Der 101./ 49. Monat – Berliner Filmfritzen

Einer der spannendsten Aspekte unseres derzeitigen Mehrgenerationen-Zustandes ist vor allem, daß wir uns bekanntlich als heimelige Familie vor allem dadurch definieren „zuhause“ von unserer standardisierten Behausung abzukoppeln und schlicht gerne unterwegs sind. Das war nie anders und wird sich hoffentlich auch nie ändern! Bedeutet für Opa konkret, daß ihm die unterschiedlichsten Betreuungsformen zuteil werden. Aber da ist er glücklicherweise durchaus aufgeschlossen. Dieser Tage steht das jährliche Treffen der „Anonymen Analogiker“ in Berlin an – oder wie Sarah Sophie es nennt: „Papa trifft sich mit seinen Filmfritzen!“ Eine für viele sicherlich skurrile Veranstaltung die ich aber nun bereits seit mehreren Jahren organisiere.

Hier trifft sich eine bunte Runde durchaus verschrobener Köpfe, widmet sich ausnahmslos analogem Film und klopft sich auch mal gerne auf die gegenseitigen Schultern – stolz beflissen ihren Teil dazu beizutragen, daß es chemischen Film überhaupt noch gibt. Da gibt es dann alles: von Kunst bis Kitsch, von Trash bis Irgendwas, was überhaupt niemand mehr versteht – Hauptsache es ist auf echtem, perforiertem Film gedreht. Vor ein paar Jahren haben wir sogar versucht diesen paradiesischen Unsinn zu dokumentieren. Ich mittendrin – was soviel bedeutet: Mich gibt es an einem Wochenende eigentlich gar nicht. Aber eben nur „eigentlich“.

Irgendwann in den letzten Jahren haben wir angefangen vor dem samstäglichen Finale dieses Irrsinns eine Stunde „Kinderkino“ vorzuschalten, verbunden mit der festen Überzeugung auch dem kleinsten Nachwuchs echtes Kino nahe zu bringen. Freunde mit entsprechenden Kindern haben wir genug in Berlin – Problem ist nur, daß die gesamte Nummer eben bereits Freitagabend in irgendeiner Berliner Kneipe startet, ich zwangsweise equipmentmäßig mit dem Auto fahren muss und Sarah Sophie bis zum Nachmittag noch Schule hat. Ach ja: Opa und der Hund müssen ja auch noch verorganisiert werden. Aber man wächst ja bekanntlich an seinen Aufgaben und das geht dann so:

Für Euren Opa organisieren die mütterlichen Großeltern aus ihrem – ich bin mir sicher – unerschöpflichen Kreis von Jemandem der auf jeden Fall mindestens einen kennt, der wiederum mit einem Bruder von dessen Schwägerin gut bekannt ist, welche unverhohlen garantieren kann daß ihre Tante unter Zuhilfenahme der Großnichte für genau sowas grandios prädestiniert ist.

Jedenfalls kommt über das Wochenende jeden Abend Olga vorbei und versorgt Euren Opa. Der Hund macht einen Wochenendausflug zu Katja und Problem Eins ist gelöst. Eure Mutter weilt die Tage vor besagtem Wochenende kundenbedingt in der Nähe von New York und platzt irgendwann mit der frohen Botschaft ins Familienleben, bereits gegen Freitagmittag in Düsseldorf sein zu können. Also brauchen wir nur noch eine pünktliche Lufthansa, funktionierende Anschlussflüge und jemanden der Euch beide von Schule und Kindergarten abholt, zum Flughafen fährt und in die mütterlichen Arme treibt, damit ihr mit dann zu dritt nach Berlin weiterfliegen könnt. Diejenige ist schnell gefunden da Victoria, eine andere Freundin Eurer Mutter, ihren Sohn im gleichen Kindergarten umsorgen lässt wie wir Leo. Das Schule und Kindergarten direkt nebeneinander liegen habe ich ja bereits erwähnt und ich stelle wieder einmal fest, was exakt diese Kleinigkeit für einen unglaublichen Luxus darstellt.

Aufbruch zum Kinderkino, Dezember 2019, Berlin, D

Ich setze also Freitag morgen Sarah Sophie in den Schulbus, bringe Leo kurz darauf in den Kindergarten und starte Richtung Berlin. Zwischenstopp in Bochum um Thomas nebst einer Kiste klassischer Zeichentrickfilme einzuladen. Auf der Höhe von Hannover unterrichtet mich Eure Mutter voller Freude bereits in München gelandet und so gut wie auf eine frühere Maschine nach Düsseldorf umgebucht zu sein um das gewonnene Zeitfenster in der beliebten Pizzeria unweit der Schule zu verbringen, da ihr just jetzt einfällt, sich sowieso noch mit Katja (die mit dem Hund) treffen zu wollen, da sie selbstverständlich noch irgendwelche Geschenke für sie aus New York dabei hat. Kurz hinter Braunschweig vernehme ich mittels eines weiteren Telefonats die fröhliche Zusammenkunft der drei projektbezogenen Damen nebst Kinderanhang und ich weiß, daß spätestens jetzt niemand mehr außer Euch in der Pizzabude sitzt. Zwischen Magdeburg und Berliner Ring seit ihr in Düsseldorf eingecheckt und Thomas sagt gar nichts mehr. Noch bevor ich ihn in seinem Hotel absetze, vermeldet Eure Mutter erfolgreichen Tegeler Touchdown mit anschließender Fahrt zur Berliner Katja damit ihr beide noch etwas spielen könnt. Wahrscheinlich ist sie beängstigt ihr könntet Euch zu sehr langweilen.

Ich parke unseren Campingbus auf dem bekannten Wohnmobilstellplatz und mache mich auf zu den üblichen Verdächtigen. Hier sammelt Eure Mutter früher oder später noch den benötigten Schlüssel für das Tor zum Stellplatz ein und das wars auch schon:

Wir sind tatsächlich alle „zusammen“ angekommen. Kinderkino und der Rest der ganzen sinngebenden Veranstaltung am nächsten Tag sind wieder ein voller Erfolg und lediglich ein winziger Wermutstropfen wiegt über allem. Alle 16mm-Kinderfilme von Thomas kann er gar nicht mehr mit nach Hause nehmen, da wir vier alle – ganz unspektakulär in einem Auto zusammen – zurückfahren. Das ist natürlich verabredet und Thomas fährt folglich mit dem Zug nach Hause. Ganz ohne Filme, die haben wir dabei.

Aber das stört Euch beide komischerweise in den nächsten Wochen überhaupt nicht. Filmkultur geht eben vor!

Geschrieben in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.