Der 104./ 52. Monat – Das Prinzipiell-Prinzip

Im März zieht auch bei uns jemand ein, der unsichtbar das Sagen hat: Herzlich Willkommen wird wohl niemand die neue Spaßbremse begrüßen, aber da ist sie trotzdem: Corona!

Zu Beginn sind wir noch auf kreative Ideen gekommen um das Virus auszusitzen und wollten zunächst mit dem Campingbus temporär an die holländische Nordsee auswandern oder zumindest täglich auf Sarah Sophies heißgeliebte Ponyfarm ausweichen. Geschlossene Grenzen beenden Plan A bereits vor Inkrafttreten und das Projekt Pony erlebt leider nur einen Tag, dann ist auch hier alles dicht. Wir haben somit eine Situation die bis dato gänzlich unbekannt ist: Wir sind zuhause, und zwar alle, und zwar immer! Eure Mutter 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche zuhause zu haben hat es bisher schlicht noch nie gegeben. Schule und Kindergarten sind bekanntermaßen auch geschlossen und es bleibt die einzige Frage: Was machen wir denn jetzt?

Aber die Frage ist schnell beantwortet: Meetings!

Was auch sonst in diesen Zeiten. Meeting heißt das neue Zauberwort! Von jetzt auf gleich haben alle Videomeetings. Sarah Sophies Schule stampft in Rekordgeschwindigkeit derlei Infrastruktur und Lehrerkompetenz aus dem Boden, daß mindestens die Hälfte der Eltern-WhatsApp-Gruppe komplett überfordert ist und startet bereits am dritten Wochentag pünktlich zum regulären Unterrichtsbeginn das virtuelle Klassenzimmer. Da bleiben kleine Holprigkeiten vereinzelter Fachlehrer wirklich nur eine Randnotiz. Im Bekanntenkreis höre ich gruselige Geschichten zu dem Thema. Ich bin schwer beeindruckt und drucke fleißig jeden Abend Dein Arbeitspensum aus.

„Corona-Schule“, März 2020, Düsseldorf, D

Die Beraterbude Eurer Mutter erfindet sich ebenfalls recht zügig neu und erklärt neuerdings aus unserem Schlafzimmer die wirtschaftliche Welt. Ein besonders possierliches Bild, da Eure Mutter durchsetzt, visuell nicht im Bild zu erscheinen sondern lediglich auf der Tonspur Präsenz zu zeigen. Geht auch gar nicht anders, sitzt sie doch im Schlumpershirt auf unserem Bett und teilt dasselbige in Sektoren, die einzelnen Kunden zugeordnet werden. Wer von denen das Privileg hat auf dem Kopfkissen zu landen und wer in den Fußraum muss bleibt allerdings ihr Geheimnis. Aber das ist bestimmt auch besser so.

Leo lernt bei der ganzen „Meeterei“ ganz nebenbei die Uhr lesen, da Du unverzüglich in den Flur zur großen Wanduhr flitzt, sobald die akustische Benachrichtigung als mahnendes Signal ertönt. „Meeeeeeeeeeeting“ intonierst Du genauso laut – wie oft am Tag. Das ganze hat also auch sein Gutes. Deinen digitalen Kindergarten findest Du übrigens genau einmal interessant und dann nie wieder. Der imaginären Kinderbewahrungsanstalt verweigerst Du Dich vollumfänglich nachdem in der ersten Stunde äußerst interessiert in die Runde geblickt wird. „Meetings“ sind wichtig, aber nur um andere daran zu erinnern, Dir ist das offenkundig um Längen zu profan um hier einzusteigen. Eine Überzeugung die ich durchaus teile und Dich folglich, nach dreimaliger Nachfrage elterlich vom iPad entschuldige.

Online-Kindergarten ist nur einmal interessant, März 2020, Düsseldorf, D

Sarah Sophie hingegen steigt voll auf die digitale Schiene ein. Die schulischen Meetings sind wahrscheinlich nur der ausschlaggebende Hinweisgeber, jedenfalls veranstaltest Du bereits in der zweiten Woche eigene „Mädelsmeetings“ in denen sich dann die üblichen Verdächtigen über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens austauschen und das Ganze wird eine feste Größe im wöchentlichen Alltag. Und zwar mit absoluter Beständigkeit. Grundsätzlichkeit bekommt in diesen Tagen ohnehin eine neue Dimension. Zu Beginn der Woche muss bereits vor dem Frühstück festgelegt werden, wann, mit wem, welches Meeting abzuhalten ist damit die – eigentlich immer gleichen – Teilnehmer auch zeit- und zielgerichtet eingeladen werden können.

Eine weitere wiederkehrende neue Lebensregel bestimmt das Mittagessen: „Wohin gehen wir nachmittags?“ Nachdem sich Leo täglich versichern lässt, daß alle Spielplätze auch wirklich immer noch geschlossen sind, entbrennt eine hinreißende, leidenschaftliche Diskussion zwischen Euch beiden ob wir nun in den Wald oder zum Rheinufer fahren. Mittlerweile ertappen wir Eure Mutter sogar dabei im Internet nach hiesigen Wanderwegen zu recherchieren. Es passieren spannende Dinge in diesen Tagen.

Selbstverständlich seit ihr Euch nie einig, versucht aber den Gegenüber vom Gegenteil zu überzeugen. Hierzu schweige ich meistens genüsslich lauschend und packe schonmal den Rucksack. Ihr erfindet täglich neue Stilblüten den jeweils anderen vom eigenen Ausflugsziel zu überzeugen. Leo verspricht zeitweise sogar zukünftig Boxhiebe in Richtung der Schwester zu unterlassen nur um seinen Kopf durchzusetzen. Sarah Sophie spielt im Gegenzug die Große-Schwester-Karte aus und besticht Leo mit dem Versprechen Dir abends alles Mögliche mittels Lego zu bauen und freut sich dermaßen diebisch den Kleinen überlistet zu haben. Ich gehe davon aus, das eigentliche Ziel ist Dir total schnuppe – Hauptsache du gewinnst. Irgendwann während des Dessert seit ihr Euch einig und wir fahren für gewöhnlich abwechselnd in Richtung Wald und Fluss. Jeweils angekommen seit ihr Euch dann übrigens wieder einig die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Das mag mit dem Eiswagen zusammenhängen der zufällig an beiden Ortschaften anzutreffen ist.

Und das tägliche Gezeter hat auch schon einen Namen bekommen und der hat gar nix mit Corona zu tun:

Das Prinzipiell-Prinzip.