Der 93./ 41. Monat – Venezianische Strategien

Frühlingsferien: Ihr beide seid völlig aus dem Häuschen als ich mitteile, daß es in den anstehenden Ferien mit Cami nach Venedig geht. Also genau genommen, daß es mit Cami irgendwo hingeht, wohin ist völlig egal. Cami ist eine Cockerspanieldame und einer von drei Hunden einer der ältesten Freundinnen Eurer Mutter: Katja aus Berlin nebst Ihren Töchtern Sasha und Angelina. Sobald Ihr beide den Namen Cami hört, gibt es kein Halten mehr. Der Himmel bewahre uns vor Nachwuchs von ihr.

Die Hinfahrt ist ein erneuter Versuch mit Euch beiden tagsüber eine längere Strecke zu fahren, oder besser gesagt mit Leo, da Sarah Sophie damit altersbedingt weit weniger Probleme hat. Das hat bisher manchmal geklappt, meist erfordert es aber ein robustes Nervenkostüm. Wir teilen also die knapp 1.200km auf eine Nacht und eine Tagfahrt und erleben – um es höflich zu formulieren – einen absolute Katastrophe: Wenn ihr nicht Filme auf dem iPad gucken dürft, wird sich ausschließlich gestritten, gebrüllt, u.s.w.. Kurzum, kurz hinterm Brenner halte ich unvermittelt auf einem Parkplatz an und stelle Euch final vor die Wahl: entweder Ruhe oder ich drehe augenblicklich um und Urlaub mit Cami ist gestrichen. Und siehe da die Androhung einer derartigen „pädagogische Konsequenz“ – wie eine avisierte Strafe heute politisch korrekt heißt – zeigt tatsächlich Wirkung. Wir besprechen kurz was, warum, wieso und dann ist auch schon die letzten 300km Ruhe im hinteren Bereich. Ich plane derartige Maßnahmen zukünftig spätestens ab Frankfurt zu kommunizieren oder wieder nachts zu fahren.

So kommen wir dann doch noch gefühlt halbwegs entspannt auf dem Campingplatz unweit von Venedig an und Cami sowie der Rest der Truppe ist schon vor Ort. Alle wieder glücklich, es wird gegrillt und mit dem ein oder anderen Glas Rotwein spült sich jede Eskapade Eurerseits in Richtung meines subjektiven Vergessens. Urlaub läuft.

Leo schafft es seit Monaten so ziemlich jeden um den besagten Finger zu wickeln und meist in Konsequenz das durchzusetzen was er gerne haben möchte. Und hier hast Du Dir überlegt dieses andauernde Umherspazieren in einer Stadt ist so gar nicht Deins. Und wer weiß, daß ihn Mama oder Papa wohl nicht die ganze Zeit umhertragen, der sucht sich eben ein geeignetes Objekt seiner Begierde und Du wirst hier – wenig überraschend – auch schnell fündig. Sasha, mit 14 Jahren die ältere Tochter unserer Freundin ist die Auserkorene. Man mag es nicht glauben, aber bereits mit Deinen drei Jahren scheinst Du so etwas wie eine Strategie für Dein Vorhaben zu entwickeln. Und die folgt offenkundig einem 3-Stufen-Plan:

Stufe 1
Sitzen wir im Bus oder Cafe ist fortan klar auf welchem Schoß Du zu finden bist: Natürlich Sasha. Prinzip „Sympathieaufbau“ zündet wir gewünscht.

Stufe 2
Zum Mittagsschlaf in irgendeiner Pizzeria reichen Dir zwei zusammengeschobene Stühle als Liegefläche solange Sasha auf dem dritten daneben sitzt. Prinzip „Sicherheitsbedürfnis einfordern und bekommen“ hinreißend entfacht.

Stufe 3
Geht es dann nachmittags weiter mit der bunten Stadtbummelei kommt es Dir erst gar nicht in den Sinn auf eigenem Fußwerk umherziehen. Auf welchem Arm oder Schulter bist Du wohl zu finden: Richtig, natürlich auf denen von Sasha. Prinzip „Hab doch bisher auch alles bekommen“ erfolgreich eingeheimst.

Strategie erfolgreich, April 2019, Venedig, I

Und dieses Prinzip funktioniert jeden Tag, aber ich muss gestehen es wird Dir auch recht leicht gemacht. Ich ertappe mich bei der Vorstellung das mal ein paar Jahre weiter zu denken. Eine Geistesidee die mir entweder gänzlich gefällt oder etwas Angst macht und ich vertage die Einordnung auf das Jahr 2030. Mit Deinen aktuellen Worten beschrieben klingt das dann so: „Papa, wir gucken mal!“ Die derzeit Deinerseits allgemeingültig vorgetragene Formel für alles was Du nicht so ganz einordnen kannst – also vieles.

Tja, aber die Sache hat natürlich auch eine Kehrseite: Die drei Mädels – also Angelina, Sasha und Deine Schwester – haben beschlossen als Gegenleistung in Dir so eine Art Friseurpuppe zu sehen und werden nicht müde unermüdlich an Deinen Haaren herumzufuhrwerken. Leo mit Zöpfchen, Leo mit einem Duzend Haarklammern, Pferdeschwänzchen, u.s.w.. Nicht seltenes Ergebnis dieses figaroischen Dreierbundes ist ein kleiner Pferdeschwanz oben auf Deinem Kopf, zu dem Du selbst gleich die passende Intonation lieferst und fröhlich singend am Canal Grande entlang hüpfst: „Ich hab ’ne Palme auf dem Kopf – ich bin der Leo.“ Die Begeisterung Eurer Mutter für diesen Blödsinn ist genauso verhalten wie aussichtslos. Zupft sie Dir unter allem kindlichen Protest das Haargummi heraus und bringt die Palme somit zu Fall, dauert es keine fünf Minuten und das Gewächs ist neu „erblüht“. Überraschende Kapitulation seitens Eurer Mutter nach nur einem halben Tag. Sie scheint doch noch lernfähig.

Ich hab ‘ne Palme auf dem Kopf – ich bin der Leo, April 2019, Venedig, I

Ansonsten hat Sarah Sophie Cami zu Beginn des Urlaubs in Empfang genommen und erst am Tag der Abreise wieder unfreiwillig abgegeben. Ich gehe davon aus, daß die Rückreise von strategischen Überlegungen Deiner Mutter und Dir geprägt sind wie ihr mich doch noch belatschert einem eigenem Familienhund zuzustimmen. Das bekomme ich aber nicht mit, denn ihr drei fliegt von Venedig nachhause, da ich von hieraus zu einem Ausflug mit meinen Jungs nur 200km südlich von hier aufbreche.

Neuer Begriff von Unzertrennlich: Sarah Sophie & Cami, April 2019, Venedig, I

Und es wird wahrscheinlich niemanden überraschen, daß ihr drei von Venedig erst nach Berlin fliegt. Die Begründung Eurer Mutter für diesen selbstgewählten Zwischenstopp geht in etwa so: „Also, wir haben ja noch fast zwei ganze Tage frei. Da können die Kinder noch mit Cami spielen und günstiger sind die Flüge nach Berlin obendrein.“

Ein Schelm wer hier Berechnung wittert.

Guten Flug ihr drei.