Das wir nicht auf alle Ewigkeit in Deutschland bleiben steht schon lange fest. Das gehört zu den wirklich wenigen Dingen in denen Eure Mutter und ich ausnahmsweise einer Meinung sind. Da waren über die Jahre immer wieder unterschiedliche Orte auf der Wünsch-Dir-Was-Liste. Das ging von Südfrankreich über das italienische Festland bis nach Tel Aviv. In letzter Zeit sieht es allerdings massiv nach einer Insel aus und genau dort überlegen wir nun ein Haus zu kaufen. Warum genau jetzt wissen wir eigentlich auch nicht so ganz genau, aber es soll jetzt eben einfach sein. Seitens Eurer Mutter mag das auch damit zusammenhängen, das ihre beste Freundin aus Berlin gerade eine Wohnung unweit von Palermo gekauft hat. Das ist aber natürlich lediglich eine hypothetische Annahme einer möglichen Vermutung.
Sizilien sollte uns zwar schon deswegen suspekt sein, weil wir das beide gut finden. Das könnte gefährlich werden. Damit das nicht zu glatt über die Bühne geht sind wir uns zwar über die Insel einig, keineswegs aber über den genauen Ort. Irgendwo unmittelbar in oder um Palermo ist klar, aber mehr auch nicht. Eure Mutter möchte am liebsten eine Wohnung mitten in der Stadt über dem lautesten Markt überhaupt. Das mag kurzfristig durchaus charmant und unterhaltsam sein, ob ich da aber alt werden möchte bezweifle ich doch stark. Meine Idee ist eher etwas in direkte Nähe zur sizilianischen Hauptstadt, idealerweise an einem Hafen, denn irgendwann muss da natürlich auch ein Boot hin. Denn wie wir wissen ist ein Leben ohne Boot möglich, aber sinnlos. Das habe ich in den vergangenen Jahren über mich selbst gelernt und werkle fleißig an entsprechender Überzeugung Eurer Mutter.
Und die fahre ich aktuell mit voller Breitseite aus, denn wer sagt eigentlich, daß wir nicht gleich auf einem Boot wohnen können? Zumindest Eure Mutter nicht. Ansonsten ja durchaus progressiv erleben wir sie in diesen Tagen erstaunlich konservativ. Boot als – Zitat – „mein Spielzeug“ ist ok, aber gewohnt wird bitte an Land. Der Punkt geht an sie, dafür arrangiert sie sich erstaunlich schnell mit der Vorstadt-am-Hafen-Variante. Ich suche also fleißig in die entsprechende Richtung. Sarah Sophie steigt erst wirklich in die ganze Geschichte ein, nachdem Eure Mutter bemerkt, Ihrer Kundschaft und Arbeitgeber durchaus einen Hauptwohnsitz außerhalb von Deutschland zumuten zu können, solange da irgendwo ein internationaler Flughafen in der Nähe liegt und das Digitale nicht an mangelnder Infrastruktur scheitert. Beides überprüft vorhanden, Zeit zum finalen Angriff auszuholen. „In Palermo gibt es eine internationale Schule.“ gebe ich bekannt womit für Eure Mutter im Prinzip klar ist, daß wir nur noch ein Telefongespräch mit der Umzugsfirma vom sizilianischen Umzug entfernt sind.
Ich habe meine Tochter selten so geschockt gesehen. Zur Manifestation Deiner eher wenig zustimmenden Meinung, argumentiert Du zur Sicherheit für deinen Bruder gleich mit: „Das könnt ihr nicht machen, wir wollen hier nicht weg, unsere Freunde sind doch alle hier, wozu sollen wir umziehen, usw.“ Unmittelbar danach schwant Dir warum Du ein bilingualem Gymnasium besuchst. „Das habt ihr schon lange geplant, gebt es zu!“ Der Hinweis, das die zweite Sprache an Deiner Schule Englisch und nicht Italienisch ist glättet die Wogen und Du bist einigermaßen beruhigt. „Versprich mir, daß ich hier Abitur machen kann!“ forderst Du resolut heraus. „Das kann Dir Papa nicht versprechen – ich bin auch noch da.“ grinst Eure Mutter fröhlich provokant in die Runde. Ich beschließe eine Politik der Entspannung einzuläuten und bemerke, daß wir vielleicht erstmal eine Bleibe finden, bevor uns streiten, wann wer wohin zieht. Das akzeptieren erstaunlicherweise alle und Leo kommt nur zur Sicherheit schonmal im Trikot des Palermo FC um die Ecke, bemerkt allerdings auch nicht umziehen zu wollen.
Zur Beruhigung der Gemüter fahren wir in den anstehenden Frühlingsferien nicht nach Sizilien, sondern gondeln lieber in Kalabrien und Kampanien umher. Damit bleibt zumindest die geographische Tendenz in stabiler Seitenlage.
In der Woche nach den Ferien fliegen dann Eure Mutter und ich alleine vier Tage nach Palermo um einige Objekte in Augenschein zu nehmen. Sehr zu Eurem Ungemach, scheint ihr doch das Gefühl zu haben hier entgleitet Euch etwas. Das ist spannend zu beobachten. Ruhe gebt ihr erst, und lasst uns widerwillig ziehen, nachdem wir versichern, daß wir hier zunächst für die nächsten Jahre über ein Ferienhaus reden. Die negierenden verbalen Spitzen Eurer Mutter spare ich an dieser Stelle ausdrücklich aus.
Genau genommen geht es nur um zwei Häuser in Porticello, unweit von Palermo. Ulkigerweise nur einhundert Meter voneinander entfernt. Die erste Besichtigung dauert ganze zwei Minuten bevor wir den sprichwörtlichen Hacken daran machen, die zweite hingegen nicht.
Ich mache es kurz: Paßt. Blick aufs Meer, zum Hafen stolpert man eine ganze Minute wenn man langsam ist und die nächste Bar ist genauso weit entfernt.
Ich versuche nicht zu euphorisch zu wirken um für die anstehenden Preisverhandlungen entsprechenden Raum zu schaffen. Das klappt zwar nicht ganz so gut, aber ein paar Tage später sind wir uns einig. Alles ist gut.
Doch dann passiert erstmal gar nichts. Sizilianische Lebensweise akzeptierend wundern wir uns eher weniger bis zu dem Tag wo sich dann plötzlich die drei Schwestern denen das Haus gehört offenbar uneinig sind und nichts mehr vom Verkauf wissen wollen. Das bekommt Sarah Sophie irgendwie mit und jubiliert auf ganze Linie. Ich möchte kindliche Sabotage nicht gänzlich ausschließen. Eure Mutter lässt mich dann vollends sprachlos zurück. „Das Ganze soll eben nicht sein und eigentlich brauchen wir ja auch gar kein Haus auf Sizilien.“
Da fällt mir ein daß wir unmittelbar vor Sarah Sophies Geburt auch mal ein Haus kaufen wollten. Das war zwar in Düsseldorf, haben wir dann aber auch nicht gemacht. Vielleicht können wir einfach keine Häuser.
Dann gucke ich jetzt mal nach Schiffen für Sizilien – oder war die Idee auch schon vom Tisch? Man verliert ja irgendwann den Überblick.