Ihr habt es fast geschafft. Also Eure Mutter und Sarah Sophie. Nach gefühlten Jahren hartnäckigstem Belatschern stehe ich unmittelbar vor Aufgabe meiner strikten Ablehnung gegen das Bohren von Löchern in irgendwelchen Körperteilen. Da bin ich vielleicht etwas anachronistisch oder wie es Eure Mutter so schön ausdrückt „so furchtbar deutsch“, aber mir will es nunmal nicht einleuchten wozu man sich Löcher in Ohren schiessen läßt um anschließend irgendwelchen Nippes daran zu hängen. Vornehmlich überhört wird selbstverständlich ebenfalls mein zartes Argument, dieses gemeine Ohrloch dürfte hiernach als Blaupause für irgendwelche Piercing-Unwesen herhalten. „Alles Quatsch natürlich!“ beschwören mich die größten Vollzeit-Prinzessinnen-Kulleraugen die es gibt. Und natürlich habt ihr irgendwann Euren Willen bekommen und zwar genau jetzt. Kurz vor den Herbstferien haben wir einen Termin bei der Ohrenärztin mütterlichen Vertrauens und die Sache ist vom Tisch bzw. ein Loch in jedem Ohr. Praktisch der Zeitpunkt, so lässt sich in den anstehenden Herbstferien jeweils vor Ort nach geeignetem Füllmaterial Ausschau halten um eben jene Löcher hübsch dekorieren zu können. Ein Schelm, wer Böses denkt.
Womit ich beim eigentlichen Thema ankomme: Der Wahl des Ferienziels für die Herbstferien. Sarah Sophie möchte gerne mindestens eine weitere Hauptstadt „sammeln“, Eure Mutter auf keinen Fall zwei Wochen am gleichen Ort hocken, ganz gleich wo der sich auch befindet und Leo ausnahmslos Fussball spielen, gleichermaßen völlig egal wo. Ach ja und Emma muss natürlich ebenfalls mit.
Wir entscheiden uns für einen italienischen Roadtrip unter maritimer Zuhilfenahme zweier Fähren. Die sind das ausgehandelte Zugeständnis an Leo nachdem er von mehr als drei Städten hören durfte, was bei Dir neuralgisch eine vollständige Aufgabe jedweden Interesses mit einhergehendem Partizipationsstop bedeutet. Schiffe gehen aber immer. Das hast Du wahrscheinlich von mir.
Erste Station ist Pisa. Natürlich muß der arme schiefe Turm auch im Hause Reichmann für die üblichen Kitschbilder herhalten, will heissen Sarah Sophie und Eure Mutter geben sich mächtig Mühe besonders albern auszusehen. Es sei gesagt: Hundertprozentig gelungen. In der Zwischenzeit klettert Leo über den Zaun um auf die freie Rasenfläche zu gelangen und beginnt mit seinem Ball umher zu kicken. Und das scheint ansteckend zu sein. Jedenfalls bist Du nicht lange alleine und zwei italienische Jungs, deren Eltern sich in ähnliche Schnappschusspositionen bugsieren, stehen plötzlich ebenfalls auf dem Platz. Denn das ist ab sofort nicht mehr irgendeine Wiese sondern ein weihevoller Fussballtempel. Jedenfalls spielt hier gerade Italien gegen Deutschland. Leo ist in seinem Element und auf einmal ist so ein Städtetrip überhaupt nicht mehr so furchtbar wie angenommen. Die patrouillierende Polizia Locale interessiert sich freundlicherweise überhaupt nicht für das laufende Länderspiel, was wahrscheinlich daran liegt, daß der Pfosten welcher das ausgewiesene Verbotsschild trägt, aktuell eben den linken Torpfosten und nicht mehr nur ein schnödes Verkehrsschild markiert. Das haben die Beamten sicherlich direkt erkannt und entsprechend gehandelt, also eben nicht. Sympathisches Land.
Wir fahren weiter nach Rom. Das Colosseum arbeitet Sarah Sophie in Rekordgeschwindigkeit ab. Einmal davor posieren, Foto gemacht und weiter gehts. Auf meine Frage, ob Du da denn nicht hinein möchtest um dir das Ganze von innen anzusehen bekomme ich nur eine knappe Antwort: „Papa, ich nehme in der siebten Klasse doch sowieso Latein, da fahren wir dann doch eh mit der Schule hierhin.“ Das Du Latein als nächste Fremdsprache wählen möchtest ist mit bewusst, daß der Latein-Kurs gleich einen Ausflug an den Tiber macht ist mir allerdings neu. Nicht schlecht, ich bin damals nur bis Xanten gekommen. „Suum cuique.“
Auf dem Platz vorm Vatikan wiederholt sich das Pisa-Prinzip nur ohne Rasen und während Leo fröhlich umherkickt stolpern wir über einen Pilger aus Hamburg der uns hier mal kurz die gesamte Architektur im Schnelldurchgang erläutert inklusive Hinweis hinter welchem der hunderten Fenster für gewöhnlich der Papst residiert. Das wollten wir zwar gar nicht wissen, aber jetzt sind wir dafür extrem sachkundig. Warum auch immer. Hier begnügt sich Sarah Sophie ebenfalls mit einem kurzen Schnappschuss. Auf meine Frage, ob der Lateinkurs in Zukunft hier ebenfalls vorstellig wird erwiderst Du nur „Nö, ich glaube nicht. Aber das ist doch alles christlich hier, oder?“ und lieferst die Ursache für dein überschaubares Interesse gleich mit: „Dann muss ich das ja alles gar nicht wissen.“ Das ist dann wohl pragmatisch-jüdischer Subjektivismus, oder so was Ähnliches. Thema, jedenfalls durch.
Die nächste Stationen heißen Neapel und Pompeji. Und ja, es ist genau das gleiche. Leo kickt so ziemlich überall herum und der Rest widmet sich einer fröhlichen Mischung aus Kultur und Konsum. Alles ziemlich unaufgeregt.

Auf der Fähre von Neapel nach Palermo haut Leo aber dann doch noch einen raus: „Endlich sind wir wieder auf einem Schiff. Und ganz ohne Fußball, cool.“
„Alles ok bei Dir, kleiner Mann?“
Wieder Du: „Keine Angst Papa, morgen geht es weiter. Aber heute ruhe ich mich mal aus. Das machen Fußballer so.“
Man bin ich froh, daß wir zurück nach Genua ebenfalls mit der Fähre fahren. Aber ich glaube auf dem Schiff gibt es einen Fußballplatz.
Was Du wohl damit anfängst? An- oder Abpfiff kleiner Mann? Ganz klar, deine Entscheidung.