Der 128./ 76. Monat – Alternativlose Ausschließlichkeit

Leos Begeisterung für Fußball ist ungebrochen und in diesem Monat steht etwas an, von dem ich vermute es wird die bereits bekannten Effekte nach sich ziehen welche Du entwickelst, wenn Dich etwas wirklich interessiert. Ich nenne das neuerdings „Leos alternativlose Ausschließlichkeit“, da es eben scheuklappenartig aber auch wirklich gar nichts anderes gibt was dir in den Sinn kommt, wenn Du etwas für Dich entdeckst.

Ich mach es kurz: Was kann das für einen fußballbegeisterten Jungen aus Düsseldorf schon sein?

Richtig, es geht das erste Mal ins Stadion zur Fortuna. „95 olé“.

Der Wunsch kommt immer wieder auf, der aktuelle Spielplan der 2. Bundesliga kollidiert aber stetig mit dem familiären Terminplan. Am Sonntag, 6. März ist es aber endlich soweit. Die launische Diva vom Rhein empfängt den FC Ingolstadt zum Ligaspiel. Standesgemäß findet vorher eine Einkaufstour zum Flinger Broich statt, damit im lokalen Fanshop das notwendige Basisequipment beschafft werden kann. Erstaunlicherweise wird aus dem ganzen Happening eine komplette Familienveranstaltung da Eure Mutter ebenfalls teilnehmen möchte. Zum Verständnis: Sowohl Interesse als auch Kunde an/ über Fußball bewegen sich bei Eurer Mutter im stabilen 0,0%-Bereich, was auch nicht gerade wandelbar werden dürfte, da Fortuna eben (temporär) nicht in der Bundesliga spielt und sie es ja mit Zweitklassigkeit bekanntermaßen nicht so hat. Zum besseren Verständnis: Ich weiß von einem Ihrer ansonsten durchaus geneigten Arbeitskollegen der bedauerlicherweise einmal ein Weltmeisterschaftsspiel mit ihr zusammen anschauen musste und eine Wiederholung dergleichen kategorisch ausgeschlossen hat. Wo ich ihm im Übrigen uneingeschränkt Recht geben muss und darf.

Aber sie möchte unbedingt mit. Ich habe mehrfach nachgefragt aber es mussten vier Tickets sein. Sich gegen unabwendbares stemmen zu wollen, liegt mir nicht und daher vier Tickets auf dem Tisch.

Leo möchte am liebsten schon morgens früh zum Stadion aufbrechen, lässt sich aber dann auf Mittag runterhandeln. Irgendwann sitzen wir also wahrhaftig alle vier in der Arena. Sarah Sophie wollte am liebsten direkt in den Block der Ultras, bzw. wie Du es formulierst: „Papa, wir gehen zu den richtig Bekloppten – wenn schon denn schon!“ Das konnte ich argumentativ noch abwiegeln, da ihr beide glücklicherweise eingesehen habt, daß Stehplätze in einer Horde hüpfender rotweisser Getreuen nebst Fahnenmeer nicht wirklich dazu beiträgt, daß ihr auch nur ansatzweise das Spiel sehen könnt. Wir verhandeln erfolgreich „Papa, aber wenn wir größer sind?“ Da schlage ich selbstverständlich ein, denn lustig ist es da unten ja bekanntlich wirklich. Bis dahin beziehen wir im Nachbarblock Quartier.

Das Spiel beginnt und Leo gleichzeitig höchst aufgeregt und vollumfänglich glückselig. Die nächsten 45 Minuten gehe ich von einer lückenlosen Unansprechbarkeit aus die sich auch genauso bestätigt. Sarah Sophie ist derweil damit beschäftigt die Fangesänge genau verstehen zu wollen, was mitunter schwierig ist. Ich bin da leider auch nicht mehr so ganz auf dem Laufenden. Zu meiner Fortuna-Hochzeit hieß die Arena noch Rheinstadion und wir gewannen zweimal den DFB-Pokal, d.h. das ganze liegt zeitlich unwesentlich weit entfernt. Das ein oder andere ist aber gleich geblieben und so kann ich zumindest rudimentär Hilfe leisten. Die Nachbarn zur Linken leisten ebenfalls sprachliche Schützenhilfe und wir schlagen uns wacker. Es reicht zumindest um einen 3:0-Erfolg ordnungsgemäß zu bejubeln und Leo brüllt einfach ein bisschen lauter. Kurzum, wir fallen überhaupt nicht weiter auf.

95 olé, März 2022, Düsseldorf, D

Tja, und Eure Mutter hat es doch tatsächlich geschafft in 90 Minuten diverse geschäftliche Emails zu beantworten, an einer Präsentation zu basteln und sich Flüge und Hotelzimmer für die kommenden Woche zu buchen. Wozu man dafür ins Stadion muss, wird wohl ihr ewiges Geheimnis bleiben. Das Ergebnis haben wir ihr dann im Auto mitgeteilt, da war sie sich nämlich nicht mehr so ganz sicher.

Natürlich kommt es wie es kommen muss: Leo nutzt seine tägliche Medienzeit von nun an ausschließlich um gefühlt sämtliche Bundesliga- und Zweitligaspiele der vergangenen Jahrzehnten nachzuschauen. Sky-Mediathek und letztlich YouTube sei Dank. Sarah Sophie grast das Internet nach den noch vakanten Fangesängen ab und ist bereits in der zweiten Woche absolut textsicher. Vor dem nächsten und übernächsten Heimspiel dürften die Diskussionen im Hause Reichmann wohl vorstellbar sein. Eure Mutter argumentiert irgendetwas von „Muss doch nicht sein, Wir können doch was anderes zusammen machen, oder so ähnlich“.

Und da erlebe ich dann meine Kinder in seltener aber absoluter Einträchtigkeit: „Mama, da spielt Fortuna!“ Das sitzt so richtig und Eure Mutter kapituliert zähneknirschend, wenn aber auch nicht gerade unglücklich.

Also gibt es beim nächsten Spiel nur noch drei Karten und ich muss unweigerlich an den besagten Arbeitskollegen denken. Aber sie hat es zumindest versucht. Das muss man anerkennen.

95 olé.