Der 38. Monat – Helden unter sich

Nun besuchst Du einen neuen Kindergarten, oder zumindest das was Deine Eltern dafür halten. Die Einrichtung besteht aus drei großen Bauwagen und ganz viel Wald drumherum: Herzlich Willkommen im Waldkindergarten zu Düsseldorf. Dein Einstand erfolgt nach Maß. Zum Kennenlernentag erscheinst Du mit Deiner Mutter zwei Stunden zu spät, dafür aber direkt vom Flughafen via Opa-Shuttle und selbstverständlich im passenden Outfit. Da kennt Deine Mutter nix. Nichtsdestotrotz werdet ihr beide freundlichst willkommen geheißen und Deine Mutter schafft es tatsächlich in der verbleibenden Stunde uns erstens in rechte Licht zu Rücken und zweitens alle noch offenen Fragen zu klären. Das finde ich respektabel und sollte nicht unerwähnt bleiben.

Eine Woche Eingewöhnung absolvierst Du mit Deiner Mutter bei passablem Septemberwetter ohne nennenswerte Probleme – sieht man davon ab, daß Du mehr als einmal darauf bestehst die mütterliche Anwesenheit auf keinen Fall aufgeben zu wollen, egal wie toll hier die Bäume sind. Das sei Dir zugestanden zumal ohnehin nach dieser Woche die materne Präsenz berufsbedingt endet. Eine der vielen Änderungen im Vergleich zum bisherigen Kindergarten ist unter anderem der Umstand daß hier nicht nur ein weibliches Regiment herrscht sondern es auch einen männlichen Erzieher gibt.

Genauer gesagt gibt es Björn oder konkret beschrieben Björn-Superstar denn er kann nicht nur die besten Geschichten vorlesen wie Du mir mehrfach bestätigt, sondern aus Seilen Hängematten zwischen Bäumen konstruieren und macht offenkundig auch sonst ausschließlich Dinge die Dich mehr als nachhaltig begeistern. “Björn macht das so, Björn hat das gesagt.” Und so weiter. Waren bisher vor allem Deine Mutter und ich diejenigen Helden, die alles konnten so müssen wir seit diesen Tagen unseren Superheldenstatus mit Björn teilen. Das schmerzt allerdings nur bedingt, da ich zugeben muß einen männlichen Erzieher in Deiner Gruppe schlicht großartig zu finden.

Deine ersten und wahrscheinlich leider nicht letzten Zeckenbiss hast Du Dir direkt am ersten Tag abgeholt und am folgenden Tag mit den anderen Waldkindern eine Art Fachsimpelstunde zu diesem Thema abgehalten in der Ihr Euch gegenseitig stolz die jeweiligen Zeckenstellen gezeigt habt. Man geht hier also recht entspannt mit diesem Thema um und Du läßt von nun an jeden Abend eine väterliche Inspektion nach den überflüssigen Blutsaugern anstandslos zu.

Deine Begeisterung für die Wald- und Flurtruppe rund um Björn steigt stetig und ihr scheint täglich singend durch die Wälder zu ziehen, jedenfalls hat sich Dein Musikrepertoire deutlich erweitert. Damit die Eltern der vielen Waldwichte und Baumtänzer da auch gehörig mithalten können flattert uns irgendwann eine Einladung zur fröhlichen Liederrunde ins Haus. Mit meiner Annahme, bei dieser Veranstaltung an irgendeinem Wochentag gegen elf Uhr vormittags lediglich auf ein paar hauptberufliche Mütter zu treffen, liege ich grandios daneben. Nicht wenige Eltern sind in vollständiger Familienstärke angetreten und so formt sich eine gut dreißig Personen umfassende Sangesgruppe die nicht gerade leise den Grafenberger Wald erschallen lässt. Im Waldkindergartenreich scheint also etwas mehr elterliches Engagement erwartet zu werden was mich interessiert in die Zukunft blicken läßt. Zum Laternen basteln für Sankt Martin habe ich mich selbstverständlich bereits eingetragen nachdem wir den ersten Elternabend bereits ausfallen lassen mussten, da uns ein sehr verlängertes Wochenende am Gardasee dazwischen gekommen ist.

Aber zurück zu Deinem neuen Superhelden: Eines schönen Tages magst Du, offenkundig völlig grundlos, partout nicht in den Kindergarten. Wir erleben das komplette Abwehrprogramm: Unser persönliches Morgendrama startet mit Zähneputzen, da tut erst die Zahnbürste weh, dann ist das Wasser zu kalt und überhaupt ist alles doof. Frühstücken deklarierst Du zu einer völlig unnützen Veranstaltung in deren Verlauf Du mir verständlich machst, daß Du Dein Müsli selbstverständlich gar nicht essen kannst, da ja bekanntlich die Zahnbürste scheinbar irreparable Schäden angerichtet hat. Dann bist Du von jetzt auf gleich müde und versteckst Dich unter der Bettdecke. Nach mindestens einem Dutzend Nachfragen ob eines eventuellen Unbehagen am Vortag im Wald gebe ich auf und beschließe, daß Du heute einfach einmal zickig bist. Ein Dir zugestandenes Recht als Tochter Deiner Mutter, also soll es halt heute so sein. Die gesamte Autofahrt lamentiert Du herum, was mich in die Annahme treibt Dein kleinkindliches Leben ist jetzt eben total misslungen. Wir biegen auf den Parkplatz ein und Du bist augenblicklich mucksmäuschenstill. Kommentarlos entkletterst Du Deinem Autositz und schaust mich mit großen fragenden Augen an: “Kommt der Björn denn heute nicht?” Mein Gesicht dürfte den Ausdruck großer Verwunderung wiedergeben. “Ist der Björn heute nicht da?” frage ich zurück. Jetzt folgt ein vorwurfsvoller Kinderblick in meine Richtung: “Aber Du hast doch gesagt, der Björn kommt heute nicht.” Ich stehe unmittelbar vor der Abgabe einer eidesstattlicher Versicherung eben dies nicht gesagt zu habe und erkläre Dir, daß ich doch gar nicht wissen kann wer an welchem Tag in der fröhlichen Waldwandertruppe zugegen ist und wer eben nicht.

“Doch Du weißt das! Du bist ja der Papa und der weiß immer alles.” werde ich ausgekontert. Augenblicklich verzeihe ich jede Minute Deiner morgendlichen Blockadehaltung und trage Dich auf den Schultern in Richtung Bauwagen. Auf halben Weg beharrst Du aber zwingend darauf auf eigenen Füßen zu stehen, denn sonst kannst Du ja Björn nicht mit winkenden Armen entgegenlaufen. Dort angekommen ist alles wieder in Ordnung und der “Alles-Wissen-Superheld” übergibt ein glückliches Kind an “Alles-Können-Superheld”.

Sozusagen eine Heldenübergabe. Viel Spaß im Wald.

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