ohren haust: “Papa, Du buddelst jetzt und ich passe auf, dass du nichts falsch machst. Dann mache ich die gleiche Arbeit wie die Mama.”

Wahrscheinlich hat Eure Mutter da heimlich argumentativ noch einen draufgesattelt. Vermutlich habe ich – Spüldienst bedingt – zu wenig Zeit für Dich, aber das ist nur eine Vermutung.

Am nächsten Tag gewittert es und die ökonomische Früherziehung macht mal Pause. Sarah Sophie beschwert sich jedenfalls: “Können wir endlich mal woanders hinfahren. Ich sitze hier ja nur in Donner und Regen.” Wir sprechen übrigens über den ersten Tag Regen nach 9 Wochen Sonne und 35 Grad.

Machen wir, wir fahren jetzt nämlich nach Hause, dort muss weniger von Hand gespült werden und die Chancen Dich vom Neoliberalismus wegzuüberzeugen steigen an.

Der 61./ 9. Monat – Ciao Leo

Es geht immer weiter südwärts. Sarah Sophie findet “Schlafschiffe” (Fähren mit Kabinen) prima, weil man in Betten übereinander schlafen kann, wir haben uns im Bus in Palermo beklauen lassen und die deutschsprachige Kinderlosigkeit zieht sich munter fort. Herzlich Willkommen auf Sizilien.

Das alle Eltern ihre Kinder unnachahmlich, großartig und was weis ich nicht noch alles finden ist genauso selbstverständlich wie logisch und sei allen zugestanden. Hier kurz vor Afrika gehen die Uhren aber irgendwie anders. Alles ist gehörig entspannter. Örtliche Polizisten halten Leo auf dem Arm während Eure Mutter ihnen erklärt, daß es völlig richtig ist in der Rushhour von Catania eine Fahrspur zu blockieren, da Papa kurz im Fischladen einkaufen ist, oder zwei freundliche Carabiniere-Beamte fahren kurzfristig rückwärts auf der Autobahn um einem verirrten Touristen die richtige Ausfahrt zu zeigen. Kurz eine sympathische Insel mit freundlichen Ureinwohnern.

An einem Wochenende Mitte August verschlägt es uns an einen hübschen Ort irgendwo zwischen Marsala und Agrigento. Wie üblich erwarten wir einen Campingplatz der noch genügend freie Plätze bereithält, denn das war auf der gesamten Tour zu meinem großen Erstaunen bisher immer so. Aber nur bis jetzt. Ich gebe zu mit den Feiertagen in Italien nicht so unbedingt in Einklang zu liegen, aber an einem Freitag-Abend erklärt mir eine freundliche Frau auf besagten Übernachtungsareal das am kommenden Montag “Ferragosto” ist und sie nicht wüsste ob sie uns noch unterbekommt. Prima, der nächste Campingplatz am Meer ist eine Stunde entfernt und Leo gibt eindeutig zu verstehen, daß sitzen im MaxiCosi jetzt ein Ende haben darf. Während etwa zehn Campingbusse vor uns ihren Platz aussuchen werde ich aufgeklärt: “Ferragosto” darf als der wichtigste Feiertag in Italien bezeichnet werden, und da fahren eben alle weg, bzw. legen Ihren Urlaub auf diese Zeit. Prima und dieses Jahr fällt er auf einen Montag, d.h. ein langes Wochenende. Irgendwann schickt mich die besagte Dame dann zur Platzsuche und ich verstehe nichts mehr. Alles rappelvoll, nirgendwo eine freie Ecke – bis auf eine einzige unter einer riesigen Pappel direkt am Strand. Luftlinie dorthin 10 Meter. Wir haben Glück. In den kommenden Tagen scheint jede Familie um uns herum nochmal mindestens die gleiche Anzahl an Personen Besuch zu bekommen und wir mittendrin.

Da Leo beschlossen hat in diesem italienischen Familiengetümmel seine Krabbelkenntnisse zu vervollständigen und eben dies auch nach anfänglichen Koordinationsschwierigkeiten ganz manierlich gelingt, mangelt es uns nicht an genügend Anteilnahme.

Auf zu neuen Ufern. Leo entdeckt das Krabbeln. Sizilien, August 2016
Auf zu neuen Ufern. Leo entdeckt das Krabbeln. Sizilien, August 2016

Mit Matheo wird am Strand um die Wette gekrabbelt, Christiano zeigt schonmal wie das mit dem Laufen so funktioniert und ansonsten erwecken wir den Eindruck Familie Leo zu sein. Und hier scheint man sein Namenswissen unbemerkt weiterzugeben. Jedenfalls wundere ich mich bereits am zweiten Tag nicht mehr darüber, wenn mir wildfremde Menschen entgegenkommen, meinen Sohn erblicken, Dir freundlich zuwinken und uns ein herzliches “Ciao Leo” entgegen trällern. Und es spielt überhaupt keine Rolle, ob das morgens während ich Brot kaufe, mittags in der kleinen Trattoria nebenan oder irgendwann am Strand: Mit “Ciao Leo” verbringen wir jeden Tag. Irgendwie sind wir alle Leo. Sarah Sophie akzeptiert das durchweg freimütig positiv solange jeder weiß das sie schon fünf ist und Leo schließlich Ihr Bruder ist. Darf er dann noch umhergetragen werden ist alles auf Tochterseite rund. Die Sache mit dem Alter hat übrigens eine Besonderheit. Seit Du fünf bist, legst Du gesteigerten Wert auf eben dieses Alter, meist in der Aussage: “Papa, mir ist ja jetzt schon fünf.” Verfehlungen im Benehmen Deinerseits schiebst Du gerne mal auf die Zeit vor diesem bedeutungsvollen Geburtstag. “Papa, das mache ich nicht mehr, weißt Du da war mir noch vier, da wußte ich das ja noch nicht.” Dazu drehst Du die Handflächen nach außen und zuckst mit den Schultern.

Ich weiß es ist pädagogisch nicht hundertprozentig korrekt und ich habe Dir auch schon gesagt, daß dies verbal nicht so ganz richtig ist, aber es klingt einfach zu wohltuend pittoresk “wenn Dir schon fünf, oder nicht mehr vier ist.”

Zurück zu Leo: Der scheint langsam zu glauben sein Name ist nur so eine Art Anhängsel. Nicht selten passiert folgende charmante Wunderlichkeit: Du sitzt vertieft in das einzahnige Verteilen einer Aprikose oder Banane über Deinen gesamten Oberkörper und jemand spricht Dich mit Deinem Namen “Leo” an: Keine Reaktion. Auch eine Wiederholung bringt nichts. Die gewieften Mitspieler im Babykommunikationsreigen wissen sich hier aber perfekt zu helfen. Zwei herzliche Worte genügen und Du stahlst Deine Umwelt an: “Bellissimo piccolino” Sprachlich – glaube ich – nicht ganz korrekt, aber wer wochenlang nichts anderes hört, der darf ruhig darauf reagieren.

Ich mag italienische Feiertage auf Sizilien.

Ciao Leo!

Der 60./ 8. Monat – Wer spricht hier Deutsch?

Im 60./ 8. Monat starten wir in unsere zweite Elternzeit. Gute zwei Monate nur wir, keine Jobs, keine Termine – alles was wir wissen ist eine grobe Reiseroute und ein paar fix gebuchte Fähren. Eure Mutter managt noch flott einen Job bei einem bekannten bayerischen Autobauer (liegt ja sozusagen auf dem Weg) und anschließend geht es via Livorno noch Korsika, Sardinien und Sizilien. Danach durch Kalabrien und Apulien.

Möglicherweise gehe ich etwas zu naiv an die Sache, aber irgendwie habe ich ständig unsere erste Elternzeit mit einem Kind vor Augen und denke mir, jetzt eben Frankreich und Italien anstelle von Spanien und Portugal. Klarer Fall von elterlicher Verirrung, den es ist nichts von alledem. Mit einem Baby kann man bekanntlich so ziemlich alles unternehmen, schließt man Fallschirmspringen und Tiefseetauchen gegebenenfalls mal aus, aber mit Baby und einer fast Fünfjährigen machst Du ganz viel – nämlich das was die Fünfjährige möchte. In Sarah Sophies aktueller Lebensphase bildet sich in diesen Tagen eine interessante Symbiose aus mütterlicher Sturheit und väterlicher Ungeduld. Das will erstmal geschultert werden. Auf Korsika ist noch alles im grünen Bereich und wir beschließen recht zügig nicht all zuviel herumzufahren, sondern bleiben stets mehrere Tage an einem Ort. Wie immer schließt Sarah Sophie schnell Freundschaften und Leo muss nicht täglich als stolz präsentiertes Schwester-Spielzeug herhalten. Auffallend ist allerdings das Du seit einigen Monaten ausschließlich den Kontakt zu Kindern suchst, die Du auch verstehst – also stets deutsch- oder russischsprachige Freundinnen präsentierst. Das war in all den Jahren davor anders und soll die nachfolgende Elternzeit maßgeblich beeinflussen.

An Sarah Sophies fünftem Geburtstag setzen wir von Korsika nach Sardinien über und die Zeit des sprachlichen Stillstandes beginnt. Anders ausgedrückt der elterliche Super-GAU nimmt seinen Anfang. Egal wo wir hinkommen, deutschsprachige Kinder: Fehlanzeige. Wo nun alle Italien-verliebten Teutonen in diesem Jahr Urlaub machen (wir sprechen über Juli und August) weiß ich nicht, jedenfalls nicht da wo wir sind. Ein Umstand den ich kinderlos durchweg als traumhaft bezeichnen würde mutiert aktuell zu einem Problem gesteigerter Dramatik. Sarah Sophie weiß schlicht und ergreifend nichts mit sich anzufangen und wird dann einfach mal zickig – wie die Mama – oder schlechtlaunig – wie der Papa – es zugegebenerweise recht gut sein können. Du bist eben das Kind Deiner Eltern und das wird mir in diesem Monat überdeutlich. Mittlerweile hast Du Dir von mir erklären lassen, wie europäische Autokennzeichen funktionieren und das Autos aus Deutschland eben ein weißes D auf dem blauen Fond am Anfang haben, was Dich veranlasst jeden Campingplatz genauestens nach eben diesem D zu scannen. Das wiederum gestaltet sich recht putzig, denn Du setzt Dich auf Dein Fahrrad und radelst einfach mal los. Findest du dann das ersehnte Zeichen verbalkommunikativer Einheit teilst Du es Deiner Umwelt mit und zwar im selben Moment des Auffinden, selbstverständlich entsprechend lautstark. Anders ausgedrückt brüllst Du Deine Freude quer über jedes italienische Camperidyll und auch die gefühlt hundertste Erklärung, das nicht hinter jedem D auch ein Kind wohnt, läßt Dich beim einhunderteinsten Versuch lediglich noch ein klein bisschen lauter schreien. Wahrscheinlich ob der Vorfreude. Selten, aber manchmal dann doch haben wir Glück und auf dem Gepäckträger über dem D ist ein Kinderfahrrad befestigt. Diese Tage sind selten und bescheren Euren Eltern Glücksmomente und Dir eben eine Freundin oder einen Freund für mindestens einen Tag. Selbstverständlich leistest Du Dir noch den Luxus, trotz der verknappten Angebotslage, manche der Spielprobanden abzulehnen und schleppst dann wieder lieber Deinen Bruder über den Strand. Der wiederum scheint das sonnigste Gemüt überhaupt zu haben, denn wenn ich schon längst glaube, daß es einfach mal reicht grinst Leo fröhlich in der Gegend umher während seine große Schwester der felsenfesten Überzeugung ist, so ein kleiner Mensch gibt eine prima Schubkarre ab. Dafür zolle ich Dir unumwundenen Respekt, mein Sohn.

Dann irgendwann im Nirgendwo landen wir neben einer italienischen Großfamilie bestehend aus Oma, Opa, Eltern sowie drei Jungs und einem Mädchen. Hier spricht zwar auch niemand Deine Sprache, aber das interessiert Dich herzlich wenig. Nach anfänglichem Zögern wird mit dem Ältesten Fußball gespielt oder der kleinste (etwas älter als Dein eigener Bruder) hingebungsvoll am Strand bespaßt. Ich höre kein einziges Mal “Papa, ich verstehe die Kinder nicht, also kann ich nicht mit ihnen spielen.” Alles scheint gut und ich frage mich natürlich woran das auf einmal liegt, während meine kosmopolitische Grundüberzeugung wieder etwas gerader gerückt wird.

Und bereits am nächsten Tag erfahre ich auch den Grund Deiner schlagartigen guten Laune. Quer über alle Generationen hinweg begrüßen Dich unsere Nachbarn als “Bellissima Bambina” während Du stolz Dein neues Kleid vorführst. Das ist also das ganze Geheimnis: Du verstehst zwar kein Wort, begreifst aber, daß Dich hier alle ganz toll finden. Und erstmals seit ein paar Wochen steht ausnahmsweise nicht Dein Bruder im Mittelpunkt nachbarschaftlicher Huldigung. Die gibt es übrigens zu Hauf, aber das ist eine folgende Geschichte.

Jedenfalls bist Du die Tochter Deiner Mutter: Das haben mir unsere italienischen Nachbarn plakativ vor Augen geführt. Ganz überraschend sind wir dann einfach mal über eine Woche hier geblieben und ich möchte nie wieder andere Nachbarn.

Mille Grazie Marcella e Giovanni.

Der 59./ 7. Monat – Der Osten schweigt

In diesem Monat habe ich schlicht und ergreifend mal nichts zu erzählen. Klingt skurril – ist aber so, denn ich war einfach nicht dabei. Eure Mutter hat Euch, Eure mütterlichen Großeltern und noch ein paar Ihrer Kollegen im Gepäck um einem ukrainischen Industriebetrieb wieder auf die eigenen Beine zu helfen. Sarah Sophie geht dort in einen lokalen Kindergarten und Leo erfreut sich großelterlicher Dauerbespaßung.

Jedenfalls seit Ihr via Wien nach Dnetopetrovsk geflogen um dann noch, in einer kundenseitig gewünschten einwöchigen Projektpause, von dort ins armenische Yerevan weiterzureisen um Freunde von uns zu besuchen. O-Ton Eurer Mutter: “Na wenn wir schon auf halbem Weg sind …”

Nach Eurer Rückkehr folgt noch eine ganze Woche in Düsseldorf bevor es dann in unsere zweite zehnwöchige Elternzeit geht.

Wer hat eigentlich jemals behauptet Reisen mit Kindern sei kompliziert? Wir jedenfalls nicht, obwohl jeweils auf Hin- und Rückreise einer der Koffer in Wien hängengeblieben ist. Aber man braucht ja auch noch wirkliche Herausforderungen!

Der 58./ 6. Monat – In Bayern allein zu Haus

In diesem Monat bekomme ich schonmal einen sanften Vorgeschmack auf die Zeit, in der Eure Mutter wieder ganz regulär arbeiten geht – ich also folglich mit Euch beiden unter der Woche oft alleine sein werde. Das ist zwar erst in einigen Monaten so, aber ein bisschen Übung schadet ja nicht. Ein nicht unbekannter bayerischer Autobauer möchte von Eurer Mutter irgendetwas über drei Tage erklärt bekommen und diesem Ruf folgen wir dann also in vollständiger Familienstärke. Terminlich haben wir das Projekt erfolgreich zwischen zwei “lange” Mai-Wochenenden platziert und starten so am Mittwoch vor Christi Himmelfahrt in Richtung Gardasee um dort das Brückentagwochenende zu verbringen, denn Bayern und Gardasee lassen sich natürlich so herrlich kombinieren. Prinzip: Na wenn wir eh schon mehr als die Hälfte an Kilometern fahren müssen …

Der oberitalienische Abstecher ist ein Volltreffer in dem Sarah Sophie gefühlt das Schwimmbad des Campingplatz nur zum Essen verlässt, während Leo auf der Liege unter dem Sonnenschirm die ersten zaghaften Versuche unternimmt sich selbstständig bewegen zu können – die Drehungen klappen noch nicht so ganz, aber lange dauern dürfte es nicht mehr. Ich gestehe übrigens an dieser Stelle irgendwie vergessen zu haben wie lange es doch dauert bis die Krabbelei losgeht. Sarah Sophie schließt jedenfalls zügig und zahlreich neue Freundschaften, die sogar manchmal länger als einen Tag halten. Völlig überraschend findet Eure Mutter bereits beim ersten Stadtbummel die ein oder andere ach wie bezaubernde Kinderboutique und die Damen des Hauses gehen dann mal shoppen während die Herren meist vor der benachbarten Bar anzutreffen sind. Irgendwann spaziert Sarah Sophie mit einer noblen Tasche aus dem Geschäft, setzt den “Hach-was-muss-ich-wieder-alles-alleine-machen”-Blick auf und erläutert mit seufzender Stimme: “Papi, wir müssen jetzt ein ganz großes Eis essen gehen. Ich habe soviel Kleider ausprobiert, das ist ja ganz schön anstrengend.” “Aber Du wolltest doch unbedingt ein neues Kleid?” entgegne ich während sich Leo auf meinem Arm selbst gerade rückt. “Ja schon aber Du willst doch auch immer das ich so schön aussehe.” grinst Du mich an. Dann wieder ich: “Aber Du wirst doch nicht schöner, nur weil Du ein neues Kleid anhast.” Wieder Du: “Stimmt, Papi mit einem neuen Kleid sehe ich noch viel, viel schöner aus. So schön wie die ganze Welt. Jawohl!” Nun erscheint Eure Mutter auf der Bildfläche und verkündet genussvoll “Sarah Sophie hat so viele Kleider anprobiert und das schönste ausgesucht.” Ich wähne mich in einem Komplott. Sofort wieder Du: “Ja und jetzt müssen wir Eis essen gehen, weil das ja so furchtbar anstrengend war.” Ich gebe auf und wir steuern die nächste Eisdiele an. Hier beschließen die Damen dann noch kurz, das ich von Kleidern ja sowieso keine Ahnung habe und deshalb auch immer besser mit Leo vor dem Geschäft bleibe.

Ich glaube ja das habt ihr abgesprochen, eine Beweisführung gestaltet sich aber bestimmt schwierig.

So in der Art vertrödeln wir die nächsten Tage und am Sonntag geht es von hier nach Landshut um Eure Mutter in Lohn und Brot zu bringen. Im Vorfeld haben wir besprochen, daß mir Sarah Sophie dann hilft, weil ich mich ja jetzt um zwei Kinder alleine kümmern muß. Wir legen fest was zu tun ist und das klappt hervorragend. Sogar Zähneputzen (unser aktuelles Lieblingsdrama) absolvierst Du ohne Murren solange der Hase Hoppel und Bäh das Schaf zugucken dürfen. Der erste Tag startet somit erfolgreich. Unser Campingplatz ist zwar eine ziemliche Einöde liegt aber nur ein paar Autominuten von der temporären Arbeitsstätte Eurer Mutter entfernt. Das ist natürlich unabdingbar da Leo unter anderem mittags noch gestillt wird und wir somit auf den schnellsten Weg für die mütterliche Mittagspause angewiesen sind. Das klappt auch alles problemlos.

Sarah Sophie wird es verständlicherweise irgendwann langweilig, da wir gefühlt alleine auf dem Areal sind. Lediglich einige dauercampende Rentner schlurfen von Zeit zu Zeit an uns vorbei und eine altersschwache Schaukel entpuppt sich auch nicht direkt als Eventhighlight. Abhilfe verspricht die freundliche Dame an der Rezeption wo wir morgens unsere Brötchen abholen. Nachdem sie sichtlich irritiert ist warum Eure Mutter morgens in aller Frühe verschwindet, mittags und nachmittags mit einem Leihwagen wieder auftaucht und offenkundig ein Vater mit seinen kleinen Kindern ganz verlassen und alleine die Tage überstehen muss, erklärt sie mir wo sich der nächste Spielplatz befindet. Die Dame scheint sehr lokalpatriotisch gestimmt zu sein, jedenfalls wird mir der besagte Platz als ganz neuer und besonders großer Abenteuerspielplatz blumig angepriesen. Das klingt perfekt denn nach dem Frühstück schläfst Leo derzeit etwa zwei Stunden und wir machen uns alle zusammen auf den Weg. Es dauert auch nur rund zehn Minuten und wir sind angekommen. Die Rezeptionsdame hat übrigens fast recht behalten. Der Spielplatz ist gehörig groß, mit den üblichen Klettergerätschaften ausgestattet und der Abenteueraspekt wird vermutlich durch die Seilbahn repräsentiert. Die Sache hat nur einen winzigen Haken:

Wir sind schon wieder alleine.

Verständlich gucken mich zwei Kinderaugen mäßig begeistert an. Ich erkläre Dir, daß die Kinder wahrscheinlich alle in ihren Kindergärten sind, was Dir offenkundig auch einleuchtet, da Du zu dieser Uhrzeit ja auch im Wald wärest, so wir denn zuhause weilten. Also schaukeln wir etwas gelangweilt umher und beschließen, daß das Nachmittags alles ganz anders sein wird, da dann ja der gemeine Kindergarten geschlossen hat. Damit gibst du Dich recht schnell zufrieden und wir schieben gemeinsam Leo wieder zurück. Nach dem Mittagessen also der zweite Versuch und die zweite Enttäuschung: Nichts, niemand, Familie Reichmann alleine auf dem Platz. Wenigstens ist Leo wach und so sitzt Du mit Deinem Bruder im Sandkasten und erklärst was Du mit ihm zusammen in Zukunft alles zu unternehmen gedenkst. Suboptimal ist hier noch eine höfliche Beschreibung der Situation.

Tag zwei und drei verlaufen exakt gleich und Du kommst zu dem logischen Schluss: “Papi, in welchem Land sind wir?” “In Deutschland, aber recht weit weg von Zuhause und das heißt hier Bayern.” “Ach so”, kommt als Reaktion: “Aber hier muss es viele dumme Leute geben. Die bauen Spielplätze und haben gar keine Kinder dafür.” Das kommentiere ich an dieser Stelle ausdrücklich nicht. In der Zwischenzeit haben Eure Mutter und ich übrigens beschlossen die nächsten Tage mit Euch in Berlin zu verbringen. Die haben zwar weniger Spielplätze, dafür aber mehr Kinder.

Als Du Berlin hörst ist alles gut und Du fängst an Deinen Kinderkoffer zu packen. Ich glaube fast Du weißt was Dich erwartet.

Ick freu mir jedenfalls.