Der 31. Monat – Nein, du nicht – Heute ist doch Mama-Tag

Ich hätte es natürlich wissen können, vielmehr wissen müssen, da aber Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, bin ich bis ultimo davon ausgegangen, daß der Gleichheitsgedanke für Dich unangefochten gilt. Tut er absolut auch, aber nur bis zum Wochenende. Bin ich verständlicherweise im intrafamiliären Elternranking werktäglich die Nummer 1, erlischt derlei Kompetenz meinerseits schlagartig am Freitagabend.

Du hast schnell verstanden, das eines der bunten Icons auf Papas iPhone dazu erdacht ist Fluginformationen zu transportieren. Pünktlich zur “Flug XYZ ist gelandet-Melodie” schauen mich zwei glücklich strahlende Kinderaugen an und Du stellst immer wieder die gleiche Frage, verbunden mit immer der gleichen Antwort: “Kommt Die Mama jetzt” – “Ja, die Mama kommt gleich – sie ist gerade gelandet”. Weiter geht es mit “Ist die Mama gelandet?” “Fährt die Mama jetzt mit dem Taxi?” Gebetsmühlenartig bejahe ich beide Fragen und entfessele einen Schlüsselreiz. Sogleich willst Du unbedingt und sofort auf die Fensterbank meines Arbeitszimmers klettern und der spannenden Anfahrt eines gelben Autos mit schwarzem Schild auf dem Dach beiwohnen. Nach der gefühlten dreihundertsten Erklärung, daß zwischen Landung und Vorfahrt mindestens eine halbe Stunde liegt, es aber auch mal gerne eine ganze werden kann, haben wir gemeinsam gelernt die Zeit zu nutzen und stellen nun fest, welche Farben die Autos haben die unter unserem Fenster vorbeifahren. Manchmal erkennst Du sogar die Marke korrekt, was ich aus zwei Gründen erstaunlich finde. Erstens wohnen wir in der dritten Etage und zweitens habe ich Dir nie Automarken erklärt. Ein nicht unbegründeter Anfangsverdacht in dieser Sache geht in Richtung Deiner mütterlichen Großeltern. Das aber nur nebenbei.

Steigt Deine Mutter dann irgendwann in persona aus der vorgefahrenen Droschke, wird erst munter gewunken und dann, selbstverständlich Deinerseits selbständig, die Tür geöffnet damit sich meine beiden Damen standesgemäß begrüßen können. Ab jetzt könnte ich ausziehen, es würde niemand merken. Gerne sitzt Ihr beide eine Viertelstunde auf dem Boden im Flur und tauscht Euch über die wesentlichen Ereignisse der vergangenen Tage aus. Eine gute Gelegenheit das Gepäck Deiner Mutter zu verstauen und mit Deinem Abendessen zu beginnen, da wir natürlich zumeist über eine Uhrzeit sprechen, in der Du eigentlich bereits gegessen haben solltest. Der Konjunktiv hat an dieser Stelle reinen Richtcharakter. Alle Beteiligten haben sich irgendwie daran gewöhnt, das es Freitags etwas länger dauert – was soll’s. Das wir die Eltern sind, denen es wichtig ist, das Du verstehst was Konsequenz bedeutet, versteht sich von selbst. Den letzten Satz Deiner Mutter zu diesem Thema den ich mir gemerkt habe endete ungefähr mit dem Worten: “Natürlich Du hast völlig recht, ich bin Deiner Meinung, Sie muss verstehen das um acht Uhr abends Schluss ist – ich lande um halb acht, ihr wartet doch mit dem Essen, oder?”

Bewundernswert finde ich dann aber doch die Geschwindigkeit mit der Deine Mutter die anstehenden Dinge mit Dir erledigt. Ihr esst, vertreibt die Zahnteufelchen und schon werde ich zum Gute-Nacht-Defilee gerufen nach dessen Abarbeitung mir Deine Mutter noch flugs das benutzte Geschirr und die nebenbei aussortierte, schmutzige Wäsche von Dir in die Hand drückt. Für das alles brauchen wir beide länger, das gebe ich zu.

Am Samstag werde ich zu aufregenden Hilfstätigkeiten wie Wasserflaschen besorgen, Papiermüll runtertragen und – nicht zu vergessen – dem Auffüllen Deiner Wochenration kleinkindlicher Verbrauchsartikel herangezogen. Die Frage “Sind noch Feuchttücher oben?” ist längst zum Geflügelten Wort hierfür mutiert. Keine Frage am Wochenende werde ich einfach nicht gebraucht. Daran muss man sich erstmal gewöhnen – was Du allerdings meisterhaft beherrschst. Dein offenkundig bereits ausgeprägtes Gespür für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens knallst Du einem schonmal vollmundig vor den Latz. Ich glaube es war mein Versuch Dir beim Einsteigen in eine Strumpfhose behilflich zu sein. Da hier aber nicht jeder machen kann was er will – am Wochenende schon gleich gar nicht – rupfst Du Dein Beinkleid aus meiner Hand machst eine elegante Drehung um 180 Grad und wirfst mir eine mehr als nur vorwurfsvolle Geste mit den Worten “Nein, Du nicht – Heute ist doch Mama-Tag. Du darfst morgen wieder.” entgegen. Strumpfhose und Kind stolzieren in Richtung Mama und mir fällt gerade noch rechtzeitig eine wenig marginale Frage ein: “Ist noch Sprudelwasser oben?”

Ich schaue besser mal nach.

Der 30. Monat – Ich glaub’ Du stehst im Wald

Eines der wenigen, aber wirklich wichtigen Dinge, in denen Deine Mutter und ich ausnahmsweise einmal einer Meinung sind, ist der Umstand, daß Du ab dem folgenden Kindergartenjahr eine andere Einrichtung besuchen sollst – sprich wenn Du in die sogenannte “Über 3”-Kategorie fällst. Da bekanntlich Normal jeder kann sucht Deine Mutter selbstverständlich das Besondere und platzte bereits vor Deiner Geburt mit der Idee eines Waldkindergarten in die pränatale Familienorganisation. Ganz ernst genommen habe ich das natürlich nicht – erstens erschien mir das damals ordentlich weit weg und zweitens ist es unmöglich jeder Idee Deiner Mutter unmittelbar Folge zu leisten da hierfür eine Art Zweitleben nötig wäre, so mannigfaltig sind meist Ihre Ideen und Absichten.

Aber jetzt steht nun leider diese Entscheidung an. Einen Waldkindergarten stelle ich mir in Form einer Art Einrichtung für Nachwuchshobbypartisanen oder Survivaljunkies vor. Im Sommer prima – im Winter eine Katastrophe. Zumindest für eventuell, möglicherweise zu besorgte Väter. Da ich Dir jedoch eine möglichst vorurteilsfreie Weltsicht angedeihen lassen möchte heißt es hier mit guten Beispiel vorangehen. Also zieht die kleine Familie an einem kühlen Januartag bei 6 Grad Höchsttemperatur in den Wald. Wir sind Gäste der Waldwichtgruppe und werden herzlich als die heutigen Hospitanten begrüßt. Die feuerwehrroten Bauwagen gehören gar nicht zu einer Lagerstätte gesellschaftskritischer Alternativbewohner sondern sind die einzige überdachte und beheizte Räumlichkeit weit und breit für die kleinen Urbanüberdrüssigen. Es ist also genauso schlimm wie erwartet.

Einzig auffällig ist, daß die Waldwichtkompanie nicht in passendem Camouflage umherstolpert sondern sich die Logos bekannter internationaler Outdoormarken sozusagen die Hand geben. Das wiederum beruhigt mein pazifistisches Gewissen.

Der erste Offizier – Verzeihung die Gruppenleiterin – befehligt das Abladen unnötiger Ballaststücke und wundert sich über Deinen zu klein ausgefallenem Rucksack. Es bleibt mir natürlich nicht verborgen das Deine zukünftigen Waldwichtkameraden eher nach Gepäckmarsch als nach Kindergartenspaziergang aussehen. Ich versuche unauffällig bei einem gerade sein Kind abliefernden Elternteil nachzufragen. Klappt natürlich nicht, da mich der besagte Vater fast auslacht mit den Worten “So verstört habe ich auch letztes Jahr hier gestanden – aber in den Rucksack muss ja alles was die Waldkameraden so den ganzen Tag brauchen.” “Sie kommen nicht zwischendurch hierhin zurück?” frage ich erschrocken zurück. “Nein, nein, das geht ja gar nicht – dazu ist der Wald ja viel zu groß”. Ich denke über truppenzersetzende Sabotageakte nach. Aber da geht es auch schon los. Das erste und zweite Zug des Waldwichtregiment setzt sich planmäßig Richtung Anhöhe in Bewegung um sich dort zu einem Lagerkreis zusammenzufinden.

Du taperst natürlich mit Deiner Mutter am Kopf der Truppe vorneweg, während ich mit einer ortskundigen Begleitung die Nachhut bilde um mich gleich auf Stand bringen zu lassen wie das hier so funktioniert. Das wir Mitglied einer sogenannten Elterninitiative werden wollen scheint Deine Mutter – sicherlich völlig unabsichtlich – irgendwie vergessen zu haben in meine Richtung zu kommunizieren. Aber nun weiß ich ja Bescheid.

Die wahrscheinlich einzige Gemeinsamkeit der Waldtrolle mit einem “normalem” Kindergarten ist der Umstand, daß es mehr Bewerber als Plätze gibt und wir somit in ein wie auch immer geartetes Auswahlverfahren geraten um Dich täglich der freien Natur aussetzen zu dürfen. Ich höre von Umbauarbeiten an den Bauwagen, der Vergrößerung des Platzes und weiß der Henker nicht für tollkühnen Handwerkertaten. Zum allgemeinen Verständnis: Mein Werkzeugkasten besteht aus einer kleinen weißen Papiertüte die mit einem Hammer und drei, vier Schraubendrehern gefüllt ist – womit wohl hinreichend erklärt ist mit welch rudimentärem, handwerklichen Geschicke ich gesegnet bin. Der Handwerkliche Herold neben mir bugsiert sich sogleich in den “Hör mal wer da hämmert” – Vordergrund und kippt noch einen obenauf. Durch seine Schichtarbeit habe er auch schonmal tagsüber Zeit für anfallende Tätigkeiten. Ich stehe da wie ein vollkommener Idiot. Na Bravo.

Die erwähnte ortskundige Begleitfrau eröffnet mir nebenbei, daß es bei der Eltern-Kindauswahl wahrlich nicht nur um Sympathie gehe, sondern daß sie – geradezu gezwungen – auch um die Möglichkeiten der Mitarbeit selektieren müsse. Innerlich verabschiede ich mich vorsorglich mental vom Waldwichtwunderland und gelobe in Zukunft mehr Zeit mit Dir draußen zu verbringen. In der Zwischenzeit sitzt die kleine Forstgemeinde bereits an ihrer morgendlichen Lagerstätte und vergnügt sich mit ebenso fröhlichen wie klimatisch notwendigen Aufwärmübungen.

Beim ersten Spiel des Tages verstecken sich zwei Kinder mit Holzstückchen hinter irgendwelchen Bäumen, klappern etwas und ein weiteres Kind aus der Gruppe muss diese dann geräuschhorchend orten und finden. Du schaust Dir die Systematik zwei Runden an und nachdem dann die Aufforderung in die Runde ergeht, wer jetzt den “Specht” – so der Name des Spiels – suchen möchte, sehe ich beherztes Hervortreten Deinerseits verbunden mit der Einforderung hier nicht länger außen vor zu bleiben. Unter den betreuenden Waldscouts herrscht anerkennende Bewunderung ob Deiner Gruppenschnellintegration.

Nach dem Frühstück arbeiten sich die Waldwichte und wir weiter in unwegsames Gelände vor und Du beschließt die schützende mütterliche Hand lieber zu verlassen. Verständlich, willst Du doch offensichtlich ernsthaft Teil dieser Temporärureinwohner werden. Aber Deine Mutter kann natürlich auch schwerlich mit dem einzigen männlichen Teil der Truppe mithalten, den der knüpft gerade eine Art Hängematte die als Großgruppenschaukel dienen soll zwischen Bäumen zusammen und das erfordert selbstredend Deine volle Mitarbeit. Deine Mutter und ich stehen nicht ganz unverzückt etwas abseits und lassen Dich einfach mal machen. “Die nehmen uns nie” merke ich an und werde von Deiner Mutter leider bestätigt. Zum Abschluss muss ich einen Fragebogen ausfüllen, in dem anzukreuzen ist, welche Tätigkeiten wir in der Lage sind zu verrichten. Zur – eingangs erwähnten – vorurteilsfreien Weltsicht gesellt ich für mein Verständnis ein beträchtlicher Teil Ehrlichkeit hinzu und so bleiben einfach mehr als die Hälfte der Kästchen unangekreuzt. “So klappt das hier nie” ist die höfliche, aber einzig hier zu veröffentliche Meinung Deiner Mutter zu eben diesem Umstand.

Na, ja – es ist ein toller Tag für Dich und am nächsten Morgen möchtest Du absolut verständlich wieder in den Wald. Nach ein paar Tagen ist das alles natürlich vergessen und wird erst wieder interessant als ich brieflich dazu aufgefordert werde, den beigefügten Betreuungsvertrag unterschrieben zurückzusenden.

Du bist also ernsthaft im Kleinkindüberlebenscamp aufgenommen. Und das bist Du jetzt auch noch ganz alleine selbst Schuld – denn Deine Eltern haben sich nun wirklich dumm genug angestellt. Demnächst gehen wir dann wohl mal etwas anders Klamotten für Dich einkaufen und Du suchst Dir vielleicht schonmal einen kleinen Kavalier dem Du die schweren Sachen in den Rucksack schummeln kannst.

Und nicht vergessen: “Ich war das nicht. Pionierehrenwort.”

Der 29. Monat – Ski de Plateau

Das Projekt “Berg und Kind” befindet sich auf der erfolgreichen Zielgeraden. Das ist soweit natürlich prima und in kleinster Weise zu beanstanden. Die befruchtende Stilblüte hierzu ist der Umstand, daß Du täglich immer mehr Dinge alleine verrichten möchtest. Da macht es folglich durchaus Sinn, Dich endlich auf eigene Ski zu stellen. Die Weihnachtstage und den Jahreswechsel verbringen wir erneut – wie in den vergangenen zwei Jahren – in Samoëns in den französischen Alpen, in diesem Jahr allerdings in unserem neuen Campingbus. Die Urlaubsbehausung an sich interessiert Dich aber überhaupt nicht, solange wir nahezu täglich bei Taka-Tak, Deinem Urlaubslieblingspony vorbeischauen und Du einige Runden durch das Dorf “reiten” kannst. Die Ponyfrau begrüßt uns täglich freudig und der dazugehörige Opa kramt seine verblichenen Russischkenntnisse von vor langen Schuljahren hervor um mit mit der Mutter seiner neuen Stammkundin gepflegten Smalltalk zu halten, während ihr Eure Runden zieht. Die Frau vom Glühweinstand gegenüber spricht zwar kein Russisch, macht aber ihren heißen Winterwein aus hiesigem Pinot Noir, und die Umkehrung seines eigentlichen Bestimmungstemperatur schadet ihm in keiner Weise. Irgendwie sind alle glücklich.

Doch zurück zum Bergprojekt: Wir sind brav und artig durch das ganze Dorf spaziert um im Schaufenster jeder Skischule das gleich Bild vorzufinden: ab drei Jahren gibt es eine ganze Vielzahl an Unterrichtsmöglichkeiten, aber eben erst ab drei. Für Dich folglich ein halbes Jahr zu früh. Ich weiß nicht genau warum, aber Deine Mutter scheint sich unumstößlich in den Kopf gesetzt zu haben, Dich in diesem Winter auf eigene Ski zu stellen. Meine Einwände und Hinweise auf ein weiteres Jahr in Wartestellung werden selbstverständlich gepflegt überhört. Es tut Ihr sichtlich in der Seele weh, aber Sie fügt sich schweren Herzens.

An irgendeinem Skitag stehe ich bereits an der Gondel an während Deine Mutter mit Begeisterung und Dir im Schlepptau heranstapft. Dieses quer über Ihr ganzes Gesicht laufende Grinsen kenne ich nur von allerhöchster Freude und Begeisterung ob errungener gefühlter Weltrekorde Deinerseits. Stolz präsentiert sie Eure neue Errungenschaft: Eine Art Kinderski zum umschnallen an normale Winterstiefel, selbstverständlich nebst drollig aussehender Miniskistöcke. Noch bevor ich den Hauch einer Kritik an diesem Kinderspielzug äußern kann, strahlst Du mir mit den Worten “wie Papa” entgegen. Von diesem Moment an finde ich die Dinger selbstverständlich großartig und bin wenig verwundert daß Du die anschließende Bergfahrt dazu verwendest, den zufällig Mitreisenden von Deiner aktuellen Errungenschaft vollmundig Bericht zu erstatten. Das Dich rein verbal vermutlich niemand versteht stört wenig; die Gondelgruppe ist begeistert und Du in Deinem Element. Punkt.

Zu meiner Überraschung lassen sich die Spielzugski erstaunlich ordentlich an Deinen Füßen befestigen und Du beginnst sogleich auf dem Bergplateau hin- und herzufahren. Langsam aber immerhin. Ich weiß, daß das ganze mit Skifahren ungefähr soviel zu tun hat wie ein Dreirad mit der Tour de France. Aber es sieht einfach zu verzückend aus, wie Du umherrutscht.

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An Tag Zwei Deiner neuen Freizeitbeschäftigung kommen vermutlich die Beratergene Deiner Mutter bei Dir zum Vorschein und Du gibst mir Anweisungen, wie das alles hier zu funktionieren hat: “Nein, so Papa”, “Mit beiden Stöcken” und so weiter werde ich unaufhörlich belehrt was zu tun ist. Unerklärlich, wie ich vorher jemals auch nur die einfachstes Piste heil heruntergekommen bin. Die Sonnenterrasse der bewirtschafteten Hütte ist ab sofort Deine Bühne und wir beide sorgen vermutlich für gehöriges Amüsement der verweilenden Skigemeinde indem sich der Teutonenpapa zum Kasper macht. Dir jedenfalls macht das riesig Spaß. Das ist ja auch nicht schlecht.


Ski 1.0
Sarah Sophie Winter 2013/2014 – Samoëns
Musik – Peppermoon – Sur le bout de la langue

Irgendwann an der hochalpinen Glühweinbude erhält Deine Mutter den sachdienlichen Hinweis, die direkt an der Talstation gelegene Skischule bietet Einzelunterricht ohne Alterslimit an. Überflüssig zu erwähnen, das wir an dieser Skischule täglich zweimal vorbeidefilieren. Erstaunlicherweise stürmen wir nicht gleich in die nächste talwärts schwebende Gondel sondern buchen Deinen ersten Skiunterricht erst am frühen Abend. Der Großwetterlage der südlichen Alpen gehorchend, musst Du Dich allerdings noch einige Tage in Geduld üben und wir können erst für den Tag vor unserer Abreise auf Wetterbesserung hoffen. Gut dann eben noch solange Spielzugski auf dem Campingplatz – es gibt schlimmeres.

Es kann sich natürlich jeder denken, daß auch am besagten, gebuchten Tag keine Wetterbesserung eintritt und wir somit den Termin verstreichen lassen müssen. Das macht aber nichts, jetzt hängt ein Gutschein für Deine erste Skistunde in Deinem Kinderzimmer und wir sparen uns nächstes Mal folglich so richtig reich. Außerdem müssen wir jetzt schleunigst noch mal hierhin – auch wenn Du dann vielleicht schon drei bist. Das zählt aber nicht: “Sarah Sophie stand mit zwei Jahren das erste Mal auf Skiern”. So erzählt es zumindest stolz einherschreitend Deine Mutter wenn Sie von diesem Urlaub erzählt – na ja und ich ja irgendwie jetzt und hier auch.

Hals- und Beinbruch, Skiprinzessin.

Der 28. Monat – Papa, pielen!

Sicherlich völlig zufällig schafft es Deine Mutter an jedem Freitag für Dich ein neues Spiel aus Ihrem Handgepäck zu zaubern. Diesem Umstand mag es geschuldet sein, daß wir fast jede Woche ein neues Spiel ausprobieren können. Ob nun Zufall oder glückliche Fügung; jedenfalls mehren sich Produkte einer französischen Kinderspielzeugmarke verstärkt in Deinem Zimmer. Ich vermute ja System dahinter: Fakt ist aber, Deine Mutter findet selbst in tiefer bayerischer Provinz einen Spielzeugladen dem unverrückbar ein Produkt aus der Auslage zu entnehmen ist.

Kurz und Gut, in diesem Bereich herrscht kein direkt fühlbarer Mangel.

Das hindert Dich aber nicht, für jedes einzelne Spiel Deine individuellen Regeln für jeden Beteiligten aufzustellen. Ich habe das einmal bewußt beobachtet. Anfänglich vermutete ich allen Ernstes noch reine Zufälligkeit in dem Umstand, daß ich stets nur Doppeltierkarten im Domino bekomme, Du dich selbst hingegen mit einer profunden Auswahl aller verfügbaren Tiersymbole ausstattest. Ein Schelm wär Böses denkt. Allen Nicht-Domino-Erfahrenen sei an dieser Stelle gesagt: es ist nahezu unmöglich zu gewinnen, hat man in der Hälfte seiner Karten jeweils zwei gleiche Symbole auf eben einer Spielkarte. Ich habe gefühlt alle “Doppelten” zu meiner freien Verfügung. Aber damit gibst Du dich natürlich nicht zufrieden, sondern baust auch hier entsprechend vor. Die rote Maus ist Dein Lieblingstier und wenn beim Verteilen der Karten eine eben solche auftaucht, wandert die wie selbstverständlich unter Deine Obhut. Anfängliche Proteste meinerseits konterkariertest Du mit einem vorwurfsvollem Blick und dem Satz: “Das ist nicht “fu” Papa, das ist “fu” Baby. Umlaute sind noch nicht so ganz Dein Ding – aber wer kann da schon widersprechen.

Ähnlich verhält es sich bei “Minu”, einem von Dir kreiertem Kunstwort als Beschreibung für eine Art Memory auf dem die Symbole auf die jeweiligen Spielkarten – den Jahreszeiten – zuzuordnen sind. Wer zuerst seine Karten(n) voll hat, hat gewonnen. Soweit die Theorie. Praktisch komme ich selten zum Zuge, da Du mir in hingebungsvollen Durchhalteparolen immer wieder erklärst, das Du jetzt gerade an der Reihe bist. Das geht dann in etwa so: Du beginnst das Spiel, das ist sowie klar. Deckst Du ein Symbol auf, welches auf Deine Karten paßt darfst Du nochmal – das ist, glaube ich, die einzige Anweisung die wirklich für einen regelkonformen Spielbetrieb vorgesehen ist. Gehört hingegen ein Symbol zu einer meiner Karten, darfst Du selbstverständlich ebenfalls noch einmal, da ich ja die Karte bekommen habe. Der Trick an der Sache ist aber noch viel perfider. Wenn zu erahnen ist, daß meine Karten fast voll sind und Du erneut eine für meine Bildersammlung umgedreht hast, grinst Du frech, zeigst mir das Bild erst gar nicht sondern drehst die betreffende Karte sogleich wieder um. Und manchmal darf ich dann sogar mal wieder mitspielen, wir haben aber auch schon ganze Serien monologen Spielbetriebs Deinerseits hinter uns gebracht.

Es stellt sich somit die Frage nach dem Herrühren dieser selbstbereichernden Handlungsweise. Und natürlich steht ab sofort Deine Mutter unter Generalverdacht. Am kommenden Wochenende lüftet sich das Geheimnis. Wir spielen zu dritt und egal ob Du oder Deine Mutter die Karten verteilt, ich komme nicht besonders gut weg. Im laufenden Betrieb schummelst Du mit Deiner Mutter um die Wette und wenn ich kurz aus dem Zimmer geschickt werde, in der Art von “Könntest Du mir bitte noch einen Tee machen.“, passiert es: Ihr lacht Euch schallend an und teilt die Beute unter Euch auf – mit der Folge, daß ich gar nicht mehr gewinnen kann. Ich fühle mich ein ebenso macht-, wie hilflos.

Meinem Einwand nach fehlender Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit entgegnet Deine Mutter nur allzu lapidar: “Freu Dich doch, oder willst Du eine Tochter die sich nicht durchsetzen kann?” Ich verlasse augenblicklich das Kinderzimmer und überdenke meinen Glauben an das Gute in der Küche während ich Tee aufsetze.

Am Montag fangen wir wieder von vorne an, denn ich weiß die Gerechtigkeit wird siegen – aber vielleicht eben erst nächste Woche.

Der 27. Monat – Wir sind Nico

In Deinem siebenundzwanzigsten Lebensmonat waren wir – bis auf einen Kurztrip an den Gardasee, der allerdings mächtig verregnet war – nahezu ausschließlich zu Hause, was für unsere Verhältnisse schon erstaunlich genug ist und zwangsweise dazu führt, das Du sehr regelmäßig den Kindergarten besuchst. Und irgendwann in diesen Tagen taucht ein Name immer wieder auf: Nico. Sind wir bisher zum Kindergarten immer “tu” Anna gefahren (ein “Z” will einfach nicht über Deine kleinen Lippen) so heißt das Ganze neuerdings eben “tu” Nico. Zu besonders gut gelaunten Zeiten wird Anna gnädigerweise noch erwähnt und wir fahren eben “tu” Nico und Anna – aber klar ist: Nico ist die Nummer eins. Dein Vater ist in seiner manchmal doch etwas zu naiv, gutgläubigen Sicht auf die Dinge dieser Welt ernsthaft zu Beginn der – wie vom Himmel gefallenen – Namenspermanenz Nico davon ausgegangen, das es sich vielleicht um einen neuen Betreuer männlichen Geschlechts handelt (gibt es eigentlich den Quotenkindergärtner?) aber davon weit gefehlt. Still und heimlich, und vor allem über Nacht ist er da:

Dein erster kleiner Verehrer!

Auf einmal ist alles Nico. Du bist Nico, Dein Lieblingsteddy Miscka ist Nico und wenn ich Dich frage wer am Tisch noch fehlt ist das nicht etwa Deine Mutter, sondern – wenig überraschend – Nico. Spielen wir abends zusammen, sitzen der Teddy (dann heißt er übrigens wieder Mischka) und ein imaginärer Nico mit auf dem Spielteppich und bekommt wie selbstverständlich Karten für das Tierlotto zugeteilt. Prima ich habe jetzt zwei Kinder und eines davon ist immer gerade nicht zu Hause. Ich werde neugierig. Am nächsten Tag frage ich mal so ganz zufällig im Kindergarten nach, wer denn dieser Nico ist.

Wahrscheinlich dem gleichen Gesetz folgend, nachdem das Marmeladenbrot stets auf die “Gesichtsseite” fällt, ist Nico selbstverständlich just an an diesem Tag nicht zugegen und ich werde lediglich von einer der Damen darauf hingewiesen, das Nico Dein spezieller Freund sei. Na prima, Du bist zweieinhalb Jahre alt und ein spezieller Freund sitzt nicht nur fast täglich unsichtbar in unserem Kinderzimmer sondern verwehrt sich durch geschicktes Taktieren seiner Kindergartenbesuche meiner väterlichen Wohlwollensprüfung. Ich glaube nicht, daß wir Freunde werden – soviel scheint sicher.

Da mir nichts ferner liegt, als mich in Deinem Kinderclub als Helicoptervater zu outen – so nennt man in diesen Tage zu sehr fürsorgliche Eltern – bleibt mir zwangsweise nichts anderes übrig, als mir anderweitig einen Überblick zu verschaffen. In den nächsten Tagen vergesse ich grundsätzlich täglich irgendetwas und tauche nach ein paar Minuten erneut bei Dir im Kindergarten auf. Bringt aber alles nix – von Nico keine Spur. Was bildet sich dieser Krabbelgruppengigolo eigentlich ein. Es bedarf einer neuen Taktik. Von nun an schaue ich – selbstverständlich rein zufällig – an der Garderobe in Eurem Vorraum wann unter dem Namensschild Nico keine Haus- sondern Straßenschuhe stehen und tatsächlich, bereits am nächsten Tag werde ich fündig.

Jetzt heißt es dranbleiben:

Wir beide spazieren also wie üblich Hand in Hand in Euren Frühstücksraum und Du suchst einen Platz aus, läßt Dir bereitwillig den – zu Hause nicht verputzten – Buchweizen mit Milch vor die Nase setzen und beginnst sogleich eben diesen zu löffeln. Keine gesonderte Reaktion von irgendjemandem. Um nicht weiter aufzufallen verabschieden wir uns in gewohnter Zeremonie und ich entschwinde aus dem Raum. Unmittelbar hinter der geöffneten Flurtür muss ich unaufschiebbar aber einige SMS schreiben und kann folglich gerade nicht weitergehen. Es dauert keine Minute und ein Lockenkopf in Latzhose schleppt seine Frühstücksdose um den Tisch zu Dir heran. Ihr beide begrinst Euch freudig und beginnt in gleicher Minute damit die bevorratenden Zerealien im Rotationsprinzip unter Euch aufzuteilen. Meine Verzückung ob dieses Sujet wird allerdings jäh unterbrochen da sich eine Deiner Betreuungsdamen zu mir gesellt und mich auf den Boden der Realität zurückholt. “Haben sie wieder etwas vergessen” fragt sie mich und ich fühle mich irgendwie ertappt. Bevor ich antworten kann, erwähnt sie fast beiläufig und überhaupt nicht triumphierend, daß der Latzhosenmann eben derjenige Nico sei, nachdem ich letzthin gefragt habe und mit Dir jeden Tag zusammen frühstückt. “Das sei ja putzig” entgegne ich und frage unaufdringlich nach, was Ihr beide denn sonst noch so zusammen anstellt. “Eigentlich nichts” vernehme ich und blicke in ein erstauntes Gesicht.

Ach doch, manchmal nach dem Frühstück bugsiert Nico so ziemlich jedes Spielzeug heran was gerade greifbar ist und möchte mit Dir spielen, aber das scheint Dich dann nicht mehr zu interessieren, denn egal was er Dir offeriert es wiederholt sich stets das gleiche Spiel: Du nimmst es und schickst ihn stehenden Fußes wieder weg. Aber das macht ja auch Sinn, schließlich spielen wir jeden Abend mit ihm und da ist er schließlich nie da.

So kann das ruhig weitergehen Prinzessin: Wer etwas von Dir will, kann sich gefälligst auch ordentlich anstrengen. Das gehört sich so – findet zumindest Dein Vater.