Die Sommerferien starten dieses Jahr extrem früh, zumindest in Nordrhein-Westfalen, nämlich bereits Mitte Juni. Eigentlich wollten wir Euch beiden zunächst die Weißen Nächte in St. Petersburg zeigen, die jedes Jahr um den 21. Juni an der Newa gefeiert werden und Euch auch endlich mal erlebbar machen wo die Hälfte der Familie ursprünglich herkommt, aber das scheitert leider an dem unsäglichen Krieg den der kleine russische Tyrann aus Moskau im vergangenen Februar angezettelt hat. Visa sind nahezu nicht zu bekommen und die Anreise wäre selbst für unsere Verhältnisse mehr als abenteuerlich. Also schalten wir auf Normal-Urlaubs-Modus – was so viel heißt, es geht nach Korsika.
Eure Mutter protestiert anfänglich noch stärker als vergangenen Sommer und ich glaube, das wird auch wirklich für lange Zeit das letzte Mal, daß wir reif für genau diese Insel sind. Ich meine es bereits das ein oder andere Mal erwähnt zu haben, was gefühlte Wiederholungen für sie bedeuten. Ihr schafft es aber tatsächlich sie zu überreden – versprochen letztmalig – Bastia anzusteuern. Ich bin beeindruckt, finde das Ergebnis aber gut.
Tja, und dieses Jahr halten wir uns für besonders schlau. Wir starten direkt am letzten Schultag um möglichst vor der ersten Stauwelle vorneweg zu fahren, nehmen auf dem Rückweg noch einen Job Eurer Mutter in Konstanz am Bodensee „mit“ wodurch wir uns uns vier Tage am Schwäbischen Meer bescheren, bevor es dann von dort für den Rest der Ferien nach Holland aufs Boot geht. Die Annahme, das sei besonders schlau ist soll sich jedoch als fataler Irrtum erweisen. Zumindest die Idee mit wenig Stau klappt.
Aber der Reihe nach.
Wir nehmen diesmal die Nachtfähre ab Genua und erreichen bereits am Morgen des 23. Juni Eure Lieblingsinsel. Auf dem Campingplatz ist auch fast alles wie immer, diesmal aber dummerweise mit einem kleinen, feinen Schönheitsfehler: Wir sind im Altersheim gelandet. Der Kiz-Club hat noch gar nicht eröffnet und die paar Gestalten aus der Ü70-Riege schlurfen irritiert an uns vorbei. Der Rentner von Gegenüber bringt es dann auf den Punkt: „Was macht ihr denn schon hier – wo sind denn schon Ferien?“ Wir stehen also kollektiv für all die Familien mit Kindern, die man hier sonst in den Sommerferien antrifft. Verdutzt antworte ich „Bei uns.“ Aber auch wirklich nur bei uns. Kurze Recherche bestätigt das Bild vollumfänglich: Kein anderes Bundesland in Deutschland oder Österreich, kein Kanton in der Schweiz, von Frankreich ganz zu schweigen. Lediglich ein paar italienische Provinzen und eben Nordrhein Westfalen haben derzeit Sommerferien und von denen sind wir weit und breit die Einzigen unter 70 Jahren Lebenserfahrung.
Verständlich fragt ihr Euch gegenseitig: „Was machen wir denn jetzt den ganzen Tag“? Und für wen koche ich jetzt jeden Mittag? Unter Nomalbedingungen schleppt ihr gerne jeder zwei oder drei Freunde zur Mittagszeit an. Gut, die Rahmenbedingungen können wir jetzt nicht ändern, also machen wir das Beste daraus und gehen erstmal Richtung Strandbar.
Das Stand-Up-Paddel-Board war eigentlich als Trostpflaster gedacht für die nächste Änderung im diesjährigen Sommerurlaub. Eure Mutter muss nach zwei Tagen auf der Insel jobmäßig nach Frankfurt und ist somit nahezu die komplette erste Woche nicht dabei und fliegt stattdessen Montag früh zurück. Begeisterung sieht anders aus, aber das Board hilft. Allerdings leider nur eine Stunde. Nachdem ihr diese besagte Stunde darauf umher geturnt habt, legt ihr es an den Strand und kümmert Euch um genügend Eisnachschub. Als ihr zurück seit, dauert es keine zehn Minuten und das Board platzt auf der gesamten Länge unter einem ohrenbetäubenden Knall auf. Leo fällt noch das Eis aus der Hand in den Sand. Doppelter Volltreffer sozusagen. Den ersten Tag der Sommerferien stelle ich mir ja irgendwie anders vor.
Die kommende Woche plätschert ohne Eure Mutter so dahin und für den Umstand keine Spielkameraden zu haben schlagt ihr Euch ganz schön wacker. Freitagabend fliegt Supermami weder ein und hat zufällig ein neues Stand-Up-Board im Gepäck. Wer hier heute der unangefochtene Held ist dürfte unstrittig sein. Diesmal fliegt uns das Ding auch nicht um die Ohren, wird aber gar nicht mehr so zwingend gebraucht, da ab Mitte der zweiten Woche immer mehr Kinder eintrudeln und jetzt ist wirklich wieder alles wie immer. Mittags sitzen wieder mindestens sechs Kinder am Tisch und ansonsten tobt ihr mit denen um die Wette.
Nach drei Wochen geht es zurück mit dem Abstecher in Konstanz. Hier stelle ich fest, wie lange ich nicht mehr auf einem deutschen Campingplatz war. Oder besser gesagt auf dem wahrscheinlich deutschesten aller Campingplätze: Nach 22 Uhr wird nicht mehr gespült, der Hund darf sich nur auf bestimmten Wegen fortbewegen und wenn man unverschämterweise zufällig vor der Mittagspause ankommt, zahlt man eine gesonderte Gebühr für eine Frühanreise. Unser direkter Nachbar erzählt freudestrahlend, daß sie nun im zehnten Jahr hierher kommen und die Kinder keine anderen Sommerferien kennen als hier. Ich verstehe weder Kinder noch Vater und flüchte in die Spülküche bevor die um 22 Uhr schließt. Das gefühlte Gefängnis dürfen wir ja glücklicherweise bereits nach vier Tagen wieder verlassen und ich muss Euch beiden fest versprechen, daß wir hier nie wieder hinfahren. Aber sowas von „Großes Ehrenwort“.
Von hier aus dann also nach Holland aufs Boot. Und damit fällt der Rest der Geschichte buchstäblich ins Wasser. Es regnet wirklich nahezu jeden Tag und ich habe noch nie soviel Wasser von oben an Bord erlebt. Wir brauchen auch offenbar erst Schweizer Besuch am Leukermeer um die Umgebung außerhalb des Wassers zu erkunden. Unsere neuen Schweizer Freunde sind ebenfalls hier und Sandra weiss nach zwei Tagen mehr über die ganze Gegend als ich nach vier Jahren, die wir mittlerweile hier ein Boot liegen haben. Unangefochtenes Highlight war dann noch Sarah Sophies Geburtstag. Du hast es doch tatsächlich geschafft mir eine Zustimmung zum Besuch einer Paintball-Anlage aus dem Kreuz zu leiern. Wahrscheinlich macht zu viel schlechtes Wetter etwas prinzipienschwach. Meine pazifistische Grundüberzeugung ist irgendwie weggeschwommen.
Eure Mutter hat Recht: Nächsten Sommer machen wir alles anders. Garantiert!