Der 7. Monat – Bewegungsdrang

In Deinen siebten Lebensmonat fällt eine entscheidende Jahreszeit. Zumindest für Rheinländer. Das, als Brauchtumspflege getarnte Freiluftbetrinken mit optionaler Zwischenmenschkonsolidierung wiederholt sich in mehren deutschen Städten an dafür fest vorgemerkten Tagen einmal jährlich und zwar rund sechs Wochen vor Ostern. Düsseldorf, eine – eigentlich DIE – dieser Zunftstätten verfällt dann in eine Art Schockstarre und wie selbstverständlich erwartet niemand eine vollwertige Arbeitsleistung der Lokalprobanden in der Zeit zwischen Altweiber und Aschermittwoch. Es ist Karneval.

Ganz Verwegene nehmen sich in dieser Zeit frei um mit ihren Gesinnungsgenossen tagelang die Altstadt zu belagern und im gewichtigen Ornat von einem Brauhaus zum nächsten zu pilgern. Es ist müßig diesen Umstand Zugereisten oder Zufallsrheinländern zu erklären, halbwegs plausibel zu machen oder gar Verständnis hierfür einzufordern. Gänzlich unmöglich wie ich in jahrelangen Feldversuchen festgestellt habe.

Rein zufällig fällt eine weitere Arbeitswoche Deiner wundervollen Mutter just in diese fünfte Jahreszeit. Kein Problem bekenne ich gönnerhaft, wer braucht schon Karneval. Über die nicht mehr zu zählenden Mitleidsbekundungen meines Umfeldes hülle ich bewusst den Mantel des Schweigens. Wir sind bis einschließlich Freitag in die badische Provinz verkauft um die Fortschritte in der Effizientssteigerung des bereits bekannten mittelständischen Schäumungsbetriebes miterleben zu können. Du und ich natürlich nur mit dem gebührenden Abstand unseres dreimal täglichen Erscheinen dort um Dich an die labende mütterliche Brust anzudocken. Deine Mutter jedenfalls ist wieder in Ihrem Element. Es wird optimiert was das Zeug hält.

In der Zwischenzeit fragen wir uns allerdings, wann Du wohl die Fähigkeit der Fortbewegung in welcher Form auch immer für Dich entdeckst. Bis dato reckst Du zwar Dein Köpfchen völlig selbstbestimmt gen Himmel, was bei mir stets mittelschwere Begeisterungsströme hervorruft, aber an eigenständiges Fortkommen denkst Du überhaupt nicht. Meine Einwände „das kommt schon noch“ finden natürlich bei Deiner Mutter keinerlei Gehör. „Das kann Sie bereits seit vergangenen November“ schallt es mir entgegen. Alle Kinder ihrer Bekannten in Stillcafe, Pekipkurs und sonst wo robben oder krabbeln munter umher, Du grinst uns lieber fröhlich an und verkennst völlig die Wichtigkeit dieses evolutionären Schrittes. Meine These ist ja, daß Mütter bei Verkündigung der bereits erworbenen Fähigkeiten ihrer Kinder gnadenlos übertreiben um bloß nicht in den Verdacht zu geraten, irgendetwas Elementares an frühkindlicher Entwicklung behindert zu haben. So nicht Deine Mutter. Sie beruft lieber gleich ein motorisches Beobachtungswochenende ein um zu ergründen, was nicht zu ergründen ist. So zumindest meine väterliche Meinung. Freundlicherweise scheint Schnee und Bergluft solche Projekte zu befördern und das ganze Spektakel findet in einem hübschen Skiort statt. Wir beschliessen die genaue Analyse Deines Bewegugnsundrangs auf die Stunden außerhalb der Pistenzeiten zu legen und so verbringen wir den Samstag auf der Sonnenterrasse einer bewirtschafteten Hütte bei bestem Kaiserwetter, zwischenzeitliches Alpin- und Après-Ski inbegriffen.

Am Abend ist es nun soweit, die Bewegungsstudie beginnt und in der Tat es tut sich was. Wir animieren Dich durch allerlei Kuschelgetier, Raschelspielzeug und Klappergeräusche sich auf den Weg zu machen. Anfänglich schaust Du zwar noch etwas zweifelnd, aber dann entwickelst Du Deinen ganz eigenen Bewegungsdrang. Mittels umdrehen, gerne auch mal durch umfallen, entsteht eine schraubende Bewegung die Dich, wenn auch im Zeitlupentempo, nach vorne bringt. Wir sind verblüfft wie das überhaupt funktioniert. Detailliert erfassen lässt sich das alles nicht, aber Zentimeter für Zentimeter eroberst Du das Bett. Landest Du bei den gekonnten Umfallern auf dem Rücken wird solange mit den Armen in der Luft gerudert bis genug Schwung geholt ist um den ganzen Oberkörper erneut eine halbe Schraubbewegung weiter voran zu bringen. Unsere Begeisterung kennt keine Grenzen mehr und wir verbringen den ganzen Abend Dir zuzuschauen wie Du Dich, zwar gemütlich aber konsequent, voranschraubst.

Der sonntägliche Himmel ist leider wolkenverhangen und so beschließen wir bereits nach dem Frühstück gen Heimat aufzubrechen. Außerdem wer motorisch schon so weit ist, der ist auch alt genug für rheinische Brauchtumspflege. Und morgen zieht der Rosenmontagszug durch Düsseldorf. Aber da trage ich Dich dann doch lieber hin. Helau.