Winterferien, also Skifahren. Was sonst. Und Eure Mutter muss wieder ganz tapfer sein: Es geht nach Österreich. Im letzten Winter haben wir noch die sprachliche Verständigung von Leo und Skilehrern vernachlässigt und sind wieder in den französischen Alpen gelandet – doch im zweiten Skikurs sollte man wohl doch verstehen was jemand einem beibringen möchte. Eure Mutter kann Österreich zwar überhaupt nichts abgewinnen – warum weiß sie wahrscheinlich selbst nicht so genau – fügt sich aber tapfer in ihr Schicksal. Das muss auch mal erwähnt werden. Die übliche Weihnachtsfeier ihres Arbeitgebers kollidiert diesmal mit dem letzten Schultag von Sarah Sophie, womit Du das erste Mal alleine fliegen darfst. Wir Eltern und Leo fahren einen Tag vorher voraus und Du quartierst Dich bei einer Freundin Eurer Mutter ein, die Dich dann am nächsten Tag zu Schule und Flughafen chauffiert. Selbstverständlich bin ich erneut der Aufgeregteste bei diesem Projekt und zugegeben erleichtert als ich Dich am Stuttgarter Flughafen wieder in Empfang nehme.
Ganz nebenbei hast Du Dir dafür ein eigenes Telefon erschummelt, da ich Dich – nach Deiner Einschätzung – jederzeit anrufen können muss. Ich glaube „Papa, das Telefon brauche ich ja nur für dich. Stell dir mal vor, Du kannst mich nicht erreichen – wo du dir doch immer so viel Sorgen um mich machst!“ ist noch einer der verbal-schwächsten Proklamationen in dieser Richtung. Wieviele unbegleitete Kinder aus Sicherheitsbereichen deutscher Flughäfen oder fliegenden Flugzeuge in der letzten Zeit verloren gegangen sind kann ich natürlich nicht beantworten und kaufe folglich eine SIM-Karte. Sicher ist sicher!
Jedenfalls bist Du wohlbehalten eingetroffen und wir haben überhaupt nicht telefoniert. Das aber nur am Rande. Wie jedes Jahr genießt Du sichtlich Deinen Auftritt auf der Weihnachtsfeier während Dein Bruder unaufhörlich Chanukkalieder zum Besten gibt und Dir damit sogar manchmal die Show stiehlt. Leo scheint die vergangenen Wochen im Kindergarten derlei fleißig geübt zu haben und vor gehörigem Publikum macht es wohl erst recht Spaß. Zuhause singst Du bis dato nicht. Das ändert sich übrigens mit dieser Feier schlagartig und ich kann mir ungefähr vorstellen, was spätestens zu Pessach bei uns los ist. Und es gilt selbstverständlich der alte Musiker-Grundsatz: „Das muss so laut!“
Aber es geht ja eigentlich um Skifahren: Am nächsten Morgen gondeln wir weiter nach Neustift in Tirol am Stubaier Gletscher. Ihr beide besucht die lokale Skischule und Eure Mutter und ich fahren nach Jahren erstmals wieder gemeinsam. Sie Snowboard und ich Ski. Und damit geht das Dilemma auch schon los. In manchen Dingen ist Sarah Sophie so dermaßen ersichtlich die Tochter ihrer Mutter, daß es einem förmlich ins Auge springt – oder hier besser gesagt ins Ohr. Das Deine Mutter etwas kann und Du nicht wird Deinerseits mit einem schlichten Satz kommentiert: „Dein Ernst?” Theatralische Gestik selbstredend inklusive. Bereits am zweiten Tag ist die Skischule langweilig, Du kannst natürlich schon alles und einzig Deine neue Freundin Sophia aus selbiger erspart uns sinnlose Diskussionen über einen weiteren Verbleib dort bis zum Ende der ersten Urlaubswoche. Solange ist der Kurs nämlich bezahlt.
Wenig wundersam erhandelst Du Dir erfolgreich einen Snowboardkurs für die zweite Woche und wirst nicht müde Leo gegenüber zu erwähnen was Du zu erlernen gedenkst. Jeweils untermauert mit dem unauffälligen Hinweis er sei natürlich noch zu klein dafür, Du hingegen nicht. Prinzip „Große Schwester“ in Vollendung. Wir melden Dich an und tauschen Ski gegen Board. Wie stolz man das dann zur Gondel tragen kann auch wenn man noch nie darauf gestanden hat erleben wir am folgenden Tag. Du entschwindest zu Deiner Gruppe und warst nicht mehr gesehen. Am Nachmittag verkündest Du stolz die jüngste in der Gruppe zu sein, diese aber morgen schon wieder verlassen zu müssen, da dies ja die Anfängertruppe sei und Dich Gert aus der Fortgeschrittenenabteilung entdeckt und flugs zu sich beordert habe. Eine kurze Nachfrage meinerseits ob der eventuellen Möglichkeit unter Umständen in der Richtung etwas falsch verstanden zu haben konterst Du jovial mit nur zwei Worten – die dafür aber in passender Stimmlage: „Boah, Papa!“. Wie gesagt die Tochter Deiner Mutter!

Am nächsten Morgen bestätigt uns besagter Gert den Gruppentausch vollumfänglich und erwähnt nicht nur in einem Halbsatz Dein offenkundiges Talent für diesen Sport. Deine Mutter verabschiedet, Dich sichtlich um mindestens einen Meter gewachsen, mit den Worten „Meine Tochter!“ in Deine neue Lieblingsbeschäftigung und von nun an gibt es nur noch Snowboard. Beim Frühstück, beim Abendessen, egal wo: alles dreht sich ums Board. Du findest es ungerecht im Sommer Geburtstag zu haben, da Du somit ja viel zu lange auf Dein Geschenk – natürlich ein Board – warten musst. Ich gebe aber zu Deine Fortschritte auf dem Ding sind schon erstaunlich. Noch erstaunlicher ist es aber, daß Du es ernsthaft schaffst Eure Mutter davon zu überzeugen in zwei Monaten wieder hier zu sein. Dann ist nämlich Karneval und Deine Schule legt wie jedes Jahr mehrere bewegliche Ferientage auf diese Zeit. Ich sehe also eine Verbündete in meinem alljährlichen Kampf für mehrmalige Schneeausflüge. Und dann auch noch nach Österreich.
Also ab aufs Board, Prinzessin!