Leo wird von Tag zu Tag selbstständiger, versteht schon vieles in beiden Sprachen und entwickelt eine putzige Vorliebe für Musik. Aber nicht für irgendwelche Musik, oder gar die üblichen verdächtigen Kinderlieder, nein er pocht vehement – und hier meine ich wirklich vehement – auf ein einziges Album eines israelischen Projekts. Da hab ich ihm nicht eingetrichtert sondern Leo hört eins Tages einen Track besagten Albums, beginnt unverzüglich ein wenig umherzutanzen und zeigt nach Ablauf des Stücks wild gestikulierend auf mein Telefon in der Dockingstation, offensichtlich verstehend, daß hier der Quell der Musik liegt. Lautstark “Da, da, da, …” brabbelnd fordert er seinen ganz persönlichen Loop.
Selbstverständlich habe ich versucht ihm alternative Musik anzubieten, aber nix da, außer “Quarter to six” des “Idan Raichel Project” geht da gar überhaupt nichts. Im Auto übrigens das gleiche. Wir bringen Sarah Sophie zuerst in den Wald und pünktlich zum Wiedereinstieg ins Auto auf dem Weg in Leos Kindergarten das immer gleiche Spiel. Ohne Herrn Raichel vollständige kleinkindliche Missbilligung, mit ihm alles bestens und ich habe ein fröhlich grinsendes Kind auf dem Rücksitz hocken. So juckeln wir tagtäglich mit hebräischer Musik gen Kücken-Kindergarten. Wie vollends politisch korrekt für einen jüdischen Jungen. Und es wird Dir auch nicht wirklich langweilig, ganz im Gegensatz zu Sarah Sophie die allmählich meschugge wird ob der immer wieder gleichen Mucke. Hier hilft nur eine salomonische Musikteilung in Form von “ein Stück von der Großen”, “ein Stück für den Kleinen.” Das allerdings auch Sarah Sophie allmählich Ihre, sich wiederholenden Musikpräferenz besitzt, blendet meine Tochter aber gerne mal aus. So verbringen wir schonmal ganze Tage zwischen dem kleinen Tanzbären und Chaim Pshutim. Hebräisch hebt sich Sarah Sophie wohl für die Schule auf, musikalisch bist Du da auf klassischem deutschsprachigem Kinderliedkurs. Nebenbei bemerkt, finde ich das von der Warte besonders interessant, da Du Kinderfilme nahezu ausschließlich auf russisch anschaust, beim Liedgut bist Du aber stramm deutsch.
Musikalisch gibt es also bei Euch beide folglich noch genügend Entwicklungsspielraum nach oben, das beruhigt.
Leo entwickelt dieser Tage aber noch eine weitere Eigenheit die bei den mütterlichen Großeltern wahre Begeisterungsstürme auslösen läßt und das geht so:
Fragt man ihn nach irgendetwas, was er holen soll oder wo etwas bestimmtes ist, läuft er dorthin und findet nicht sogleich was er sucht, dreht er die Handflächen nach oben, zieht die Schultern hoch, schaut einen mit weit aufgerissene Augen sehr fragend an und gibt ein leidensvolles “Ohhhhhhhh” von sich. Ich kann mich lange nicht erinnern eine so freudige Schwiegermutter gesehen zu haben. Nach dem ersten dieser Darbietungen schnappt sie sich jedenfalls ihren Enkel drückt ihn beherzt an sich und strahlt über das ganze Gesicht mit den Worten: “Er ist wahrhaft ein jüdischer Junge, seht Ihr die Handbewegung.”
OK, das Ganze sieht wirklich entzückend aus aber was daran nun so jüdisch sein soll kann wahrscheinlich eben nur eine jüdische Großmutter beurteilen. Sie ist jedenfalls vollends aus dem Häuschen, wie man so schön sagt. Nachdem die Großeltern in den folgenden Tage auch einmal Zeuge der neu entwickelten Musikleidenschaft meines Sohnes werden klopft mir mein Schwiegervater gefühlt auf die Schulter und fragt mich sichtlich wohlwollend “Er hört hebräische Musik? Wunderbar, das kann nur gut sein!”
Das ganze hat sich übrigens mittlerweile schon bis nach Israel herumgesprochen. Ich bekomme regelmäßig musikalische Empfehlungen von Freunden aus Tel Aviv gemailt. Vielleicht versuchen wir es jetzt mal mit Punkrock und ich frage mal unverbindlich nach: “Leo, wollen wir die Hosen hören?” Na ja, die Reaktion kann sich jetzt ja jeder denken.