Der 12. Monat – Alles koscher im Kindergarten

Unser alltägliches Leben hat uns wieder. Wenn auch etwas widerwillig, aber leider ist ein permanentes Herumvagabundieren zwar großartig für Kopf und Seele, finanziell doch eher untragbar. Heißt: Deine Mutter und ich arbeiten wieder. Und allmählich, zumindest streckenweise auch gleichzeitig, was das ganze nicht gerade einfacher macht. Es bedarf also einer Betreuung für Dich.

Irgendwann klingelt aus heiterem Himmel das Telefon und eine pädagogische Stimme eröffnet uns, das der gewünschte Kindergartenplatz ab August verfügbar ist. Ich bin irritiert, weiß ich Dich doch fix und fertig angemeldet in einem privaten Vorkinderkarten wie das so hübsch heißt und zwar ab Dezember diesen Jahres. Deine Mutter hat mich mal vor einer mittleren Ewigkeit gefragt welche Stadtbezirke für Deine professionelle Krabbelgruppe in Betracht kommen und ich habe bei einigen ja gesagt. Sagt jedenfalls Deine Mutter und in diesen Dingen hat sie meistens – eigentlich fast immer – recht. “Wozu brauchen wir jetzt noch einen neuen Kindergarten wenn wie bereits einen fest vereinbart haben” frage ich sie. “Wir können uns den Städtischen ja mal ansehen.” meint allen Ernstes Deine Mutter. Dieses Unterfangen setze ich mit absoluter Zeitverschwendung gleich, da mir staatliche oder städtische Einrichtungen dieser Art per se wenig kompetent erscheinen und mich mein Nachfragen wo denn diese Kinderverwarstelle beheimatet ist ebenfalls in dieser Meinung nur noch bestätigt.

“Wo ist denn Unterrath?” schallt es mir entgegen und eine ganze Wand von Vorurteilen türmt sich vor mir auf. Auf dem Weg zum Flughafen, neben einem Industriegebiet und so eine Art Hochburg nicht allzu bildungsinteressierter Schichten um das ganze mal höflich auszudrücken. Mein Gesamtgebilde persönlicher Abneigung macht Deine Mutter in Ihrer gekonnt eloquenten Art mit nur einem Satz zunichte: Ist nicht Andy nach Unterrath gezogen. Autsch. Eindeutiger Tiefschlag. Stimmt leider. Mein ältester Kumpel wohnt tatsächlich in Unterrath. Jetzt heißt es vorsichtig argumentieren. Ja das stimmt wohl, aber das Haus hat ihm so gut gefallen, der Garten ist groß und die alte Wohnung war ja eh zu klein. Alles Quatsch. Ich gebe zu, mein Unterrathbild ist ungefähr 30 Jahre alt und könnte eventuell möglicherweise durchaus minimal überholt sein. Anschauen können wir uns die Bude ja mal entgegne ich und klopfe mir virtuell selbst auf die Schulter vor lauter Begeisterung über meine neu gewonnene Flexibilität.

Einige Tage später ist es soweit und wir kurven zu dritt durch Unterrath auf der Suche nach dem Cloppenburger Weg. Mitten in einem Wohngebiet parken wir vor einem nicht gerade kleinen Gebäude mit dazugehörigem Spielplatz. Ich gebe zu von außen ganz akzeptabel und innen nicht minder professionell gehandhabt. Überraschend werden wir von einer Dame ohne Doppelnamen begrüßt und es riecht gar nicht nach Bonerwachs und Mate-Tee. Als uns die blonde löwenbemähnte Endvierzigerin stilecht mit Edelmineralwasser bewirtet bin selbst ich erstmals bereit das ein oder andere Vorurteil über Bord zu werfen und höre mir artig an wie so eine Düsseldorfer Familiengruppe funktioniert.

Deine Mutter und ich überspielen unsere völlige Unkenntnis über den hier gebotenen pädagogischen Grundansatz mit gebotener Begeisterung für die Einrichtung der Löwenmähnenfrau. Supermami und Oberpapi haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht und sitzen recht unwissend auf ihren Stühlen umher. Die Verbaleinführung dauert glücklicherweise nicht allzu lange und Du darfst Dir nebst Deinen unwissenden Eltern das ganze Haus ansehen. Kurz vor Halbzeit unserer Besichtigungstour will ich nur noch eins: Irgendein Formular unterschreiben um Dich hier anzumelden.

Habe ich jemals irgendwelche Einwände gegen städtische Einrichtungen gehabt, frage ich Deine Mutter und sie schweigt mit ihrem gewinnenden Siegerlächeln in dem eindeutig “Wer hat’s gefunden” eingraviert ist, zurück.

Zurück im Löwenmähnenfraubüro erwähne ich gekonnt beiläufig, daß Du allerdings nicht zum standardisierten Krabbelgruppenbeginn Ende August erscheinst sondern erst am 1. Dezember. Stille, Irritation und Kopfschütteln meines Gegenübers sind die Folge.

Also doch – ich wußte es, da ist der Haken: Soviel Flexibilität ist zuviel. Wir erklären das wie und warum des gesonderten Termins und schauen zusätzlich noch recht betroffen bei gleichzeitiger Nichtabnahme des begeisterten Grundgesichtsausdrucks für die hiesige Krabbelgruppe. Planmäßig beginnst Du unaufhörlich zu grinsen um der Umwelt Dein Wohlbefinden kundzutun. Deine Mutter erklärt die Umstände unserer zu erwarteten zeitlichen Sonderbehandlung und erwähnt sogar den süddeutschen Flugzeugklapptischproduzenten namentlich um der ganzen Sache gehöriges Gewicht zu verleihen. “Das bringe den ganzen Ablauf durcheinander und bedürfe auf jedem Fall einer detaillierten Besprechung mit den partizipierenden Pädagogen und vor allem einer gesonderten Bewilligung Ihrer Chefin.” Wir reden also mit einer weisungsgebundenen Fachkraft, was die Sache nicht vereinfacht.

Ich gebe meine zustimmende Begeisterung für den Umstand, daß Du beim Besuch dieses sozialen Interaktionsgefüges nicht im zarten Alter von drei Jahren das selbigen wieder verlassen musst, wie es in vielen privaten Einrichtungen der Fall ist und treffe damit voll ins Schwarze. Das sei ja genau Ihr Betreuungsansatz und viele Eltern sei dieser wichtige Aspekt gar nicht bewußt. Für einige Augenblicke schweifen wir in erzieherische Feinheiten ab – werden aber von Deiner Mutter wieder auf den Ausgangspunkt unserer Problematik zurückgeholt. Die Löwenmähnenfrau gelobt nach den Ferien Ende August alle Fragen mit den betreffenden Stellen geklärt zu haben und uns dann von Ihrer Entscheidung in Kenntnis zu setzen.

Der Satz ist noch nicht ganz verklungen da verkündet Deine Mutter, daß das nun wiederum überhaupt nicht möglich sei, da wir ja bereits anderswo einen Betreuungsvertrag unterschrieben hätten und das eine Klärung vor den Krabbelgruppenferien doch möglich sein müßte. Die beginnen zwar in zwei Tagen, aber soviel Aufwand sei das ja gar nicht und dann wüssten schließlich alle woran sie seien. Ich rechne mit einen sofortigen Rauswurf, blicke aber freundlich bestimmt in die Runde. Wir müßten sie jetzt mal kurz entschuldigen entgegnet die Löwenmähnenfrau und entschwindet zu Beratungen mit den drei betreuenden Damen Deiner anvisierten Gruppe. Die sind nämlich im Gegensatz zur Oberverantwortlichen vollzählig im Hause anwesend und haben Dich bereits beim vorherigen Rundgang kennenlernen und bewundern dürfen.

Deine Mutter und ich sind uns einig, daß dies hier die richtige Einrichtung für Dich ist und der Formalienzirkus ein zu überstehender sein muß.

Die Beratungen dauern nicht allzu lange an und wir bekommen von der Betreuungstroika grünes Licht. Mit Ihrer Chefin versuche sie das noch vor den Ferien zu klären und melde sich dann telefonisch bei uns. Das klingt gut und mehr scheint mir im Moment nicht erreichbar zu sein. Auf dem Weg nach draußen wolle sie uns aber noch die Küche zeigen und erwähnt in einem Halbsatz, daß in dieser Einrichtung auf Schweinefleisch verzichtet wird. Prima, schießt es mir durch den Kopf, dann jetzt auch das volle Programm: Ich setzte meinen erleichtertsten Gesichtsausdruck gepaart mit würdevoller Dankbarkeit auf, entgegne das dieser Umstand natürlich den ganzen Ablauf um ein Vielfaches vereinfache und kann nicht umhin meiner Freude Ausdruck zu verleihen, daß hier jüdische und nicht-jüdische Kinder dann ja alle das gleiche essen können, was für ein säkulares Miteinander doch so wichtig sei. Die Löwenmähnenfrau schaut ordentlich betroffen-deutsch.

Ob denn bei einem jüdischen Kind noch etwas zu beachten sei, bekomme ich als Rückfrage gestellt. “Nein, eigentlich nicht”, antworte ich, außer das ich davon ausgehe, daß es sich hier um eine religionsfreie Einrichtung handelt. Selbstverständlich, sie seien ja schließlich städtisch.

Am folgenden Morgen kurz vor neun klingelt das Telefon und alle zeitlichen Schwierigkeiten sind obsolet. Ab 1. Dezember gehst Du in einen städtischen Kindergarten und ich revidiere hiermit ein für allemal meine Meinung über Unterrath.

Hatte ich eigentlich erwähnt, daß es immer nur um eine halbtägliche Betreuung ging. Vor dem Mittagessen holt Dich einer Deiner Großeltern ab. Ich finde zu solltest zuhause essen – ob nun koscher oder nicht.