3. Monat – Der Klassiker

Als Dein Opa jung war gab es für eine ganze Generation nur ein erklärtes Reiseziel. Und das liegt sehnsuchtsvoll verklärt jenseits der Alpen: Italien. Da hat Opa gelernt das die Pfannkuchen dort Pizza heißen und alles andere als süß schmecken, Kaffee nicht aus einer Militta-Filtertüte kommt und es Eisdielen mit mehr als Vanille, Schokolade und in selten Fällen noch Erdbeereis gibt. Kurz und gut ein gutes Fleckchen Erde. Und wenn mein Vater etwas macht, dann macht er es richtig. Ich war in meiner Kindheit gefühlt dutzende Male an dem norditalienischen Bergsee schlechthin: dem Lago di Garda in der Nähe von Verona. Auch wenn Spüdtirol nur eine von insgesamt drei Provinzen ist, die sich die Verwaltung des Sees teilen, man spricht deutsch! Das dürfte mithin der Grund dafür sein, daß ich den See nie wirklich zu Italien gezählt habe, da ich zeitlebens das Gefühl hatte ehe am Starnberger See zu sein. Der hat zwar nichts mit Südtirol zu tun, aber muss jetzt hier als Vergleich einfach mal herhalten. Nichtsdestotrotz ist das Seeufer beiderseits schick und auf den Bötchen wehen italienische Fähnchen, sozusagen Italien für Anfänger – womit wir beim Thema wären.

Die geringe Entfernung von knapp 1.000 km laden zusätzlich zu einem verlängerten Wochenende ein. Im Jahr Deiner Geburt fiel der deutsche Nationalfeiertag auf einen Montag. Was liegt also näher als das Feiertagsland zu verlassen und die letzten warmen Sonnenstrahlen des Herbstes unter südlicherer Sonne zu verbringen. Außerdem ist es der Klassiker aller deutscher Urlaubsreisen: Mit Kind und Kegel nach Italien. Wenn es um Ausflüge geht dürften sich Deine Mutter und ich uns schon als recht professionell bezeichnen. Donnerstag wird flugs gepackt und Freitag chauffiert Deine Mutter weit vor dem eigentlichen Feierabend unser Auto auf den Agenturhof. Erwähnte ich bereits, daß ich das Freiberuflerleben manchmal besonders passend finde? Jedenfalls rollen wir gegen 16 Uhr gen Autobahn. Schön ist selbstverständlich das so viele Zeitgenossen ebenfalls freiberuflich unterwegs zu sein scheinen; jedenfalls sind wir nicht die einzigen mit der bravourösen Idee kurz vor Feierabend bereits ins lange Wochenende zu starten – aber wer möchte schon alleine auf der A 3 sein. Egal – Hauptsache unterwegs! So schön ich das Rheinland finde, strategisch für Ausflüge jenseits der Alpen liegt es nunmal nicht. Es folgen einige Stunden der üblichen Autobahnkilometer die durch nette kleine Abwechslungen in Form dieser hübschen Sandwiches aus höchstpersönlicher Fertigung Deiner Mutter erträglich werden. Bereits in der Schweiz unmittelbar hinter dem Gotthard-Massiv legen wir die Nachtruhe ein oder besser gesagt ich lege mich zu auch, da sowohl Deine Mutter wie auch Du seit Stunden friedvoll entschlummert seit. Von hieraus ist es nicht mehr weit.

Am nächsten Morgen fahren wir weiter und erreichen am vormittag das hübsche Örtchen Lazise mit einem ebensolchen Campingplatz direkt am See. Zu diesem Zeitpunkt bist Du gerade zwei Monate aber für einen waschechten lokalen Campingplatzfachwirtsanwärter spielt das selbstredend keine Rolle. Mit wird eine Platzkarte auf den Namen Sarah Sophie ausgehändigt – eigentlich praktisch, denn mit ihr kannst Du jetzt ganz alleine kommen und gehen. Vielleicht probieren wir da morgen mal aus und Du gehst alleine einkaufen. Die Idee verwerfen wir aber doch wieder und okkupieren stattdessen lieber unverzüglich den Bootssteg mit Wolldecke und Kinderwagen. Gegen Nachmittag öffnet die Strandbude und jetzt hat Dein Vater richtig Urlaub. Ja ich gestehe: ich trinke schrecklich gerne Bier an Strandbuden. Genau genommen sammle ich Strandbude und ihre verbreitenden Urlaubsgefühle weltweit. Das Wetter ist herrlich und wir haben Dich unter eine kleinen Sonnenschirm verfrachtet. Zu gerne würde ich Dich endlich mal nackig in die Sonne legen aber dafür bist Du doch noch etwas zu klein.

Auf der obligatorischen Bootsfahrt über den See bekommen wir mehrfach gesagt wie hübsch doch das kleine Bambini ist. Diese Aussagen halten Dich allerdings in keiner Weise davon ab kurz vor dem Aussteigen – wo Du mit mir brav und artig anstehst aus heiterem Himmel unvermittelt und ohne irgendeinen erkennbaren Grund lauthals loszubrüllen. „Großartig“ sage ich mir, eine Elternprüfung vor versammelter Ausflugsriege. Ich beabsichtige die Situation eloquent zu parlieren, scheitere mit meinen Beruhigungsversuchen allerdings auf der ganzen Linie. Meine Tochter setzt mich völlig schutzlos den vorwurfsvollen, Kinderkompetenz absprechenden Blicken eines kompletten Ausflugsdampfer aus. Die Damen jenseits der 50 schauen in einer Solchen Situation besonders überheblich, jene um die 40 meist mitleidsvoll und alles um die 30 schüttelt ausnahmslos den Kopf. Selbstverständlich beruhigst Du sobald Dein brutaler Vater Dich nach mehreren erfolglosen Versuchen endlich in die rettenden Arme der Mutter freigibt, augenblicklich und umfassend. Im gleichen Moment legt der Dampfer an und die eingeschworene wortlose Vorwurfsgemeinde sucht lieber das Weite bevor der gewaltbereite Kinderquäler auch noch zum Amokläufer mutiert und nach neuen Opfern Ausschau hält. Ja, eine Schifffahrt ist schon schön.

Am letzten Tag Deiner italienischen Primarimpression outen sich Deine Eltern dann endgültig. Wir steuern einer dieser riesigen Supermärkte an und kaufen das vollständige Regal einer beliebten Limonadensorte leer. Aus unerfindlichen Gründen versagt die italienische-deutsche Globalisierungswelle im Limonadenbereich vollständig und Deine Mutter trinkt keine andere Limonade als eben diese. So waren wir uns vor dem Wochenende recht schnell einig: Das Kind muss doch mal Italien sehen.

Geschrieben in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.