Der 22. Monat – Tarifa ist kein Urlaub

Dein 22. Lebensmonat fällt auf den Mai, was wiederum bedeutet, daß wir mit der Frage konfrontiert sind wo der Geburtstag Deiner Mutter zu begehen ist. Wenig überraschend steht Tarifa auf der Auswahlliste recht weit oben und wird von der Aussage begleitet, “es werde auch mal wieder Zeit zu kiten und überhaupt seien wir in diesem Jahr schon so viel Skifahren gewesen – jetzt könne man sich ja mal wieder um sie kümmern.” Für das Protokoll: Wir waren zweimal in den Bergen.

In diesem Zusammenhang werde ich sogleich nochmals darauf hingewiesen, daß Tarifa nicht zum Urlaub zähle sondern so eine Art Grundrecht Deiner Mutter mindestens einmal jährlich darstellt. Jedwede Diskussion zum diesjährigen Nichturlaub im Mai ist ab dem jetzigen Zeitpunkt obsolet und wir buchen Flüge, Mietwagen und Haus noch am gleichen Tag der Debatte. Aus Kostengründen entscheiden wir uns für die puristisch-originelle Flugvariante und besteigen mal wieder einen irischen Lowcost-Carrier. Die ganze Fahrt zum Flughafen freue ich mich insgeheim wie Deine Mutter mit Dir auf dem Arm ihr selbstgewähltes Recht auf privilegierte Behandlung am Gate einfordert. “Man lässt ja wohl kleine Kinder zuerst einsteigen.” vernehme ich im Satzverlauf leiser werdend, denn ich bin im Menschenmengen beiseite schieben mit zwei Kabinenkoffern selbstverständlich langsamer als Du mit Deiner Mutter gepäcklos. Es hilft nichts da müssen wir jetzt durch. In der Maschine blockiert Deine Mutter erfolgreich eine Dreiersitzreihe und so reisen wir doch recht komfortabel. Mein schlechtes Gewissen zwingt mich förmlich dem Bordpersonal zwei Bier abzukaufen und die zweieinhalb Stunden Flug sind flott vorbei.

Eine gute Autostunde Fahrt noch und wir sind am Ziel. Ich weis nicht mehr genau wie oft wir schon in Tarifa waren, jedenfalls haben wir es noch nie geschafft den Namen unseres letzten Vermieters zu notieren und so beziehen wir auch dieses Mal wieder ein neues Haus nicht weit vom Strand von Punta Paloma etwas außerhalb der Stadt, dafür mit Dachterrasse auf der ich genau zweimal stehe: bei der Schlüsselübergabe und am letzten Abend eine Woche später – wahrscheinlich weil der Grill im Garten steht. Unsere Vermieterin wohnt im Haus gleich nebenan und hat an unserem Anreisetag Besuch von Ihren Enkelkindern die zwar etwas älter sind als Du, das kleine Mädchen mit dem hübschen roten Hut (soweit mich meine ordentlich rudimentären spanischen Sprachkenntnisse nicht täuschen) aber so putzig finden, das Du sofort neue Spielkameraden gefunden hast. Deine Mutter und ich beglückwünschen uns gegenseitig zur gelungenen Hauswahl und öffnen eine Flasche Wein zur Begrüßung. Das Haus war übrigens die dritte oder vierte Alternative, nachdem die zunächst in Auge gefassten Objekte bereits ausgebucht waren – aber das interessiert uns gegenwärtig nicht besonders.

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Am nächsten Tag verschlägt es uns recht früh zum Strand und Deine Mutter organisiert sogleich bei der zufällig ebenfalls anwesenden Kitertruppe um Thilo – unserem Lehrer von vor ein paar Jahren – ihre Termine und Spots für die nächsten Tage. Alles bestens – noch keine 24 Stunden vor Ort und schon ist alles rund. Das Optimierungsherz Deiner Mutter ist glücklich.

Die nächsten Tage unterscheiden sich lediglich dahingehend welchen Beachclub wir in der Zeit in der sich Deine Mutter von 9 Quadratmeter Segeltuch durch die Straße von Gibralter ziehen läßt besuchen. Egal wo, es macht einfach unglaublich viel Spaß mit Dir dort aufzutauchen und zu sehen wie Du mit mittlerweile professionellem Selbstverständnis eine Gruppe von verzückten Bestaunern um Dich scharst und die Zeit zwischen Strand, Bar und Lounge eigentlich nur so verfliegt. Ab Mittags kommt mir manchmal rein zufällig ein Mojito entgegen, dem ich einfach nicht ausweichen kann.

An irgendeinem der folgenden Tage magst Du allerdings überhaupt nicht ins Auto steigen, willst alle fünf Sekunden etwas anderes und ich entscheide Kraft väterlicher Willkür mit Dir zu Hause zu bleiben, überzeuge Deine Mutter dennoch aufs Wasser zu gehen und bringe es sogar fertig Dir ganze drei Löffel Mittagessen zu verabreichen. Dann brauchen wir nur noch eine knappe Stunde bis Du Dich zum Mittagsschlaf überzeugen lässt und Du liegst in Deinem Bett. Ich glaube Dir fehlte mal wieder der erbrachte Beweis wer hier in Wahrheit das Sagen hat und mit so einem gehaltvollem Gezicke sind die Fronten wieder gerade gerückt.

Kurz bevor Du erwachst rumpelt ein Auto die Schotterpiste zum Nachbarhaus empor und ich erkenne Anna, die Kellnerin einer Strandbar vom letzten Frühjahr wieder. Ihr folgen die bereits bekannten Vermieterenkelkinder und die Familienfolge ist unschwer auszumachen. Freundlicherweise brichst Du wie auf Bestellung Deine Ruhephase abrupt ab und forderst in die Freiheit entlassen zu werden. Die tobenden Kinder hast Du wahrscheinlich längst wahrgenommen und stapfst zügig in deren Richtung. Alle Beteiligten erkennen sich wieder und unsere Vermieteroma wird von Ihrer Schwiegertochter aufgeklärt warum sich hier alle so freudig begrüßen. Wie von Zauberhand bist Du wieder das zuckersüße kleine Kind der letzten Tage und nicht nur eine Flasche Wein begleiten den Nachmittag.

Anna ist bereits entschwunden als Deine Mutter wiederkommt und begeistert bemerkt wie ich Deinen Stimmungswandel bewerkstelligt habe. Ich schweige lauthals und schlage vor diesmal die Adresse unserer Vermieterin zu behalten.

“Der Kleinen gefällt es hier so gut.” sind meine Worte während ich in der Küche nach dem Korkenzieher suche. Deine Mutter hat übrigens völlig Recht damit mindestens einmal im Jahr hierher zu wollen. Das sollten wir ihr zugestehen – Nicht wahr, Prinzessin.


Kite & Kinderzeit
Sarah Sophie Mai 2013 – Tarifa
Musik – Amy Macdonald – The days of being young and free & Jhonny Cash – Asi Como Eres

Der 21. Monat – Papa allein zu Haus

Unsere werktägliche Tochter-Vater Zweisamkeit wird in Deinem 21. Lebensmonat jäh unterbrochen. Deine Mutter hat nämlich beschlossen Dich zu einem Kunden einfach mal mitzunehmen und zu Deiner Betreuung ihre Eltern auch noch einzupacken. Da Dein mütterlicher Opa nun auch dem Pensionärswesen frönen darf, lassen sich solche Konstellationen recht problemlos realisieren. Also wird eine Ferienwohnung in der thüringischen Provinz angemietet und ich bin eine Woche kinderlos.

An einem Sonntag-Mittag verlässt Du, nebst großem Reisegepäck und entsprechender Entourage, das Rheinland. Mit einem Schlag herrscht eine beunruhigende Stille in unserer Wohnung. Um nicht direkt in tiefe Depression zu verfallen beschließe ich eine unweit gelegene Kneipe aufzusuchen um zu überprüfen ob hier vielleicht noch andere alleinstehende Herren die Zeit totschlagen und mir möglicherweise Ratschläge für die folgenden Tage geben können. Völliger Unfug wie ich feststellen muß, die hier verwahrten Probanden haben nur tagsüber Ausgang bekommen und dürfen am Abend wieder in dem heimeligen Schoß ihrer Familien zurück. Um mich von ihnen deutlich abzugrenzen bleibe ich einfach länger sitzen und schaue sogar noch in einer anderen solchen Lokalität nach ob dort Geistesverwandte gestrandet sind, aber das ist ebenfalls nicht der Fall.

Wieder Zuhause angekommen liege ich mal wieder in meinen eigenen Bett und nicht auf der Gästeliege im Zimmer neben Deinem Bett – ja, es ist wahr Du schläfst immer noch keine Nacht durch und ich neben Dir.

Das ist schon ein sonderbares Gefühl. Genauso wie das fehlende Babyphon was ich für gewöhnlich allabendlich mit mir herumtrage bevor ich mich zu Dir lege. Die Aussicht am kommenden Morgen aber selbstbestimmt aufstehen zu können hat eine gewisse Verlockung wie ich unumwunden zugeben muß. Während der Nacht passieren dann aber doch sonderliche Dinge. Unser Haus toppt alles mir bekannte in Hinblick auf Hellhörigkeit was wiederum bei einigen Kleinkindern verteilt auf mehrere Familien im Gebäude zu einem illustren Klangteppich führt. Das fällt – solange Du da bist – lediglich rudimentär auf, jetzt aber stehe ich mehrfach in der Nacht sprichwörtlich senkrecht im Bett wenn einer unserer kleinen Nachbarn akustischen Unmut verkündet. Das passiert mir nicht, wenn Du Zuhause bist. Komisch – entwickeln Eltern etwa ein selektives Gehör für den eigenen Nachwuchs? Wie auch immer dieses Prozedere wiederholt sich in den nächsten Nächten einige Male.

Unsere Versuche miteinander zu telefonieren scheitern meist nach wenigen Sekunden, da Du zwar mittlerweile verstanden hast was man mit dem kleinen weissen Kasten Deiner Mutter machen kann, die vielen bunten Apps darauf durcheinander zu schieben ist aber viel spannender als immer wieder “Papa doma” (zu deutsch Papa ist Zuhause) zu brabbeln. Und etwas anderes sagst Du lustigerweise selten wenn Mama Dir das iPhone ans Ohr hält. Kurz und gut ich vermisse Dich ganz schrecklich und genieße es gleichzeitig wieder mal Abends aus dem Haus gehen zu können. Böse Zungen unterstellen mir, genau das jeden Abend getan zu haben, aber darüber hüllen ich hiermit offiziell den Mantel des Schweigens. Punkt!

In der Zwischenzeit konntest Du so großartige Dinge wie das Zwergenland erkunden. Gartenzwergfreunde irgendwo im Nirgendwo des Thüringer Waldes haben den wohl deutschesten aller kleinbürgerlichen Wunschträume wahr werden lassen und rund 1.700 der bunten Vorgartengesellen zusammengetragen damit sich die Volksseele daran erfreuen kann. Was unweigerlich die Frage aufwirft, ob man Ost- von Westdeutschen Zwergen unterscheiden kann. Das wird Dir aber ganz gewiss und völlig zu Recht total gleichgültig sein. Ich schätze viel spannender ist es, den bunten Knollennasenmännern nahezu auf Augenhöhe begegnen zu können.

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Und wer so viel Zwerge haben kann, der kann seinen Papa schon mal ein paar Tage vergessen. Mächtig gefreut hast Du Dich aber schon als wir uns am Freitag wiedergesehen haben. Und um den Trennungsschmerz zu mildern müssen wir erstmal eine Woche Urlaub machen. Am nächsten Tag fliegen wir nach Tarifa, da geht Deine Mutter kiten und wir haben wieder den ganzen Tag Zeit miteinander.

Buenas noches, Princesa.

Der 20. Monat – Fisch, daß bessere Gemüse

In Deinem zwanzigsten Lebensmonat haben wir unseren neuen Campingbus in der Nähe des Bodensees abgeholt und konnten folglich nicht umhin, denselbigen auf eventuelle Untauglichkeiten zu überprüfen. Schon zwangsweise so weit im Süden starten zu können, nimmt selbstverständlich gehörigen Einfluß auf die Wahl des Reiseziels und so entscheiden wir uns für die Côte Azur. Es mutet fast schon etwas sonderbar an, aber seit Du auf der Welt bist, machen wir gefühlt ausschließlich Ausflüge nach Frankreich. Da mir allerdings eine frankophile Grundeinstellung nicht abzusprechen ist, nehme ich diesen Umstand zu gerne als gegeben hin. Außerdem will hier ja niemand auf hohem Niveau jammern.

Der Optimierungskompetenz Deiner Mutter huldigend, fahren wir zunächst mit ihr nach München wo sie einem lokalen Autobauer zu effizienteren Produktionswegen und kompetenterer Kommunikation verhilft und wir in einem 70er Jahre Flashback im ehemaligen Olympischen Dorf untergebracht sind. Das ist mittlerweile, zumindest partiell, ein Hotel und ich bin der festen Überzeugung in einem der Zimmer unterbracht zu sein, in denen die Münchener Attentatsszenen der Olympischen Sommerspiele von 1972 ständig durch mein Kopfkino geistern. Auf jeden Fall sieht die Fassadenansicht genau so aus wie die Fernsehbilder der zahlreichen Reportagen und Dokumentationen über diesen Wahnsinn. An die Liveberichterstattung kann auch ich mich natürlich nicht erinnern, aber als braver Sekundaner eines humanistischen Gymnasiums ist mir dieses Ereignis – unter anderen – als eines der prägnantesten der deutschen Nachkriegsgeschichte in Erinnerung geblieben. Nach drei Tagen gelebter Geschichtsretrospektive fahren wir alle zusammen zu dem mittlerweile bestens bekannten Flugzeugklapptischproduzenten dessen Fabrikationsstätte nur wenige Kilometer unweit des Campingbushändler unseres Vertrauens liegt um dann an einem Freitag unser neues mobiles Heim in Empfang nehmen zu können. Die Abholung erledigen wir zwei ganz alleine, da Deine Mutter selbstverständlich keine sinnlose Zeit vertrödeln will und lieber arbeiten geht, als sich Gasflaschenwechsel und Navigationsgerät erklären zu lassen. Ich scheine auf eine Vielzahl an Mitarbeitern dieses Ladens den Eindruck eines alleinerziehenden Vaters zu erwecken; jedenfalls wird uns mehr als einmal zum Kauf gratuliert und Dir in fürsorglicher Weise über den Kopf gestreichelt, untermauert mit den Worten “Na, da hast Du ja jetzt viel Platz mit dem Papa.” Ich gebe aber zu auch mit Deiner Mutter dabei haben wir immer noch gehörig viel Platz, gerade im Vergleich mit unserem bisherigen Gefährt. Nachdem ich über etwa einhundert Knöpfe, Regler und Schalterstellungen informiert bin, füttere ich Dich und noch während wir vom Hof rollen, schläfst Du bereits tief und fest Deinen Mittagsschlaf.

Im Dorf des Flugzeugklapptischproduzenten angekommen, vergnügen wir uns noch etwas auf dem Spielplatz bevor wir am späten Nachmittag Deine Mutter abholen und gen Mittelmeer aufbrechen. Während der Fahrt wiederholst Du etwa 500 mal die Worte “Baby Auto” was uns zu der Annahme verleitet, Du fühlst Dich hier pudelwohl. Das finde ich großartig.

Der erste Weg während solcher Ausflüge führt uns traditionell zunächst auf den lokalen Markt und beim Anblick der feilgebotenen Fischauswahl geht Deiner Mutter das Herz auf. Ich muss zugeben ebenfalls ganz gerne Fisch zu essen, ziehe aber ein gegrilltes Entrecote allem Meeresgetier eindeutig vor. Jean-Louis sieht imposant aus zwischen seinen Doraden, Seezungen und den lustigen flachen Fischen, deren Namen ich mir nie merken kann so auch jetzt nicht. Jedenfalls hat er einen neuen Stammkunden für die kommende Woche gefunden. Nachdem er erfährt, daß das nette kleine Kind nicht nur permanent frech grinsen kann, sondern nebenbei auch noch leidenschaftlich Fisch verspeist – selbst in so zartem Alter, wie er fachmännisch bemerkt – stehen wir kurz vor der Einbürgerung. Wir kaufen viel zu viel ehemals Schwimmendes und ziehen mit zwei großen Tüten von dannen.

Es ist kurz nach zehn Uhr morgens und ich beschließe Dein Mittagessen auf dem Grill zuzubereiten. Feuer frei und nach einer halben Stunde sind Grill und Fisch bereit. Nach dreißig weiteren Minuten steht Dein Essen auf dem Tisch und ich bin gespannt wie Du reagierst – schließlich findest Du erstmals ein ganzes Tier auf Deinem Teller. Erste Reaktion ist die Einforderung eines eigenen Essbesteck für Dich. Die angedachten Beilagen in Form von schnöden Möhren und ordinären Kartoffeln beachtest Du erst gar nicht. Viel mehr bekommt der platte Fisch Deine ungeteilte Aufmerksamkeit. Im Sinne eines halbwegs zivilisierten Umgang mit dem Meerestier nimmt Deine Mutter Abstand von Deinem dringenden Wunsch das Objekt lukullischer Begierde ganz alleine auseinander nehmen zu wollen. Auf Deinem eigenen Teller bestehst Du allerdings. So friemelt Deine Mutter mit bewundernswerter und vor allem für sie völlig untypischer Ruhe und Hingabe den Fisch in kindgerechte Häppchen, befreit diese von den letzten Gräten und legt die kleinen Stückchen auf einen kleinen Teller direkt vor Dir. Von diesem bugsierst Du die Häppchen mit einer kleinen Kindergabel dann an ihrem Bestimmungsort. Nur ganz selten darf Deine Mutter Dir direkt eine Portion verabreichen. Heute sind wir erwachsen und essen lieber ganz alleine.

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Bis so ein Fisch verspeist ist vergeht eine gute Stunde und zum Ende wirkst Du nicht nur ziemlich müde, sondern bist es auch tatsächlich. Aber so einen Triumph will schließlich ausgekostet werden. Ich halte also fest: Du bist noch einige Monate von Deinem zweiten Geburtstag entfernt, aber ganze Fische stellen kein Problem mehr dar.

Wir sind eine Woche in Nizza – Jean-Louis haben wir natürlich jeden Tag besucht. Aber manchmal habe ich mir abends, nachdem Du eingeschlafen bist, einfach so ein Steak gegrillt. Ganz für mich allein.

Vive la France, Mademoiselle Sarah Sophie.

Der 19. Monat – Opa Advanced

Gleich vorweg: Dein Opa – im vorliegenden Fall derjenige väterlicherseits – ist ein herzensguter und liebevoller Mensch der seinen Hang zum Pragmatismus kultiviert hat und überglücklich ist eine kleine Enkelin zu haben. Anlässlich meiner Geburt soll er auf die Frage ob Junge oder Mädchen geantwortet haben “Leider nur ein Junge”. Ob er das nun wirklich so geäußert hat, läßt sich nicht mit Sicherheit beantworten – böse kann ich ihm deswegen aber absolut nicht sein, da ich diese Aussage ebenfalls hätte tätigen können, denn ich gebe zu, es uneingeschränkt großartig zu finden Vater einer Tochter zu sein.

Dein Opa jedenfalls hat bis zu diesem Monat gehörigen Respekt vor der Möglichkeit bei Dir irgendetwas “kaputt” zu machen. Diese Aussage stammt im Original nicht etwa von mir, sondern von ihm selbst. Auf den Arm nehmen geht so grade noch, aber nicht zu lange – wer weiß schon was hier alles zu beachten ist. Ich weiß, daß er es mir nicht übel nimmt, wenn ich behaupte, mit ganz kleinen Kindern kann er in eben dem Sinne nichts anfangen, daß er nichts falsch machen möchte und somit Deine kleinkindliche Frühbespassung gerne an Deine Oma abgibt.

So sieht ein klassischer Oma/Opa-Kinderbetreuungstag in meinem Familienteil folglich so aus: Oma und Opa holen Dich vom Kindergarten ab und fahren zu uns nach Hause, Du bekletterst Deine Oma und zeigst Ihr auch sonst wie was Du so alles gerade möchtest. Opa erledigt derweil diverse Besorgungen und arbeitet meist auch einen kleinen To-Do-Zettel Deiner Mutter ab, weiß mittlerweile wo im Drogeriemarkt die Windeln liegen, welche Größe Du gerade benötigst und was eben sonst noch wichtig ist. Dafür bin vor allem ich ihm sehr dankbar, denn so muss ich das nicht mit Dir zusammen erledigen und kann unsere gemeinsame Zeit sinnvoller nutzen. Was er bis dato jedoch weniger vollführen durfte, ist Dich direkt zu bespaßen und das auch über mehrere Stunden hinweg.

Aber eben nur bis jetzt!

An irgendeinem Tag in diesem Monat kann Deine Oma leider nicht am Kinderbetreuungsprogramm teilnehmen, da ihre ordentliche Erkältung ein kleinkindlichen Kontakt nicht gerade opportun erscheinen läßt. Kurzum, Dein Opa stand morgens ganz alleine in unserer Tür, da Du in diesen Tagen ebenfalls erkältungsbedingt nicht zum Kindergarten aufbrechen kannst. Der Flexibilität meines Lieblingskunden vertrauend fahre ich nur kurz in die Agentur, packe mir Festplatte nebst Briefing unter den Arm und bin nach einer guten Stunde zum Homeoffice wieder Zuhause. Was ich dort sehe kann ich schlicht nicht glauben:

Du sitzt mit Deinem Opa im Kinderzimmer auf dem Spielteppich und ihr baut mit den großen Bauklötzen imposante Stadtlandschaften zusammen. Hast Du davon genug – was bei Dir für gewöhnlich nicht allzu lange dauert – schiebt Opa hingebungsvoll seine kleine Enkelin auf Ihrem Retro-Bobycar-Ersatz quer durch das Zimmer um schließlich unmittelbar vor der Stoffkiste mit den Kuscheltieren einzuparken und diese mit Dir gemeinsam auszuräumen und sich anschließend von Dir genau erklären zu lassen welches Tier wie heißt und wer mit wem befreundet ist. Das Du außer Emma dem Zebra keinem Tier Namen gegeben hast, gehört zu derlei zweitrangiger Befindlichkeit deren Beachtung an diesem Tag völlig überbewertet wird und lediglich mit der Tatsache konkurriert, das Du ehrlich gesagt bis auf einzelne Wörter noch nicht wirklich erwachsenenkompatibel sprichst und folglich Dein Opa überhaupt nichts verstehen kann. All das spielt aber schlicht keine Rolle und interessiert Euch beide auch überhaupt nicht. Ein famoses Bild, dessen Existenz ich für absolut unmöglich gehalten habe.

Mein Vater läßt sich nur kurz zu der Aussage hinreißen, ich hätte doch ruhig im Büro bleiben können – hier sei alles prima, lediglich beim Tierpärchenpuzzle fehle ein Teil, aber dafür könntest Du mittlerweile schon “Auto” sagen.

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Mobilitätsbezogene Vokabeln spielen in unserer Familie traditionell eine große Rolle. Ich bin sprachlos und scheine hier nicht weiter gebraucht zu werden. Zeit das Tagewerk zu beginnen. Noch während ich das Arbeitszimmer ansteuere parkt ihr beide aus und rumkurvt den Plüschtierzoo.

Und ehrlich gesagt, ich weiß nicht wer heute mehr von wem gelernt hat. Prima, so ein Opa ganz für sich allein.

Der 18. Monat – Adieu purée

Ungefähr die Hälfte Deines 18. Lebensmonat haben wir zwecks Winterurlaub in den französischen Alpen verbracht, den Rest in der niedersächsischen Provinz – genauer gesagt in dem hübschen Ort Hameln unweit von Hannover. Schmucke Fachwerkhäuser, Devotionalien zur mittelalterlichen Rattenfängergeschichte der Stadt an jeder Ecke und irgendein Unternehmen dessen Bestreben es ist durch Rat und Tat Deiner Mutter erfolgreicher dazustehen. Unser reiseerprobter Familienkleinbetrieb rollt an einem verschneiten Januartag dort an und ich beginne das Hotelzimmer zu kinderkompatibler Behelfsküche umzubauen. Gekocht habe ich natürlich bereits Zuhause und daher erfordert Deine Mittagsmahlzeit lediglich ein erhitztes Wasserbad. Deine Mutter püriert Dir noch frühmorgens den Fruchtbrei bevor Sie uns anschließend zwecks Nettohaushaltskonsoldierung den Tag über alleine läßt. Läuft alles prima bis wir am ersten Mittagsbrei angelangt sind.

Als unverwechselbare Tochter Deiner Mutter hast Du es Dir zu eigen gemacht, jegliche Dinge die Du nicht (mehr) magst strikt und rigide abzulehnen und zwar nicht irgendwann, sondern unmittelbar ab dem Moment zu welchem Deine Missbilligung einsetzt. Hier ist nun solch ein Tag. Du möchtest keinen Brei mehr zu Dir nehmen. Als braver Vater koche ich für Dich einige Tage im voraus, püriere alles und fülle es in tägliche Portionen ab. Zumindest was das mechanische Kleinheckseln angeht ist es damit nun vorbei. Ich sitze also mit Dir in der deutschen Provinz und kann mit Deinen Breigläßchen Türmchen bauen oder den Inhalt an herrenlose Hunde verfüttern, Du verweigerst die Nahrungsaufnahme vollständig und konsequent.

Bravo – wir haben ein Problem!

Eine bekannte Babynahrungsmarke mit hippem Namen könnte eine Lösung sein, dafür müssten wir aber zu einem Supermarkt und zurück, sowie auch noch ein solches Glas erwärmen, was mir zeitlich zu langwierig erscheint – zumal ich feststelle, daß ich keine Ahnung habe wo sich eine entsprechende Verkaufsstelle befindet. Also verfahren wir nach dem Ausschlussprinzip und gelangen beide flugs zu der Überzeugung das ein Restaurant die adäquate Alternative darstellt.

Unser Hotel trägt nicht nur den Namen “An der Altstadt” es liegt auch tatsächlich entsprechend und wir finden uns recht schnell in einem der zahlreichen – zugegeben recht touristisch wirkenden – Hausmannskostlokale wieder. Der freundliche Wirt begrüßt Dich standesgemäß und bekennt mit anrührendem Augenaufschlag für ein so kleines Kind nicht das passende Präsent bevorratet zu haben. Den angebotenen Lutscher lehnen wir beide dankend ab und meine Frage nach einer handelsüblichen Gewürzgurke für Dich irritiert den Mann merklich. Eingelegte Salzgurken sind Dein Favorit während jedes Einkaufs im russischen Lebensmittelgeschäft unseres Vertrauens in Düsseldorf – daher vermute ich mit einem solchen Gemüse Deinen ersten Hunger gestillt zu bekommen. Klappt hervorragend, Wirt und Kellnerin erstaunt, Kind glücklich. Plan B funktioniert.

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Für Dein eigentliches Mittagsmahl scheint mir etwas Geschmortes das passende zu sein und ich bestelle ein Ragout nebst Extrateller für uns beide. Bis das Essen serviert wird, erlernst Du mit mir das gemeinsame Anstoßen von Getränken, da es mir nun auch an der Zeit zu sein scheint, zu der Du ein kleines Glas selbstständig halten kannst. Wer schon mittags lieber im Restaurant isst sollte auch die gastronomischen Basics beherrschen. Etwas Hilfestellung brauchst Du noch aber das Gläserklimpern findest Du verständlicherweise großartig. Wirt und Kellnerin sind abermals verzückt.

Nachdem aufgetragen wird, schneide ich Dir Fleisch und Gemüse in eine passende Form und Du verputzt in Seelenruhe nahezu eine halbe Portion. Das wiederum verzückt mich und zwar gehörig. Ich überlege ob zukünftig vor, respektive nach dem eigentlichen Kochvorgang Dein Essen in kleine Würfelchen zu schneiden ist und welche Variante die praktikablere ist. Vorher scheint mir irgendwie logischer.

Mittlerweile verspürst Du überhaupt keine Lust mehr noch weitere Zeit in dem Kinderstühlchen des Restaurants zu sitzen und meldest dieses Begehr lautstark an. Verständlich wie ich finde, es gibt ja auch nichts mehr zu essen. Nachdem Du im Anschluss das ganze Lokal inspiziert hast können wir gehen. Auf dem kurzen Weg zurück zum Hotel fällt mir ein, daß Dein geändertes Appetitverhalten durchaus vorhersehbar hätte sein können. Im unlängst vergangenen Urlaub hast Du Deine Vorliebe für Garnelen und Langusten entdeckt. Und mal ernsthaft, wer will danach noch Brei zu sich nehmen. Auf die Idee hätte Dein Vater auch früher kommen können.

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Guten Appetit für die Zukunft.