Im Oktober startet Euer dienstäglicher Kurs im Eiskunstlaufen. Und ja, da geht auch Leo mit, obwohl ich wirklich mehrfach gefragt werde „Ob das denn so richtig sei, einen Jungen zu den Eisprinzessinnen zu schleppen?“ Gleichberechtigte Geschlechterbehandlung scheint auch in den Zwanzigern des 21. Jahrhundert immer noch eine weibliche Einbahnstraße zu sein. Mädchen die Fußball spielen gelten als respektiert, Jungs haben, wenn schon auf Schlittschuhen, gefälligst Eishockey zu spielen. Soweit so falsch.
Aber ich gestehe die wahnwitzig große Begeisterung für den Sport hast Du zu Beginn wirklich nicht, dafür erwacht das Interesse an Deiner Lehrerin Lena umso schneller. Und in Punkto Personalie erfüllen wir selbstredend wieder einmal alle Klischees. Wie es sich für eine gestandene Eiskunstlauftrainerin gehört, ist Lena selbstverständlich Russin und verweigert jedwede Kuscheltrainingseinheiten wie ihre deutschen Kolleginnen, was wiederum bei Eurer Mutter die maximal mögliche Zufriedenheit auslöst. Hier wird gemacht was die Trainerin sagt und fertig.
Diese Maxime erfährt schlagartig ihr jähes Ende an dem Tag, an dem Leo auftaucht. Natürlich sitze ich als einziger Vater inmitten eines Rudel begeisterter zukünftiger Eisprinzessinnen mit ihren noch mehr begeisterten Müttern. Und natürlich bist Du der einzige Junge. Oder anders ausgedrückt: Wir fallen auf. Deine Mutter hat uns telefonisch angekündigt und wir werden von Lena begrüßt. Leo schaut zwar noch etwas missmutig, das ändert sich aber schlagartig als Du auf Lenas Schoß hockst und sie der Begeisterung über ihren jüngsten und einzigen Jungen im Kader freien Lauf läßt. Auf dem Eis sieht das dann so aus: Die jungen Damen werden instruiert welche Schritte, Drehungen und was weiß ich nicht noch alles anstehen und wie diese zu bewältigen sind. Das macht sie ein paar Mal vor und los geht es. Eine Art Assistentin hat sie auch gleich mitgebracht und die kümmert sich in der nächsten Stunde um die geordnet-präzise Umsetzung dergleichen.
Denn Lena kümmert sich fortan um einen fünfjährigen Jungen der es, wie selbstverständlich, zur Kenntnis nimmt privilegiert behandelt zu werden. Wahrscheinlich deckt sich das mit Deiner bisherigen Lebenswahrnehmung. Ihr beiden zieht fröhlich eure Bahnen und ich bemerke ein leichtes Unbehagen an der Bande unter den erwartungsgefüllten Prinzessinenmuttis. Das ganze geht rund eine halbe Stunde so; es traut sich aber ulkigerweise niemand seinem Unmut in Richtung Trainerin Luft zu machen. Dafür wird – in üblich deutscher Manier – so laut untereinander getuschelt, daß ich das ja nicht höre. Allerdings kann ich verdammt schwerhörig sein. Zuviel ist es dann endgültig als Lena dich persönlich zu Bande begleitet und ihr beide euch mit Küsschen links, Küsschen rechts auf die Wangen und natürlich auf Russisch verabschiedet. Ich grinse bereits wie das bekannte Honigkuchenpferd. Lena erwähnt kurz, daß sie jeden Samstag vormittags zur regulären Eislaufzeit ebenfalls hier ist und ich bin wenig überrascht wo Leo die nächsten Samstage verbringen möchte.
Nicht schlecht für den Umstand, daß Du eigentlich nur mit aufs Eis mußt, da Deine Schwester den Kurs unbedingt machen möchte, die Eishalle am anderen Ende der Stadt liegt und das Ganze dadurch rund zweieinhalb Stunden dauert und ich schlicht nicht weiß wo ich dich unterbringen kann. Aber das habe ich dann wohl irgendwie vergessen dir mitzuteilen. Entschuldige bitte, kleiner Mann.
Ach ja, die Herbstferien gibt es ja auch noch. Hier haben wir uns für eine kleine Frankreichrundfahrt entschieden, da sich Sarah Sophie neuerdings in den Kopf gesetzt hat „Hauptstädte zu sammeln“ sprich besuchen zu wollen. Aus logistischen Gründen beschränken wir uns zu Beginn des Projekts auf den europäische Kontinent. Wir starten mit Paris. In der französischen Hauptstadt war ich persönlich zwar schon mehrfach, habe aber nie das Bedürfnis verspürt auf den Eiffelturm zu steigen. Diese Bescheidenheit teilt ihr beide allerdings gar nicht und Paris, mit eben jener Turmbesteigung, ist das aktuelle „Must-have“! Und zwar bei Euch beiden. Das mag ursächlich damit zusammenhängen, daß Sarah Sophie wochenlang von nichts anderem spricht. Also pilgern wir artig zum schmiedeeisernen Monument und müssen natürlich auch ein Sammelsurium an Miniaturtürmchen kaufen, die später an alle möglichen Freunde verschenkt werden. Die mütterliche Blockade gegen die Vielzahl fliegender Händler hat aber immerhin eine ganze Stunde gehalten.
Aber das soll eigentlich nur die Hinleitung zur Weiterleitung nach Hyères beziehungsweise den dortigen Strand sein. Derzeit stellen wir die unterschiedlichen Interessen von Euch beiden resolut fest. Mit Sarah Sophie sind Städtetrips problemlos zu bewältigen vor allem wenn die ein oder andere Boutique eingebaut wird, mit Leo leider gerade nicht, da Fußballplätze selten in Innenstädten zu finden sind. Und da wir Euch nach Paris noch durch Lyon gescheucht haben, erschien uns die zweite Woche Ferien am Strand eine gute Idee zu sein. Das war sie dann auch wirklich, da wir unseren Camper zufällig direkt neben dem Fußballplatz des Campingplatzes geparkt haben und sich Leo morgens nach dem Frühstück verabschiedet um in internationaler Runde kicken zu können.
Sarah Sophie hat in diesen Tagen eine ganz andere Freizeitbeschäftigung für sich entdeckt. Es ist genauso sonnig wie ordentlich windig und so lassen sich täglich viele Drachen am Himmel entdecken. Im einzig noch um diese Jahreszeit geöffneten Strandutensilien-Fachgeschäft finden wir dann auch tatsächlich noch einen Lenkdrachen. Also ab zum Strand. Aber einfach nur im Wind herumfuchteln ist natürlich für Eure Mutter viel zu mickrig und so schlägt sie kurzerhand die Brücke zwischen simplen Drachen-steigen-lassen sowie gekonntem Kitesurfen und erklärt die Basics im Handling eines Kite, also Drachen. Jahrelang kiten in Tarifa kriegst du aus keinem Kopf mehr raus. Ich mime den Starthelfer und Sarah Sophie übt folglich fleißig „Achten“. Das klappt auch bereits am nächsten Morgen schon ganz beachtlich.
Eure Mutter bekommt das alles aber gar nicht mit, da sie fleißig telefoniert. Ja, und mit wem sie telefoniert, brauche ich gar nicht zu fragen: Natürlich mit ein paar Kitcamps in Tarifa und auf Sardinien. Ich gehe mal davon aus zu wissen, was Sarah Sophie als Nächstes lernt. Dumm ist nur, daß kiten hier erst ab 12 Jahren geht.
Ups, das haben wir dann wohl vergessen eben Dir zu erzählen.
Aber durch nicht erzählen ist Leo immerhin zu seinem Eislaufkurs gekommen. Das könnte ein ganz gutes Vorzeichen sein.