Dein neunter Lebensmonat steht unter dem Zeichen unserer beginnenden gemeinsamen Elternzeit, also von zwei Monaten die wir zu dritt durch den Westen Europas vagabundieren werden. Die Frage ob wir die beiden gemeinsamen Elternzeit-Monate zuhause oder flink unterwegs verbringen werden stellte sich wenig überraschend nicht wirklich, wohl aber die Frage wohin die Reise geht. Mehrere Faktoren sind abzuwiegen.
Gedanklich kongruent lagen Deine Mutter und ich in der ersten Idee die allerdings an der böswilligen, verachtenswerten politischen Weltlage des Frühjahr 2012 scheitert. In religiösen Dingen ohnehin uneins kommen wir aber dahingehend überein das die Wiege Deiner Vor-Vorväter eine zu besuchende ist, heißt so viel wie Israel wäre ein lohnendes Ziel. Eine wohlklingende Reiseroute ist auszuwählen. Per Flugzeug gen Tel Aviv wäre zu einfach und sprengt ferner durch die zwangsläufige Notwendigkeit einer mehrmonatigen Automiete unser ohnehin nicht vorhandenes Budget. Der Landweg über den Balkan und Istanbul klingt verlockend, scheitert aber an der Unmöglichkeit die Jordanisch-Israelische Grenze zu erreichen. Der hagerer Despot von Damaskus verhindert ein solches Vorhaben, denn es herrscht Bürgerkrieg in Syrien. Einzig eine Fährverbindung ins ägyptische Alexandria bietet eine Alternative unseren Campingbus dann später über die geöffnete ägyptisch-israelische Grenze in den Mittelpunkt der monotheistischen Weltsicht zu bringen. Doch auch diese Variante bleibt verwehrt, da die Fährverbindung über einen syrischen Hafen führt und eben in diesen Tagen unterbrochen ist.
Zu zivilisationsferne Reiseziele in Richtung Osten blockt Deine Mutter vollständig ab und wird nicht müde meine väterliche Verantwortung konsequent einzufordern. Sie hat Recht muss ich – wenn auch etwas unzufrieden – zugeben. Eine medizinische Grundversorgung und die Möglichkeit einer freien Routenwahl stehen ab jetzt im Vordergrund. Prima, denke ich und ergreife den Weltatlas. Um zwei Monate permanenter Mobilität halbwegs finanziell geregelt zu bekommen entscheiden wir uns also final für eine Tour mit unserem Campingbus. Mehr als einmal blicken wir auf eine Europakarte und irgendwann ist daraus dann die iberische Küstenfahrt mit französischem Ausklang geworden. Warum eigentlich nicht. Klingt nicht so irrwitzig aufregend aber dafür wirst Du schon sorgen und die Sache ist beschlossen.
Der Bus geht in die Inspektion, wir kaufen so wichtige Dinge wie eine Wäscheleine die sich mittels Magnetfüsschen an jede Position des Autos anbringen läßt und freuen uns ansonsten einfach munter auf die kommenden Wochen mit Dir.
In der Zwischenzeit habe ich fast verdrängt, daß eine Prophezeiung Deiner Großmutter endlich Wirklichkeit geworden ist. Bereits wenige Monate nach Deiner Geburt leitet meine Mutter aus Deinen eher unverständlichen Lauten das frühzeitige Durchdringen erster Zähne ab. Du hast Dich allerdings mehrmonatig geweigert diesbezügliche Orakel Wirklichkeit werden zu lassen was mich wiederum in der Annahme bestätigt, Vater einer selbstbewussten, weil selbst bestimmenden Tochter zu sein. Wie oft ich die – in felsenfester Überzeugung vorgetragene – Hypothese “Sie bekommt früh Zähne” gehört habe weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr so genau, aber in diesem Monat war es endlich soweit und Du hast Dich an die Vorhersagen Deiner Großmutter gehalten. Der erste Zahn blickt vorsichtig aus dem Zahnfleisch hervor. Gott sei Dank, Masel tov! Wir haben die schlaflosen Nächte überstanden die diesem brachialen Entwicklungsschritt vorausgingen und können uns endlich wieder Deiner weiteren Entwicklung zuwenden.
Festgestellt hat Deine Mutter diesen Umstand übrigens lapidar nebenbei während sie sich der weit wichtigeren Frage zugewendet hat ob zum gewählten Outfit ein bunt gemustertes Mützchen oder die monochrom gestreifte Matrosenkappe aufzusetzen ist. Glücklicherweise pflegst Du während gravierender Gewissensentscheidungen glücklich grinsend umher zu gucken, so das ein Blick auf die sich bildende Zahnreihe unumgänglich ist.
Somit weißt uns ein kleiner weißer Punkt den Weg in einen weiteren Lebensabschnitt. Und den beginnst Du ab sofort im sitzen, denn diese neue Körperhaltung hast Du ganz nebenbei auch noch für Dich entdeckt.
Und das hat niemand vorhergesehen! Wozu auch.