Der 137.-138./ 85.-86. Monat – Snowboard

Winterferien = Skifahren. Sarah Sophie ist altersbedingt mit Ski- und Snowboardkursen durch, Leo ärgert sich zwar immer noch, daß ich ihm auf Skiern davonfahren kann (wenn ich will), ist aber ebenfalls absolut sicher auf zwei Brettern. Völlig selbstverständlich gehen Eure Mutter und ich davon aus, daß folglich in den nun anstehenden Winterferien das Projekt „Leo & Board“ in Angriff genommen wird.

In Neustift am Stubaier Gletscher angekommen steuern wir die Ski-/ Snowboardschule unseres Vertrauens an und erleben das sprichwörtliche blaue Wunder, wie man so schön sagt: Du hörst dir alles brav an und als es zur Anmeldung geht guckst Du uns an, die Dame hinter der Theke und sagst schlicht und einfach, aber beherzt: „Nein!“

Ich frage nach: „Wie nein? Warum?“

Was nun folgt ist eine mehrminütige Einlassung deinerseits, daß Du so gerne nur mit mir Skifahren möchtest, Snowboard sowieso doof ist und die dazugehörige Schule schon gleich gar nicht frage kommt. Wir verstehen absolut nichts mehr. Die verkaufende Fachkraft zieht geeignetes Bildmaterial zur Überzeugung heran, dessen Betrachtung wirkungslos verpufft. Deine Mutter malt mit der ihr eigenen, dezent-rücksichtsvollen Art das anstehende Gelächter deiner Schwester an die virtuelle Wand, welches wohl zu erwarten sein dürfte, wenn Sie eloquent mit geschultertem Board an die vorbei spaziert. Aus dem hinteren Bereich trällert Sarah Sophie schonmal ein „Der Leo kann nicht boarden, der Leo kann nicht boarden, usw.“ Wir erreichen die nächste Eskalationsstufe. Eine weitere Fachkraft betritt die Szene und reicht Bewegtbildmaterial zur Entscheidungserleichterung an die Hand. Keine Chance. Du wirst lauter, aber nicht geneigter. Nun stelle ich einfach mal die kühne Frage in den Raum, warum Du denn zwingend Snowboard lernen musst, wenn Du nicht willst?

Abrupte Totenstille im Raum. Die Fachkräfte schauen sich fragend an, wir schauen uns und dann die Fachkräfte an, bevor Eure Mutter zum Rundumschlag ausholt. „Natürlich, lernt Leo boarden. Was ist denn das für eine Frage? Nur Ski, wie oldschool, uncool?“ Dann folgt der übliche sprachliche Klingklang über die nützlichen Notwendigkeiten bestimmter Freizeitaktivitäten. Ich beschließe, der Hund muss mal raus und verlasse das absurde Theater.

Nach zehn Minuten kommt ihr drei ebenfalls heraus und der einzig glückliche scheint Leo zu sein, da offenbar kein Kurs gebucht ist. Kopfschütteln bei Eurer Mutter und Sarah Sophie. Wer Eure Mutter kennt, weiß wie sie derzeit innerlich auf Höchstniveau brodelt. Hier trifft gerade absolutes Unverständnis auf tiefstes Niederlagenempfinden. Sie nimmt sowas immer so persönlich. Wir einigen uns diplomatisch, daß das ja alles auch noch nächstes Jahr stattfinden kann und kaufen die Skipässe. Denn die brauchen wir ja sowieso, egal womit man nun den Berg heruntergleitet.

Die nächsten Tage ist absolutes Kaiserwetter, was dazu führt, daß die Leidensfähigkeit Eure Mutter auf eine weitere Probe gestellt wird und das geht dann so: Der Hund ist ja nun dabei, was zwangsläufig bedeutet, daß wir nicht alle gleichzeitig fahren können. Zumindest nicht bis Eure Großeltern eintreffen. Die haben sich auch wieder eingemietet, kommen aber erst in ein paar Tagen und reisen auch wieder früher ab. Konkret: Wir bleiben, zwei sie eine Woche. Sarah Sophie hat solange herum verhandelt, hochgelobt auch alleine auf Emma aufzupassen bis wir schließlich eingewilligt haben Emma nicht in eine Hundepension zu geben.

Also wenn ich so ganz ganz ehrlich bin, hast Du das auch nur bei mir verhandelt, da Eure Mutter der Hundemitnahme kategorisch ablehnend gegenübersteht.

Am ersten Tag fahren Leo und ich alleine, am zweiten wechseln wir uns oben auf dem Berg ab und jeder hockt halt mal mit Emma vor der Glühweinbude. Bereits an Tag zwei steht fest: Dieser Zustand ist kein zu wiederholender. Mehrfach fragt Eure Mutter bei Leo nach, wie die Stimmungslage im Snowboardbereich aktuell angesiedelt ist, bekommt allerdings stets die gleiche Antwort. Es dürfte klar sein welche.

Zusammenfassung: Tagelang traumhaftes Wetter, nicht sinkendes Unverständnis im Mutter-Sohn-Bereich und ein Eintreffen der Großeltern die die ganze Szene überhaupt nicht verstehen.

Nach dem fünften Skitag ist Leo derart außer Puste, daß er nach dem Mittagessen eine Auszeit haben möchte, die er im gleichen Liegestuhl wie Eure Mutter begeht. Sarah Sophie und ich fahren zusammen und im Lift erkundigt sich Sarah Sophie warum Leo den so „platt“ ist. „Keine Ahnung, warum, vielleicht war dreimal Gipfel-/ Talstation direkt hintereinander zu viel für ihn?“ entgegen ich etwas überheblich, innerlich hoffend Du merkst mir nicht an wie mir jeder einzelne Knochen weh tut und ich meine Oberschenkel eigentlich nicht mehr spüre. Klappt glücklicherweise und ich bin überhaupt nicht böse, daß du vor der Abfahrt noch einen Kakao trinken möchtest.

„Weis Leo eigentlich, daß Snowboardschule am Anfang gar nicht so anstrengend ist?“ fragst Du mich. „Ja, habe ich heute das ein oder andere Mal erwähnt.“ erwidere ich. Wieder Du: „Ich verstehe ihn nicht.“ Damit belassen wir es und fahren talwärts.

Dort angekommen sind Eure Mutter und Leo bester Laune und berichten freudestrahlend, das Leo ab morgen einen Privatlehrer hat und in der zweiten Woche für den regulären Snowboardkurs angemeldet ist. Sie kommen gerade vom Skischulbüro. Die haben hier oben praktischerweise eine Dependance. Eure Mutter grinst über beide Backen und verrät uns, daß Leo ganz alleine auf die Idee gekommen jetzt doch Snowboard zu lernen.

Und dafür bin vor allem ich Dir zutiefst dankbar, mein Sohn. Einen weiteren Tag hätte ich diese Ochsenkur hier nicht mehr ausgehalten.

Abends frage ich dann mal bei deiner Mutter nach warum denn jetzt auch noch ein Privatlehrer vorweg gebucht werden muss und da bin ich dann mal sprachlos: „Das fragst Du mich? Wenn Du solange brauchst um ihm das Skifahren zu vermiesen, muss er doch jetzt in zwei Tagen den ganzen ersten Kurs aufholen! Meinst Du ernsthaft ich hätte Euch freiwillig jeden Tag so lange fahren lassen? Er war doch jeden Abend völlig fertig.“

Snowboard mit „Hindernissen“, Dezember/ Januar 2022/ 2023, Stubaier Gletscher, A

Und ich lege gesteigerten Wert darauf: Hier war nix abgesprochen, obwohl Eure Mutter zugibt „Das war eine extrem gute Idee!“

Hals und Beinbruch, kleiner Mann.

Geschrieben in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.

Der 136./ 84. Monat – Kiel oder Calais

Der 1. November fällt diesmal auf einen Dienstag und erstaunlicherweise haben Eure beiden Schulen den Montag davor zu einem beweglichen Feiertag deklariert. Ein langes Wochenende steht uns somit ins Haus und das bedeutet natürlich einen Ausflug. Leo möchte am liebsten nach Kiel, da hier seine heißgeliebte Fortuna bei Holstein Kiel gastiert und am Samstag ein Ligaspiel zu absolvieren hat. Keine schlechte Idee finde ich, aber für Eure Mutter zählen Ausflüge innerhalb Deutschlands ja nicht so richtig und wer will schon im November an die Ostsee? Sarah Sophie ist das Ziel egal, solange wir nur im Hotel übernachten. Hotels stehen momentan sehr hoch im Kurs, da ihr Frühstücksbuffets für Euch entdeckt habt. Wahrscheinlich als emanzipatorisches Gegengewicht zum langweiligen Frühstücksalltag zuhause, wo man ja immer nur elterliche Vorgaben vorgesetzt bekommt. Fakt ist, im Hotel futtert ihr etwa die dreifache Menge im Vergleich zum spartanischen Mahl zuhause. Oder es ist einfach gerade „cool“ – wie auch immer.

Es ist dann die französische Kanalküste geworden und wir starten Freitag nach der Schule in Richtung Calais. Hotel unterwegs noch gebucht und alles scheint gut. Aber nur bis zum nächsten Morgen. Wir haben ein schnuckeliges, kleines Hotel in einer Seitenstraße erwischt in dem wir die einzigen Gäste beim Frühstück sind. Jeder der schonmal in Frankreich war weiß wohl, was mit „Petit déjeuner“ gemeint ist und ihr beide jetzt auch. Der kindliche Tagesbeginn-Super-Gau. Nix mit Buffet. Baguette, Butter und Marmelade. Fertig. Ihr habt definitiv noch nie so irritiert geguckt. Das gefühlte Nichts vor Eurer Nase erschüttert vor allem Leo nachhaltig. „Ist das alles?“ fragst Du mich mit enttäuschter Stimmlage und uns Eltern wird schlagartig bewußt, das ihr natürlich überwiegend die Business-Herbergen Eurer Mutter kennt und die sind meistens etwas opulenter ausgestattet als Madame Dechamps 6-Zimmer-Butze mit dem windschiefen Dach. Sarah Sophie setzt aber noch einen drauf und erklärt Leo in jovialer Art die Unterschiedlichkeit der französischen Hotellerie unter gesondertem Augenmerk der Frühstückssituation. Und zwar genau in der Tonlage. Derart eloquent, als hättest Du bereits dutzende Male entsprechend logiert. Hilft aber auch nicht weiter und Leo kommentiert das genauso knapp wie treffend:

„In Kiel wäre das alles nicht passiert.“

Die Notlage kann aber dann doch noch gemildert werden. Und zwar von Eurer Mutter höchstpersönlich. Sie zaubert einige dieser kleinen Nutella-Päckchen hervor, die sie vergangener Woche aus irgendeinem Hotel ausgeliehen hat und rettet damit die größte Frühstücksnot für die nächsten Tage.

Doch die nächste elterliche Verfehlung lässt nich lange auf sich warten. Unser diesmaliges Reiseziel kommt übrigens daher, daß Eure Mutter während eines Trips im Mai diesen Jahres nach Dunkerque eine ansehnliche Sammlung dieser kleinen Infozettelchen mit Ausflugszielen der näheren Umgebung, die in jedem französischen Hotel und Campingplatz bereitstehen, gesammelt und jetzt tatsächlich dabei hat. Nachdem wir vor dem ersten mittelalterlichen Dorf mit angegliedertem Vergnügungspark sprichwörtlich vor verschlossenen Toren stehen, checken wir die anderen Lokalitäten online um festzustellen, daß wirklich gar keine Idee der Zettelwirtschaft um diese Jahreszeit geöffnet hat. Erst das fehlende Frühstück und jetzt auch noch das.

Was können Eltern eigentlich noch alles falsch machen. Ihr guckt ziemlich belämmert und Leo fragt vorsichtshalber nach, wie weit es denn von hier nach Kiel sei. Zu weit bis Anpfiff und ich verspreche Dir, das besagte Spiel in irgendeiner Bar auf dem iPad gucken zu können. Das habe ich nämlich rein zufällig dabei. Man traut uns ab sofort wieder mehr elterliche Kompetenzen zu.

Fortuna gucken geht überall, November 2022, Calais, F

Apropos Kompetenzen: Es nähert sich der Spielbeginn und überraschend verabschieden sich die Damen zur Shoppingtour während Leo und ich auf geeignete Barsuche gehen. Aus der Bar ist dann die Strandpromenade direkt neben einem mobilen Eiscafé geworden. Ja, hier scheint wirklich die Sonne und die Temperaturen sind durchaus noch auf Eisdielen-Niveau. So richtig schlecht geht es uns gar nicht und wir decken uns an besagter Bude „Spielfertig“ ein. Es scheint alles nicht mehr so furchtbar zu sein. Fortuna gewinnt freundlicherweise, Leo verputzt zwei große Eis und Sarah Sophie trudelt mit Einkaufstüte ebenfalls glücklich grinsend ein.

Der Drache von Calais, November 2022, Calais, F

Am nächsten Tag geht es zum Drachen, der hier auf der Uferpromenade Feuer spuckt und euch auch zu einem „Ritt“ einlädt. Calais ist ab sofort gar nicht mehr so schlimm und die französischen Frühstücks-Freveltaten sind Geschichte.

Drachenritt, November 2022, Calais, F

Bis auf eine Kleinigkeit, die hier Leo jeden Morgen einfach erwähnen muss:

„In Kiel wäre das alles nicht passiert.“

Und weist Du was, das probieren wir einfach mal aus. Das nächste Auswärtsspiel an der Ostsee ist im Mai. Da gibt es dann aber auch gar keine Argumente dagegen. Frag mal Deine Mutter.

Geschrieben in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.

Der 135./ 83. Monat – Kein Fußball an Bord

Ihr habt es fast geschafft. Also Eure Mutter und Sarah Sophie. Nach gefühlten Jahren hartnäckigstem Belatschern stehe ich unmittelbar vor Aufgabe meiner strikten Ablehnung gegen das Bohren von Löchern in irgendwelchen Körperteilen. Da bin ich vielleicht etwas anachronistisch oder wie es Eure Mutter so schön ausdrückt „so furchtbar deutsch“, aber mir will es nunmal nicht einleuchten wozu man sich Löcher in Ohren schiessen läßt um anschließend irgendwelchen Nippes daran zu hängen. Vornehmlich überhört wird selbstverständlich ebenfalls mein zartes Argument, dieses gemeine Ohrloch dürfte hiernach als Blaupause für irgendwelche Piercing-Unwesen herhalten. „Alles Quatsch natürlich!“ beschwören mich die größten Vollzeit-Prinzessinnen-Kulleraugen die es gibt. Und natürlich habt ihr irgendwann Euren Willen bekommen und zwar genau jetzt. Kurz vor den Herbstferien haben wir einen Termin bei der Ohrenärztin mütterlichen Vertrauens und die Sache ist vom Tisch bzw. ein Loch in jedem Ohr. Praktisch der Zeitpunkt, so lässt sich in den anstehenden Herbstferien jeweils vor Ort nach geeignetem Füllmaterial Ausschau halten um eben jene Löcher hübsch dekorieren zu können. Ein Schelm, wer Böses denkt.

Womit ich beim eigentlichen Thema ankomme: Der Wahl des Ferienziels für die Herbstferien. Sarah Sophie möchte gerne mindestens eine weitere Hauptstadt „sammeln“, Eure Mutter auf keinen Fall zwei Wochen am gleichen Ort hocken, ganz gleich wo der sich auch befindet und Leo ausnahmslos Fussball spielen, gleichermaßen völlig egal wo. Ach ja und Emma muss natürlich ebenfalls mit.

Wir entscheiden uns für einen italienischen Roadtrip unter maritimer Zuhilfenahme zweier Fähren. Die sind das ausgehandelte Zugeständnis an Leo nachdem er von mehr als drei Städten hören durfte, was bei Dir neuralgisch eine vollständige Aufgabe jedweden Interesses mit einhergehendem Partizipationsstop bedeutet. Schiffe gehen aber immer. Das hast Du wahrscheinlich von mir.

Erste Station ist Pisa. Natürlich muß der arme schiefe Turm auch im Hause Reichmann für die üblichen Kitschbilder herhalten, will heissen Sarah Sophie und Eure Mutter geben sich mächtig Mühe besonders albern auszusehen. Es sei gesagt: Hundertprozentig gelungen. In der Zwischenzeit klettert Leo über den Zaun um auf die freie Rasenfläche zu gelangen und beginnt mit seinem Ball umher zu kicken. Und das scheint ansteckend zu sein. Jedenfalls bist Du nicht lange alleine und zwei italienische Jungs, deren Eltern sich in ähnliche Schnappschusspositionen bugsieren, stehen plötzlich ebenfalls auf dem Platz. Denn das ist ab sofort nicht mehr irgendeine Wiese sondern ein weihevoller Fussballtempel. Jedenfalls spielt hier gerade Italien gegen Deutschland. Leo ist in seinem Element und auf einmal ist so ein Städtetrip überhaupt nicht mehr so furchtbar wie angenommen. Die patrouillierende Polizia Locale interessiert sich freundlicherweise überhaupt nicht für das laufende Länderspiel, was wahrscheinlich daran liegt, daß der Pfosten welcher das ausgewiesene Verbotsschild trägt, aktuell eben den linken Torpfosten und nicht mehr nur ein schnödes Verkehrsschild darstellt. Das haben die Beamten sicherlich direkt erkannt und entsprechend gehandelt, also eben nicht. Sympathisches Land.

Wir fahren weiter nach Rom. Das Colosseum arbeitet Sarah Sophie in Rekordgeschwindigkeit ab. Einmal davor posieren, Foto gemacht und weiter gehts. Auf meine Frage, ob Du da denn nicht hinein möchtest um dir das Ganze von innen anzusehen bekomme ich nur eine knappe Antwort: „Papa, ich nehme in der siebten Klasse doch sowieso Latein, da fahren wir dann doch eh mit der Schule hierhin.“ Das Du Latein als nächste Fremdsprache wählen möchtest ist mit bewusst, daß der Latein-Kurs gleich einen Ausflug an den Tiber macht ist mir allerdings neu. Nicht schlecht, ich bin damals nur bis Xanten gekommen. „Suum cuique.“

Auf dem Platz vorm Vatikan wiederholt sich das Pisa-Prinzip nur ohne Rasen und während Leo fröhlich umherkickt stolpern wir über einen Pilger aus Hamburg der uns hier mal kurz die gesamte Architektur im Schnelldurchgang erläutert inklusive Hinweis hinter welchem der hunderten Fenster für gewöhnlich der Papst residiert. Das wollten wir zwar gar nicht wissen, aber jetzt sind wir dafür extrem sachkundig. Warum auch immer. Hier begnügt sich Sarah Sophie ebenfalls mit einem kurzen Schnappschuss. Auf meine Frage, ob der Lateinkurs in Zukunft hier ebenfalls vorstellig wird erwiderst Du nur „Nö, ich glaube nicht. Aber das ist doch alles christlich hier, oder?“ und lieferst die Ursache für dein überschaubares Interesse gleich mit: „Dann muss ich das ja alles gar nicht wissen.“ Das ist dann wohl pragmatisch-jüdischer Subjektivismus, oder so was Ähnliches. Thema, jedenfalls durch.

Die nächste Stationen heißen Neapel und Pompeji. Und ja, es ist genau das gleiche. Leo kickt so ziemlich überall herum und der Rest widmet sich einer fröhlichen Mischung aus Kultur und Konsum. Alles ziemlich unaufgeregt.

Hauptsache Fußball – egal wo, Oktober 2022, Cefalù, I

Auf der Fähre von Neapel nach Palermo haut Leo aber dann doch noch einen raus: „Endlich sind wir wieder auf einem Schiff. Und ganz ohne Fußball, cool.“

„Alles ok bei Dir, kleiner Mann?“

Wieder Du: „Keine Angst Papa, morgen geht es weiter. Aber heute ruhe ich mich mal aus. Das machen Fußballer so.“

Man bin ich froh, daß wir zurück nach Genua ebenfalls mit der Fähre fahren. Aber ich glaube auf dem Schiff gibt es einen Fußballplatz.

Was Du wohl damit anfängst? An- oder Abpfiff kleiner Mann? Ganz klar, deine Entscheidung.

Geschrieben in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.

Der 134./ 82. Monat – Bruchrechnen

Sarah Sophies Geburtstagspartys nehmen allmählich gästemäßig überhand. Also zahlenmäßig, und organisatorisch. Ein Schelm wer ernsthaft denkt wir hätten im vergangenen Jahr bereits die Spitze des Eisberges erreicht. Da hast Du bedingt durch den Wechsel von Grundschule zum Gymnasium erst im Oktober gefeiert, da Du verständlicherweise erst mal gucken wolltest, wen Du aus der neuen Schule denn so einladen möchtest. Jedenfalls hatten wir im Endeffekt knapp 30 Kinder auf einer Indoorkartbahn um gemeinschaftlich den „Kartführerschein“ zu erlangen. Trotz einiger Blessuren war das Ganze damals ein voller Erfolg, zumindest bin ich mehrfach während irgendwelcher Schulveranstaltungen mit dem Satz begrüßt worden: „Ach ihr wart daß mit dem imposanten Geburtstag.“ Nun aber genug des „Selbst-auf-die-Schulter-Klopfens“ und zurück zum geburtstäglichen Tagesgeschäft im laufenden Familienjahr.

Du hast Dir in den Kopf gesetzt im Prinzip die selbstorganisierte Abschlussklassenfahrt der Grundschule mit Camper und Zelten zu wiederholen, allerdings mit geringfügig erhöhter Gästezahl. Nämlich fast mehr als doppelt so viele, sprich zelten, Bananenbootfahren, Discoschwimmen und was man noch so alles am Leukermeer anstellen kann. Zu Erinnerung, hier in der Marina liegt unser Boot mit angeschlossenem Campingplatz. Ich versichere Dir, daß es weder organisatorisch machbar, noch logistisch sinnvoll ist mit knapp 50 Kindern zelten zu gehen, möchte man nicht noch ein eigenes Animationsteam dazu bitten. Auf die Idee mir das auch noch aus der Tasche zu leiern kommst Du aber freundlicherweise nicht, wofür ich Dir hier ausdrücklich Respekt zolle und auch noch sehe wie Du dich in Demut und Bescheidenheit übst.

Das geht dann übrigens so: Einsichtig ob der Unvereinbarkeit von Quantität zu Qualität des Geburtstagsprojektes biete ich Dir an entweder die Gäste zu reduzieren oder nach irgendeinem Plan B Ausschau zu halten, in der felsenfesten Überzeugung das es nichts realistisches gibt, was man mit einer solchen Menge Kindern anstellen kann.

Das stellt sich bereits am nächsten Morgen als folgenschwerer Irrtum heraus: „Papa, guck mal, wenn wir an einem Tag 48 Kinder haben und das natürlich zu viel ist, du aber sagst 20 Kinder sind OK, dann stell dir das mal als Bruchrechnung vor. Ich erkläre es Dir!“ Ich bin gespannt auf die folgende Modelrechnung:

Nun wieder Du: „48 Kinder sind 48:1, also Achtundvierzig-Eintel.“ „Soweit korrekt?“ fragst Du vorsichtshalber nach um sicherzugehen, daß ich mathematisch auf Quinta-Niveau folgen kann. Ich bestätige kopfnickend. „So, dann erweitern wir den Bruch mit 3 und bekommen 16/3 (Sechzehn-Drittel).“ „Wieder korrekt?“ Wieder bestätige ich nickend. Dann wieder Du, sichtlich sicher dein gestecktes Ziel zu erreichen: „Die 48 also 16 sind ja die Kinder und die 1 bzw. 3 die Tage? Da 16 unter 20 liegt brauchen wir also nur 3 Tage vor Ort zu sein und daß wiederum passt doch perfekt, weil Du ja gesagt hast man muss auf dem Campingplatz immer mindestens 4 Tage reservieren. Damit bleibt ja sogar noch jeweils ½ Tag um auf- und abzubauen. Ist das nicht toll, dann müssen wir niemandem absagen.“

Das ist es selbstverständlich ohne jeden Zweifel zumal Du ganz zufällig die groben Eckdaten der Gästeumverteilung mitlieferst: „Am Freitag fahren wir nach der Schule mit meinen Freuden vom Gymnasium nach Holland, bauen die Zelte auf, wir übernachten von Freitag auf Samstag und so weiter. Samstag morgen kommen dann meine Freunde aus der Grundschule, wir feiern alle zusammen, „das Gymnasium“ fährt Samstagabend wieder nachhause, die „Grundschule“ übernachtet von Samstag auf Sonntag und am Sonntagmorgen kommen dann unsere anderen Freunde, die nicht aus den Schulen sind und bleiben bis abends. Also die, die Du immer „Bestandskunden“ nennst.

„Ist das nicht großartig?!“

Zweifelsfrei Prinzessin und rein rechnerisch absolut korrekt. Schön finde ich ja, daß zu meiner Schulzeit solche Rechnungen mit Kindern und Äpfeln oder Kuchen textlich konkretisiert worden sind, aber das ist dann wohl heutzutage eben anders. Das muss man akzeptieren. Und apropos akzeptieren: Wer schon derart eloquent mit Brüchen jongliert bekommt natürlich was er möchte. Zur großen Überraschung aller, veranstalten wir tatsächlich diesen dreitägigen Geburtstag. Das ausschlaggebende Argument war wahrscheinlich die Überlegung Eurer Mutter nicht zu wissen wer sonst auszuladen wäre und dem kann ich natürlich nur zustimmen.

Hell-Dunkel, Hell-Dunkel, Hell-Dunkel: Geburtstag geschafft, September 2022, Leukermeer, NL

Für den gymnasialen Teil sind übrigens ausschließlich Mädchen zugegen und wir dürfen schonmal einen Ausblick darauf bekommen was noch kommt wenn aus prä-pubertierenden irgendwann real existierend pubertierende Teenager werden. Oder anders ausgedrückt, ich bin nicht unglücklich als nur noch die Grundschule zur anstehenden Übernachtung bleibt. Das sind nämlich ganz und gar ausnahmslos nur Jungs.

Bedeutet übersetzt: Du wirst hofiert und es ist Ruhe an Bord.

Also, nächste Jahr garantiert wieder nur einen Tag. Und da ist mir fast egal was das dann kostet.

Achtung Vollzeitprinzessin: Ich betone fast(!).

Herzlichen Glückwunsch.

Geschrieben in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.

Der 133./ 81. Monat – Kühlen hilft

Der „richtige“ Sommerurlaub findet mal wieder auf Korsika statt. Das hat elementar mit dem Hund zu tun. Die ersten Sommerferien mit Emma führen uns zwangsläufig wieder auf die Insel, da ihr beide völlig irritiert seid, daß in der Hauptsaison Hunde zwar auf vielen Campingplätzen erlaubt sind, nicht aber an den dazugehörigen Stränden. Eine Logik die sich zugegebenermaßen auch mir nur schwer erschließt, aber nunmal so Bestand hat. Wer von uns dann im Zweifelsfall nicht mit an den Strand kommt dürfte klar sein und ich kann ja nicht drei Wochen lang mit dem Hund an der Bar Urlaub machen. Das bekommt wahrscheinlich weder Hund noch Herrchen auf Dauer. Also lässt uns die korsische Entspanntheit mit der Hunde-Strand-Problematik wieder die Insel anlaufen. Denn hier gibt es schlicht keine derselbige und Emma tobt täglich mit Euch im Meer.

Am vierten Tag kapiert dann auch ein Labrador das es Wasser gibt was man nicht trinken kann. Sagen wir mal so, bei unseren Spaziergängen brauche ich keine Tütchen mehr sondern eine Schaufel. Ich glaube es gibt schlauere Hunde.

Wir vertrödeln mit gekonntem Nichtstun die folgenden Tage und man kann schon sagen es passiert gefühlt gar nichts. Das kommt erst nachdem wir wieder zu Hause sind und geht so:

Ich meine mich zu Erinnern: Es war auf der Rückfahrt aus den Frühlingsferien. Da kam Eure Mutter auf die Idee, daß Sarah Sophie unbedingt ein Wakeboard braucht. Die Begründung bestand darin, daß das Projekt „Wasserskilaufen“ bei Dir nicht so ganz erfolgreich verlaufen ist. Du hast es versucht, es hat geklappt und seitdem liegen deine Wasserski in der Garage und warten darauf das Leo in das entsprechende Alter kommt. Du findest Wasserski irgendwie langweilig und das bedeutet in die Sprache Eurer Mutter übersetzt: „Das ist doch viel zu uncool. Das war vielleicht zu deiner Zeit hipp, heute fährt man Wakeboard!“ Alles klar – also genau wie im Winter. Wer fährt denn schon Ski, man boardet selbstverständlich. Das väterliche Auslaufmodell kann natürlich beides nicht und hat seine Jugend stets auf Skiern verbracht. Im Winter auf Zweien, im Sommer auf einem hinterm Boot. Aber das war natürlich in den 80er, also nicht nur gefühlt in einem anderen Jahrhundert.

Ich gehe natürlich davon aus, hier werden wir jetzt an den kommenden Wochenenden in Holland mittels unseres Bootes tätig. Aber weit gefehlt. Aus der ganzen Nummer wird ein „Mutter-Tochter-Happening“ und Eure Mutter bucht ein Wochenende an „der“ Wakeboardanlage irgendwo zwischen Weserbergland und dem Teutoburger Wald. Da Eure Mutter unseren Camper nicht fahren mag reisen die Damen mit leichtem Gepäck und Zelt auf den dazugehörigen Campingplatz. Leo und ich verfolgen das Ganze via WhatsApp-Bilderfunk an Bord in Holland. Meine Hinweise, daß so eine Anlage für Anfänger verletzungsanfällig sei, da man ja auf einem Steg sitzt und es dann irgendwann einen großen Ruck gibt der dich aufs Wasser katapultiert, wo hingegen dich ein Boot etwas sanfter aus dem Wasser zieht, ist natürlich völliges papperlapapp.

Wakeboarden: Das neue Mutter-Tochter-Ding, August 2022, Kalletal, D

Der Kurs beginnt, Eure Mutter macht den Anfang und die Sache läuft. Nur bei Sarah Sophie kommt es zu einer kleinen Unstimmigkeit im Bewegungsablauf und Du knallst irgendwann mit Wucht aufs Wasser, bekommst die Kante des Board auf die Schulter und schwimmst schmerzverzerrt an Land. Mit profundem Blick erkennt Eure Mutter das hier mit Kühlung weiterzukommen ist und staffiert Dich entsprechend aus. Die folgenden Stunden darfst Du dann vom Strand das Geschehen verfolgen. Laune auf Tiefpunkt, Schulter schmerzt, gelungenes Wochenende passé. Zwischendurch folgen aufbauende Worte wie „Weiter kühlen.“, „Stell Dich nicht so an!“, „Morgen ist alles vorbei.“ in der gewohnt sanftmütigen, verständnisvollen Art Eurer Mutter die Dir sicherlich weiterhelfen.

Dummerweise stellt sich die prognostizierte Diagnose doch nicht ein und am frühen Abend fahrt ihr in ein Krankenhaus. Nach dem Röntgen steht es dann fest:

Der Klassiker unter den Sportverletzungen: Fraktur des Schlüsselbein. Projekt Wakeboarden beendet.

Sarah Sophie bekommt eine schicke Konstruktion um den Arm ruhig zu stellen und ich verkneife mir sogar jeglichen besserwisserischen Kommentar und gestehe das ein solcher Unfall natürlich auch hinter einem Boot passieren kann.

Und ich weiß auch wirklich nicht warum mir gerade jetzt der Spruch unserer damaligen Hebamme zu Zeiten von Sarah Sophie wieder in den Kopf kommt.

„Ja, sie hätte schon gehört, die russischen Mütter haben ihre Kinder anders lieb.“

Passt irgendwie zum Wochenende, oder? Gute Besserung Prinzessin.

Geschrieben in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.