Winterferien: Das bedeutet bei uns per Definition Skifahren. Leo ist mittlerweile im alpintauglichen Alter angekommen – zumindest nach französischer Interpretation. Nehmen österreichische Skischulen Kinder erst ab vier Jahren auf, darf man in Frankreich bereits ab drei Jahren das bekannte Wintersportgerät unterschnallen und sich in der örtlichen Skischule die ersten Unterweisungen abholen. Ähnlich wie bei Sarah Sophie beschließen wir, daß sprachliches Verständnis im ersten Kinderskikurs überbewertet wird und melden Leo in Samoëns in der Anfängergruppe an.
Und das wir das getan haben, weiß nach nur einem Tag so ziemlich jeder auf dem Berg. Du verstehst recht schnell wie das Ganze technisch vonstatten geht und begnügst Dich freundlicherweise auch vollends damit zu wissen wie man so einen Hügel herunterfährt. Wer braucht schon Schneepflüge, Gleichgewicht und Lehrer die man sowie nicht versteht.
Jedenfalls gibt es definitiv nur einen Namen, den man von der Skischule fast über das ganze Plateau unaufhörlich verzweifelt vernimmt: „Leeeeeeeoooooooo“!
Am zweiten Tag wendet sich eine verzweifelte Lehrerin an Eure Mutter und erklärt ihr, daß alles prima ist, Du Schneepflug (das heißt hier Pizza) problemlos beherrscht, Anhalten kein Problem darstellt und Du auch durchaus Hindernisse erkennst und umschiffen kannst – aber es offensichtlich einfach nicht willst. Oder anders ausgedrückt: Bist Du an der Reihe, fährst Du fröhlich munter drauf los und breitest erst die Arme aus wenn Du unten angekommen bist um Dich gebührend in Empfang nehmen zu lassen. Und zwar unter Zuhilfenahme stoischster Ignoranz eines inzwischen fast flehentlich vorgetragenem Lehrerwunsch. Es hilft alles nix: Weder gutes Zureden der großen Schwester, die bekannte besonders ruhige und besonnene Pädagogik Eurer Mutter noch meine Übungsversuche mit Dir vor und nach der Skischule.
Am dritten Tag empfehlen Sie uns einen Privatlehrer. Warum Du allerdings dann ausgerechnet auf den hören solltest erscheint mir irgendwie unklar. Es steht fest – es muss etwas passieren, sonst schmeißen sie Dich raus oder hängen ihren Beruf an den Nagel. Und das geschieht am folgenden Nachmittag. Eure Mutter rauscht ins erstbeste Skigeschäft, erläutert die prekäre Problematik und verlässt besagtes Geschäft mit einem Gurtsystem und flexiblen Schraubzwingen mittels derer Deine Skispitzen in die gewünschte dreieckige Form gebracht werden. Das ganze sieht genauso bescheuert wie funktional aus und es folgt eine Übungseinheit die mich an den Witz nach dem Unterschied zwischen einem Rottweiler und einer jüdischen Mutter erinnert: „Der Rottweiler lässt irgendwann los!“ Damit dürfte Intensität und Zielvorstellung wohl hinreichend beschrieben sein. Am nächsten Morgen rekapitulieren wir vor der Skischule in strebsamer Manier unter vollstem Familieneinsatz. Die große Schwester dirigiert Dich mittels besagtem Gurt und die zwingend zusammengehaltenen Skier bleiben in gewünschter Position. Da das Ganze offensichtlich für Dich ganz interessant aussieht, fügst Du Dich artig in Dein Schicksal und schaust dabei noch nicht einmal besonders unglücklich aus. Nach zwei oder drei Abfahrten schraube ich die albernen Klemmen ab und siehe da: Du fährst eigenständig im Schneepflug den Berg hinab. Alles prima – soweit so gut. Einziges unwesentliches Manko: Während Deines Mittagsschlaf scheinst Du alles vergessen zu haben und ich habe mir gerade erst die Skier angeschnallt, da ertönt auch schon wieder der bekannte Bergruf: „Leeeeeeeeeeooooooooooo“!
„Das ist boshafter Vorsatz!“ schießt es mir durch den Kopf, ach nein geht ja nicht, Du bist ja erst drei. Einerseits ist es ganz charmant zu sehen wie Du Autoritäten nicht automatisch per Definition hinnimmst, andererseits macht es wahrscheinlich schon Sinn skilehrerischen Anweisungen Folge zu leisten. Was wir nach der Skischule gemacht haben, dürfte wohl klar sein. Der Gemütszustand Eurer Mutter ist vollständig zum Erliegen gekommen. Erfreulicherweise spielt zumindest das Wetter – im Gegensatz zum Vergangenem in diesem Jahr mit – und somit finden Deine fröhlichen Vormittagsübungen bei bestem Kaiserwetter statt. Deine Schwester hat Dir den Grundkurs Ski auf drei Punkte herunter gebrochen und wird wirklich nicht müde Dir diese gebetsmühlenartig vorzutragen:
1. Pizza machen -> 2. Arme auseinander -> 3. Augen nach vorne
Klappt auch alles prima – nur nicht in der Skischule. Mittlerweile sind wir am vorletzten Tag Deiner Grundausbildung angekommen und Du darfst erstaunlicherweise immer noch am Unterricht teilnehmen. Soviel Geduld bewundere ich zumal ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht darüber informiert bin, daß Eure Mutter in der Zwischenzeit bildhafte Beweise Deiner Fähigkeit an die Skilehrerschaft übermittelt hat und – ganz gewiss unter Zuhilfenahme höflichster Etikette – eine Debatte über deren Kernkompetenz entfacht hat was entweder deren Ehrgeiz geweckt oder wie ich eher vermute ein „In zwei Tagen sind sie ja weg“-Prinzip ausgelöst hat.
Wie dem auch sei, es folgt der letzte Tag und Du fährst vorbildlich, als wenn Nichts gewesen wäre, unter Beachtung sämtlicher Lehreranweisungen, den Berg hinunter, lässt Dich gebührend belobigen und wir können mit Eurer wieder gänzlich gut gelaunten Mutter die Heimfahrt antreten.
Und so auf der Höhe von Frankfurt hört sie überraschend sogar schon auf derart herrlich selbstzufrieden zu grinsen, allerdings nicht ohne noch einmal meinen Lieblingssatz los zu werde: „Na, hat doch geklappt!“
Die Jungs in Österreich nächste Saison tun mir jetzt schon ein bisschen leid.