Am 31. Juli verabschiedet sich Leo aus seinem „kleinen Kindergarten“ um gegen Ende August – etwas widerwillig – seine Karriere im „großen Kindergarten“ zu starten. Das sollte selbstverständlich, ebenso wie bei Sarah Sophie, der Waldkindergarten sein. Anmeldung und Platzzusage haben wir erfolgreich hinter uns gebracht, als dann irgendwann über Umwege die skurrilsten Nachrichten aus dem Wald bei uns eintreffen. Das Ganze ist eine Elterninitiative, deren maßgebliche Ausrichtung und Funktionsweise von dem jeweils gewählten Vorstand aus der Elternschaft bestimmt wird. Das weiß ich noch aus eigener Erfahrung, da ich zu Sarah Sophies Zeiten zwei Jahre daran beteiligt war und fleißig mitgewerkelt habe. Das macht viel Spaß, aber zugegeben auch etwas Arbeit, die sich lohnt, da ich zu einhundert Prozent von der Idee Waldkindergarten überzeugt war und bin. Und genau das tut der aktuelle Vorstand auch, allerdings in äußerst interpretativ-pädagogischer Auslegung. Als erstes bekommt die langjährige Kindergartenleitung sozusagen den Stuhl vor die Tür – beziehungsweise vor den Wald – gesetzt und wird fristlos gekündigt, dann werden mal eben elementare Grundregeln und Rituale außer Kraft gesetzt damit sich die Kleinen nach einer wie auch immer zu verstehenden „Bedürfnisorientierten Pädagogik“ frei entfalten können. Was in den 1970er Jahren als “Antiautoritäre Erziehung” maßlos gescheitert ist, muss man – meines Erachtens – nicht zwingend anders benennen und erneut versagen lassen. Wenn Du drei Jahre nicht nur auf Bäumen sondern auch noch auf den sprichwörtlichen Nasen der Erzieherinnen herumtanzen darfst, möchte ich mir nicht vorstellen was bei uns zuhause los ist, von Deinem anschließenden Schulstart ganz zu schweigen. Damit ist das Ganze vom Tisch, ich melde Leo ab und wir stehen ohne Kindergarten da. Jeder sucht sich eben seine eigene Herausforderung.
Und hier erleben wir Eure Mutter in diesen Tagen in absoluter Hochform. Ich weiß nicht ob sie bei der Terminanfrage schon erwähnt hat, daß wir den Kindergartenplatz noch für dieses Jahr benötigen, jedenfalls kommt nach ein paar Tage ernsthaft die schriftliche Zusage, daß Leo ab Ende August den Kindergarten der Gemeinde besucht, der sich praktischerweise direkt neben Sarah Sophies Schule befindet und nebenbei erfahre ich auch noch, daß die Dame die bei Leos Turnen öfter neben mir auf der Bank sitzt, zufällig die Kindergartenleitung inne hat und sich selbstverständlich während der Verhandlungen mit Eurer Mutter an uns beide erinnert. Ganz klar: Masel Tov!
Damit sind die administrativen Dinge abgearbeitet und wir wissen nun, daß nach den noch ausstehenden drei Wochen Sommerferien Deine „Große Kindergartenzeit“ beginnt und Sarah Sophie sucht bereits jetzt schon Deine Kipa aus, damit Du auch korrekt ausstaffiert vorstellig werden kannst.
Sarah Sophie geht zum Sommercamp der Gemeinde wo wieder ihre halbe Klasse anzutreffen ist und wir beide vertrödeln nicht selten ganze Tage am See oder im Zoo. Damit die Ausflugsdichte aber nicht unter Normalmaß sinkt, hat Eure Mutter diejenige Kundschaft mit den abstechertauglichen Zielen jeweils an ein Wochenende geheftet und wir fahren mal wieder einfach mit.
Es geht zunächst in die Nähe von Hannover und später nach Hamburg. Bekanntlich beides im Norden gelegen, wodurch ich auf die aberwitzige Idee komme, die Wochenenden jeweils an die Ostsee zu verlagern.
Soweit die Theorie!
Die erste Tour führt uns nach Aerzen wo wir direkt auf dem Parkplatz des Kunden campieren, entlassen Eure Mutter morgens zur Arbeit und trollen uns auf die benachbarte Sommerrodelbahn auf der Ihr beide nicht müde werdet immer wieder in den Bob zu klettern. Nachdem wir Eure Mutter abends wieder eingesammelt haben, starten wir Richtung Grube an der Ostsee. Da kommen wir auch gegen zehn Uhr abends an, ihr schlaft bereits und Eure Mutter bettet Euch wie immer um. Alles wie üblich, nichts besonders – das folgt erst am nächsten Morgen. Es ist bewölkt und entgegen der Temperaturen der vergangenen Tage recht kühl. Ihr beide lugt bei mäßiger Begeisterung aus dem Fenster. Warum ich nun ernsthaft auf den Wetterbericht von Berlin schaue ist mir nicht wirklich erklärlich, jedenfalls halte ich Euch selbstverständlich die sonnigere Wetterlage der Hauptstadt nicht vor und Leo vergewissert sich lediglich noch ob dort auch Cami, die bereits bekannte Cockerspaniel-Dame, anzutreffen ist. Nachdem ich das mit einem einfachen „Ja“ beantworte hüpfst Du von Deinem Platz, räumst Deinen Teller in die Spüle und guckst mich erwartungsvoll an: „Komm, mach den Tisch runter, wir fahren doch nach Berlin!“ ist die genauso knappe wie einfordernde Antwort meines Sohnes. (Zur Erklärung: In unserem Camper muß man den Tisch absenken um die beiden Kindersitze platzieren zu können.) „Ja, aber wir wollten doch ans Meer!“ entgegne ich noch hilfesuchend während Sarah Sophie ebenfalls alles zusammenpackt. „Papa, Du kannst uns doch nichts von Berlin erzählen und dann passiert nichts!“ bekomme ich als Antwort. Mein Anmerkung, daß wir dann doch auch gestern Abend direkt nach Berlin hätten fahren können, das wäre sogar näher gewesen, geht fast im Umbau unter. Lediglich Eure Mutter kann sich natürlich nicht das letzte Wort nehmen lassen: „Ja, selbstverständlich! Wer wollte denn hierhin?“ Weiter kommt sie nicht, da sie bereits ihre Freundin Katja telefonisch von unserer bevorstehen Ankunft in Berlin unterrichtet. Ostsee Part I gilt wohl als gescheitert.
Zwei Wochen später folgt der zweite Versuch. Diesmal versuche ich Scharbeutz an den Mann oder besser gesagt die Familie zu bringen. Diesmal muss Eure Mutter ein paar Tage in Ahrensburg tätig werden und wir planen, sie die knapp 60km mit dem Mietwagen morgens und abends hin- und herfahren zu lassen, damit Ihr die Tage am Strand verbringen könnt. Bleibt aber ebenfalls Theorie – wir haben uns jedoch weiterentwickelt und fahren keine sinnfreien Umwege mehr. Diesmal fragt mich Sarah Sophie vor dem Trip ob es Quallen in der Ostsee gibt, was ich selbstverständlich ordnungsgemäß mit „Ja“ beantworte und Du schleppst Dein „Buch der Tiere“ heran in dem natürlich auch giftige Vertreter der bekannten Nesseltiere dargestellt sind. Das wars, Eure Mutter schaut einmal in das Buch und ich suche einen Campingplatz in der Nähe von Hamburg.
Ostsee Part II ebenfalls kläglich gescheitert – ich gebe hiermit offiziell auf, Euch an die deutschen Küsten zu bekommen. Aussichtslose Unterfangen liegen mir nicht.
Wie Sarah Sophie nun herausgekriegt hat, daß zu der Zeit der Hamburger Sommerdom geöffnet hat und ihr beide sozusagen einen automatischen Anspruch auf einen dortigen Besuch habt, habe ich verdrängt. Eveuntuell habe ich mich wieder verquatscht und bestimmt nur ganz am Rande erwähnt, das ihr ja die Düsseldorfer Rheinkirmes urlaubsbedingt verpasst habt.
Ich stelle fest mit Lauterkeit kommt man ganz schön weit – nur nicht an die Ostsee!