Wir sind entlang der spanischen Atlantikküste mit imposanten Felslandschaften und einer nicht endenden wollenden Schar an Kinderboutiquen am französischem Bassin d` Arcachon eingetroffen. Dein Kleiderschrank ist mittlerweile größer als meiner und die Anzahl an Kleidchen, Hemdchen und Hütchen nicht mehr zählbar. Praktisch finde ich das man für Damen Deiner Altersgruppe zu jedem Paar Schuhe nicht eine geeignete Handtasche finden muss, da Du freundlicherweise lieber mit rührender Hingabe dieselbige Deiner Mutter ausräumst und schon mal eine unserer Kreditkarten an wildfremde Menschen verschenken möchtest. Da die Tochter Deiner Mutter natürlich nichts ohne Gegenleistung hergibt und Dir bisher noch niemand etwas adäquates angeboten hat dürfen wir bis dato unser Lieblingszahlungsmittel behalten was wiederum den Einkauf der elementaren Baby-Grundausstattungs-Artikeln erheblich vereinfacht und beflügelt. Noch nicht ganz dahinter gekommen bist Du, daß die allermeisten Utensilien in Mamas Handtasche stets die gleichen sind. Das finde ich allerdings auch durchaus schwierig wenn sich das Tragebehältnis fast jeden Tag ändert. Ich möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen, daß der Schuhe-/ Taschenqoutient Deiner Mutter im Verhältnis zur Gesamtreisezeit relativ zivil ausgefallen ist. Das haben wie schon anders erlebt. Also, relativ anders.
In Arcachon gibt es eine Besonderheit. Hier erscheint Ebbe und Flut besonders ausgeprägt. Man hat den Eindruck, das gesamte Bassin läuft leer und legt allerlei Boote und Schiffe auf Sand. Ein ordentlich imposantes Schauspiel das Dich zu faszinieren scheint. Zweimal täglich schaut ein kleines Kind derart irritiert in Richtung Strand das ich mich frage was jetzt wohl in Deinem Kopf abläuft. Wiese, Bäume, Boote: alles gleich nur das Wasser ist auf einmal weg. Und nun?
Das ganze hast Du Dir zwei Tage mit steigend interessierter Miene angeschaut, dann reichte es und der bereits bestens bekannte akustische “Mir-reicht-es”- unmittelbar gefolgt vom “Ich-will-was-haben”-Warnton setzte ein. Es langt also. Dein Gesichtsausdruck sagt: Wir sind am Meer, also will da auch hin. Fertig! Als wir vor ein paar Tagen einmal auf einem Plateau zum Meer ohne Zugang zum salzigen Nass hin übernachtet haben, bemerkte Deine Mutter übrigens das sei ja gar kein richtiges Meer, da könne man ja schließlich nicht hinein, also nütze es auch nichts. Nur gucken ohne anfassen zählt eben nicht. Damit dürfte die familiäre Kurve rund sein.
Du gehst bei Flut ins Bett und erwachst ebenfalls bei steigenden Wasser: alles ist gut – wobei ich nicht sagen kann, daß Du die Zeit dazwischen mit kontinuierlichem Schlaf verbringst. Und noch während des Frühstück erlaubt sich das Meer einfach so die ersten Bötchen aufs natürliche Trockendock zu legen, was Dir nun wiederum überhaupt nicht gefällt. Sobald erkannt, springst Du auf, manövrierst Dich krabbelnd zum Fenster, setzt besagte Warntöne ab und trommelst zur Unterstützung noch gegen sie Scheibe bis ich Dich endlich erhöre.
Da mir die stoische Gelassenheit Deiner Mutter etwas fehlt, ist das meist kurz nach dem ersten Kaffee und raus geht es mit uns beiden. Wir zappeln gemeinschaftlich dem Meer entgegen oder besser gesagt hinterher. Das Wasser ist hier zwar recht warm, der Wind pfeift einem dafür aber ordentlich und frisch um die Ohren. Meine maritime Begeisterung sinkt in dieser Zeit rapide, aber das macht nix, Deine steigt dafür reziprok dazu. Wenn wir Pech haben und Du das wundersame Meeresversiegen etwas zu spät bemerkst, müssen wir eben etwas weiter wandern. Irgendwann beginnt man allerdings für meinen Geschmack etwas zu tief in Schlick und Matsch zu versinken und mein väterliches Gewissen befielt den geordneten Rückzug. Meine Fürsorge stößt bei Dir allerdings nur auf mäßige Begeisterung und überhaupt kein Verständnis. Ritualisiert verabschieden wir uns vom Meer und stapfen artig protestierend zurück.
Einen solchen Einschnitt in Dein persönliches kleinkindliches Selbstbestimmungsrecht ahndest Du selbstverständlich mit der Einforderung väterlicher Bespaßung nicht unter einer Stunde. Erfreulicherweise entdeckst Du gegenwärtig unsere Frühstücksutensilien als probates Spielzeug wodurch eine weitere Heiterkeit des Tages bereitsteht: Wer am schnellsten ist bekommt das Marmeladenbrötchen, heißt konkret: entweder esse ich das besagte oder Du verteilst den Brotaufstrich hübsch gleichmäßig auf unserer Bettdecke (ja wir frühstücken ernsthaft mit einem Kleinkind gemeinsam im Bett). Man kann eben nicht immer gewinnen.
Wir wollten eigentlich von hier aus in die Bretagne, aber dort soll es die nächste Woche durchgängig regnen. Das nehme ich mal als Zeichen und wir starten gleich in Richtung Süden an den Golfe du Lion. Am Mittelmeer sind die Gezeiten kinderkompatibler und es ist so warm, das wir draußen frühstücken können: das schont die Bettwäsche.
Jetzt schlaf gut kleine Prinzessin, morgen früh gucken wir auf ein Meer das nicht ständig abhaut – Versprochen.