Seit zwei Monaten können Eure Großeltern, aus keinem freudigen Grund, leider nicht mehr an der Kinderbetreuung partizipieren. Eure mütterliche Großmutter muss sich mehreren Chemotherapien im Krankenhaus unterziehen und ist in der Folge sehr geschwächt. Das hat zwar in einer fröhlichen Kindergeschichte nichts zu suchen, gehört aber nunmal derzeit zu unserem Leben dazu. Wir machen das Beste daraus und der Dienstag hat sich – soweit möglich – als Besuchstag etabliert. Das führt zwangsläufig zu dem Umstand, daß ich zuhause bin, wenn Sarah Sophie aus der Schule kommt und Eure Nachmittags-Bespassung alleine übernehme. Neuerdings stelle ich mir einen Wecker wenn ich bei einem Kunden vor Ort arbeite um pünktlich zuhause zu sein. Auch eine interessante Erfahrung, funktioniert aber soweit ganz gut.
Morgens nachdem der Schulbus Sarah Sophie abgeholt hat, fahren Leo und ich euren mütterlichen Großvater ins Krankenhaus zu seiner Frau. Das Krankenhaus liegt praktischerweise in der Nähe von Deinem Kindergarten. Da wir Eure Großeltern in Oma und Opa (väterlich) sowie Babuschka und Dedoschka (mütterlich, da schlicht und einfach die russische Bezeichnung für Oma und Opa) unterteilt haben, hat Leo diesen Umstand pragmatisch in einen Satz gepackt: „Baba aua! Opa nein!“ Du kommst da manchmal mit den Sprachen noch etwas durcheinander. Steigen wir morgens ins Auto kommt als erstes die Info vom Rücksitz: „Baba aua! Opa nein!“ Dabei legst du den Kopf etwas beiseite und nickst mit theatralisch hinnehmenden Geste.“ Das ganze wiederholt sich, wenn Dedoschka ins Auto steigt, was zwangsweise zur allgemeinen Erheiterung beiträgt. Und zwei Wochen später wird aus „Opa“ dann auch „Deda“, was vor allem denselben freut. Zum Ritual gehören noch die lustigen Tierkekse, die „Deda“ allmorgendlich mitbringt und Leo sofort ein freudiges Grinsen auf die breiten Backen zaubert. Sind dann auch noch genügend „I-As“ in der Tüte juckeln wir fröhlich futternd los. Ich glaube ja, das Euer Großvater hier heimlich vorsortiert. Wenn ich die gleiche Sorte im russischen Supermarkt kaufe, sind da wesentlich weniger Esel im Sortiment. Außerdem scheinen die Kekse von mir auch bei weitem nicht so gut zu schmecken. Na ja, man kann nicht alles haben. Wir haben uns aktuell übrigens ebenfalls damit arrangiert, daß Du morgens praktisch nichts mehr ißt. Wozu auch wenn es Picknick im Auto gibt. Wie war das nochmal, beim zweiten Kind ist man entspannter. Das hätte ich bei Sarah Sophie in dem Alter niemals mitgemacht.
Ansonsten verläuft der aktuelle Monat ungewöhnlich unaufgeregt für unsere Verhältnisse. Wahrscheinlich hängt das mit dem Umstand zusammen, daß wir in diesen Wochen erstaunlich immobil sind und häufig einfach mal zuhause hocken. Leo entdeckt noch das Tanzen für sich. In Deinem Kindergarten finde ich eines Tages einen Werbeflyer der Tatzentanz-Truppe und denke mir, das passt für Dich. Der Kurs Deiner Altersgruppe findet Samstags statt und somit ist klar, wer da tänzelnd mit Dir die umherschwingt. Das lässt sich natürlich Eure Mutter nicht nehmen. Du bist im Übrigen hier der einzige Junge. Tanzen scheint wohl so ein Mutter-Tochter-Ding zu sein. Das stört Dich aber nicht wirklich. Zum ersten Termin tauchen wir da noch in gesammelter Familienstärke auf, Sarah Sophie wird das „Babyhopsen“ wie sie es nennt, verständlicherweise recht zügig zu fad und die nächsten Termine sind somit für Eure Mutter und Leo reserviert. Die beiden sind jedenfalls nicht zu bremsen und wedeln mit bunten Tüchern zu Schubidubidu umher. Leo bringt das Erlernte auch artig mit nach Hause und schwoft beinahe täglich mindestens einmal durch Eure Zimmer. Als praktisch gestaltet sich da, daß Du verstanden hast wie der schwesterliche CD-Player in Gang zu bringen ist.
Hast Du genug getanzt, wird gerne mal die große Schwester beklettert, sich auf ihrem Rücken positioniert und munter durch die ganze Wohnung „geritten“. Das ganze habt ihr „Copa Copa“ getauft, keiner weiß warum und macht euch beiden offenbar einen Riesenspaß. Jedenfalls könnt ihr damit ganze Nachmittage verbringen und neuerdings wird Leo bereits im Auto auf den Rücken geschultert und zur Haustüre getragen. Wenn es nach Euch ginge müsste Leo auch nicht eigenständig im Treppenhaus die Stiegen erklimmen, aber das ist mir dann doch zu gefährlich und wir haben hier einen Verzicht ausgehandelt.
Dieser Monat steht also ganz im Zeichen Eurer Interaktion untereinander und da kommt Euch natürlich der Umstand zu Gute, daß Leo sich nun doch endlich mal bequemt zaghaft sprechen zu wollen. Ins Bett gehen wir nicht mehr ohne das „Mäh“, einem kleinen abgenutzten Holzbär; Durst avisieren wir mit „Pis, Pis“ und alles was groß ist und über vier Beine verfügt ist ein „La“. Mit „Langsam und mühselig ernährt sich das Eichhörnchen“ beschreibt sich Deine Sprachentwicklung wohl ganz trefflich, aber immerhin passiert überhaupt etwas in dieser Richtung.
Zum Ende des Monats müssen wir dann doch nochmal raus. Da der 1. Mai auf einen Dienstag fällt, Sarah Sophie Montags schulfrei ausgestattet ist wollen wir das lange Wochenende nach Holland zu Sarah Sophies heiß geliebtem Kletterturm fahren. Das überlegen wir uns dann am Freitagmittag kurzfristig anders, da irgendwie das Wetter in Berlin wesentlich besser vorhergesagt ist und juckeln kurzfristig lieber gen Osten. Da warten dann neben Angelina – was schon alleine bei Euch beiden wahre Begeisterungsstürme auslöst – auch noch vier Hunde auf Euch und Leo wähnt sich wieder unter zwei großen Schwestern.
Es kommt also endlich wieder Leben in die Bude – und das wird auch langsam Zeit. Sonst gewöhnt ihr Euch noch an zuhause und wer will das schon?