Das Osterwochenende dieses Jahr findet recht unspektakulär an einem niederrheinischen See statt. Das Wetter ist entgegen den Voraussagen schlicht großartig und wir bekommen Besuch von Deiner Freundin Helene nebst elterlichem Anhang. Die Rahmenbedingungen sind folglich ordentlich und auf dem Campingplatz erfahren wir, daß Sonntag der Osterhase um elf Uhr für alle Kinder vorstellig wird, um die üblichen Devotionalien rund um den See zu verstecken.
Durch die zahllosen Kinder hier hast Du über das Wochenende verteilt verstanden, daß dieses spezielle Nagetier offenkundig Geschenke versteckt welche dann von allen Kindern gesucht werden. Soweit die Theorie. In der Praxis werden wir Zeuge raffiniertester Raffgier verschiedener Altersstufen. Dein dringliches Nachfragen, was denn jener nun für ein Hase sei, bedarf einer religionsbefreiten Erklärung. Die läuft in etwa so ab: In jedem Jahr kommt zu einer bestimmten Zeit, nämlich Ostern, ein sagenumwobener großer, bunt verkleideter Hase anspaziert und versteckt für alle Kinder kleine Geschenke und Süßigkeiten. Nicht ungewitzt konterst Du mit der Frage “Woher weiß denn der Osterhase welche Geschenke für welche Kinder sind?” “Das muss der gar nicht wissen.” entgegne ich überzeugt, “denn alle Geschenke sind für alle Kinder. Jedes Kind muss ja selbst suchen und was Du findest ist eben Dein Geschenk.” Das leuchtet Dir offensichtlich ein und akzeptierst meine Aussage ohne weitere Zweifel anzumelden.
Am Sonntag setzen wir uns folglich gegen halb elf Richtung Seeufer in Bewegung und Du bist völlig begeistert von der Idee, daß alle Kinder die gleichen Geschenke bekommen. “Das ist eben ein besonders schlauer und gerechter Hase, der behandelt alle Kinder gleich.” füge ich hinzu und kann einfach nicht umhin das ganze gesamtgesellschaftlich zu erklären: “In einer ganz und gar gerechten Welt haben alle Menschen gleich viel und bekommen auch immer das gleiche – ganz egal was sie tun. Dann will auch niemand jemand anderem etwas wegnehmen.” Du begreifst sofort und fragst nach ob das dann genauso ist wie mit dem Sandkastenspielzeug. Da dürfen ja auch immer alle Kinder mit jedem Förmchen hantieren, ganz gleich wem es letztendlich gehört. “Ganz genauso ist das dann.” antworte ich politisch korrekt. “Und das heißt dann Ostern?” fragst Du zurück. “Nein, wenn das immer so ist heißt das Sozialismus.” entgegne ich provokant in Richtung Deiner Mutter. Zur allgemeine Erklärung sei erwähnt, daß im Vergleich zu Deiner Mutter jeder noch noch so wirtschaftsfreundlicher Neoliberaler als Karl Marx-Verschnitt durchgeht – so steinzeitkapitalistisch erlaube ich mir ihre Gesellschaftsvorstellung zu beschreiben. Aber dies nur am Rande.
Während dieses politischem Geplänkel erreichen wir das Seeufer und tatsächlich verteilt ein bunt verkleidetes Langohr kleine Schokoladenhasen. Was mich irritiert ist lediglich der Umstand, daß uns eine Vielzahl an Kindern – meist jenseits des Osterhasen-Glauben-Alters – mit prall gefüllten Tüten entgegenkommen und offensichtlich bei der Suche äußerst erfolgreich gewesen waren. Du trollst freudig dem Osterhasen entgegen und beginnst sofort das hohe Gras nach kleinen Geschenken zu durchforsten. Mein Glaube an die Gerechtigkeit dieser Welt hat an diesem Tag einen klitzekleinen Knacks bekommen, denn wir finden schlichtweg nichts. Absolut rein gar nichts. Das wiederum wird durch den uns entgegen kommenden – Tüten schleppende – Sozialinkompetentennachwuchs erklärlich. Nach einigen erfolglosen Suchminuten verlierst Du verständlicherweise das Interesse und setzt Dich lieber ins Gras um Deinen Schokoladenhasen zu verspeisen.
Die einzige Folgerung die Dir zu dem sinnentleertem Seeausflug einfällt ist genauso knapp wie logisch: “Hat der Osterhase uns vergessen?” fragst Du mich erstaunlich gefasst. Das verneine ich selbstverständlich mit brachialer Überzeugung und verweise auf die Wiese um unseren Campingbus herum, die Du ja noch nicht inspiziert hast. Auf dem Rückweg trödelst Du mit Deiner Mutter umher, so daß ich die vorbereiteten kleinen Päckchen genügend verstecken kann.
Das Märchengebilde ist gerettet und Du leitest lediglich mit der Frage ob doch nicht alle Kinder gleich sind, das Triumvirat Deiner Mutter zu meinem Oster-Sozialismus ein:
Mit dem ihr eigenen siegesgewohnten Grinsen erklärt sie Dir eine untergegangene Gesellschaftsordnung etwa so: “Selbstverständlich sind alle Kinder gleich, aber diejenigen, die an Gleichheit glauben finden eben keine Geschenke – denn die haben nämlich alle diejenige eingesammelt die den anderen diesen Unsinn erzählt haben.” Das wiederum versteht Du nun verständlicherweise wieder nicht und guckst fragend in meine Richtung.
“Was hat die Mama denn gesagt?” bekomme ich zu hören während ich innerlich beschließe Deine gesellschaftskritische Grunderziehung auf die nächsten Jahre zu verschieben. Bevor ich antworten kann poltert es schon aus der mütterlichen Ecke frei nach Orwell “Manche Kinder sind eben gleicher.” Dazu sehe ich ein Kind inmitten von vielen kleinen Päckchen sitzen.
Ich kapituliere und sehe auch diesen Sozialismus als gescheitert an – aber es war einen Versuch wert.