Deine Mutter und ich warten nun schon seit Wochen, daß Du Deine ersten eigene Schritte ganz alleine erledigst, aber damit möchtest Du Dir Zeit lassen. Zumindest scheinst Du Dir einen würdevollen Ort aussuchen zu wollen. Und siehe da er scheint gefunden: die Kathedrale von Etschmiadsin; so ziemlich das Heiligste was die Armenische Kirche zu bieten hat.
Während Dein Vater tugendhaft und mit ordentlichem Vorpalaver unseres armenischen Organisationsmultis Sargis die Lanze photographieren darf, die – sagen wir mal vorsichtig der Legende nach – Jesus von Nazareth auf dem Berg Golgatha zur absoluten römischen Todesgewissheit in den Leib gerammt worden sein soll, gehst Du seelenruhig am langen Arm des hiesigen Episkopaten durch besagte Kathedrale spazieren. Deine Mutter meint später, er hätte Dich zwar eigentlich nicht genug bestaunt und gewürdigt, läßt aber meinen Einwand zu, das eben dies sicherlich mit Amt und Würde unvereinbar sei. Jedenfalls magst Du irgendwann nicht mehr vom Arm des schwarz gekleideten herumgeführt werden und beschließt von jetzt auf gleich die stützende Hand zu verlassen und stolperst wohl ordentlich wacklig aber selbstbestimmt und fremdhilfelos durch das Gotteshaus. Das verzückte Gesicht Deiner Mutter hätte ich zu gerne gesehen und zwar zeitgleich mit eben diesen Deiner ersten Schritte. Beides passiert aber leider ohne mich, da – wie bereits erwähnt – ein hochheiliges Geschmeide meine Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Absolut unpassend wie ich finde, aber nicht zu ändern. Unnötig zu erwähnen, das die mannigfaltigen Wiederholungsversuche dieses Elternglücksehligkeitsprozedere mit dem üblichen “Kind plumpst auf Popo” enden und somit lediglich ein paar zufällige Kirchgänger Zeugnis darüber ablegen können das Du den aufrechten Gang geübt hast. In den nächsten Tagen passiert rein gar nichts in dieser Hinsicht und Du nimmst Dir fast eine Woche Zeit um einen zweiten Anlauf im Geradeauslauf zu unternehmen. Und hier suchst Du Dir einen ähnlich passenden Ort aus:
Ein Land das es eigentlich gar nicht gibt – oder korrekt gesagt den Bahnhof von Gagra, einem ehemaligen Seebad aus Zarenzeiten, das allerdings nebst seinem Bahnhof ordentlich in die Jahre gekommen ist. Dieses Land, das es eigentlich nicht gibt ziert sich mit dem hübschen Namen Abchasien und liegt an der nordwestlichen Grenze von Georgien und Russland. Die kaukasischen Kleinkriege in einem Satz zu erklären ist Unsinn an sich und damit an dieser Stelle zu vernachlässigen. Nur soviel: das völkerrechtlich überschaubare Volk der Abchasen mochte sich in den 90er Jahren endgültig für unabhängig erklären, was wiederum der georgischen Zentralregierung, zu dessen Staatsgebiet sie bis dato gehörten, aufs äußerste missfiel und es somit – wie leider oft im Kaukasus – zu einem Krieg kam. Das vorzeitige Ende dieser Selbstbestimmung ist ein ausgerufener Staat den fast kein Land der Erde anerkennt, und somit faktisch nicht existiert. Dieser nicht existierende Staat hat Dir ein Visum ausgestellt und wir sind seit knapp einer Woche hier. Und das ist spannend an sich.
Möchte man Abchasien besuchen, wählt man von Mitteleuropa kommend wohl meist das Flugzeug und da fängt das Problem bereits an: Es gibt derzeit keine internationalen Flughafen im Land und so fliegen wir eben vom armenischen Yerevan nach Sotchi an die russische Schwarzmeerküste und haben uns von dort ein Auto nebst Fahrer in Richtung abchasische Grenze organisiert die nur etwa 40 km entfernt liegt. Von dort müssen wir dann noch etwa 30 km weiter immer am Meer entlang bis nach Gagra. Soweit so gut. Da selbst der größte Wolga einen zu kleinen Kofferraum für unser Bagageaufkommen hat, steht ein Minivan nebst wortkargem Fahrer bereit um unsere kleine Familie weiter zu befördern. Der Arbeitgeber des sprachverhinderten Chauffeur gelobt mehrfach, wir könnten die Grenze einfach durchfahren und müssten nicht mit dem Gepäck und Dir auf dem Arm an irgendwelchen Schalterhäuschen vorstellig werden. Selbstverständlich eine glatte Lüge und so tragen wir Dich und unser ganzes Geraffel irgendwann gegen Mitternacht durch eine Grenzstation die Ihren Namen wirklich verdient. Reisende im postsowjetischen Raum wissen wovon ich spreche.
Nachdem alles zigmal durchleuchtet, begutachtet und beäugt wurde wirst Du pünktlich bei Ankunft an der wichtigsten Stelle wach: Dem Mann mit großer Mütze und dem Stempel aller Stempel. Der russische Pass Deiner Mutter ist schnell abgearbeitet, an Deinem Kinderreisepass gibt es offenkundig auch nichts zu mäkeln, dann aber komme ich ins Spiel. Ich gebe zu mein Pass sieht gepflegt benutzt aus und wartet zu allem Überfluss neben allerlei Visa und Stempel der vergangenen Jahre, mit ebensolchen der Republik Nagorny-Karabach auf. Auch ein Land, was es nicht gibt. Derer gibt es im Kaukasus die ein oder anderen und das irritiert dem Stempelmann gehörig. Der herbeigerufene Kollege weiß auch keinen Rat und gibt die Frage an Deine Mutter zurück. Die erklärt völlig solvent mit Hinweis auf die armenisch-aserbaidschanische Historie der letzten zwanzig Jahre die Notwendigkeit dieses Visums und legt ohne Luft zu holen unmittelbar das schlagende Argument nach, daß wir schließlich bereits schon einmal nach Ausstellung dieses Visa nach Russland eingereist seien und hier überhaupt kein Problem vorliegen könne. Die Offiziellen hinter der Glasscheibe sind sichtlich überfordert, was wiederum Deiner Mutter gefällt und Sie zu Hochform auflaufen läßt. Es sei schon ganz schön eng hier und das Kind werde langsam unruhig. Das nun unruhig zu werdende Kind hat bis dato interessiert zuschauend adrett auf dem mütterlichen Arm verbracht. Dies nur als Randnotiz.
Du wirst augenblicklich auf den Schalter gestellt, was Dich selbstverständlich animiert den selbigen als eine Art Tanzfläche unter den schützend-stützenden Armen Deiner Mutter zu verstehen. Was für ein hübsches Kind, wie munter und aufgeweckt entgegen die früheren Herrscher über den Schalterbereich. Um die bemängelte Enge aufzulockern werde ich befugt den Grenzkasten zu verlassen und schon mal das Gepäck ins Auto zu laden.
Nachdem wir alle wieder im Auto sitzen gibt Deine Mutter den Rat des bemühten Beamten an mich weiter: Ich solle mir doch besser einen neuen Pass besorgen, mit den ganzen Visa könnte es ja durchaus Probleme geben. Woher der Mann das nun wieder weiß ist mir allerdings schier ein Rätsel.
Willkommen in Abchasien.