Seit einige Zeit gibt es mal wieder etwas Neues, was Sarah Sophie unbedingt haben möchte, keinen Aufschub duldet und gefühlt täglich auf der Tagesordnung steht: Eine Sofortbildkamera.
Meine analogen Photogene schlagen sofort an und ich bekunde vollstes Verständnis für das avisierte Unterfangen. Eure Mutter hingegen hält das selbstverständlich für totalen Blödsinn und verweist auf die diversen vorhandene photographischen Apparaturen. Davon gibt es einige bei uns – das liegt wohl an mir – das gebe ich zu. Schlussendlich entbrennt eine genauso sinnlose wie leidenschaftliche Diskussion über einen kleinen, kultigen Integralfilm.
In den kommenden Tagen startest Du immer mal wieder unterschiedliche Versuche an das begehrte Gut zu kommen. Ich glaube als wir im Verhandlungsstand bei stabil zugesicherter Erfüllung unter Einbeziehung des kommenden Zeugnisses angelangt sind kommt die erlösende Nachricht per email. Deine Schule veranstaltet einen Chanukkia-Do-it-yourself-Wettbewerb für die dritten und vierten Klassen und einer der ausgelobten Gewinne ist just eine Sofortbildkamera, also sozusagen die Quadratur des Kreises, wir müssen nur noch gewinnen. Sofort ist Sarah Sophie Feuer und Flamme für das Projekt gibt aber zu bedenken, daß wir nicht zu gut sein dürfen, da ja der erste Preis ein Waveboard ist, was Du nun überhaupt nicht gebrauchen kannst, da bereits vorhanden.
Nein, wir müssen exakt den dritten Platz erreichen, denn hierfür gibt es das leidenschaftlich ersehnte Objekt der Begierde. Bleibt nur noch zu klären, wie eine sozusagen drittklassige Chanukkia zu bauen ist. Wir überlegen hin- und her und irgendwann entsteht die Idee eine Landkarte Israels auf ein Holzbrett zu pinseln, kleine Glasröhren sind die Kerzenhalter und an die unterschiedlichen Regionen des Landes kleben wir jeweils Photos aus diversen Urlauben. Damit lässt sich dann auch ordentlich pathetisch punkten da das Ganze natürlich auch beschrieben werden soll. Wir bestellen die notwendigen Utensilien und das Projekt gerät irgendwie ein bisschen in Vergessenheit, wahrscheinlich weil es noch mehrere Wochen bis zum Einsendeschluss hin sind. Weitreichende zeitliche Terminierung ist nicht so unser Ding.
Ein Tag vor besagtem Termin fällt Sarah Sophie nach dem Abendessen sowohl wünschenswerte Kamera als auch anstehender Wettbewerb wieder ein und es wird hektisch im Hause Reichmann. Ich durchforste meine Mails und bestätige die notwendige Abgabe am folgenden Tag. Wir haben 19:30 Uhr und stellen fest überhaupt keine Kerzen gekauft zu haben. Sarah Sophies Schlachtplan für die kommenden Stunden ist genauso zielorientiert wie beachtenswert: Sie malt die Landkarte, Leo schneidet die Photos aus und ich gehe Kerzen kaufen. Unter Zustimmung meinerseits gekoppelt an die Auflage geputzter Zähne bis zu meiner Rückkehr sehe ich zwei Kinder freiwillig gen Badezimmer entschwinden. Der Teil klappt also schonmal. Mittlerweile nur noch 20 Minuten bis zur nächsten Drogerie sind realistisch. Natürlich hat die eine der beiden bekannten Filialbetriebe keine passenden Kerzen im Angebot und ich schlüpfe – unter Protest der gerade die Tür schließen wollende Mitarbeiterin – in die alternative Mitbewerberaussenstelle.
Kerzen gesichert, zurück zum Basteln:
Hier hat Leo bereits fleißig ganze Arbeit geleistet und auch nur einen zu vernachlässigen Anteil der Photos unbrauchbar zerschnippelt. Ihr redet zumindest noch miteinander.
20:17 Uhr: Sarah Sophie malt fleißig an der Israelkarte. Als Vorlage hast Du Dir im Internet einen – politisch korrekten – Lageplan der Situation im Nahen Osten ausgesucht und zeichnest artig Gazastreifen, Westjordanland und den Golan in unterschiedlichen Farben ein. Mein liberales Herz ist entzückt, gebe aber um 20:30 Uhr nicht ganz ernstgemeint zu bedenken daß dies möglicherweise die Gewinnchancen schmälern könnte. Eine folgenschwere Bemerkung wie die nächsten Minuten zeigen:
20:31 Uhr: Lautstarkes Drama unter Aufkündigung jedweder familiärer Bindungen seitens meiner Tochter. Leo versteht weder Schwester noch Situation.
20:33 Uhr: Die Westbank wird kleiner, das Tote Meer größer und wir läuten eine Waffenruhe ein. Beide Seiten schweigen über die kommende halbe Stunde.
21:05 Uhr: Ich versuche den Nahostkonflikt kindgerecht in zehn Minuten zu erklären.
21:15 Uhr: Die Erklärung scheitert, dafür wird Jerusalem immer größer. Die Landkarte sieht zwar immer noch so aus wie vorher, wir einigen uns aber darauf daß Leo nun ins Bett muß und wir später weiter diskutieren.
21:35 Uhr: Leo schläft und wir kleben, wieder friedlich vereint, zusammen die Photos auf.
22:00 Uhr: Sarah Sophie geht viel zu spät ins Bett und ich montiere die Kerzenhalter und versetzte das Konstrukt in einen Tontopf mit Modellgips.
22:45 Uhr: Die Chanukkia steht ordnungsgemäß am Fenster. Es herrscht wieder Frieden im Land.

Am kommenden Morgen mache ich ein Photo, schicke es an die angegeben Mailadresse und an irgendeinem Tag danach springst Du aus dem Schulbus und präsentierst voller Stolz eine himmelblaue Sofortbildkamera. Wir kaufen die passenden Filme und Du bist rundum glücklich.
Bereits am ersten Abend von Chanukka einigen wir uns darauf, daß ausschließlich wegen Deines genialen Einfalls mit den bewusst unterschiedlichen Farben es eben genau der dritte Platz geworden ist. Hättest Du ganz Israel mit allen Territorien in einer Farbe gepinselt, wäre es natürlich der erste Platz geworden, wir hätten jetzt ein Waveboard und der Nahostkonflikt wäre auch noch nicht gelöst.

Ja, und das nützt ja nun auch niemandem etwas – Chag Chanukka Sameach.