Leo ist im Juni zu zwei Geburtstagen eingeladen. Das ist an sich nichts ungewöhnliches, allerdings herrscht bisher strickte Geschlechtertrennung. Jungs werden zu Jungsgeburtstagen, Mädchen zu Mädchengeburtstagen eingeladen. Damit ist jetzt Schluss. Zwei junge Damen aus deiner Klasse bitten zu Feierlichkeiten. Einmal zum Reiterhof, einmal zur Gartenparty mit Pool. Wenn schon, dann eben auch richtig Mädchen. Die sprachliche Einordnung stammt übrigens von Leo, nicht von mir. Das möchte ich nur kurz klarstellen.
Meine Frage ob denn auch andere Jungs eingeladen sind verneinst Du verbunden mit dem lapidaren Kommentar, daß die beiden ja eben in dich verliebt seien und nicht in deine Kumpels. Ach so, das erklärt selbstredend natürlich alles. Das Ganze erlaube ich mir nicht so ganz ernst zu nehmen und vermute dahinter eher deine aufkommenden Starallüren die du derzeit an den Tag zu legen beginnst, sobald Du mitbekommst das mehrere Menschen um dich herum irgendetwas toll an dir finden. Das bewegt sich noch auf zaghaftem Niveau, daß ich dir das durchgehen lasse, zumal du das in der Schule damit kompensierst, leistungsschwächeren Mitschülern immer wieder zu helfen, was mir von Lehrerseite bestätigt wird und ich dies schlicht großartig finde.
Aber da steckt doch tatsächlich mehr dahinter. Eines Tages steigst Du aus dem Schulbus und überreichst mir die aktuelle Fanpost in Form von zwei hingebungsvoll gestalteten Liebesbriefen. Jawohl richtig verstanden: Liebesbriefe. Das habe ich zwar eher aus Richtung deiner Schwester erwartet, vom Gymnasium kommt aber derartiges nicht, oder zumindest nicht bis zu mir durch. Ich bitte um Aufklärung und die lieferst Du auch prompt hintendran. Das gehe schon eine ganze Weile so, das wisse die halbe Schule denn da gebe es nämlich noch eine dritte Verehrerin die aber keine Briefe schreibt sondern lieber das schmachtende Begehr der Konkurrenz über den Pausenhof publik macht. Zickenkrieg in der dritten Klasse. Wahrscheinlich ganz großes Kino.

Ich frage wie Du damit umzugehen gedenkst und auch hier läßt die Antwort nicht lange auf sich warten: „Gar nicht, Papa!“ erwiderst Du. „Zu den Geburtstagen gehe ich natürlich, aber mehr bekommen die nicht. Da habe ich doch gar keine Zeit für. Ich will ja Fußballer werden, darauf muss ich mich konzentrieren.“ Das nenne ich mal einen ordentlich pragmatischen Lebensentwurf eines Achtjährigen. Respekt.
Sarah Sophie befragst Du was man denn Mädchen so schenken kann und sie nimmt die Rolle als Geschenkefachberaterin vollumfänglich an. Am kommenden Tag stiefelst zu mit einer ganzen Liste abzuklärender Aspekte in die Schule um so wichtige Fragen wie beispielsweise vorhandene Ohrlöcher, Lieblingsfarben, Musik und vieles mehr abzuklären. Die begehrende Zielgruppe ist – laut deiner Aussage – verzückt ob deines nachforschenden Interesses nach Ihren Vorlieben. Und als nun gestandener Nachwuchscasanova haust Du gleich noch einen raus: „Papa, ich habe beiden gesagt, daß ich ihnen nicht irgendwas von Ihrer Amazon-Wunschliste kaufen möchte. Lieber was ganz persönliches.“ Nicht schlecht, dafür das Du ja „nur“ zu den Geburtstagen gehen möchtest.
Gestützt durch besagte Liste, von der schwesterlichen Geschenkefachberaterin professionell analysiert kaufen wir diverse Ohrringe, Armbänder und Sonstiges zum an- und umhängen. Die Begehrenden sind hochbeglückt, Du kommst aber von beiden Geburtstagen überschaubar gestimmt zurück.
„Papa, daß ist so anstrengend den halben Tag so zu tun, als ob man an den ganzen „Mädchensachen“ auch noch Spaß hat. Nächste Woche feiert Lionel, da gibt es Fußball. Endlich wieder normaler Geburtstag.“
Währenddessen platzt Eure Mutter ins Geschehen und verließt das mütterliche WhatsApp-Feeback der begehrenden Fraktion. „Wie charmant Du doch bist, wie höflich und galant.“ Mich besteigen Zweifel ob wirklich Du auf den Geburtstagen warst. Das bestätigst du aber mit schelmischem Grinsen „Ich bin gut, oder Papa.“ „Nein, Du bist verdammt gut.“ Chapeau, mein Sohn!
Zu der ganzen Geschichte paßt übrigens mein Besuch in der Schule ein paar Tage später. Ich bin viel zu früh und mitten in die Große Pause geplatzt. Du hast natürlich Fußball gespielt und am Rand stehen zwei junge Damen die jedes geschossene Tor beseelt bejubeln. Und ihr kleiner Star läuft wahrscheinlich auch nur rein zufällig immer in ihre Richtung um seinen Torjubel zum Besten zu geben. Ich glaube wir haben Post von den beiden zuhause liegen. Da das Briefgeheimnis selbstverständlich zu ehren ist, bleibt der Inhalt natürlich unveröffentlicht. Aber einen Satz muss ich einfach loswerden. Ich bitte die Verfasserin auch vorab um Verzeihung.
„Ich bin in dich verliebt, weil du bist so schön und klug.“
Das ist einfach zu bezaubernd um es irgendwann zu vergessen.