Vor einiger Zeit haben sich Eure Mutter und ich erlaubt im Anschluss eines Konzertes einfach mal nicht nach Hause zu kommen, sondern nach dem bekannten Absacker in einer Hotelbar in selbiger Herberge gleich zu übernachten. Ganz ohne Euch. Sozusagen Erwachsenenprogramm. Das fühlt sich genauso ungewöhnlich wie gut an und ihr beide beschließt, daß wir dies schnellstmöglich wiederholen. Aber selbstverständlich in der Next-Level-Version – man kann ja alles steigern.
Und das sieht dann so aus: Gemeinsam mit Sarah Sophies Freundin Elisabeth entscheidet ihr, daß es doch eine gute Idee ist, wenn wir mit ihr und ihrer Mutter Katja über ein Wochenende gemeinsam verreisen. Leo legt sogleich fest, daß das aber bitte mit dem „Wohnauto“ zu erfolgen hat, denn dann kann man ja Dein neues Lieblingsspielzug mitnehmen: Ein elektrisch betriebenes Kinderauto in dem Du selbst umherfahren kannst. Das so ziemlich unsinnigste und überflüssigster Gefährt überhaupt hat Dir Katja vermacht, manifestiert in der felsenfesten Meinung ein Junge braucht ein Auto. Dagegen kommt man argumentativ eher weniger gegen einen Dreijährigen an zumal er sich noch der solidarischen Unterstützung seiner Schwester sicher sein darf. „Ach Papa lass ihn doch – das ist so cool!“ werde ich belehrt. So klappt die Verkehrswende in dieser Generation aber wieder nicht will wahrscheinlich im Hause Reichmann niemand hören. Deine Mutter ist ausnahmsweise mal mit mir einer Meinung ob der sinnfreien Nuckelpinne, aber nun ist sie leider da und es gelingt mir mäßig erfolgreich sie dauerhaft in der Garage zu verbannen.
Also fahren wir an einem sonnigen Samstagmorgen mit Camper, Kombi und Kinderauto zum Wisseler See am Niederrhein und vertrödeln entspannt den Tag. Leo steigt um und erkundet fröhlich fahrend im Cabilo (das „r“ in Cabrio will noch nicht so recht aus Dir heraus) das Areal. Ganz überraschend findest Du sehr schnell Freunde. Mittags kommt von Leo die erste Rückfrage wann wir denn wieder fahren um ins Konzert zu gehen. Ich erkläre Dir, daß wir gar nicht beabsichtigen zu einem Konzert zu gehen, sondern ins Kino wollen. Lapidare Antwort: „Ist auch egal – aber wir bleiben hier mit Katja, oder!“ Ich glaube, wenn ich diese rhetorische Frage verneinen sollte, dürfte ich mir einem Wortwall an kindlicher Unzufriedenheit sicher sein. Das erscheint ja auch logisch, Sarah Sophie hat Elisabeth und Leo sein Auto. Wer braucht da schon erziehende Eltern.
Nachdem wir zum Nachmittag hin nun mehrfach förmlich dazu gedrängt werden endlich das Weite zu suchen, tuen wir wie uns geheißen und fahren nach Hause. Das Kino haben wir gegen eine Ladung Sushi getauscht, hier noch nichts ahnend, daß genau jenes zu einem neuem geflügeltem Wort in der Familie werden soll. Es ist unbeschreiblich wie unsagbar still und riesengroß eine Wohnung ohne Kinder ist. Es ist ein bisschen fremd, schön und schnell vorbei. Nach einem verspäteten Frühstück treten wir wieder die Rückreise an um Euch bereits um elf Uhr an der Strand-Frittenbude wiederzufinden, von der mir ein fröhlich kauender Leo entgegen winkt und voller Stolz seine aufgefutterte Portion Chicken-Nuggets präsentiert. Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Eine Stunde später sitzen wir allerdings wieder hier, denn dann ist ja Mittag und Leo weiß überraschend auch schon ganz genau, was er essen möchte. Ich gebe mich geschlagen, stelle mich an und rede mir Deinen Fast-Food-Doppelschlag damit schön, daß von einem solchen Wochenende ja jeder etwas haben soll. Sarah Sophie ordert derweil noch eine Portion Pommes frites dazu – sicherlich wissend wenn ich einmal geschlagen bin, läßt sich da noch mehr rausholen.
Während der Rückfahrt erwähne ich in einem Halbsatz die Kino-Sushi-Tauschaktion und messe dem Umstand keinerlei weitere Bedeutung bei. Die kommt erst einige Wochen später, als mich Leo völlig unvermittelt fragt, wann wir denn abermals Sushi essen wollen, damit Ihr beide wieder mit Katja alleine in den Urlaub fahren könnt. Etwas verdutzt erkläre ich, daß erstens Eure Mutter gegenwärtig gar nicht heimisch ist, wir zweitens doch auch Sushi essen können wenn wir alle zuhause sind und erhalte prompt argumentative Rückendeckung meiner Tochter indem Du unterstützend einstreust ebenfalls gerne Sushi zu essen. Das ist zu viel für Leo und Du stapfst – unaufhörlich mit dem Kopf schüttelnd – von dannen in Richtung Kinderzimmer. Klappe, Aus, Stille – Thema durch!
Ploppt auch nur ein paar Tage später wieder auf. In diesen Tagen ist Eure Mutter öfter mal auch unter der Woche zuhause und ich bringe einfach mal eine Ladung Sushi mit zum Abendessen. Leo hilft beim Tischdecken und verlässt augenblicklich freudestrahlend das Wohnzimmer nachdem Du verstehst, was Du da gerade durch die Gegend trägst.
Fröhlich grinsend klemmst Du Dir Deinen aktuellen Lieblingsteddy „Michka“ unter den Arm und überbringst Deiner Schwester die frohe Kunde: „Sarah Sophie wir fahren mit Katja in den Urlaub – komm pack ein!“ Ich bin sprachlos und sehe Dich zutiefst enttäuscht, als ich alles aufkläre – Begeisterung sieht anders aus. Kurz vor dem Dessert fällt Dir aber noch eine Frieden stiftende Maßname ein um die aktuelle Tragödie zu einem guten Ende zu bringen:
„Papa, aber am Wochenende fahren alle zusammen weg. Wir bleiben bei Katja und Du und Mama geht Sushi essen! Das ist sonst ungerecht, oder?“
Na, wenn das ungerecht ist muss Eure Mutter wohl mal telefonieren.
Guten Appetit zusammen.