Den ersten Monat Deines neuen Lebensjahr haben wir zu nicht unbeträchtlichen Teilen auf Achse verbracht. Ein niedersächsischer Kunde Deiner Mutter hat Sehnsucht nach ihr und die Herrschaften der Toten Hosen sowie der Ärzte geben sich auf dem Flugfeld des ehemaligen Berliner Flughafen Tempelhof die Ehre vor knapp 60.000 Leuten zu spielen. Da müssen Deine Eltern natürlich hin. Ach ja: Urlaub wollen wir auch noch machen.
Also rollt der Familienkleinbetrieb zunächst ans Steinhuder Meer und Deine Mutter geht von hier aus täglich zur Arbeit während wir beide die hiesige Strandlage testen. Nebenbei bemerkt: Wer einen Siebziger Jahre Flashback braucht und die zeitlupengesteuertsten Kellnerinnen der westlichen Hemisphäre erleben möchte, dem sei das schmucke Städtchen Mardorf wärmstens empfohlen. Aber dafür gibt es eine Fischbude deren Räucherware Deine volle Zufriedenheit erreicht und in uns somit treuen Kunden gefunden hat. Zum Auftakt überreichen wir Dir Dein neues Fortbewegungsmittel in Form eines kleinen Laufrades. Das erscheint Dir allerdings äußerst suspekt und die ersten Bewegungsversuche konkurrieren in Punkto Geschwindigkeit mit denen der gerade angesprochenen Servierfachkräfte – nur brauchen die dafür noch nicht mal ein solches Rad. Glücklicherweise haben unsere Nachbarn einen Sohn ungefähr gleichen Baujahrs der die dreirädrige Modellversion sein eigen nennt, aber an Deiner Zweiradvariante größtes Interesse bekundet. Irgendwie handelt ihr beide einen Tausch aus und zwei Kinder sind glücklich. Diese Austauschverhandlungen wiederholen sich etwa im Stundentakt aber so wichtige Entscheidungen erfordern ja auch ein gesichertes Fundament.
Jedenfalls rollst Du von nun an mit Leidenschaft mit zwei oder drei Rädern über den Campingplatz. Das eigentliche Projekt dieses Sommers verschiebe ich Kraft autoritärer Willkür auf den anstehenden Strandurlaub, da ich glaube das die Windelentwöhnung zwingend an eine materne Permanenz gekoppelt sein sollte und ich durchaus gewillt bin die ein oder andere Erziehungskompetenz abzugeben.
Der Wochenendausflug nach Berlin führt zu großer Begeisterung auf allen Seiten, da Du natürlich von Mimi betreut wirst während Deine Mutter und ich mehr als erstaunt sind wieviele Eltern ihren Nachwuchs mit auf ein Punkrockkonzert schleppen – größtenteils mit Ohrenschützern aber immerhin.
Am Sonntag zur Zeit Deines Mittagsschlaf starten wir in Richtung Südfrankreich und müssen leider feststellen, das wir wohl nicht die einzigen sind die an diesem Tag unterwegs sind – jedenfalls befinden wir uns immer noch auf dem Berliner Autobahnring als Du erwachst. Mit allerlei Tricks und munterem Gesinge gelingt es uns zumindest Braunschweig zu erreichen bevor Du Dich endgültig weigerst in Deinem Autositz zu verweilen. Den ortsansässigen Zoo wählen wir kurzerhand als nachmittäglichen Verweilort aus und stellen mit Begeisterung fest wie Du auf Tiere reagierst die fünf bis zehnmal so groß sind wie Du. Solange Du sie streicheln kannst ist alles gut und so ein Kamel macht sich als Haustier gewiss ganz gut. Jedenfalls höre ich den ganzen Tag, daß eben dieses Kamel mit ins “Wohnauto” (so bezeichnest Du unseren Campingbus) muß, was mich wiederum zu der Annahme bringt, daß ein Kinderleben ohne Kamel irgendwie einen Irrtum darstellt. Ich überlege wie die Bekanntschaft mit einer Kamelhandeltreibenden Beduinenfamilie zu erreichen ist, verwerfe den Gedanke aber recht zügig, da Kamele weder durch Nadelöhre gehen noch in drittgeschossigen Etagenwohnungen Einzug halten können. Mir scheint Deine Zukunft im Wüstenschiffbereich eher unvorhersehbar, verspreche Dir aber in absehbarer Zukunft einen Ausritt auf Deinem neuen Lieblingshaustier zu ermöglichen. Vielleicht fliegen wir mal nach Marokko empfehle Deiner Mutter. “Selbstverständlich” entgegnend sie mir “und wenn sie das nächste Mal den Mond sieht, ziehen wir nach Baikonur.” Das klingt ebenso herzlos wie logisch und ich gebe mich damit zufrieden. Unterdessen hast Du auf dem Spielplatz die Riesenrutsche entdeckt und wen interessieren da noch die Kamele von vorhin.
Nach Deinem Abendbrot machen wir uns wieder auf den Weg und erreichen am folgenden Nachmittag Saint-Pierre-la-Mer unweit von Narbonne. Hier verbringen wir die nächsten zwölf Tage und beabsichtigen Dich von der Unnötigkeit der Pampers-Produkte zu überzeugen. Deine Mutter hat für selbiges Unterfangen selbstverständlich entsprechend vorgesorgt und eine recht interessante Konstruktion erworben. Mittels einer kleinen Leiter kannst Du selbstständig die Toilette unseres Campingbus erreichen und dort oben befindet sich eine kindergerechte Verkleinerung der Sitzfläche.
Diese neue Errungenschaft findet gehörigen Anklang bei Dir und die nächsten Tage verbringen wir nicht selten vor eben dieser Konstruktion. Ganz gleich ob Du vorher gespielt hast, in Deinem Planschbecken umhergerudert bist oder auch in Deinem Bett liegst. Es vergehen wenige Minuten und unser neuer Liebligssatz erschallt: “Baby muß Pipi!”! Unsere anfängliche Begeisterung ob Deiner raschen Auffassungsgabe weicht recht schnell der ernüchternden Feststellung, daß es weit weniger um die Toilettenaktion als solche geht, sondern Du vielmehr offenkundig einen ordentlichen Unterhaltungswert darin erkennst, Deine Eltern dazu zu bewegen nach dem ausgesprochenen Schlüsselsatz augenblicklich alles stehen und liegen zu lassen um Dich ins Badezimmer zu verfrachten und vor besagte Konstruktion zu positionieren.
Artig erkletterst Du Deinen Toilettenthron und grinst fröhlich frech in die versammelte Familienrunde. Und dann passiert meistens etwas überaus Aufregendes: Nämlich rein gar nichts. Deine Beinchen schaukeln munter umher und Du siehst überaus glücklich aus. Nur die eigentliche Sinnhaftigkeit des ganzen Unterfangens will sich nicht einstellen. Dieses heitere Familienspiel wiederholt sich mehrfach täglich. Irgendetwas läuft hier verkehrt. Deine Mutter und ich schauen uns von nun an des öfteren fragend an, kommen aber nicht wirklich zu einer befriedigenden Antwort. Also entscheiden wir uns für das Prinzip Durchhalten. Und das funktioniert ganz passabel.
Mit jedem Tag verstehst Du ein wenig mehr wozu die kleine Kletterpartie nötig ist und begeisterst Deine Eltern immer wieder aufs neue. Ganz in Deine neue Kompetenz vertrauend beschließt Deine Mutter irgendwann auf eine Windel vollends zu verzichten und beschließt Dich sozusagen unten ohne in den Tag zu schicken. Eine detailreiche Schilderungen der folgende Ergebnisse erspare ich uns allen an dieser Stelle, nur soviel: So ein Gartenschlauch tut schon gute Dienste und der Weg vor unserem Campingbus ist wieder sauber.
Am folgenden Tag entdeckst Du das Abwasserventil an unsrem Campingbus und stellst im Brustton kindlicher Überzeugung fest: “Auto macht Pipi.” Ich weiß eigentlich nicht warum, aber von nun an gestaltetet sich Deine Windelentwöhnungsphase irgendwie entspannter und alles wird gut.
Ach so, die Idee ab jetzt weniger Windeln zu benötigen hat hervorragend funktioniert. Wir brauchen jetzt etwa doppelt so viele, aber das läßt sich bestimmt irgendwie saisonbereinigt heraus rechnen. Und bevor Fragen aufkommen: Nein, ich ziehe Dir nach einem Fehlalarm nicht die gleiche Windel nochmal an.
Wo wir gerade dabei sind: Muß Baby Pipi?