In den Frühlingsferien geht es nach Kuba. Da wollten Eure Mutter und ich schon hin als der Comandante noch der Máximo Líder war. Als Ihr mitbekommt, daß es Richtung Karibik geht seit ihr völlig aus dem Häuschen, allerdings ob einer krassen Fehleinschätzung. Sarah Sophie sucht im Internet die Insel nach den schönsten Stränden ab um dabei festzustellen, daß es einen Ort namens Varadero gibt und präsentiert Leo stolz ein All-Inclusive-Hotel neben dem nächsten an zugegeben ganz netten Stränden.
„Da machen wir zwei Wochen All-Inclusive!“ folgerst Du aus deiner Recherche und triumphierst mit Leo gemeinsam, das beste Hotel gefunden zu haben. Ich schmunzele offenbar derart vor mich hin, daß erste Zweifel auf Euren Gesichtern erkennbar sind. „Doch nicht, Papa?“ kommt da etwas kleinlaut fragend aus der Ecke. „Doch, doch wir fliegen schon nach Kuba. Keine Angst. Nur zwei Wochen ausschließlich am Strand hocken wird es wohl weniger.“ Ernüchterung auf der Gegenseite. „Gar kein Strand?“ erkundigt sich Leo vorsichtig. Ich entschärfe die Situation und versichere, daß durchaus einige Strandtage geplant sind, aber eben nicht zwei Wochen ununterbrochen All-In. Dann doch lieber Zahn-OP und Darmspiegelung gleichzeitig. Merkt man was ich von derlei Urlaubsarten halte? Wahrscheinlich schon. Ich erkläre Euch, daß wir wir erst die Insel erkunden werden und zum Abschluss natürlich einige Tage am Strand herumlümmeln.
Leo sieht das reine Grauen am karibischen Horizont aufziehen, wo hingegen Sarah Sophie doch deutliches Interesse anmeldet. Allerdings auch erst, nachdem ich glaubhaft versichert habe, daß wir nicht in einem Reisebus mit dreißig anderen über Land juckeln. Manchmal frage ich mich welche Boshaftigkeiten ihr uns Eltern noch alle zutraut. Es wird natürlich eine Individualtour. Wir basteln gerade mit einer kleinen, aber feinen Reisebude in Berlin an dem Trip.
Und der startet dann auch am ersten April in Havanna. Etwas müde sitzen wir irgendwann mitten in der Nacht bei Mojito auf der Dachterrasse unseres Hotels. Es hat sich selten etwas so richtig angefühlt.
Nach dem Frühstück holt uns Christina ab um uns die Stadt zu zeigen. Das geht mit Leo bis zum Mittagessen auch halbwegs gut, das angesteuerte Restaurant offenbart dann aber die aktuelle Problematik und die ist genauso simpel wie deprimierend. Du isst im Prinzip drei Sachen: Chicken Nuggets, Wiener Schnitzel und Fischstäbchen. Gemüse ausschließlich Kartoffeln, Blumenkohl und Brokkoli. Brot mit Frischkäse oder Hähnchenfilet. Das wars. Komplett. Am Angebot mangelt es nicht, aber ich gebe zu irgendwann einfach kapituliert zu haben. Die Lösung kommt kurioserweise aus einer jüdischen Tradition und steht direkt vor uns auf dem Tisch des Restaurants: Honig! Rosch ha-Schana ist zwar erst in fünf Monaten und es gibt auch keine Äpfel, aber da bist Du überraschend flexibel. Es gibt Brot, das tunkt sich genauso gut darein. Mittagessen gerettet.
Anschließend hebt sich die Laune der jüngeren Zielgruppe deutlich, denn wir tauschen doofen Stadtspaziergang gegen Oldtimer-Rundfahrt und cruisen in zwei Oldtimern durch Havana. Du hockst dabei die ganze Zeit neben Christina auf dem Rücksitz und sie erzählt Dir hinreißend die Geschichte der vielen Oldtimer. Geht also alles.
Der nächste Morgen serviert uns erneut Problemstellung und Lösung in einem. Es gibt natürlich nichts was Leo zum Frühstück in Betracht zieht und die letzten mitgebrachten Bestände hast Du gestern verputzt. Diesmal ist Melone die Rettung. Und zwar in Kombination mit Rührei. Welches Du zwar zu Hause überhaupt nicht magst, aber da stammen die Eier ja auch nicht von kubanischen Hühnern. Wir nehmen es pragmatisch. Brot, Honig und Eier wird es wohl überall geben und Melonen kaufen ab sofort immer wenn wir sie sehen. Das zieht sich übrigens die kommenden Wochen wie ein roter Faden durch unseren Trip. Und das schöne ist: Es funktioniert!
Sarah Sophie hingegen ist völlig glücklich, da wir jeden Tag zweimal täglich in verschiedenen Restaurants sitzen und probiert sich munter durch die kubanische Küche und fragt bereits am zweiten Abend vor dem Blick auf die Karte was es denn gerade nicht gibt. Es ist halt immer noch ein sozialistisches Land. Fündig werden wir immer, aber manchmal wird doch so eine Melone herumzutragen ganz schön schwer auf die Dauer.
Abends hole ich unseren Leihwagen ab und am kommenden Morgen geht es in einem russischen Jeep Richtung Viñales. Es heißt, Benzin ist knapp, was die ewig langen Schlangen an den Tankstellen erklärt, wir aber nichts zu befürchten hätten, denn mit irgendeiner Touristenkarte gibt es dann doch Sprit. Wir beschließen das mal zu glauben, was sich noch als folgenschwerer Irrtum herausstellen wird.
Kurz vor unserem Etappenziel hält uns ein Polizist an und fragt ob wir nach Viñales fahren. Wir bejahen und werden gebeten jemanden mitzunehmen, da der Bus mangels Benzin nicht fahren kann. Da wir noch einen Platz frei haben sind wir auf den letzten dreißig Kilometer zu fünft. Unser Fahrgast spricht Englisch und stellt sich als Mitarbeiter einer der vielen Tabakfarmen heraus für die das Tal von Viñales so bekannt ist. Nachdem wir ihn abgesetzt haben lädt er uns zu einer Führung über die Farm ein und wir nehmen dankbar an. Da seit ihr beide allerdings völlig außen vor, denn hier gibt es ungefähr zwanzig Hundewelpen im Alter von wenigen Wochen. Die Zielgruppe schwenkt interessensmäßig auf die Vierbeiner um.
Auch gut, sagen wir und starten ohne Euch. Nach einer Stunde sind wir zurück und ihr habt euch bereits überlegt wer, welchen Welpen mitnimmt. Das nun anstehende Palaver kann sich wohl jeder vorstellen. Ich kürze ab: nach zwanzig Minuten bin ich eine Persona non grata was auch nicht dadurch besser wird, als ich Euch das morgige Vormittagsprogramm erkläre. Eine mehrstündige Wanderung. Aua! Eltern können grausam sein.
Sarah Sophie schließt als Erste wieder Frieden, nachdem ersichtlich ist, daß die ein oder andere Höhle nur mit gewagtem Klettern zu erreichen ist, womit Du in deinem Element bist. Leo braucht noch bis zum Mittagessen, denn wer in Viñales im Restaurant direkt rechts vom Markt Fajita bestellt, bekommt nicht etwas das erwartete Gericht sondern paniertes und frittiertes Hähnchenfleisch was zu zwei Umständen am Tisch führt. Leo erklärt die Bude zum besten Restaurant der Insel und ich muss nochmal auf die Speisekarte schauen, denn mein Teller steht jetzt vor Dir. Du hast dann zur Sicherheit gleich zwei Portionen inhaliert und ich eine Melone sinnlos im Rucksack bewegt.
Nächster Tag: Fahrt nach Trinidad. Also zumindest theoretisch. Ab halber Tanknadel klappern wir jede Tankstelle ab, um immer das gleiche zu hören: Gasolina? No! Die angebliche Touristenkarte nützt nix, weil es offenbar wirklich nichts gibt. Auch die Aussicht auf einen höheren Preis hilft absolut nichts. Irgendwo bekommen wir dann doch zumindest zwanzig Liter, die uns aber an der nächsten Tankstelle gar nichts mehr nutzen, denn hier kocht der Kühler über und wir fahren erstmal nirgendwo mehr hin. Ein freundlicher Nachbar der zufällig gerade ebenfalls ausgebremst ist guckt sich das Malheur genauer an und schafft es tatsächlich das Ganze notdürftig zu flicken. Wir beschließen ihn soweit richtig verstanden zu haben, daß wir damit zumindest weiterfahren können.
Somit schaffen wir bis auf eine der Hauptstraßen was mich hoffen lässt. Hier ist dann aber an der nächsten Tankstelle Benzinmäßig wirklich Schluß. Wir telefonieren mit der Reiseagentur in Havanna, die dann wieder mit der Mietwagenfirma, die dann wieder uns anruft und so weiter. Am frühen Abend steht dann tatsächlich ein neuer, vollgetankter Jeep neben uns und wir tauschen die Autos. Mitten in der Nacht kommen wir in Trinidad ein. Mit Ausnahme von Havanna wohnen wir überall in sogenannten „Casa Particulares“, also Privathäusern deren Bewohner Zimmer vermieten. Und in Trinidad erleben wir die Herzlichsten davon. Obwohl wir wirklich mitten in der Nacht ankommen, macht uns die Dame des Hauses noch etwas zu essen und rät das Auto besser nicht auf der Straße stehen zu lassen, wenn der Tank voll ist. Die Garage des Nachbarn bietet da Abhilfe.
So und jetzt auch mal ein dickes Kompliment an Euch beide: Einen halben Tag an einer Tankstelle ohne Aussicht, wann da, und vor allem was nun passiert habe ich mir schlimmer vorgestellt. Respekt! Das solle man auch mal sagen. Dafür streichen wir irgendein geplantes Vorhaben und fahren am nächsten Nachmittag an den Strand. Und zwar mit einem Taxi-Oldtimer. Wir sparen also Benzin. Und das hat überhaupt nichts mit dieser einen Bar am Strand zu tun.
So langsam neigt sich unser Trip dem Ende entgegen oder wir ihr sagt dem großen Finale: Dem Strandhotel in Varadero. Nur noch ein kleiner Umweg über Santa Clara, der „Hauptstadt“ der Revolution. Als ehemaliger, jugendlicher Salonkommunist geht es natürlich nicht ohne das Che Guevara Mausoleum. Aber auch das ertragt ihr noch ganz ordentlich was vielleicht wiederum daran liegt, daß wir hier mit einer Kutsche unterwegs sind und Leo hier die Zügel „selbst“ in der Hand hat und uns umherkurvt. Natürlich nicht ohne entsprechende Kommentare seine Schwester.
Und dann ist es endlich soweit. Der übergroße Touristenbunker liegt vor uns und wir beziehen unsere Zimmer. Fünf Tage Himmelreich oder zu ertragene Notwendigkeit. Je nach Zielgruppe. Am nächsten Morgen habt ihr Freunde passenden Alters gefunden. Die Jungs spielen Fußball, die Mädchen liegen am Pool und die Eltern sitzen nicht selten an der Bar.
So einfach geht glücklich – auch mit ordentlich viel Zielgruppen-Diversität.
Viva la revolución.
Eine Antwort auf „Der 141./ 89. Monat – Eine Insel mit zwei Zielgruppen“
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