Der 80./ 28. Monat – Noch ne’ Schwester

Die Frühlingsferien stehen an und wir beschließen in mehren Etappen gemütlich gen Nizza zu fahren um uns dort mit Freunden aus Berlin zu treffen. Zunächst nach Straßburg ins Vaisseau, einem spannendem Wissenschaftsmuseum für Kinder und von dort weiter nach Avignon. Hier folgt der obligatorische Besuch des Papstpalastes, wobei Sarah Sophie wahrscheinlich eher von der – zugegeben eindrucksvollen – multimedialen Präsentation des hiesigen Weltkulturerbe als dem Bauwerk als solchem begeistert ist. Jedenfalls rennst Du mit umgehängten iPad durch die Gewölbe und bekommst auf diesem photorealistische Darstellungen der historischen, prunkvollen Räume angezeigt, wenn Du die nackten, kahlen Wände photographierst. Ich hoffe das Kind und Gerät diverse Stolperfallen halbwegs unbeschadet überstehen. Pfiffig finde ich diese Idee der geschichtlichen Wissensvermittlung allemal und linse Dir des Öfteren über die Schulter.

Nach Genug an Papst- und Gegenpapsttum gehen wir essen und der folgende Stadtbummel wird völlig überraschend zur Shoppingtour der Damen umfunktioniert. Was für eine unvorhersehbare Überraschung. Ich rate an dieser Stelle modisch unaffinen Zeitgenossen dringend vom Besuch französischer Fußgängerzonen ab. Die alternative Umschreibung für: Ich hoffe Leo wird bald wach, damit wir das sich anbahnende Ensemble an Boutiquetüten in seinem Kinderwagen abtransportieren können. Mutter und Tochter in ihrem Element. Ich bin fasziniert wie selbstverständlich eine Sechsjährige mit mehreren Outfits in Umkleidekabinen verschwindet und geschwind umgestylt wieder herauskommt. Das sind Gene, da kann man nichts machen; davon bin ich ab sofort überzeugt und gebe jede Gegenwehr auf. Versprochen!

Ohne französische Boutiquen geht es einfach nicht, März 2018, Avignon, F
Ohne französische Boutiquen geht es einfach nicht, März 2018, Avignon, F

Meine Lieblingsgeschichte zu diesem Thema haben wir übrigens ein paar Tage später in Nizza erlebt: Leo und ich haben uns – Croissant-essend – in eine Bar verkrümelt, während die Damen in der benachbarten Kinderboutique zugange sind. Nach einer halben Stunde schauen wir nebenan mal kurz nach dem Rechten und vernehmen hinter einem Kleiderständer eine rigide, mütterliche Aussage: „Nein, das Kleid kaufen wir auf gar keinen Fall. Das ist viel zu teuer, …“ u.s.w. Ich glaube auch noch ein „Genau so eins hast Du schon im Schrank hängen.“ zu vernehmen während Leo und ich wieder die Bar ansteuern. Pastis beruhigt, da bin ich mir sicher. Jedenfalls spaziert Sarah Sophie eine weitere halbe Stunde mit genau diesem Kleid aus dem Laden gefolgt von Eurer Mutter mit dem Satz: „Ich will nichts dazu hören.“ Muss sie auch nicht, ich kann genussvoll genug grinsen, das reicht.

Doch zurück nach Avignon. Hier ist Leo mittlerweile erwacht und ab sofort schiebe ich bunte Tragetaschen durch die Stadt. Wir dürften für die nächsten Sommer eingedeckt sein.

Ab jetzt in Richtung Côte d’Azur. Irgendwo bei Aix-en-Provence platzt uns auf der Autobahn der linke Hinterreifen und wir hoppeln auf den Standstreifen. Ich wußte, daß ich irgendwann dankbar für den Umstand bin, das optionale Reserverad damals dazu gekauft zu haben. Die Aussage meiner Tochter zu ihrem Bruder: „Schau Leo, der Papa baut ein neues Rad an das Wohnauto damit wir nicht auf der Autobahn wohnen müssen.“ entschädigt mich für das aufschlussreiche Gefühl auf einer Straße zu sitzen während ein, zwei Meter nebenan gerne mal ein 30-Tonner an einem vorbei rauscht. Wie gesagt, es war die linke Seite. Nach einer guten Viertelstunde ist aber ungerufen ein Wagen der Straßenmeisterei zur Stelle und blockiert mal eben die rechte Fahrspur. Mein Sicherheitsempfinden steigt und das ganze ist recht zügig erledigt.

Reifenwechseln direkt auf der Autobahn, März 2018, Aix-en-Provence, F
Reifenwechseln direkt auf der Autobahn, März 2018, Aix-en-Provence, F

Am Nachmittag trudeln wir in der Nähe von Nizza ein und Sarah Sophie umarmt überschwänglich Angelina und Sasha, die neun- und dreizehnjährigen Töchter von Katja und Slava aus Berlin, die bereits angekommen sind und ihren Bungalow auf dem gleichen Campingplatz wie wir bezogen haben.

Angelina – in ihrer Familie die „Kleine“ – entwickelt in den kommenden Tagen ein derart possierliches „Große-Ersatzschwester-Betragen“, daß sich Leo langsam fragen muß wer hier eigentlich noch zu wem gehört. Sarah Sophie und Angelina beschließen selbstverständlich in „Bester-Freundinnen-Manier“ zusammen zu übernachten und somit ist das große Bett über dem Fahrerhaus sofort geblockt indem sämtliche Kuscheltiere, Malutensilien und Nagelacke nach oben bugsiert werden. Gefühlt zwanzig mal pro Tag werde ich ab sofort von Angelina gefragt, wann Leos Windel zu wechseln ist, wann Leo essen muss und wann Leo was weiß ich nicht nicht noch was braucht. Angelina beschließt die „Große Schwester“ zu sein und übernimmt tatsächlich nahezu alle anfallenden Aufgaben im Kleinkindbereich. Erstaunlich entspannt lässt Sarah Sophie sie gewähren – wahrscheinlich wissend, daß es sich hier um ein endliches Projekt handelt und Du beschränkst Dich Deinerseits darauf schlaue Ratschläge in Richtung der neuen „Großen Schwester“ zu geben. Aber nur am ersten Tag.

Danach werden Leos Windeln ungefähr doppelt so oft gewechselt wie nötig und Essen darfst Du auch nicht mehr alleine, denn nun sind ja zwei Mädels im Wettstreit wer hier was besser kann. Stören scheint Dich das hingegen überhaupt nicht. Ich glaube Du isst in diesen Tagen einfach doppelt so viel.

Gerade gerückt wird der interne Familienfrieden übrigens am letzten Tag mit einer einfachen Aussage meines Sohnes: Auf die schier unendlich wiederholte Frage der jungen Damen an Dich „Leo, wen magst Du mehr? kommt stets die gleiche Antwort: „Diss!“ Gefolgt von einer herzlichen Umarmung Deiner Schwester. Warum die nun neuerdings „Diss“ heißt, verrätst Du uns sicherlich irgendwann einmal.

Hinreißend bist Du gleichwohl auf Deine ganz eigene Art. Fragt Angelina Dich dasselbe alleine ohne Deine Schwester in der Nähe, wird sie sogleich umarmt. Hierbei hingegen aber völlig schweigsam – so kann man Dir nicht nachsagen gelogen zu haben.

Charmant mein kleiner Kerl – von wem Du daß wohl hast?

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