Der 158./ 106. Monat – Klassenfahrt II

Kurz nach den Sommerferien steht Leos erste Klassenfahrt nach Bad Sobernheim in Rheinland Pfalz an. Das ist Tradition in der vierten Klasse unserer Grundschule. Damit haben wir nur leider gar keine Erfahrung, da dieselbige zur Zeit von Sarah Sophies vierter Klasse damals coronabedingt ausgefallen ist und wir da damals etwas selbst organisiert haben. Daß dies nun auch schon wieder vier Jahre her ist erscheint mir schier unglaublich.

Also das übliche Prozedere. Elternabend mit Schwerpunkt „Klassenfahrt“ mit unfassbar schwer nachzuvollziehenden Fragen mancher Eltern; Listen mit unbedingt zu beachtenden und einzupackenden Dingen, welche man unzählige Male verlegt und Diskussionen in der Eltern-WhatsApp-Gruppe, die mich mehrfach an der Schwarmintelligenz in eben diesem Zwangskollektiv zweifeln lassen. Mir fällt Anfang des Monats schlagartig ein, das wir noch bezahlen müssen, erledigen dies aber artig und ich schmunzle noch über den Satz in der Anmeldung „Eine Stornierung ist nach der Anmeldung möglich, eine Kostenerstattung erfolgt aber nicht.“ Also eigentlich alles normal.

Mir ist es nichtmal im Traum in den Sinn gekommen, daß wir darüber sprechen könnten, Dich nicht an der Klassenfahrt teilnehmen zu sehen. Und genau dies ist das ganz große Thema in diesen Tagen. Oder anders ausgedrückt: Leo will nicht. Niemals, nein, auf keinen Fall.

Ich bin sprachlos und weiß nicht wirklich wie ich reagieren, geschweige denn helfen kann. Du hast gegenwärtig ohnehin schwer „nah am Wasser“ gebaut. Du wachst nachts auf, weinst und bist nicht in der Lage zu erklären wieso und warum. Das Ganze wird davon abgerundet, daß Eure Mutter für über zwei Wochen durchgängig in Thailand weilt. Der große Junge mit der noch größeren Klappe ist von jetzt auf gleich ganz klein. Ich verbringe folglich einen Großteil der Zeit damit Dich zu trösten und Deiner Schwester begreiflich zu machen, vielleicht etwas leiser die ein oder andere Spitze gegen Dich zu schießen. Ich habe mich schonmal wohler gefühlt und die fünf Stunden Zeitunterschied in Richtung Bangkok machen abendliche Videocalls von Leo und Eurer Mutter nicht einfacher.

Ich versuche also irgendwie herauszubekommen warum Du partout nicht auf Klassenfahrt möchtest. Keine Chance, immer die gleiche Aussagen: „Ich möchte nicht. Ich weiß nicht warum.“ Alle deine Fussballkumpels aus der Schule fiebern dem Event entgegen und Du offenbar auch, aber eben nur in der Schule. Das weiß ich über einen Umweg. Da Du Montags nicht mit dem Schulbus nach Hause fährst, komme ich zwangsläufig mit anderen Eltern ins Gespräch. Der Vater eines Deiner Fußballjungs aus der Klasse berichtet mir wie ihr augenscheinlich schon die verschiedenen Tage durchplant und ist sehr darüber verwundert, als ich erwähne nicht garantieren zu können, ob Du überhaupt mitfährst. Somit weiß ich noch weniger als bisher. Großartig.

Sarah Sophie ist unterdessen damit beschäftigt unaufhörlich davon zu berichten wie phänomenal ihre erste Klassenfahrt auf dem Gymnasium in der sechsten Klasse war. Nach einer weiteren Woche einigen wir uns auf so eine Art abwartenden Kompromiss. Du bleibst angemeldet und wir verschieben die Deadline für eine eventuelle Absage auf den vorletzten Schultag, also den Freitag vor Tourstart. Bleibt noch zu klären, was eigentlich mit den Kindern passiert, die nicht mit auf Klassenfahrt gehen. Da alle drei der vierten Klassen gemeinsam fahren, scheidet der Besuch einer Parallelklasse aus und Du dürftest in eine der dritten Klassen wandern. Das begeistert weder Dich noch mich.

Doch hier brauche ich mich um nichts zu kümmern: „Papa, ich hab’s! Ich werde krank, wir fahren zum Boot und wir machen diese Tour zu den Burgen am Rhein von denen wir gesprochen haben! Cool, oder?“ „Gewiss!“ entgegne ich. Scheitert nur an drei Umständen: „Erstens wäre Sarah Sophie dann eine Woche alleine, da ich weiß das Eure Mutter irgendwo aushäusig umherwerkelt. Zweitens melde ich Dich nicht einfach so für eine ganze Woche krank und drittens fandest genau Du meine „Boot & Burgen“-Idee im letzten Sommer total doof, falls ich Dich daran erinnern darf. Argument eins wiegelt Sarah Sophie unter Verweis auf die Lieferando-App auf ihrem Telefon ab, Nummer zwei wird gekonnt hüstelnd übersprungen und an Verhaltensäußerungen zu Punkt drei kann sich auf einmal niemand mehr erinnern.

Die Verhandlungen stocken somit und der Hund muss dringend raus. Das muss er in letzter Zeit immer öfter wenn erzieherische Konferenzen unterbrochen werden. Ich vermute da einen Zusammenhang.

Nächster Tag, neues Glück: Du springst aus dem Schulbus und präsentierst mir stolz den Zimmerbelegungsplan. Es gibt nur ein Sechserzimmer in dem Haus und wer hat das bekommen? Natürlich die sechs Fußballjungs mit dem zukünftigen 9er der deutschen Nationalmannschaft.

„Also fährst Du doch mit auf Klassenfahrt?“ frage ich. Kurze Antwort: „Natürlich, Papa. Wir haben jetzt schon den Zimmerplan gemacht. Ich kann die Jungs doch jetzt nicht hängenlassen. Wir sind ja praktisch eine Mannschaft!“ „Natürlich nicht!“ stimme ich zu. Zwei Wochen Palaver und Bangen sind ab sofort beendet. Masel tov.

Das 6er-Zimmer mit dem 9er, September 2024, Düsseldorf/ Bad Sobernheim, D

Mit den Worten „Und die Bootstour zu den Burgen machen wir aber auch noch. Wir schauen jetzt direkt wann. Komm Papa.“ ziehst Du mich zur Haustür.

Wahrscheinlich muss der Hund jetzt nie mehr raus. Gute Fahrt, mein großer 9er.

Der 157./ 105. Monat – Ankerbier

Diese Sommerferien bleibt es beim „Alles ist anders“. Wir ziehen sozusagen weiter nach Norden. Irgendwann kommt Eure Mutter mit der Idee um die Ecke zwischen den schottischen Hebriden umhersegeln zu wollen. Konkreter gesagt uns segeln zu lassen.

Aber der Reihe nach: Ihr befreundeter Arbeitskollege Uwe hat einen Studienfreund namens Stefan und der wiederum besitzt die „Lady of Avenel“, einen 102ft-Zweimaster den er samt Crew für eine Woche in den Sommerferien an Arbeitskollege Uwe und uns verchartert. Aktueller Liegeplatz ist Castlebay, Insel Barra, Schottland, Nordostatlantik. Klinkt schon kalt, aber spannend, oder?

Eure Mutter platzt an irgendeinem Frühstück mit der fröhlichen Nachricht über Euch herein, nachdem sie das Ganze immerhin am Vorabend mit mir besprochen hat, immer versehen mit dem Hinweis: „Ist mal was anderes. Ich kann Uwe aber jederzeit absagen.“ Was soviel heißt wie: „Wie holen wir Euch für das Projekt ab?“

Das geht überraschend simpel, da Sarah Sophie folgert, wenn man schon auf der größten britischen Insel ist bleibt einem natürlich nicht anderes übrig als zwangsweise ein paar Tage in London bleiben zu müssen. Unmittelbar gefolgt von Leos Fundamentalblockade. Mehrtägige Stadtaufenthalte sind derzeit ausschließlich mit Stadienbesuchen denkbar. Während Sommerpause in der Scottish Premiership also schwierig. Du bist so sehr damit beschäftigt uns London auszureden, das du die hinreichende Bedingung für London komplett außer Acht lässt. Das ist mein Ansatzpunkt, Ablenkung ist also das Gebot der Stunde und ich verklickere Dir folgende Idee.

Nach dem Segeltörn fahren wir nach Glasgow, schauen uns nach einem Trikot von Celtic oder den Rangern um und setzen Deine Schwester und Mutter ins Flugzeug. Die Damen fliegen dann nach London, wir und Emma Richtung Newcastle, gehen dort auf die Fähre nach Amsterdam und sind am nächsten Vormittag bereits auf unserem Boot am Leukermeer. Wird aber noch besser: Das erste Rückrundenspiel von Fortuna ist genau an diesem Sonntag um 13:30 Uhr. Das können wir problemlos gucken, während wir auf die Fähre warten. Strahlende Augen. „Papa, daß hast Du Dir aber sehr gut überlegt. Genau so machen wir das. Dann ist das ja sogar doppelter Jungsurlaub auf zwei Booten. Der Fähre und unseres. Super!“ Von dem Segeltörn davor habe ich nichts mehr gehört und werte das als stillschweigende Zustimmung.

Lady of Avenel, August 2024, Oban, SCO

Emma braucht noch irgendeine Behandlung um ins Vereinigte Königreich einreisen zu dürfen und dann geht es auch schon los. Erst zu unserem Boot, in der irrtümlichen Annahme dort liegen die Neoprenanzüge von Euch. Dafür ernte ich noch bitterböse Vorwürfe in ein paar Tagen. Dann weiter in die Nähe von Amsterdam. Von hier auf die Nachtfähre nach Newcastle an die englische Ostküste kurz vor der schottischen Grenze. Einen Tag verbringen wir in Edinburgh was Leo überraschend gut erträgt. Ich vermute einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Essen. In einem Vorort spült es uns an eine wohlgerühmte Lobsterbude die aber natürlich auch „Fish and Chips“ bereithält, Dein von nun an bevorzugtes oder besser gesagt ausschließliches Essen ist.

„God save the King!“

Von Edinburgh geht es nach Oban an der schottischen Westküste wo wir abermals eine Fähre besteigen. Diesmal ohne Auto, das bleibt hier, denn in Oban endet unser Segeltörn wieder. Abends landen wir dann in Castlebay auf Barra an und setzen mit dem Dingi auf den Zweimaster über. Emma muss an der ein oder anderen Gangway und Treppe noch etwas geschoben werden, meistert aber schließlich alles.

Schiffshund Emma, August 2024, Tobermory, Isle of Mull, SCO

Wir beziehen unsere Kajüten und bunkern aus dem letzten Supermarkt für eine Woche noch ein paar Schachteln Bier. Die Crew ist über Leos einseitiges Speiseverhalten informiert und hält genügend Fish diesmal ohne Chips bereit. Fritteusen auf Segelschiffen sind wahrscheinlich keine gute Idee. Am nächsten Tag geht es los. Bestes Wetter, kein Wind daher sind wir zunächst unter Motor unterwegs. Das ändert sich aber glücklicherweise.

Die Tage ziehen dahin, kreuz und quer durch die Hebriden. Wir haben jedes Wetter und jeden Seegang dabei. Besonders von Letzterem kann Eure Mutter berichten, aber ich nicht hier das habe ich versprochen. Leo hat in den ersten Tagen überhaupt keine Zeit sich zu beschweren, da es mehrmals täglich seitens der Crew über Deck erklingt: „Leo! Rigging the sails!“ Tja, der kleine Seemann muss nämlich mit anpacken. Du schlägst dich wacker und es wird gezogen, was die Leinen hergeben. Das ist natürlich nicht so ganz ernst gemeint und es steht immer ein Mitglied der Crew hinter dir.

Leichtmatrose Leo, August 2024, Castlebay, Isle of Barra, SCO

Erst nach drei Tagen fällt dir auf, daß deine Schwester hingegen offenbar direkt zum Steuermann befördert wird. Sarah Sophie steht ausnahmslos mit oder ohne Skipper am Ruder. Hier ist nix mit Matrosentätigkeit. Da wird gleich Kurs gehalten.

Sarah Sophie steuert die „Lady of Avenel“, August 2024, Hebriden, SCO

Das lässt Du natürlich nicht auf dir sitzen und am folgenden Tag steht „Käpt‘n Rotzlöffel“ am Steuerrad. Den Namen hast Du bereits vom ersten Tag an weg, wahrscheinlich ob Deiner zurückhaltenden Art Dich zu beschweren.

Käpt‘n Rotzlöffel, August 2024, Hebriden, SCO

Unser Skipper meint sogar „Bei soviel Inbrunst kann er auch schon beim Ankerbier dabei sein.“ Das wolltest Du dann aber doch nicht, weil Dir einfach nicht erklärlich zu machen ist, wieso ein Anker nur hält, wenn es genug Ankerbier gibt. Macht aber nix, das versuche ich dann nochmal wenn wir auf eigenem Kiel in Holland sind.

Denn Ankerbier habe ich für mich aus Schottland mitgenommen. Das gibt es ab sofort bei uns an Bord auch.

Slàinte Mhath.