Der 148./ 96. Monat – Nach München oder nächste Woche

Fußball bleibt das vorherrschende Thema. Oder wie es Eure Mutter ausdrückt: „Es wird immer schlimmer.“ Das mag man so sehen, ich finde nicht, bin aber zugegeben auch extrem parteiisch in der Hinsicht. Nachdem uns das DFB-Pokallos wieder einen bayerischen Gegner beschert, stellt Leo fest, das Unterhaching bei München liegt, das Ganze an Halloween stattfindet, der folgende Tag schulfrei – weil gesetzlicher Feiertag – ist und somit hier selbstverständlich alle Vorraussetzungen für eine gepflegte Auswärtsfahrt vorliegen. Eine prima Idee finden allerdings nur Leo und ich. Die Damen sind dagegen, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen.

Für Sarah Sophie ist Halloween ein fester Bestandteil im persönlichen Kalender und da sich ihre halbe Klasse überlegt hat gemeinsam auf „Süßes oder Saures-Beutefang“ in entsprechender Kostümierung zu gehen komme ich mit meinem Münchner Kurztrip, selbst unter Zuhilfenahme der Zauberwörter „Neuhauser- und Theatinerstraße“ nicht weiter. Es muss folglich wirklich ernst sein. Horror- statt Fashiontrip. Wer hätte das gedacht.

Eure Mutter muss zu einem Kunden nach Wetzlar, was bekanntlich in Hessen liegt, wo der 1. November kein Feiertag ist. Die Hiobsbotschaften reißen also nicht ab. Unverzüglich wirft Leo die Idee, dann eben nur mit mir alleine nach Unterhaching zu fahren, in den Raum. Die Damen sind schockiert und fühlen sich unisono ausgeschlossen. Wenn wir nach München fahren, wollen wir mit kommt sowohl von Tochter wie Mutter. Wieder Leo: „Ja, aber ihr könnt doch nicht.“ Das kontert Sarah Sophie ganz elegant: „Dann fahren wir eben nächstes Wochenende nach München, oder übernächstes.“ Eure Mutter setzt noch einen oben drauf: „Oder wir fahren lieber nach Berlin am kommenden Wochenende.“ Leo und ich verstehen gar nichts mehr. Ich frage höflich nach was denn nun das nächste Wochenende mit dem Feiertag, bzw. dem Tag davor zu tun haben. Wir reden über Dienstag und Mittwoch. Außerdem gibt Leo zu bedenken, daß an dem Freitag ja sowieso niemand wegfahren kann, denn da müssen wir ja in unserer Arena sitzen zum Heimspiel in der Liga. Eurer Mutter wird es zu viel und verabschiedet sich mit einem nicht minder vorwurfsvollen „Geht es denn nur noch um Fußball hier?“ in ein Onlinenmeeting. Leo und ich schauen uns an, bejahen die offenbar rein rhetorische Frage zur Sicherheit vollumfänglich mit „Ja!“. Sarah Sophie stellt fest noch kein Kostüm zu haben und entschwindet ebenfalls ans iPad.

Und ein kleiner Fußballfan schaut ganz schön irritiert aus der Wäsche. „Papa, eine Frage: Habe ich das richtig verstanden? Sie können beide nicht mit nach München, wollen aber gerne mit, weswegen wir drei Tage später dahin fahren sollen, wenn wir aber gar nicht mehr dahin müssen und ja auch gar nicht können, weil wir ja hier sein müssen.“ Absolut korrekt, bestätige ich Dir und bekomme die schlüssige Reaktion direkt von Dir erwidert. Mit dem sprichwörtlichen Vogel zeigend kommentiert Du die vertrackte Situation: „Papa, Mädchen haben eben keine Ahnung von Fußball. Das muss man einfach so hinnehmen.“ Stimmt bestimmt nicht immer, im vorliegenden Fall aber schon.

Nach dem Meeting platzt Eure Mutter mit der Information, daß das Hotel in Wetzlar in manchen Zimmern die größten Fernseher an der Wand hängen hat, die sie je gesehen hat, am Mittwoch muss sie nur Nachmittags zur Kundschaft, und in der Nähe befindet sich das erste Mitmach-Mathemuseum der Welt für Mittwochnachmittag für uns zwei, aber erst nachdem wir Vormittags zu dritt im Leitz-Fotomuseum gewesen sind. Das steht nämlich direkt neben dem besagten Hotel. „Und was ist mit Sarah Sophie?“ „Die übernachtet an Halloween bei ihrer Freundin Emilia. Hat sie mir während des Meetings geschrieben.“

Ich finde es erstaunlich, was man so alles während eines Kundenmeeting nebenbei erledigen kann. Leo findet die Idee erst dann gut, nachdem du dir bei mir versicherst, daß es wirklich keine Gästekarten mehr in Unterhaching gibt, wir also zwangsläufig auf den „neutralen“ Bereich des Stadions ausweichen müssten, was wir wiederum beide irgendwie doof finden. Im Stadion außerhalb der Rot-Weißen kennen wir gar nicht und kommen überein, daß das erstens gut ist und zweitens auch so bleibt. Auswärtsfahrt somit abgesagt.

Wir schauen folglich ein äußerst unterhaltsames Pokalspiel auf einem wirklich großen Fernseher im Hotel und freuen uns über ein 6:3 nach Verlängerung, wodurch du viel zu spät aber zutiefst glücklich ins Bett kommst.

Die Museumsideen sind dann nicht ganz so erfolgreich. Das Fotomuseum finden nur deine Mutter und ich gut und das Mathematikum ist an diesem Mittwoch nachmittags geschlossen. Man kann eben nicht alles haben. Man sollte sich eben nur möglichst richtig entscheiden.

Die Siegesserie reißt, November 2023, Düsseldorf, D

Und das tun wir am Freitag offenbar nicht. Fortuna verliert zu Hause 1:3 gegen Wiesbaden, womit deine Serie „Fortuna gewinnt immer, wenn wir zusammen im Stadion sind“ ein jähes Ende findet. Und das kommentiert Leo dann so: „Papa, da hätten wir mal besser auf Sarah Sophie gehört und wären am Wochenende nach München gefahren. Dann würde die Serie noch halten.“

Stimmt zwar, aber jetzt stellt sich ja eine ganz andere Frage: „Nächste Woche auswärts nach Fürth? Das wäre auch nicht so weit weg von München. Frag mal deine Schwester.

Der 147./ 95. Monat – Hamburgradio

Die Herbstferien stehen vor der Tür. Ursprünglich wollten wir mal wieder nach Israel, landen dann aber auf Sizilien. Warum weiß eigentlich keiner mehr so genau, jedenfalls habe ich keine Flüge sondern zwei Fährpassagen gebucht. Mit Blick auf den unmenschlichen Terrorakt der Hamas vom 7. Oktober wohl keine schlechte Entscheidung. Da fanatische Menschenverachter in Kindergeschichten nix verloren haben, spare ich mir jedwede Kommentierung brutalster Morde und anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die würde auch nicht besonders jugendfrei ausfallen.

Nur soviel: Sarah Sophies Verhältnis zu ihrer arabischen Freundin aus der Schule wackelt wegen der unmittelbar einsetzenden Täter-/ Opferumkehr nach der militärischen Antwort Israels etwas, aber es hält. Schlagartig wird mir jedoch am persönlichen Beispiel bewusst, wie divergent jüdische und arabische Sichtweisen auf ein exakt gleiches Geschehen immer noch sind, selbst wenn man tausende Kilometer entfernt friedlich „nebeneinander“ wohnt. So, daß reicht jetzt aber wirklich zu dem Thema.

Zurück nach Sizilien: Diesmal gehen wir in Livorno aufs Schiff nach Palermo, da die Hunde-kompatiblen Kabinen in der Genua-Variante bereits ausgebucht sind. Das bedeutet 200 Kilometer mehr Autofahrt. Ich habe keine Ahnung wie früh man sowas noch buchen muss, offenbar wissen alle Menschen mit Kindern bereits ein Jahr im Voraus, wann sie wohin fahren. Also alle, außer uns. Eure Mutter klingt sich eine Woche vor Abfahrt aus unserer Hinfahrt aus, da irgendein Kunde sie noch gerne am letzten Schultag vor Ort sehen möchte. Das heißt, sie fliegt uns hinterher.

Ich fahre folglich mit Euch und Emma alleine gen Toskana, wir sind pünktlich auf dem Schiff und beziehen unsere Kabine. Leo nimmt neuerdings jeden Freitag um 18 Uhr an einem internationalen Online-Mathekurs teil, der sich unfreundlicherweise nicht an den deutschen Schulferien orientiert und deinerseits zu einer mittelschweren Protestnote führt. Konkret: Du schaltest in Verweigerungsmodus, weil Ferien. „Sind es doch noch gar nicht.“ entgegne ich „Ist doch noch der letzte Schultag.“ Dieses Argument kommt Dir natürlich gar nicht erst an Bord, dafür aber eine nicht minder charmante Idee. Und die hängt damit zusammen, daß unsere Fähre um 18:30 Uhr ablegt und zur gleichen Zeit im Hamburger Volksparkstadion Anstoß zum Ligaspiel von Fortuna gegen den HSV ist. Da liegt es natürlich auf der Hand, daß etwas passieren muss.

Das Mobilfunkverbindungen auf fahrenden Schiffen selten funktionieren, Satellitengestützte WiFis auf denselben nicht gerade preiswert sind, kennst Du bereits von diversen Fährfahrten der letzten Jahre. Wir scheinen offenbar einen Faible für Inseln zu haben, soviel Zeit wir auf Fähren verbringen und um auch diesmal mathemäßig korrekt auf dieser anzukommen, entspinnst Du zu folgenden Handel:

„Papa, ich starte um 18 Uhr den Mathekurs. Der geht bis 18:45 Uhr. Das Schiff fährt aber um 18:30 Uhr los. Dann geht das nicht mehr mit deinem Telefon. Mir würden dann 15 Minuten Mathe fehlen. Das ist ja nicht gut, oder?“ Ich bestätige schmunzelnd weil vermutend was jetzt folgt „Nein, nicht gut!“. Wieder Du: „Dann brauchen wir ja das „teure Internet vom Schiff!“ Und wenn wir das sowieso schon kaufen müssen und ich ja sogar in den Ferien Mathe mache, gucken wir danach dann HSV – Fortuna. Das ist doch fair, findest Du nicht?“

Finde ich absolut, sage ich aber nicht und gebe stattdessen zu Bedenken, daß die ersten Minuten nach Abfahrt durchaus noch Funkverbindung zum Festland besteht und es zweitens durchaus sein kann, daß das WiFi vom Schiff datenmäßig einen Livestream nicht möglich macht, zumindest in einer Qualität, daß mindestens der Ball erkennbar ist. „Papa, das klappt schon.“ erwiderst Du unter Zuhilfenahme des versicherten Hinweis in den Sommerferien jemanden auf der damaligen Fähre ein Fußballspiel schauend beobachtet zu haben. „Vielleicht hat er das ja auf seinem Gerät heruntergeladen und das war gar nicht live.“ versuche ich zu Entkräften. Darauf wieder Du: „Papa, wer guckt sich denn ein Fußballspiel an wenn das nicht live ist?“ „Du, jeden Morgen, wenn abends Spiele laufen.“ Mit dem Verweis, daß das doch etwas ganz anderes sei, daß überhaupt nicht vergleichbar ist und überhaupt es ja schon kurz vor 18 Uhr sei, stellst Du das iPad in Position und legst deine Mathematerialien bereit.

„Du machst das dann alles so, ok?“ Ich muss mich jetzt einloggen. Warum erinnert mich dieser Satz an deine Mutter?

Online an Bord, Oktober 2023, Livorno, I

Der Mathekurs funktioniert natürlich vollständig über meine Mobilfunkverbindung, ebenso wie die ersten Minuten vom Spiel. Danach fabriziert das Satelliten-WiFi nur noch ruckelnde Videoartefakte die im Auge weh tun. Für den Sportschau-Audiostream reicht es aber aus und wir entdecken „Fußball im Radio“. Du ganz neu, ich wieder neu. Und in der Halbzeit wird es noch nostalgischer. Da erzähle ich Dir von einem Jungen in deinem Alter, der vor rund 45 Jahren mit seinem Opa Samstagnachmittag vorm Radio hing und Fortuna in der Bundesliga verfolgt hat.

Fortuna & HotDogs auf „hoher See“, Oktober 2023, 43°30‘54.9“N – 10°12‘31.6“O, I

Hat übrigens Vorteile so ein Retro-Fußball-Abend. Gehörte Niederlagen unserer rheinischen Diva fühlen sich nicht so traurig an.

Aber das kann natürlich auch an dem Weg auf die Insel liegen.

Ahoi und schöne Ferien.

Der 146./ 94. Monat – Der Familienbetrieb

Sarah Sophies Super-Gau ist eingetreten. Du hast Dein iPhone verloren. Offenbar auf dem Weg vom Auto zur Haustür oder Wohnungstür. Das sind zwar maximal 30 Meter, aber Fakt ist: Es ist weg. Und natürlich ausgeschaltet weil wahrscheinlich leergesnapchatet. Weder das Abklappern der Nachbarn, noch die ausgehängten Hilfeschreizettelchen helfen irgendwas. Auch die Ortung der nächsten Tage bleibt erfolglos. Letzter gemeldeter Standort ist das Nachbarhaus, also unsere Garage. Neben den elterlichen Vorhaltungen wie das denn überhaupt passieren kann, stellst Du ganz nebenbei fest, wie sorglos Du mit deinen persönlichen Daten und der sie umgebenden Hardware umgehst und vor allem wie unglaublich aufgeschmissen heute eine Zwölfjährige auf einmal ist wenn das weg ist was offenkundig das gesamte aktuelle Leben beinhaltet.

Du kennst weder dein Passwort zum Login in die Schulsoftware, hast keine Ahnung von den Zugangsdaten des bevorzugten Social Media Kanals und bist zusätzlich von jetzt auf gleich von allen WhatsApp-Gruppen ausgeschlossen. Kurz gesagt Du hörst nach eigenem Bekunden auf zu existieren. Das scheint mir zwar eine etwas hehre Betrachtung zu sein, aber so fühlt es sich offenbar an. Die Accountdaten zum Passwort zur Schulwebsite habe ich und so können wir zumindest einen kommunikativen Notbetrieb aufrechthalten. Es ist spannend zu beobachten wie Du mit deinem persönlichen Worst-Case-Szenario umgehst. Bemerkenswert finde ich allerdings, daß Du erst gar nicht auf die Idee kommst im nächsten Applestore mit meiner Kreditkarte nach einer Lösung zu suchen. Dir ist also durchaus bewusst welchen materiellen Wert Du gerade verbummelt hast. Das finde ich gut und verdient Beachtung.

Bist Du unterwegs, nimmst Du fortan Opas Handy mit, allerdings kann man mit dem wirklich ausschließlich telefonieren. Dazu muss man es aufklappen und auf große Tasten drücken. Sowohl Du, wie auch Leo betrachtet das anachronistische Gerät mit einer sichtlichen Portion Skepsis ob der fehlenden Apps. Angerufen hast Du mich damit übrigens nie. Dafür bekomme ich neuerdings Anrufe von so ziemlich jeder deiner Freundinnen. Wahrscheinlich ist dir die Funktionsweise nur nicht so vertraut. Ich gehe natürlich nicht davon aus, daß dir das Renterphone irgendwie peinlich ist, oder etwa doch?

Aber du findest auch eine Lösung für den ganzen Schlamassel. Schon seit einiger Zeit stellst Du einen Großteil deines Schmucks selbst her wodurch wir Stammgast im heimischen Modeschmuckperlenbastelladen sind. Die Armbänder die du erstellst erfreuen sich überall großer Beliebtheit und da ist die Geschäftsidee schnell geboren.

Du wirst Armbandproduzentin nebst exklusivem Verkaufsstand. Am kommenden Wochenende steht folglich ein Tisch mit zwei Klappstühlen in unserer Marina, da Du dir überlegt hast, hier eine geeignete Zielgruppe vorzufinden. Vorab informierst Du Dich noch wieviel einzunehmen ist um wieder Mitglied der digitalen Welt zu werden. Wir beschließen, daß ein Refurbish-Gerät durchaus ausreichend ist, das auserkorene Modell aber immer noch mit mehreren Hundert Euro zu Buche schlägt.

Also wird in den Tagen bis zum Wochenende fleißig gestaltet und gewerkelt um eine entsprechende Auslage bevorraten zu können. Pünktlich am Freitagnachmittag sitzt Du strategisch günstig an der kleinen Hafenpromenade wo Deine Zielgruppe stetig vorbeidefiliert. Und das Ganze funktioniert mehr als passabel. Das habe ich ehrlich gesagt nicht vermutet, was ich Dir aber natürlich vorenthalten habe um deine unternehmerische Begeisterung nicht auszubremsen. Bereits am ersten Abend hast Du fast 50,- € eingenommen und bereits mehrere Vorbestellungen für den kommenden Tag. Hier wird dann auch sogleich das Geschäftsfeld erweitert, da sich kundenseitige Maßanfertigungen als besonders nachgefragt herausstellen.

Am kommenden Tag bekommst Du brüderliche Unterstützung in kommunikativer Form. Leo findet es nämlich besonders wichtig jedem der es hören will oder auch nicht, zu erklären warum hier jetzt mittlerweile zu zweit gearbeitet wird. „Meine Schwester hat ihr Handy verloren und jetzt verdienen wir ein Neues!“ Man mag es glauben oder nicht, aber genau diese Aussage ist der Turbo im Verkauf. Selbst bis zu mir dringen die anerkennenden Worte mir bisher unbekannter Bootsnachbarn wie großartig diese Aktion doch ist und es wird fleißig gekauft. Und Marktwirtschaft verstehst du sehr schnell. Natürlich lässt eine hohe Nachfrage die Preise steigen. Ab Samstag wird es teurer. Nach dem Wochenende hast Du noch nicht alles beisammen, aber es lässt sich leicht errechnen, daß ein weiteres Wochenende genau das bedeuten würde.

Projekt „Neues iPhone“ läuft an, September 2023, Leukermeer, NL

Nur muss ich Dir da leider den Wind aus den Segeln nehmen, da sich die Firma eurer Mutter überlegt hat das diesjährige Motto des Sommerfestes mit „Oktoberfest“ zu belegen und das eben am kommenden Freitag zelebriert. Gefolgt von unserem Besuch der Wiesn in München am Samstag. Und das war übrigens deine Idee, inklusive bereits gekaufter Festbekleidung. Die Woche danach geht es schon in die Herbstferien. Du siehst dich folglich terminlich gefordert.

Wiesn, September 2023, München, D

Da unternehmerisches Engagement niemals auszubremsen sein sollte, einigen wir uns darauf, daß es am Hafen zu einer gewissen Marktsättigung kommt und ihr eure Geschäftsaktivität international erweitert.

Das macht ihr übrigens nur noch zu zweit, denn Leo hat sich überlegt, daß er einen beachtlichen Beitrag zum Erfolg des Projektes beigesteuert hat. Schließlich hat er ja allen Nachbarn erzählt was die Ursache der Geschäftsidee ist. Das hört sich dann bei ihm so an:

„Sarah Sophie macht die Armbänder und ich kümmere mich um das Geschäft!“

Der Grundstein des Familienbetriebes dürfte somit wohl gelegt sein.

Der 145./ 93. Monat – Pazifistenpaintball

Die Sommerferien sind vorbei, womit zwangsläufig Sarah Sophies Geburtstagsparty ansteht. Die findet traditionell nach den Sommerferien statt, damit auch bloß niemand vereisungstechnisch absagen muss. Bereits an deinem realen Geburtstag waren wir auf einer Paintball-Anlage in der Nähe vom Leukermeer in Holland. Ich glaube das erste Mal unbändiges Verlangen nach einem „Paintballgeburtstag“ habe ich vernommen, da war der noch einstellig und Du in der Grundschule. Das habe ich nun jahrelang erfolgreich abgewehrt, da es mir partout nicht einleuchten will, worin der Unterhaltungswert liegen kann, Krieg zu spielen. Denn etwas anderes ist das gegenseitige Beschießen mit Farbkugeln aus Gewehren ja schlicht und einfach nicht. So bis acht oder neun Jahren hat sich Eure Mutter freundlicherweise hierbei auch noch mäßigend zurückgehalten, aber zum zwölften Geburtstag muss es unbedingt dieser Unsinn sein.

Es ist wie immer, ich werde bei geringer Hitze monatelang weichgekocht bis Du und deine Mutter schamlos einen schwachen Moment meinerseits ausnutzt und mir eine liederliche Zustimmung abringt. So war es bei den Ohrlöchern, so ist es jetzt und so wird es wahrscheinlich auch in Zukunft irgendwann zu irgendeinem Thema wieder passieren. Ich habe mich umgehört, das scheint das Los aller Vollzeitprinzessinnenväter zu sein. Also sei es drum. Aber ihr setzt natürlich noch einen drauf um zu verhindern, daß ich möglicherweise, eventuell vor Ort meinen Unmut über die Veranstaltung kundtun kann und es startet ein perfides „Papa-muss-weg-Projekt“.

Zufällig ist die ausgewählte Anlage erst für Kinder ab acht Jahren freigegeben und Leo ja noch sieben. Was in jedem anderen Fall völlig belanglos wäre stilisiert sich aktuell zum neuen Familiendogma hoch. Irgendwann während der genauso sinnlosen wie absurden Debatte erklärt doch mir Eure Mutter allen Ernstes „Wir können doch den Kindern nicht Ehrlichkeit abverlangen, wenn wir sie nicht vorleben.“ Ich überlege kurz mich geistig übergeben zu müssen, fange mich aber gerade noch so und bekomme selbstverständlich keine zufrieden stellende Antwort warum man Kinder an Theaterkassen oder dergleichen jünger machen darf, aber nicht älter. Aber das ist wahrscheinlich etwas ganz anderes und gehört gar nicht hierhin. Vermutlich genauso wenig der Umstand, daß Leo an Sarah Sophies Geburtstag auf genau dieser Anlage vergessen hat sein Alter anzugeben. Was alles so passieren kann.

Leo protestiert „geringfügig“, wir einigen uns auf einen Jungsausflug zum Boot mit früher Sonntagsabreise um die erste Runde des DFB-Pokal auf großer Leinwand zuhause schauen zu können. Fortuna spielt günstigerweise an genau dem Sonntag, der zum martialischen Geburtstag ausgerufen wird. Zwischendurch erkennt Leo die Gunst der Stunde und verhandelt mit mir über eine mögliche Auswärtsfahrt. Eine großartige Idee, bis ich weiß wo Illertissen liegt. Da müssten wir nämlich hin. Bayerische Regionalligisten haben gewiss ihren Charme, die damit verbundene Rückfahrt an einem Sonntagabend aber sicher nicht. Da dürfte es wohl nach Mitternacht werden bis Du im heimischen Bett liegst. Einsicht ist hier jetzt nicht primär zu erkennen, aber Du akzeptierst schließlich zähneknirschend. Eure Mutter ist erleichtert.

Zurück zum Geburtstag. Nachdem der miesepetrige Papa nun erfolgreich an Bord verbannt ist braucht man natürlich auch keine Einwände mehr bezüglich des Kindergeburtstagsessens zu befürchten und kann somit gleich die auf dem Weg liegende Pommesbude mitmieten. Wenn man schonmal in Holland ist, gibt es erstmal die feinsten niederländischen Frittiertheiten bevor es dann an die Front geht. Ich gehe fest davon aus, das uns viele Eltern die Pest an den Hals wünschen oder zumindest mal nachfragen ob wir noch die sprichwörtlichen „Latten am Zaun“ haben. Ich bin enttäuscht: Es passiert nichts von alledem und ich stelle fest, das selbst auf das biodeutsche Bildungsbürgertum kein Verlass mehr ist – und zwar gleichgültig ob rechts- oder linksrheinisch. Dieses Land verroht.

Machen wir es kurz – Überfallkommando sozusagen: Der Geburtstag ist ein voller Erfolg, Du bist überglücklich und brauchst nur eine Woche die letzten Farbreste aus deinem Haaren zu bekommen und Eure Mutter holt sich allen Ernstes noch Lobhuldigungen ob der Möglichmachung der kindlichen Mobilmachung ab. Und dafür hat unsereins damals den Wehrdienst verweigert. Mein pazifistischer Grundglaube ist wieder um eine Illusion ärmer.

Paintballgeburtstag, August 2023, Venray, NL

Und das Leo und ich nicht zum Auswärtsspiel fahren, stellt sich als weitsichtige Entscheidung dar. Da wären wir nämlich nie angekommen. Am Boot gestartet sind wir nur bis auf die A57 gekommen. Da mochte der Keilriemen nicht mehr und ließ uns zwangsweise stehen. Man kann eben nicht alles im Leben haben.

Kriegslose Kindergeburtstage und große Pokalspiele sollten aber irgendwie schon dazugehören. Aber von beidem haben wir ja wohl hoffentlich noch ganz viele vor uns.

Shalom und 95 olé.

Der 143.-144./ 91.-92. Monat – Ferienfreu(n)de

Die Sommerferien starten dieses Jahr extrem früh, zumindest in Nordrhein-Westfalen, nämlich bereits Mitte Juni. Eigentlich wollten wir Euch beiden zunächst die Weißen Nächte in St. Petersburg zeigen, die jedes Jahr um den 21. Juni an der Newa gefeiert werden und Euch auch endlich mal erlebbar machen wo die Hälfte der Familie ursprünglich herkommt, aber das scheitert leider an dem unsäglichen Krieg den der kleine russische Tyrann aus Moskau im vergangenen Februar angezettelt hat. Visa sind nahezu nicht zu bekommen und die Anreise wäre selbst für unsere Verhältnisse mehr als abenteuerlich. Also schalten wir auf Normal-Urlaubs-Modus – was so viel heißt, es geht nach Korsika.

Eure Mutter protestiert anfänglich noch stärker als vergangenen Sommer und ich glaube, das wird auch wirklich für lange Zeit das letzte Mal, daß wir reif für genau diese Insel sind. Ich meine es bereits das ein oder andere Mal erwähnt zu haben, was gefühlte Wiederholungen für sie bedeuten. Ihr schafft es aber tatsächlich sie zu überreden – versprochen letztmalig – Bastia anzusteuern. Ich bin beeindruckt, finde das Ergebnis aber gut.

Tja, und dieses Jahr halten wir uns für besonders schlau. Wir starten direkt am letzten Schultag um möglichst vor der ersten Stauwelle vorneweg zu fahren, nehmen auf dem Rückweg noch einen Job Eurer Mutter in Konstanz am Bodensee „mit“ wodurch wir uns uns vier Tage am Schwäbischen Meer bescheren, bevor es dann von dort für den Rest der Ferien nach Holland aufs Boot geht. Die Annahme, das sei besonders schlau ist soll sich jedoch als fataler Irrtum erweisen. Zumindest die Idee mit wenig Stau klappt.

Aber der Reihe nach.

Wir nehmen diesmal die Nachtfähre ab Genua und erreichen bereits am Morgen des 23. Juni Eure Lieblingsinsel. Auf dem Campingplatz ist auch fast alles wie immer, diesmal aber dummerweise mit einem kleinen, feinen Schönheitsfehler: Wir sind im Altersheim gelandet. Der Kiz-Club hat noch gar nicht eröffnet und die paar Gestalten aus der Ü70-Riege schlurfen irritiert an uns vorbei. Der Rentner von Gegenüber bringt es dann auf den Punkt: „Was macht ihr denn schon hier – wo sind denn schon Ferien?“ Wir stehen also kollektiv für all die Familien mit Kindern, die man hier sonst in den Sommerferien antrifft. Verdutzt antworte ich „Bei uns.“ Aber auch wirklich nur bei uns. Kurze Recherche bestätigt das Bild vollumfänglich: Kein anderes Bundesland in Deutschland oder Österreich, kein Kanton in der Schweiz, von Frankreich ganz zu schweigen. Lediglich ein paar italienische Provinzen und eben Nordrhein Westfalen haben derzeit Sommerferien und von denen sind wir weit und breit die Einzigen unter 70 Jahren Lebenserfahrung.

Verständlich fragt ihr Euch gegenseitig: „Was machen wir denn jetzt den ganzen Tag“? Und für wen koche ich jetzt jeden Mittag? Unter Nomalbedingungen schleppt ihr gerne jeder zwei oder drei Freunde zur Mittagszeit an. Gut, die Rahmenbedingungen können wir jetzt nicht ändern, also machen wir das Beste daraus und gehen erstmal Richtung Strandbar.

Das Stand-Up-Paddel-Board war eigentlich als Trostpflaster gedacht für die nächste Änderung im diesjährigen Sommerurlaub. Eure Mutter muss nach zwei Tagen auf der Insel jobmäßig nach Frankfurt und ist somit nahezu die komplette erste Woche nicht dabei und fliegt stattdessen Montag früh zurück. Begeisterung sieht anders aus, aber das Board hilft. Allerdings leider nur eine Stunde. Nachdem ihr diese besagte Stunde darauf umher geturnt habt, legt ihr es an den Strand und kümmert Euch um genügend Eisnachschub. Als ihr zurück seit, dauert es keine zehn Minuten und das Board platzt auf der gesamten Länge unter einem ohrenbetäubenden Knall auf. Leo fällt noch das Eis aus der Hand in den Sand. Doppelter Volltreffer sozusagen. Den ersten Tag der Sommerferien stelle ich mir ja irgendwie anders vor.

Keine Freunde weit und breit, Juni 2023, Korsika, F

Die kommende Woche plätschert ohne Eure Mutter so dahin und für den Umstand keine Spielkameraden zu haben schlagt ihr Euch ganz schön wacker. Freitagabend fliegt Supermami weder ein und hat zufällig ein neues Stand-Up-Board im Gepäck. Wer hier heute der unangefochtene Held ist dürfte unstrittig sein. Diesmal fliegt uns das Ding auch nicht um die Ohren, wird aber gar nicht mehr so zwingend gebraucht, da ab Mitte der zweiten Woche immer mehr Kinder eintrudeln und jetzt ist wirklich wieder alles wie immer. Mittags sitzen wieder mindestens sechs Kinder am Tisch und ansonsten tobt ihr mit denen um die Wette.

Nach drei Wochen geht es zurück mit dem Abstecher in Konstanz. Hier stelle ich fest, wie lange ich nicht mehr auf einem deutschen Campingplatz war. Oder besser gesagt auf dem wahrscheinlich deutschesten aller Campingplätze: Nach 22 Uhr wird nicht mehr gespült, der Hund darf sich nur auf bestimmten Wegen fortbewegen und wenn man unverschämterweise zufällig vor der Mittagspause ankommt, zahlt man eine gesonderte Gebühr für eine Frühanreise. Unser direkter Nachbar erzählt freudestrahlend, daß sie nun im zehnten Jahr hierher kommen und die Kinder keine anderen Sommerferien kennen als hier. Ich verstehe weder Kinder noch Vater und flüchte in die Spülküche bevor die um 22 Uhr schließt. Das gefühlte Gefängnis dürfen wir ja glücklicherweise bereits nach vier Tagen wieder verlassen und ich muss Euch beiden fest versprechen, daß wir hier nie wieder hinfahren. Aber sowas von „Großes Ehrenwort“.

Von hier aus dann also nach Holland aufs Boot. Und damit fällt der Rest der Geschichte buchstäblich ins Wasser. Es regnet wirklich nahezu jeden Tag und ich habe noch nie soviel Wasser von oben an Bord erlebt. Wir brauchen auch offenbar erst Schweizer Besuch am Leukermeer um die Umgebung außerhalb des Wassers zu erkunden. Unsere neuen Schweizer Freunde sind ebenfalls hier und Sandra weiss nach zwei Tagen mehr über die ganze Gegend als ich nach vier Jahren, die wir mittlerweile hier ein Boot liegen haben. Unangefochtenes Highlight war dann noch Sarah Sophies Geburtstag. Du hast es doch tatsächlich geschafft mir eine Zustimmung zum Besuch einer Paintball-Anlage aus dem Kreuz zu leiern. Wahrscheinlich macht zu viel schlechtes Wetter etwas prinzipienschwach. Meine pazifistische Grundüberzeugung ist irgendwie weggeschwommen.

Paintball, Juli 2023, Venray, NL

Eure Mutter hat Recht: Nächsten Sommer machen wir alles anders. Garantiert!

Der 142./ 90. Monat – Grüezi

Der Wonnemonat Mai ist dieses Jahr wenig wonnig und das Boot immer noch nicht im Wasser, was gleichbedeutend damit ist: Was machen wir am Wochenende? Leo kommt unverzüglich mit dem Fortuna-Spielplan an und weiß natürlich sofort was mit dem Restprogramm der Liga im Mai zu tun ist. Die Gegenliebe zu dieser großartigen Idee seitens Eurer Mutter schenke ich mir jetzt mal an dieser Stelle. Wir belassen es bei den Heimspielen. Und dann sind da ja auch noch die langen Wochenenden die sich immer wieder im Mai tummeln.

Während der Frühlingsferien haben wir auf Kuba eine Schweizer Familie kennengelernt die so ziemlich die gleiche Kindersituation hat. „Unsere Schweizer“ wie sie fortan nur noch genannt werden. Elin ist genauso alt wie Sarah Sophie, Bastian nur ein Jahr älter als Leo und genauso Fußballverrückt wie Du. Nur trägt der eben ein Trikot von den Young Boys Bern, der Rest ist absolut identisch. Die Eltern Sandra und Emanuel sind im positiven Sinne so herrlich „normal“ – was man zur Zeit wirklich gesondert erwähnen muss, schleppt ihr doch nicht selten Freunde an bei deren Eltern ich mir nicht sicher bin ob die jetzt ihre eigene Karikatur spielen oder das alles doch in beängstigender Weise echt ist. Aber das ist ein anderes Thema. Kurzum: das paßt.

Wir freuen uns über Ihre Einladung sie zu besuchen und stellen fest, daß „Auffahrt“ in der Schweiz ebenfalls ein Feiertag ist wie „Christi Himmelfahrt“ bei uns. Der dazugehörenden Brückentag am Freitag hat Sarah Sophie einen beweglichen Ferientag, Leo dummerweise nicht. In den mittlerweile sechs Jahren, die einer von Euch die immer selbe Grundschule besucht, war zwar immer der erste von den beiden Donnerstagsfeiertagen im Mai/ Juni Freitags schulfrei – aber dieses Jahr eben nicht. Ja, man hätte auf den Plan, der bei uns extra über dem Herd hängt gucken können, damit eben genau das nicht passiert. Mein Fehler. Deine Klassenlehrerin hat aber ein Herz für verschusselte Väter und Du bekommst offiziell frei. Geht natürlich nicht ohne Kommentar seitens Eurer Mutter: „Muss offiziell sein? Sind wir heute wieder deutsch?“

Eure Mutter ist die Tage davor sowieso irgendwo in der Schweiz unterwegs, wodurch wir beschließen uns in Basel zu treffen. Ihr beide, der Hund und ich fahren mit der Bahn. Und das ist mit Hund besonders amüsant. Laut DB-App muss man angeblich nur bei den Reiseteilnehmern den Reisenden „Hund“ hinzufügen und dann kostet Emma den halben Fahrpreis. Ist aber alles Theorie, zumindest bei meiner Buchung. Für das Hundeticket darf man gesondert im Reisezentrum am Bahnhof vorstellig werden um ein Wuffoticket zu erwerben. Ja, wir schreiben das Jahr 2023. Aber irgendwann sitzen wir wirklich im Zug, der mit standesgemäßer Verspätung auch irgendwann abfährt. Die addiert sich im Laufe der Fahrt so hoch, daß wir den Schweizer Bahnhof in Basel nicht mehr ansteuern können, da die Schweizer Bahn nur wenige Minuten Verspätung eines deutschen Zuges akzeptiert sonst heißt es schlicht: „Du kommst hier nicht rein.“ Ich frage mich, ob in den letzten Jahren jemals eine Lokomotive der Deutschen Bahn Zürich oder Basel erreicht hat. Praktischerweise hat die Deutsche Bahn in Basel gleich einen eigenen Bahnhof gebaut der in diesen höchstseltenen Fällen angesteuert werden kann. Da ist man sozusagen unter sich. Wie die das dann in Zürich machen ist mir ein Rätsel. Woher ich das alles weiß? DB-Zugbegleiter haben mehr Freizeit als ihre Schweizer Kollegen. Die Züge fahren ja länger und bieten somit Verspätungstraurigen Fahrgästen heitere Geschichten im Vorbeibummeln als Entschädigung.

Thankyou for traveling with Deutsche Bahn.

Ich informiere Eure Mutter folglich uns bitte am Verspätungsbahnhof einzusammeln und rund drei Stunden später als geplant kommen wir da auch an. Aber immerhin kommen wir an. Bahnreisende sollten sich in Demut üben habe ich gehört.

Unsere Schweizer waren erstaunt, als wir ihnen peinlicherweise eröffnen müssen, daß wir – mit der einzigen Ausnahme Skifahren – noch nie in der Schweiz unsere Ferien verbracht haben. Schweiz im Sommer ist für mich: Plakette aufs Auto und in einem Rutsch durch nach Italien. Warum weiß ich eigentlich auch nicht.

Also haben wir dann wohl erstmal das gemacht, was man in der Schweiz so macht, wenn man „das erste Mal“ da ist: Schokoladenmuseum, Käserei zum mitmachen und ganz viel in den Bergen wandern light. Zu mehr taugen rheinische Flachlandspaziergänger nicht, das habe ich von vorne rein klargestellt. Schweizer sind verständnisvoll. Das finde ich gut.

Wir wandern tatsächlich, Mai 2023, Schwarzsee, CH

Und während dieser Tage haben wir dann auch beschlossen, daß unsere Schweizer in den Sommerferien eine Woche nach Holland kommen, wenn wir dort auf dem Boot herumfaulenzen. Sandra möchte unbedingt einmal in einem Wohnmobil Urlaub machen und wir stellen ihnen den Camper zur Verfügung. Sozusagen Camping light.

Es ist im Gespräch das hierfür eine Anreise mit der Bahn erwägt wird. Das finde ich sehr mutig, ich habe nämlich keine Ahnung wie es die holländische Bahn mit der Verspätung aus Deutschland so hält. Ein Schweizer überschreitet doch keine Grenze mit Verspätung, oder?

Grüezi.

Der 141./ 89. Monat – Eine Insel mit zwei Zielgruppen

In den Frühlingsferien geht es nach Kuba. Da wollten Eure Mutter und ich schon hin als der Comandante noch der Máximo Líder war. Als Ihr mitbekommt, daß es Richtung Karibik geht seit ihr völlig aus dem Häuschen, allerdings ob einer krassen Fehleinschätzung. Sarah Sophie sucht im Internet die Insel nach den schönsten Stränden ab um dabei festzustellen, daß es einen Ort namens Varadero gibt und präsentiert Leo stolz ein All-Inclusive-Hotel neben dem nächsten an zugegeben ganz netten Stränden.

„Da machen wir zwei Wochen All-Inclusive!“ folgerst Du aus deiner Recherche und triumphierst mit Leo gemeinsam, das beste Hotel gefunden zu haben. Ich schmunzele offenbar derart vor mich hin, daß erste Zweifel auf Euren Gesichtern erkennbar sind. „Doch nicht, Papa?“ kommt da etwas kleinlaut fragend aus der Ecke. „Doch, doch wir fliegen schon nach Kuba. Keine Angst. Nur zwei Wochen ausschließlich am Strand hocken wird es wohl weniger.“ Ernüchterung auf der Gegenseite. „Gar kein Strand?“ erkundigt sich Leo vorsichtig. Ich entschärfe die Situation und versichere, daß durchaus einige Strandtage geplant sind, aber eben nicht zwei Wochen ununterbrochen All-In. Dann doch lieber Zahn-OP und Darmspiegelung gleichzeitig. Merkt man was ich von derlei Urlaubsarten halte? Wahrscheinlich schon. Ich erkläre Euch, daß wir wir erst die Insel erkunden werden und zum Abschluss natürlich einige Tage am Strand herumlümmeln.

Leo sieht das reine Grauen am karibischen Horizont aufziehen, wo hingegen Sarah Sophie doch deutliches Interesse anmeldet. Allerdings auch erst, nachdem ich glaubhaft versichert habe, daß wir nicht in einem Reisebus mit dreißig anderen über Land juckeln. Manchmal frage ich mich welche Boshaftigkeiten ihr uns Eltern noch alle zutraut. Es wird natürlich eine Individualtour. Wir basteln gerade mit einer kleinen, aber feinen Reisebude in Berlin an dem Trip.

Und der startet dann auch am ersten April in Havanna. Etwas müde sitzen wir irgendwann mitten in der Nacht bei Mojito auf der Dachterrasse unseres Hotels. Es hat sich selten etwas so richtig angefühlt.

Buenos días desde La Habana, April 2023, Havanna, CU

Nach dem Frühstück holt uns Christina ab um uns die Stadt zu zeigen. Das geht mit Leo bis zum Mittagessen auch halbwegs gut, das angesteuerte Restaurant offenbart dann aber die aktuelle Problematik und die ist genauso simpel wie deprimierend. Du isst im Prinzip drei Sachen: Chicken Nuggets, Wiener Schnitzel und Fischstäbchen. Gemüse ausschließlich Kartoffeln, Blumenkohl und Brokkoli. Brot mit Frischkäse oder Hähnchenfilet. Das wars. Komplett. Am Angebot mangelt es nicht, aber ich gebe zu irgendwann einfach kapituliert zu haben. Die Lösung kommt kurioserweise aus einer jüdischen Tradition und steht direkt vor uns auf dem Tisch des Restaurants: Honig! Rosch ha-Schana ist zwar erst in fünf Monaten und es gibt auch keine Äpfel, aber da bist Du überraschend flexibel. Es gibt Brot, das tunkt sich genauso gut darein. Mittagessen gerettet.

Anschließend hebt sich die Laune der jüngeren Zielgruppe deutlich, denn wir tauschen doofen Stadtspaziergang gegen Oldtimer-Rundfahrt und cruisen in zwei Oldtimern durch Havana. Du hockst dabei die ganze Zeit neben Christina auf dem Rücksitz und sie erzählt Dir hinreißend die Geschichte der vielen Oldtimer. Geht also alles.

Im Oldtimer durch die Stadt, April 2023, Havanna, CU

Der nächste Morgen serviert uns erneut Problemstellung und Lösung in einem. Es gibt natürlich nichts was Leo zum Frühstück in Betracht zieht und die letzten mitgebrachten Bestände hast Du gestern verputzt. Diesmal ist Melone die Rettung. Und zwar in Kombination mit Rührei. Welches Du zwar zu Hause überhaupt nicht magst, aber da stammen die Eier ja auch nicht von kubanischen Hühnern. Wir nehmen es pragmatisch. Brot, Honig und Eier wird es wohl überall geben und Melonen kaufen ab sofort immer wenn wir sie sehen. Das zieht sich übrigens die kommenden Wochen wie ein roter Faden durch unseren Trip. Und das schöne ist: Es funktioniert!

Sarah Sophie hingegen ist völlig glücklich, da wir jeden Tag zweimal täglich in verschiedenen Restaurants sitzen und probiert sich munter durch die kubanische Küche und fragt bereits am zweiten Abend vor dem Blick auf die Karte was es denn gerade nicht gibt. Es ist halt immer noch ein sozialistisches Land. Fündig werden wir immer, aber manchmal wird doch so eine Melone herumzutragen ganz schön schwer auf die Dauer.

Abends hole ich unseren Leihwagen ab und am kommenden Morgen geht es in einem russischen Jeep Richtung Viñales. Es heißt, Benzin ist knapp, was die ewig langen Schlangen an den Tankstellen erklärt, wir aber nichts zu befürchten hätten, denn mit irgendeiner Touristenkarte gibt es dann doch Sprit. Wir beschließen das mal zu glauben, was sich noch als folgenschwerer Irrtum herausstellen wird.

Gasolina? No!, April 2023, Havanna, CU

Kurz vor unserem Etappenziel hält uns ein Polizist an und fragt ob wir nach Viñales fahren. Wir bejahen und werden gebeten jemanden mitzunehmen, da der Bus mangels Benzin nicht fahren kann. Da wir noch einen Platz frei haben sind wir auf den letzten dreißig Kilometer zu fünft. Unser Fahrgast spricht Englisch und stellt sich als Mitarbeiter einer der vielen Tabakfarmen heraus für die das Tal von Viñales so bekannt ist. Nachdem wir ihn abgesetzt haben lädt er uns zu einer Führung über die Farm ein und wir nehmen dankbar an. Da seit ihr beide allerdings völlig außen vor, denn hier gibt es ungefähr zwanzig Hundewelpen im Alter von wenigen Wochen. Die Zielgruppe schwenkt interessensmäßig auf die Vierbeiner um.

Welpen statt Tabak, April 2023, Viñales, CU
Leo möchte gleich zwei mitnehmen, April 2023, Viñales, CU

Auch gut, sagen wir und starten ohne Euch. Nach einer Stunde sind wir zurück und ihr habt euch bereits überlegt wer, welchen Welpen mitnimmt. Das nun anstehende Palaver kann sich wohl jeder vorstellen. Ich kürze ab: nach zwanzig Minuten bin ich eine Persona non grata was auch nicht dadurch besser wird, als ich Euch das morgige Vormittagsprogramm erkläre. Eine mehrstündige Wanderung. Aua! Eltern können grausam sein.

Sarah Sophie schließt als Erste wieder Frieden, nachdem ersichtlich ist, daß die ein oder andere Höhle nur mit gewagtem Klettern zu erreichen ist, womit Du in deinem Element bist. Leo braucht noch bis zum Mittagessen, denn wer in Viñales im Restaurant direkt rechts vom Markt Fajita bestellt, bekommt nicht etwas das erwartete Gericht sondern paniertes und frittiertes Hähnchenfleisch was zu zwei Umständen am Tisch führt. Leo erklärt die Bude zum besten Restaurant der Insel und ich muss nochmal auf die Speisekarte schauen, denn mein Teller steht jetzt vor Dir. Du hast dann zur Sicherheit gleich zwei Portionen inhaliert und ich eine Melone sinnlos im Rucksack bewegt.

„Fajita“ auf kubanisch, April 2023, Viñales, CU

Nächster Tag: Fahrt nach Trinidad. Also zumindest theoretisch. Ab halber Tanknadel klappern wir jede Tankstelle ab, um immer das gleiche zu hören: Gasolina? No! Die angebliche Touristenkarte nützt nix, weil es offenbar wirklich nichts gibt. Auch die Aussicht auf einen höheren Preis hilft absolut nichts. Irgendwo bekommen wir dann doch zumindest zwanzig Liter, die uns aber an der nächsten Tankstelle gar nichts mehr nutzen, denn hier kocht der Kühler über und wir fahren erstmal nirgendwo mehr hin. Ein freundlicher Nachbar der zufällig gerade ebenfalls ausgebremst ist guckt sich das Malheur genauer an und schafft es tatsächlich das Ganze notdürftig zu flicken. Wir beschließen ihn soweit richtig verstanden zu haben, daß wir damit zumindest weiterfahren können.

Somit schaffen wir bis auf eine der Hauptstraßen was mich hoffen lässt. Hier ist dann aber an der nächsten Tankstelle Benzinmäßig wirklich Schluß. Wir telefonieren mit der Reiseagentur in Havanna, die dann wieder mit der Mietwagenfirma, die dann wieder uns anruft und so weiter. Am frühen Abend steht dann tatsächlich ein neuer, vollgetankter Jeep neben uns und wir tauschen die Autos. Mitten in der Nacht kommen wir in Trinidad ein. Mit Ausnahme von Havanna wohnen wir überall in sogenannten „Casa Particulares“, also Privathäusern deren Bewohner Zimmer vermieten. Und in Trinidad erleben wir die Herzlichsten davon. Obwohl wir wirklich mitten in der Nacht ankommen, macht uns die Dame des Hauses noch etwas zu essen und rät das Auto besser nicht auf der Straße stehen zu lassen, wenn der Tank voll ist. Die Garage des Nachbarn bietet da Abhilfe.

So und jetzt auch mal ein dickes Kompliment an Euch beide: Einen halben Tag an einer Tankstelle ohne Aussicht, wann da, und vor allem was nun passiert habe ich mir schlimmer vorgestellt. Respekt! Das solle man auch mal sagen. Dafür streichen wir irgendein geplantes Vorhaben und fahren am nächsten Nachmittag an den Strand. Und zwar mit einem Taxi-Oldtimer. Wir sparen also Benzin. Und das hat überhaupt nichts mit dieser einen Bar am Strand zu tun.

So langsam neigt sich unser Trip dem Ende entgegen oder wir ihr sagt dem großen Finale: Dem Strandhotel in Varadero. Nur noch ein kleiner Umweg über Santa Clara, der „Hauptstadt“ der Revolution. Als ehemaliger, jugendlicher Salonkommunist geht es natürlich nicht ohne das Che Guevara Mausoleum. Aber auch das ertragt ihr noch ganz ordentlich was vielleicht wiederum daran liegt, daß wir hier mit einer Kutsche unterwegs sind und Leo hier die Zügel „selbst“ in der Hand hat und uns umherkurvt. Natürlich nicht ohne entsprechende Kommentare seine Schwester.

Kutscher Leo, April 2023, Santa Clara, CU

Und dann ist es endlich soweit. Der übergroße Touristenbunker liegt vor uns und wir beziehen unsere Zimmer. Fünf Tage Himmelreich oder zu ertragene Notwendigkeit. Je nach Zielgruppe. Am nächsten Morgen habt ihr Freunde passenden Alters gefunden. Die Jungs spielen Fußball, die Mädchen liegen am Pool und die Eltern sitzen nicht selten an der Bar.

So einfach geht glücklich – auch mit ordentlich viel Zielgruppen-Diversität.

Viva la revolución.