Die zweite Hälfte der Sommerferien steht an und somit unser Sommerurlaub. Mit einer Zwischenübernachtung geht es zur Fähre nach Livorno und von dort mit dem „Tweetyschiff“, wie Sarah Sophie die bunt bepinselten Schiffe der Moby Line getauft hat, weiter nach Korsika. Auf der Insel kommen wir leider mit mehr als zweistündiger Verspätung an und ihr stürmt mit Eurer Mutter direkt zum Strand. Da bleibt mir nur noch den Grill aufzubauen und was man sonst noch so für drei Wochen absolutes Nichtstun zu benötigen gedenkt.
Der Lebensrhythmus unserer Nachbarn kollidiert leider frontal mit unserem, da sie länger schlafen und wir zwangsweise durch Leo früher aufstehen oder vereinfacht ausgedrückt: Bei uns ist morgens Radau und nebenan ist es eher abends etwas illuster. Keine ganz guten Vorzeichen die aber ein kleiner Mann im Handstreich einfach mal wegwischt. Unser Gegenüber haben zwei Jungs im Alter von vier und acht, sowie eine elfjährige Tochter. Sarah Sophie und Tamina freunden sich schnell an und radeln jeden Morgen gemeinsam zum Basteln in den Miniclub und am Nachmittag kommt Tamina meist mit uns zum Strand. Ich habe einfach angenommen, das eine Elfjährige mit zwei kleineren Brüdern eigentlich froh ist, zeitweise diese eben mal los zu sein, was sich wiederum als völliger Nonsens herausgestellt hat, denn da gibt es ja jetzt einen Zweijährigen der sich offensichtlich als hervorragender Spielkamerad eignet. Das treibt so abstruse Stilblüten, das Leo von ihr hingebungsvoll im Schlauchboot umher gegondelt wird oder dasselbige umgedreht als prima Wasserrutsche fungiert, vorausgesetzt der „Kleine Passagier“ wie Dich Deine neue Freundin tituliert, wird immer wieder von ihr ans obere Ende gesetzt, denn da kommst Du alleine nicht herauf. Das stellt aber nun wiederum überhaupt kein Problem dar, solange Du nur breit genug grinst und lediglich ein Wort von Dir geben musst: „Nochmal!“
Auf dem Weg vom oder zum Strand wird Sarah Sophie dann richtiggehend eifersüchtig, da Leo sich standhaft weigert bei Dir auf dem Schoß im Bollerwagen zu sitzen. Entweder hockst Du bei Tamina oder Du steigst kurzerhand einfach aus und läufst lieber zu Fuß. Schwesterliche Nachsichtigkeit genauso weit gefehlt wie brüderliche Loyalität. Sarah Sophie versucht sogar einen Trick: „Leo, auf dem Rückweg sitzt Du aber bei mir auf dem Schoß?!“ Du antwortest auch brav mit einem gönnerhaften „OK“, was Du aber wahrscheinlich auch bei der Frage nach einen Sprung aus einem Flugzeug entgegnen würdest. Auf der anschließenden Rückfahrt fordert dann Sarah Sophie das vermeintliche Versprechen ein und wer sitzt völlig überraschend auf Taminas Schoß: „Der kleine Passagier“. Ob Zufall oder weibliche Intuition kann ich nicht sagen, jedenfalls kommst Du eines Tages auf die Idee Julius, den vierjährigen Bruder von Tamina ebenfalls mit zum Strand zu beordern. Der zeigt zwar anfänglich wenig Interesse aber ein Bestechungsversuch seitens meiner Tochter mit einem Eis am Strand funktioniert tadellos. Julius will selbstverständlich nun ebenfalls im Bollerwagen mitfahren und Du setzt ihn kurzerhand auf den Schoß von Tamina, schnappst Dir Deinen Bruder und ich ziehe vier Kinder durch die Gegend. Respekt, da weiß jemand was er will und vor allem wie er es bekommt. Von nun an ist das ganze übrigens kein Thema mehr und Leo darf Diskussionslos bei Tamina sitzen.
Morgens passiert gerne folgende Szenerie: Leo wird wach, versorgt sich zur Stärkung klammheimlich selbständig mit einem Riegel Kinderschokolade aus dem Kühlschrank und klettert aus unserem Campingbus um wahrlich aus vollem Halse in Richtung Nachbarschaft nur ein Wort zu brüllen: „Tamina“. Die fällt wahrscheinlich sprichwörtlich aus dem Bett und auf Deine Spieldecke die Du schonmal vorausschauend platziert hast, derweil Du die Bauklötze herbei hiefst. In der nächsten Stunde brauche ich mich um Dich nicht mehr zu kümmern und Du weißt auch schon genau was ich mit meiner freien Zeit anfangen könnte. Mit einem zielstrebigen „Papa, Brot!“ verweist Du auf mein Fahrrad und beorderst mich offenkundig zum örtlichen Bäcker. Schon schön wenn jeder weiß was er will und auch noch bekommt. Aber das hatten wir ja bereits, wenn auch bei Deiner Schwester.
Die nächsten Tage brauchst Du Tamina im Übrigen gar nicht mehr aus dem Bett zu brüllen, da sie bereits in ihrer Hängematte baumelnd auf dich wartet und Du Dir es natürlich nicht zweimal sagen läßt, in selbige zu klettern um umhergeschaukelt zu werden. Und um den „Kleinen Passagier“ vollends glücklich zu machen tritt ab der zweiten Woche eine neue Lieblingsbeschäftigung auf Euer abendliches Spielprogramm: Tamina setzt Dich in unseren Bollerwagen und zieht Dich auf ihrem Hoverboard stehend quer über den ganzen Campingplatz – und der ist nicht gerade klein. Das lustige Gefährt hat es Dir übrigens besonders angetan, macht aber gar nix, denn Tamina fährt mit Dir selbstverständlich auch zusammen auf dem Board. Langsam mache ich mir Sorgen, was wir in der Zeit anfangen, wenn unsere Nachbarn die Heimreise antreten. Familie Tamina fährt nämlich drei Tage vor uns nach Hause. Am ersten Strandtag ohne Freundin taucht wie aus dem Nichts plötzlich Ellen auf und möchte mit Dir planschen gehen. Sicherlich noch Trennungsschmerz gegrämt verweigerst Du Dich allerdings störrisch. Und zwar ganze zehn Minuten. Nachdem die Avancen mit zwei Barbiepuppen gesteigert werden stapfst Du nebst Schippe und Förmchen los und warst nicht mehr gesehen.
Am nächsten Morgen springst Du aus dem Bett, lugst aus dem Fenster und schmetterst ein schmachtvolles „Ellen“ in den neuen Tag. Ich bin beeindruckt: Der „Kleine Passagier“ ist ein Filou.
Beide sind übrigens blond. Da lässt sich doch ein Tendenz erkennen, oder?