Anfang Mai: Das Boot ist erfolgreich zu Wasser gelassen und am Liegeplatz vertäut. Und damit auch ja nicht der Eindruck entstehen könnte im Hause Reichmann dreht sich im Freizeitbereich fortan alles um „Papas neues Spielzeug“ wie es ab sofort nur noch heißt, hat Eure Mutter entsprechend vorgesorgt. Klar Schiff machen durfte ich noch alleine und habe es immerhin noch auf ein ganzes Wochenende mit Leo an Bord gebracht, bevor das erste lange Wochenende des Frühjahres ansteht. Und das ist bezeichnenderweise auch noch Vatertag. Den Freitag als Brückentag habt ihr auf beiden Schulen durch bewegliche Ferientage schulfrei abgedeckt und somit ist das eigentlich doch ein gutes Datum für das erste Wochenende auf dem Wasser.
Uneigentlich finden wir uns aber in Dunkerque an der französischen Kanalküste wieder und das ist erst mit drei individuellen Anreisen erreichbar. Zuvor muss nämlich noch geklärt werden wer überhaupt wo hinfährt und das geht dann so:
Eure Mutter lässt in einen kleinen aber feinem Nebensatz fallen, wie lange wir doch schon nicht mehr in Frankreich waren. Der örtliche Campingplatz offeriert noch ein passendes Plätzchen und sie verkündet Sarah Sophie, das lange Wochenende in Frankreichs nördlichster Stadt. Die Assoziationskette läuft ab (Ausflug -> Stadt -> Shopping -> Kind glücklich) und alles ist in bester Ordnung. Natürlich nicht lange, denn Du hast natürlich nichts besseres zu tun als Leo eben diesem Ausflugsumstand blumig zu schildern. Auch hier rattern die Assoziationen nur mit konträrer Schlussfolgerung, denn hier folgt auf Shopping -> Kind unglücklich. Das hatten wir ja bereits in den Frühlingsferien vergangenen Monat.
Leo protestiert selbstverständlich lautstark und lässt sich nur beschwichtigen nachdem ich verspreche, daß wir beide nicht zwingend jede Shoppingtour mitmachen müssen. Das glaubst Du mir wohl auch, gehst aber am nächsten Tag in der Schule lieber auf Nummer sicher und erklärst deinen Freund Lev aus der Parallelklasse vorsichtshalber die geplante Misere und schiebst die Patentlösung gleich hintenan. Er soll doch einfach mitkommen und das Fiasko ist abgewendet. Das findet Lev so gut, daß er das wiederum seiner Mutter berichtet, die bekanntlich wiederum mit Eurer Mutter befreundet ist und somit abends die Details mit mir am Telefon bespricht. Offenbar fällt die Idee auf derart fruchtbaren Boden, das Familie Lev auf dem Campingplatz ein Häuschen anmietet und wir somit zu siebt gen Frankreich juckeln.
Und wenn man sich schon seinen Kumpel selbst aussuchen muss, mit dem man in den Kurzurlaub fährt, dann kann man sich auch fahrtechnisch direkt dort einquartieren. Heißt im konkreten Fall: Leo sagt Lev, daß er mit ihm fährt, Lev sagt es seiner Mutter, die es Eurer Mutter mitteilt, welche dann wiederum mich unterrichtet, daß ich mit nur einem Kind losfahren darf, da sie von irgendwo nach Paris einfliegt und mit dem Leihwagen zu uns stößt. Passend zu der ganzen Stille-Post-Konversation eröffnet mir Sarah Sophie, daß sie am Mittwoch einen Studientag absolviert und somit gar nicht in die Schule muss. Praktisch ist es allemal und wir beide starten daher bereits am Vormittag.
Folglich sind wir auch die ersten die da oben ankommen und frieren erst mal gehörig, da der Wind gehörig pfeift und von Sonne keine Spur zu sehen ist. Und Sarah Sophie fragt bestimmt nur ganz zufällig wie denn das Wetter in Holland am Boot so ist. Der Wetterbericht irrt aber sicher gewaltig und zeigt nur aus reiner Bosheit strahlenden Sonnenschein bei Temperaturen deutlich jenseits der 20° C Marke. Also so ziemlich das Gegenteil von dem was wir hier vorfinden. Wir gucken uns beide einmal ganz dumm an und hadern nicht weiter mir unserem Schicksal. Ein paar Stunden später trudelt Familie Lev mit Leo ein und spät am Abend gesellt sich dann auch Eure Mutter zu uns. Wir beschließen die missliche Wettersituation auszusitzen, vor allem aber nicht mehr Wetterberichtsmäßig auf alternative Orte zu schielen, schon gar nicht wenn da irgendwelche Boote vor Ort liegen. Ja, OK ich gebe ja schon Ruhe.
Am nächsten Morgen ist alles vergessen, die Sonne scheint und ab nachmittags finden sich Levs Vater, Frank und ich uns dort ein, wo wahrscheinlich ganz viele Väter an diesem Tag stehen: Am befeuerten Grill mit einem Bier in der Hand. Es geht wohl schlechter und ich bin auch wirklich gar nicht irritiert nachdem ich innerhalb von nur einer Stunde von Levs Mutter mit der gleichen Frage wie auch von Levs Papa konfrontiert werde: „Warum haben wir uns eigentlich nicht auf eurem neuen Boot getroffen? Das wäre doch auch viel näher gewesen!“ Stimmt absolut, aber irgendwer muss da wohl auf irgendeine andere Idee gekommen sein und nun sind wir hier.
Schön zu sehen, wie mehrere Augenpaare gleichzeitig zielgerichtet auf Eurer Mutter landen. Die ist allerdings außer Hörweite und bespricht gerade die für morgen angekündigte Shoppingtour mit Sarah Sophie. Das ist vielleicht aber auch besser so.
Schon schön so ein Vatertag mal ganz woanders. Eure Mutter wurde übrigens auch nachher nie von Ihrer Freundin gefragt, warum wir eigentlich hier sind. Aber das ist bestimmt reiner Zufall.
Ich muss jetzt raus zum Grill. Ahoi – ach ne: Prost