Der 132./ 80. Monat – Quarantäne 2.0

Sommerferien: Vorweg geht es für Euch in der ersten Ferienwoche in verschiedene Camps; dann zwei Wochen auf dem Boot in Holland, bevor es uns zum Abschluss drei Wochen nach Korsika verschlägt. Oder wie Eure Mutter das so schön formuliert: „Richtig in Urlaub!“ Holland zählt bei ihr bekanntlich immer noch nicht, weswegen sie auch in diesem Jahr wieder diverse Jobs auf genau dieses Zeitfenster legt. Diesmal sogar noch professioneller, nämlich ganze zwei von zwei Wochen, bedeutet konkret sie nur an den Wochenende an Bord zu haben. Eure mütterlichen Großeltern haben sich hier wieder ein Ferienhaus gemietet und alles fängt ganz planvoll an. Fast kann man sagen, alles wie immer. Aber der Reihe nach.

Leo ist jeden Tag im iCamp der Gemeinde und offenbar froh wenn die Woche rum ist. Deine Begeisterung pendelt sich auf „ist schon ok“-Niveau ein. Ganz im Gegenteil zu Sarah Sophie im gleichen Alter – Du fandest das Camp damals schlicht großartig. Aber es soll ja vorkommen, daß sich die Reichmanns durchaus uneins sein können. Zur gleichen Zeit vertreibt sich Sarah Sophie die Zeit auf dem Rücken eines Pferdes im Reitercamp irgendwo im Münsterland. Das allerdings gefühlt offenbar zu wenig am Tag – jedenfalls höre ich ebenfalls mäßige Begeisterung aus Westfalen. Am vorletzten Tag darf die gesammelte Reitermädchenriege dann zum kollektiven Corona-Test ausrücken, da ein Kind der Gruppe vorzeitig abgeholt und positiv getestet ist.

Dein Schnelltest fällt zwar negativ aus, aber Deine Mutter und ich sind ausnahmsweise mal einer Meinung hier lieber gesicherte Gewissheit haben zu wollen, da Du ja die kommenden zwei Wochen mit deinen Großeltern verbringen wirst. Also PCR-Test am Düsseldorfer Flughafen zum Schnäppchenpreis und nach sechs Stunden steht fest, daß genau das nicht passieren wird. Du bist positiv, wenn auch aktuell noch symptomfrei. Es ist Samstagmittag und wir brauchen Plan B.

Eure Mutter arbeitet die nächste Woche im oberfränkischen Pegnitz irgendwo zwischen Nürnberg und Bayreuth gefolgt von Wetzlar in Hessen. Leo und Dich in der gleichen Wohnung, auf dem gleichen Boot oder was auch immer räumlich zusammengehört zu trennen ist natürlich absolute Theorie, folglich gibt es daher folgende Optionen:

1. Du bleibst alleine an Bord, der Rest im Ferienhaus, oder andersherum.

2. Eure Großeltern bleiben zu Hause, wir haben ein Ferienhaus zuviel, was aber zu derselben räumlichen Trennung führt, nur das sie dann eben auch noch zu Hause hocken.

3. Wir erfinden Quarantäne ein bisschen neu.

Was nun folgt, deckt sich wahrscheinlich nicht ganz mit den Vorstellungen des Gesundheitsministeriums und wird vielleicht bei dem ein oder anderen Unverständnis hervorrufen, weswegen wir es erstmal einfach niemanden erzählen und ich diese Geschichte erst so spät aufschreibe. Ich kalkuliere mit verjährten Verfehlungen.

Steht eigentlich irgendwo geschrieben wo man in Quarantäne geht? Du jetzt jedenfalls erstmal in der bayerischen Provinz und fährst kurzerhand mit Eurer Mutter mit zur Arbeit. Wir interpretieren Quarantäne ein bisschen neu und beschließen, daß das auch in einem Hotel funktioniert. Begeisterung sieht natürlich anders aus, aber Du handelst zumindest heraus, daß der Hund mitkommt, dem ich zu leichtfertig zugestimmt habe.

In Bayern angekommen setzt auch pünktlich am folgenden Tag Dein Fieber ein und Du pendelst die nächsten Tage zwischen Bad und Bett. Was das konkret heißt dürfte klar sein und ich spare hier an den Details. So; das Hotelzimmer ist also dein Zuhause für die kommenden Tage. Emma weicht nicht von Deiner Seite und ihr reduziert Gassi gehen auf das absolut Notwendige. Aus dem verwöhntesten wird nun auch noch der faulste Labrador. Man geht mir Corona auf die Nerven. Seitens des Hoteliers bekommt Eure Mutter Vorhaltungen das Kind mit dem Hund doch nicht so lange alleine zu lassen, in Holland fragen Babuschka und Dedoschka im Stundenrhythmus nach wie die Sachlage in Bayern ist und sogar Deinem Bruder ist langweilig ohne das gewohnte, geschwisterliche Gezänk.

Ich sag mal so – Ferien gehen anders.

Wahrscheinlich nur um den Hotelbesserwisser zufrieden zu stellen organisiert Eure Mutter jemanden der mit Emma tagsüber spazieren geht – zu einem Preis bei dem ich über eine Umschulung nachdenke – damit Sarah Sophie einsam mit 40° C vor sich hinfiebern kann. Eine Woche kann so lange sein. Ab Donnerstag geht es dann aber deutlich besser, und die gefunkten Bilder sehen fröhlicher aus. Der Hundesitter wird arbeitslos und Sarah Sophie nimmt wieder feste Nahrung zu sich. Freitag Nachmittag wird sich wieder glücklich geshoppt und anschließend fahrt ihr nach Düsseldorf. Das übliche Prozedere: Erst zum Flughafen, PCR-Test, um am Samstag zum Frühstück das falsche Ergebnis übermittelt zu bekommen. Immer noch positiv. Sarah Sophie ist topfit aber ohne den erlösenden Freifahrtschein in Richtung Niederlande. Eine weitere Woche im Hotel eingepfercht zu sein sind wahrscheinlich keine optimalen Aussichten in den Sommerferien, selbst dann nicht wenn eine fulminante Abwechslung droht: Das Hotel liegt diesmal nicht im hessischen sondern wieder im bayerischen Hinterland verborgen. Also sagt ein anderer Fuchs einem anderen Hasen „Gute Nacht“. Eurer Mutter fehlt es eindeutig an Projekten im urbanen Raum. Zumindest wenn ein „krankes“ Kind dabei ist.

Da die Hoffnung bekanntlich als letztes stirbt also Sonntagmorgen alles auf Anfang und zu unseren freundlichen Rachenpinselern vom Flughafen. Ich finde spätestens jetzt hätten wir Mengenrabatt verdient. Um genau 12:33 Uhr kommt endlich das ersehnte Ergebnis: NEGATIV.

„Wieder-gesund-glücklich-Shopping“, Juli 2022, Gießen, D

So schnell hat Eure Mutter wahrscheinlich noch nie gepackt, jedenfalls seit Ihr um 15 Uhr bereits am Leukermeer. Familie Reichmann wieder komplett und glücklich.

Und Sarah Sophies Sommerferien starten eben mit zweiwöchiger Verspätung. Aber eine Woche Holland reicht ja auch wirklich. Fragt mal Eure Mutter. Die ist bereits Montag in aller Frühe schon wieder weg und tauscht Boot gegen Bayern.

Möglicherweise haben wir eventuell nicht alles so ganz Coronakonform angestellt – aber ich habe schonmal von Quarantänehotels gehört – oder war das was anderes?

Egal. Jetzt aber endlich: Schöne Ferien.

Der 131./ 79. Monat – Laut, aber gut!

Es hat lange gedauert, aber es hat doch noch geklappt: Leo hat einen Fußballverein gefunden. Und es war wie so oft. Irgendwann taucht jemand auf, der von jemandem gehört hat, das er jemanden kennt der weiß wo ein Vereinsplatz frei ist. Irgendwie so ist es dann auch passiert. Völlig egal wie, das Ergebnis ist es was zählt. Du bist überglücklich und seit diesem Monat Vereinsmitglied im TUS Nord. Ich habe die Hoffnung schon fast aufgegeben sehe dich aber tatsächlich an irgendeinem Freitag über den Platz der „Bambini 1“ flitzen.

Dein Trainer ist so ziemlich haargenau das was ich mir unter einem Fußballlehrer vorstelle – also zumindest für die Alterskategorie. Groß, breit und auf dem Platz genauso laut wie engagiert. Vorletzteres derart, daß es beim ersten Elternabend – ja sowas gibt es wirklich in Fußballvereinen, also jedenfalls bei unserem – seitens einiger besorgter Eltern die Bitte geäußert wird, die Stimmgewaltigkeit zumindest knapp unter Megaphon-Niveau zu senken. Ein hehres Ziel, welches auch genau das bleibt. Aber Besserung hat er gelobt, ich finde das reicht auch irgendwie. Du bist jedenfalls schwer begeistert von „Pudding“, wie dein Trainer gerufen wird. Wie und warum er zu dem Namen gekommen ist habe ich noch nicht herausgekriegt.

Auf dem Platz, ganz gleich ob Training oder Spiel, herrscht ein – sagen wir mal – rustikaler Umgangston. Das führt zu so absurden Situationen, daß mir ein Mitspieler-Vater allen Ernstes erklärt, sein Sohn habe gar Angst vor Pudding, weil es immer so laut ist. Zur Verdeutlichung: Da steht ein gefühlt genauso breit wie hohes rheinisches Urgewächs, ordentlich tätowiert, bei egal welchem Wetter in kurzen Hosen auf dem Platz und dirigiert derart hingebungsvoll eine Bande von 15 völlig Fußballverrückten Jungs und einem Mädchen hin- und her, daß mir ehrlich gesagt das Herz aufgeht. Was fußballerische Trainingskonzepte angeht kann ich nicht wirklich mitreden, aber wahre Leidenschaft für eine Sache sieht genau so aus. Der Mann hat meinen vollen Respekt. Zur Sicherheit frage ich mal nach, wie es sich bei Dir verhält. Also so zum Thema „Angst“?

Die Antwort ist bezeichnend: „Papa, Pudding ist wie Mama: Laut und gut!“ Ich bin beruhigt und der Mitspielerpapa noch irritierter als vorher. Der Vergleich gefällt mir und wenn er stimmt stehen hier einige zukünftige Nationalspieler auf dem Platz.

Leo als echter Neuner, Juni 2022, Düsseldorf, D

Training ist Mittwoch und Freitag, Samstags Ligaspiele. Das kollidiert leider mit deinem Klettertraining am Mittwoch. Anfänglich bekomme ich den Trainer noch erduldet Mittwochs auf seinen echten Neuner zu verzichten. Das geht allerdings nicht besonders lange gut, da mir baldigst bekräftigend attestiert wird wie wichtig du für die Mannschaft bist und das einmal Training die Woche nicht ausreicht. Da Pudding das unglücklicherweise auch Dir verkündet hat beginnen diskussionsreiche Tage bei uns. Da Fußball derzeit das neue Schach ist, also es unbeirrt überhaupt nichts wichtigeres für Dich gibt, steht das Ergebnis fest und Klettern ist vorerst Geschichte. Aber vielleicht nicht lange, da der nächsthöhere Jahrgang nämlich Dienstags und Donnerstags trainiert. Und genau damit fängt unser neues Dilemma an.

Nach nur wenigen Wochen werden wir, nebst einigen anderen Eltern vom Trainer in die Kabine einbestellt. Der Kader sei viel zu groß und die F-Jugend eröffnet eine neue Mannschaft, wodurch die Kinder die altersmäßig dort schon unterkommen können bitte wechseln möchten. Das das keine wirkliche Bitte war, versteht sich von selbst. Du nimmst das mit dem gesammelten Pragmatismus eines Sechsjährigen zur Kenntnis und lässt dir lediglich von mir bestätigen, daß einiger deiner Lieblingsmannschaftskollegen ebenfalls von der Wechselei betroffen sind.

Problem ist leider der neue Trainier. Der ist so ziemlich das genaue Gegenteil seines Vorgängers. Stets auf Ausgleich bemüht, wenig einfordernd und vor allem eins: Leise!

Dummerweise bekommt das auch Deine Mutter mit und ist völlig irritiert das hier auf einmal keine durchdringende Stimme mehr auf dem Platz ertönt und auch niemand mehr wild gestikulierend von Eckfahne zu Eckfahne sprintet. Kurz gesagt der Trainings-Gau.

Das schaut sie sich für Ihre Verhältnisse sogar recht lange an, glaubt aber auch nicht an mein aufgebautes Luftschloss „das sich das noch findet“. Es findet sich nicht, dafür findest Du das Training neuerdings doof, weil Du nach eigenem Bekunden hier nichts lernst. Na Bravo, wir haben also verschwendete Lebenszeit zu betrauern oder anders ausgedrückt einen schier unerträglichen Zustand für Deine Mutter. Das hat ausnahmsweise mal nix mit Fußball zu tun, aber Zeit in etwas zu investieren was keinen Output hervorbringt, ist für Sie irrwitziger Nonsens und findet schlicht nicht statt. Oder wie mein ältester Freund Andy Eure Mutter so treffend beschreibt: „Es ist doch nicht die Frage ob etwas funktioniert, sondern wie!“

Selbstverständlich möchte sie den Verein wechseln oder gleich den ganzen Fußballwahn beenden. Letzteres scheitert an grundlegenden kindlichen Protestnoten und väterlichem Beistand. Eine Rückkehr in die alte Mannschaft scheidet altersmäßig aus und wieder auf Vereinssuche zu gehen scheint mir wenig zielführend. Zwischendurch bist sogar Du der Überzeugung hier deinen aktuellen Berufswunsch als Profikicker aufgeben zu müssen. Es scheint wirklich schlimm zu sein.

Die Lösung kommt ulkigerweise von deinem Ex-Trainer. Dem klagt Eure Mutter derart ihr Leid und den möglichen Vereinswechsel, den der wiederum unbedingt verhindern möchte. Du scheinst einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen zu haben. Lange Rede, kurzer Sinn nach einer Stunde steht fest, daß Du ab sofort einer andere Mannschaft verordnet wirst.

Tja, was soll ich sagen, am besten das was Du nach dem ersten Training verkündet hast.

„Papa, der ist wieder wie Mama. Laut, aber gut,“

Aber Du gehst niemals zu den Bayern. Versprochen?

Der 130./ 78. Monat – Mit stiller Post von Bord

Anfang Mai: Das Boot ist erfolgreich zu Wasser gelassen und am Liegeplatz vertäut. Und damit auch ja nicht der Eindruck entstehen könnte im Hause Reichmann dreht sich im Freizeitbereich fortan alles um „Papas neues Spielzeug“ wie es ab sofort nur noch heißt, hat Eure Mutter entsprechend vorgesorgt. Klar Schiff machen durfte ich noch alleine und habe es immerhin noch auf ein ganzes Wochenende mit Leo an Bord gebracht, bevor das erste lange Wochenende des Frühjahres ansteht. Und das ist bezeichnenderweise auch noch Vatertag. Den Freitag als Brückentag habt ihr auf beiden Schulen durch bewegliche Ferientage schulfrei abgedeckt und somit ist das eigentlich doch ein gutes Datum für das erste Wochenende auf dem Wasser.

Uneigentlich finden wir uns aber in Dunkerque an der französischen Kanalküste wieder und das ist erst mit drei individuellen Anreisen erreichbar. Zuvor muss nämlich noch geklärt werden wer überhaupt wo hinfährt und das geht dann so:

Eure Mutter lässt in einen kleinen aber feinem Nebensatz fallen, wie lange wir doch schon nicht mehr in Frankreich waren. Der örtliche Campingplatz offeriert noch ein passendes Plätzchen und sie verkündet Sarah Sophie, das lange Wochenende in Frankreichs nördlichster Stadt. Die Assoziationskette läuft ab (Ausflug -> Stadt -> Shopping -> Kind glücklich) und alles ist in bester Ordnung. Natürlich nicht lange, denn Du hast natürlich nichts besseres zu tun als Leo eben diesem Ausflugsumstand blumig zu schildern. Auch hier rattern die Assoziationen nur mit konträrer Schlussfolgerung, denn hier folgt auf Shopping -> Kind unglücklich. Das hatten wir ja bereits in den Frühlingsferien vergangenen Monat.

Leo protestiert selbstverständlich lautstark und lässt sich nur beschwichtigen nachdem ich verspreche, daß wir beide nicht zwingend jede Shoppingtour mitmachen müssen. Das glaubst Du mir wohl auch, gehst aber am nächsten Tag in der Schule lieber auf Nummer sicher und erklärst deinen Freund Lev aus der Parallelklasse vorsichtshalber die geplante Misere und schiebst die Patentlösung gleich hintenan. Er soll doch einfach mitkommen und das Fiasko ist abgewendet. Das findet Lev so gut, daß er das wiederum seiner Mutter berichtet, die bekanntlich wiederum mit Eurer Mutter befreundet ist und somit abends die Details mit mir am Telefon bespricht. Offenbar fällt die Idee auf derart fruchtbaren Boden, das Familie Lev auf dem Campingplatz ein Häuschen anmietet und wir somit zu siebt gen Frankreich juckeln.

Und wenn man sich schon seinen Kumpel selbst aussuchen muss, mit dem man in den Kurzurlaub fährt, dann kann man sich auch fahrtechnisch direkt dort einquartieren. Heißt im konkreten Fall: Leo sagt Lev, daß er mit ihm fährt, Lev sagt es seiner Mutter, die es Eurer Mutter mitteilt, welche dann wiederum mich unterrichtet, daß ich mit nur einem Kind losfahren darf, da sie von irgendwo nach Paris einfliegt und mit dem Leihwagen zu uns stößt. Passend zu der ganzen Stille-Post-Konversation eröffnet mir Sarah Sophie, daß sie am Mittwoch einen Studientag absolviert und somit gar nicht in die Schule muss. Praktisch ist es allemal und wir beide starten daher bereits am Vormittag.

Folglich sind wir auch die ersten die da oben ankommen und frieren erst mal gehörig, da der Wind gehörig pfeift und von Sonne keine Spur zu sehen ist. Und Sarah Sophie fragt bestimmt nur ganz zufällig wie denn das Wetter in Holland am Boot so ist. Der Wetterbericht irrt aber sicher gewaltig und zeigt nur aus reiner Bosheit strahlenden Sonnenschein bei Temperaturen deutlich jenseits der 20° C Marke. Also so ziemlich das Gegenteil von dem was wir hier vorfinden. Wir gucken uns beide einmal ganz dumm an und hadern nicht weiter mir unserem Schicksal. Ein paar Stunden später trudelt Familie Lev mit Leo ein und spät am Abend gesellt sich dann auch Eure Mutter zu uns. Wir beschließen die missliche Wettersituation auszusitzen, vor allem aber nicht mehr Wetterberichtsmäßig auf alternative Orte zu schielen, schon gar nicht wenn da irgendwelche Boote vor Ort liegen. Ja, OK ich gebe ja schon Ruhe.

Mit stiller Post von Bord, Mai 2022, Dunkerque, F

Am nächsten Morgen ist alles vergessen, die Sonne scheint und ab nachmittags finden sich Levs Vater, Frank und ich uns dort ein, wo wahrscheinlich ganz viele Väter an diesem Tag stehen: Am befeuerten Grill mit einem Bier in der Hand. Es geht wohl schlechter und ich bin auch wirklich gar nicht irritiert nachdem ich innerhalb von nur einer Stunde von Levs Mutter mit der gleichen Frage wie auch von Levs Papa konfrontiert werde: „Warum haben wir uns eigentlich nicht auf eurem neuen Boot getroffen? Das wäre doch auch viel näher gewesen!“ Stimmt absolut, aber irgendwer muss da wohl auf irgendeine andere Idee gekommen sein und nun sind wir hier.

Schön zu sehen, wie mehrere Augenpaare gleichzeitig zielgerichtet auf Eurer Mutter landen. Die ist allerdings außer Hörweite und bespricht gerade die für morgen angekündigte Shoppingtour mit Sarah Sophie. Das ist vielleicht aber auch besser so.

Schon schön so ein Vatertag mal ganz woanders. Eure Mutter wurde übrigens auch nachher nie von Ihrer Freundin gefragt, warum wir eigentlich hier sind. Aber das ist bestimmt reiner Zufall.

Ich muss jetzt raus zum Grill. Ahoi – ach ne: Prost

Der 129./ 77. Monat – Ungerechte Gerechtigkeit

Die letzten Tage der Frühlingsferien muss Eure Mutter zu einem Kongress irgendwo in der Nähe von Wien oder anderes ausgedrückt: gefühlt verkürzen sich für Euch die Ferien. Das ist neu, da ihr traditionell beide diese Art von „Wir fahren mit Mama zur Arbeit“ als unterhaltsam empfindet und stets begeistert fragt wo es hingeht. Diesmal nicht – und zwar überhaupt nicht.

Wir beschließen eine kleine Rundfahrt zu veranstalten die uns zunächst über die Lagune von Grado nach Triest und dann weiter via Budapest nach Wien führt. Der blanke Horror für Leo. Gefühlt nur Städte verheißen für Dich derzeit den unmissverständlichen Urlaubs-Super-Gau. Damit kannst Du überhaupt nichts anfangen, ganz im Gegensatz zu Deiner Schwester da hier Stadt mit Shopping gleichgesetzt wird. Ich frage bei Leo nach ob denn dann – auf Grund dieses Umstandes – die gefürchtet-gefühlte Verkürzung der Ferien nicht als positiv tendenziert wird? Allerdings ganz im Gegenteil, jetzt haben wir zwei Argumente warum das alles ganz fürchterlich ist: Stadt und zu kurz. Ich glaube wir haben ein Luxusproblem. Des lieben Frieden Willens vertauschen wir Lagune und Triest, was zwar streckenmäßig absoluter Blödsinn ist, aber somit reihen wir nicht Stadt an Stadt und Leo guckt wieder glücklich(er).

Die Hinfahrt gestaltet sich interessant, da wir weite Teile Österreichs in gehörigem Schneefall durchfahren und uns das 300 km vor der Adria am prognostizierten Sonnenschein am Golf von Triest zweifeln lassen. Stimmt aber trotzdem und bereits in Slowenien scheint dann auch wirklich die Sonne. Knurrig verlässt Leo unseren Camper auf dem Stellplatz mitten in der Stadt und trottet missbilligend hinter uns her. Ich vernehme dezente Kritik an der elterlichen Gewichtung der kindlichen Interessen. „Immer machen wir nur was sie will, …“ usw. ist noch die freundlichste Ausformulierung des neuzeitlichen Ungemach. Diese geschwisterliche Schuldzuweisung ob der Freizeitgestaltung ereignen sich derzeit bei Euch beiden kurioserweise, Leo ist wie immer nur minimal lauter. In Eurem Gedankenkonstrukt ist fortwährend der jeweils andere „Schuld“, was zwangsläufig zu dem
ein oder anderen Geschwisterzwist führt, der bedingungslos mit eruptiver Emotionalität ausgetragen wird. Weder Eurer Mutter noch mir lastet ihr die Ursächlichkeit am unaufhörlich völlig verkehrten Freizeitverhalten an. Das ist spannend für uns festzustellen macht es aber nicht einfacher dabei auch noch wirklich ernst zu bleiben und Eure Mutter stichelt natürlich gerne einmal leidenschaftlich wenn sie dem Eindruck erliegt einer von Euch suhlt sich gerade in seiner Opferrolle. Mit Opfern kann sie bekanntlich nicht, das hatten wir ja bereits an anderer Stelle. Das Euch genau das dann noch mehr auf die sprichwörtlich Palme bringt müssen wir wohl als Kollateralschaden akzeptieren.

Zurück zu Triest. Da ist dann doch alles gar nicht so schrecklich. Die ein oder andere Eisdiele wirkt da wahre Wunder. Und am Hafen angekommen lassen sich auch noch unzählige Quallen im Wasser bestaunen. Ihr entspinnt wahre Horrorgeschichten was passiert, wenn jemand ins Wasser fallen würde. Zwei vollständige Schokoladeneis-Zyklen erstreckt sich der maritime Albtraum. Das es sich hier um sogenannte Lungenquallen handelt, die völlig harmlos sind, erfahrt ihr erst jetzt in dieser Geschichte. Ich bitte mir das nachzusehen, Eure Gespinnste waren einfach zu schön.

Medusenfestival, April 2022, Triest, I

Mit qualligen Phantasiegeschichten geht es zurück zum Camper und hier haben sich Nachbarn mit fußballspielendem Jungen eingefunden und die Beschäftigung der nächsten Stunden ist geklärt. Und die vermeintliche Ursache für den ganzen ungerechten Triestbesuch – Sarah Sophie – musste auch nur einmal an einer Hauswand hochklettern um den Ball von fremden Balkonen zu befreien. Hierüber informierst Du Deinen neuen Freund mit absoluter Selbstverständlichkeit: „Das macht meine große Schwester. Die kann das. Die hilft mir immer!“ Ich bin schwer beeindruck. Es herrscht Eintracht unter den Reichmann-Kindern. Der Tag ist im Kalender zu vermerken.

Selten so vereint, April 2022, Triest, I

Am übernächsten Tag fahren wir nach Grado, zum einzig bereits geöffneten Campingplatz direkt an der Lagune und beschließen einige Tage zu bleiben, da ihr beide in Rekordzeit Anschluß gefunden habt und mit einer ganzen Gruppe Kinder täglich umherzieht. Und ein kleines Städtchen gibt es auch noch welches mit dem Fahrrad zu erreichen ist, also die andere Form von Glückseligkeit für alle.

Auch schon mit einem deutlich gemilderten Unwillen nimmt Leo die Widrigkeit der nächsten Etappe in Kauf. In Budapest treffen wir Freunde aus Düsseldorf die zufällig ebenfalls zur gleichen Zeit dort sind . Und mit vier Kindern ist so eine Stadt schon gar nicht mehr ganz so furchtbar. Selbst dann nicht, wenn man auch noch die größte Synagoge Europas besuchen muss, weil Babuschka schrecklich gerne ein Foto von Euch vor dem Baum des Lebens haben möchte. Artig erledigt, genauso wie der Besuch der Schuhe am Donauufer, ohne derer eine jüdische Familie wohl nicht die Stadt besuchen kann. Einen Moment fühlen sich Eure Mutter und ich sogar pädagogisch total korrekt. Das gibt sich allerdings wieder recht schnell, nachdem wir am kommenden Tag in Wien eintreffen, Eure Mutter auf den besagten Kongress schicken und wir einen ganzen Tag im Prater viel zu viele Fahrschäfte ausprobieren.

Am folgenden Morgen beim Frühstück im Hotel seit ihr jedenfalls beide nachhaltig empört, das der Arbeitseinsatz Eurer Mutter bereits passé ist und das Ende der Frühlingsferien nun wirklich unmittelbar bevorsteht.

Ihr seit Euch beide einig, zukünftig ausschließlich auf mehrtägige Arbeitseinsätze Eurer Mutter mitzukommen – sonst lohne sich das ja gar nicht.

War das zu Beginn der Ferien nicht noch komplett anders? Vielleicht habe ich das aber auch einfach nur falsch verstanden. Eltern machen ja ständig alles verkehrt. Aber macht Euch nichts draus: Das geht vorbei, das ist nur eine Phase. Ganz bestimmt.

Der 128./ 76. Monat – Alternativlose Ausschließlichkeit

Leos Begeisterung für Fußball ist ungebrochen und in diesem Monat steht etwas an, von dem ich vermute es wird die bereits bekannten Effekte nach sich ziehen welche Du entwickelst, wenn Dich etwas wirklich interessiert. Ich nenne das neuerdings „Leos alternativlose Ausschließlichkeit“, da es eben scheuklappenartig aber auch wirklich gar nichts anderes gibt was dir in den Sinn kommt, wenn Du etwas für Dich entdeckst.

Ich mach es kurz: Was kann das für einen fußballbegeisterten Jungen aus Düsseldorf schon sein?

Richtig, es geht das erste Mal ins Stadion zur Fortuna. „95 olé“.

Der Wunsch kommt immer wieder auf, der aktuelle Spielplan der 2. Bundesliga kollidiert aber stetig mit dem familiären Terminplan. Am Sonntag, 6. März ist es aber endlich soweit. Die launische Diva vom Rhein empfängt den FC Ingolstadt zum Ligaspiel. Standesgemäß findet vorher eine Einkaufstour zum Flinger Broich statt, damit im lokalen Fanshop das notwendige Basisequipment beschafft werden kann. Erstaunlicherweise wird aus dem ganzen Happening eine komplette Familienveranstaltung da Eure Mutter ebenfalls teilnehmen möchte. Zum Verständnis: Sowohl Interesse als auch Kunde an/ über Fußball bewegen sich bei Eurer Mutter im stabilen 0,0%-Bereich, was auch nicht gerade wandelbar werden dürfte, da Fortuna eben (temporär) nicht in der Bundesliga spielt und sie es ja mit Zweitklassigkeit bekanntermaßen nicht so hat. Zum besseren Verständnis: Ich weiß von einem Ihrer ansonsten durchaus geneigten Arbeitskollegen der bedauerlicherweise einmal ein Weltmeisterschaftsspiel mit ihr zusammen anschauen musste und eine Wiederholung dergleichen kategorisch ausgeschlossen hat. Wo ich ihm im Übrigen uneingeschränkt Recht geben muss und darf.

Aber sie möchte unbedingt mit. Ich habe mehrfach nachgefragt aber es mussten vier Tickets sein. Sich gegen unabwendbares stemmen zu wollen, liegt mir nicht und daher vier Tickets auf dem Tisch.

Leo möchte am liebsten schon morgens früh zum Stadion aufbrechen, lässt sich aber dann auf Mittag runterhandeln. Irgendwann sitzen wir also wahrhaftig alle vier in der Arena. Sarah Sophie wollte am liebsten direkt in den Block der Ultras, bzw. wie Du es formulierst: „Papa, wir gehen zu den richtig Bekloppten – wenn schon denn schon!“ Das konnte ich argumentativ noch abwiegeln, da ihr beide glücklicherweise eingesehen habt, daß Stehplätze in einer Horde hüpfender rotweisser Getreuen nebst Fahnenmeer nicht wirklich dazu beiträgt, daß ihr auch nur ansatzweise das Spiel sehen könnt. Wir verhandeln erfolgreich „Papa, aber wenn wir größer sind?“ Da schlage ich selbstverständlich ein, denn lustig ist es da unten ja bekanntlich wirklich. Bis dahin beziehen wir im Nachbarblock Quartier.

Das Spiel beginnt und Leo gleichzeitig höchst aufgeregt und vollumfänglich glückselig. Die nächsten 45 Minuten gehe ich von einer lückenlosen Unansprechbarkeit aus die sich auch genauso bestätigt. Sarah Sophie ist derweil damit beschäftigt die Fangesänge genau verstehen zu wollen, was mitunter schwierig ist. Ich bin da leider auch nicht mehr so ganz auf dem Laufenden. Zu meiner Fortuna-Hochzeit hieß die Arena noch Rheinstadion und wir gewannen zweimal den DFB-Pokal, d.h. das ganze liegt zeitlich unwesentlich weit entfernt. Das ein oder andere ist aber gleich geblieben und so kann ich zumindest rudimentär Hilfe leisten. Die Nachbarn zur Linken leisten ebenfalls sprachliche Schützenhilfe und wir schlagen uns wacker. Es reicht zumindest um einen 3:0-Erfolg ordnungsgemäß zu bejubeln und Leo brüllt einfach ein bisschen lauter. Kurzum, wir fallen überhaupt nicht weiter auf.

95 olé, März 2022, Düsseldorf, D

Tja, und Eure Mutter hat es doch tatsächlich geschafft in 90 Minuten diverse geschäftliche Emails zu beantworten, an einer Präsentation zu basteln und sich Flüge und Hotelzimmer für die kommenden Woche zu buchen. Wozu man dafür ins Stadion muss, wird wohl ihr ewiges Geheimnis bleiben. Das Ergebnis haben wir ihr dann im Auto mitgeteilt, da war sie sich nämlich nicht mehr so ganz sicher.

Natürlich kommt es wie es kommen muss: Leo nutzt seine tägliche Medienzeit von nun an ausschließlich um gefühlt sämtliche Bundesliga- und Zweitligaspiele der vergangenen Jahrzehnten nachzuschauen. Sky-Mediathek und letztlich YouTube sei Dank. Sarah Sophie grast das Internet nach den noch vakanten Fangesängen ab und ist bereits in der zweiten Woche absolut textsicher. Vor dem nächsten und übernächsten Heimspiel dürften die Diskussionen im Hause Reichmann wohl vorstellbar sein. Eure Mutter argumentiert irgendetwas von „Muss doch nicht sein, Wir können doch was anderes zusammen machen, oder so ähnlich“.

Und da erlebe ich dann meine Kinder in seltener aber absoluter Einträchtigkeit: „Mama, da spielt Fortuna!“ Das sitzt so richtig und Eure Mutter kapituliert zähneknirschend, wenn aber auch nicht gerade unglücklich.

Also gibt es beim nächsten Spiel nur noch drei Karten und ich muss unweigerlich an den besagten Arbeitskollegen denken. Aber sie hat es zumindest versucht. Das muss man anerkennen.

95 olé.

Der 127./ 75. Monat – Ursache und Wirkung

Es ist Karneval, oder besser gesagt: Ja, aber… Nach monatelangem Hin- und her, ist der Rosenmontagszug 2022 auf Mai verschoben worden, in der Hoffnung im Frühjahr dann Corona besser im Griff zu haben. Das es auch dann nicht dazu kommen soll ist eine andere Geschichte und ja auch noch etwas hin. An Sarah Sophies Gymnasium scheint es Tradition zu sein an Altweiber-Donnerstag im Ornat zu erscheinen und den Unterrichtsbetrieb gepflegt lahm zu legen. Ein Brauchtum mit dem Du Dich verständlich durchaus anfreunden kannst. Da Du Dich auch bereits einen ganzen Tag vorher schon in Stimmung wähnst dein Kostüm ausgewählt zu wissen, stehen wir sicherlich rein zufällig Mittwochnachmittag in einem völlig überfülltem Karnevalsladen um uns in trauter Einigkeit mit Hunderten anderen Schnellenendscheidern in Demut und Geduld an der Kasse zu üben. Das Anstehen nutzt derweil Leo zu seinen Vorteil und entscheidet sich fünfmal um. Schlussendlich verlasse ich nach nur zweieinhalb Stunden mit einem Krümelmonster und einer Strafgefangenen den Laden. Wir sind also für den großen Donnerstag ausstaffiert.

Karneval ohne Karneval, Februar 2022, Düsseldorf, D

Es stellt sich aber vor allem die Frage, was mit dem anstehenden langen Wochenende zu tun ist, da ja nun Zugmäßig im Rheinland eher gar nix geht, ihr beide aber dennoch ein paar Tage schulfrei habt. Gut der Sinn erschließt sich auch auf den zweiten Blick vergleichsweise sehr wenig, Fakt ist aber nunmehr, daß die Ursache der beweglichen Feiertage Karneval ist, mit der Wirkung schulfrei zu haben. Und das möchtet ihr jetzt erklärt bekommen, warum hier offenkundig zwischen Ursache und Wirkung eine logische Lücke klafft. Also erkläre ich Euch, daß jede Wirkung auf eine Ursache zurückgeht, oder umgekehrt jede Ursache eine Wirkung nach sich zieht. Stimmt auch alles, aber nicht im rheinischen Karneval ohne Karneval: Ursache weg, Wirkung bleibt. Kein Karneval, trotzdem schulfrei wegen Karneval. Logisch, oder? Bei soviel rheinischer Logik steigt ihr gedanklich kurz aus, freut Euch aber ob der kommenden freien Tage und schlagt einen Berlin-Ausflug vor. Es ist offenbar mal wieder Zeit. Das muss man Eurer Mutter nun wirklich nicht zweimal sagen und sie reserviert bereits das Hotel.

Sarah Sophie absolviert noch schnell ihren ersten Altweiberdonnerstag auf dem Gymnasium mit Ihren Freundinnen und Freitag-Mittag sitzen wir im Auto gen Osten. Eine gute Idee wie wir finden und scharren gleich noch ein paar Tausend Menschen um uns, die das genauso sehen. Es dauert ewig. Am Abend haben wir gemächlich bereits Hannover hinter uns gelassen und wirklich mitten in der Nacht erkrabbeln wir den Berliner Ring. Mit elfeinhalb Stunden Anreise schlagen wir unseren bisherigen Berliner Staurekord locker um zwei Stunden. Ankunft am Hotel um zwei Uhr nachts. Dafür sind alle, inklusive Hund noch erstaunlich gelassen. Also zumindest relativ!

Unser neuerliches Lieblingshotel liegt mitten in einem Wilmersdorfer Hinterhof und den Zimmerschlüssel soll ich dem Kasten neben der Rezeption entnehmen. Das klappt auch – dank artig gemerktem Zugangscode – problemlos. Als ich allerdings dann das eigentliche Zimmer öffnen möchte entspinnt sich folgender Dialog mit einer unbekannten Frauenstimme:

Innen: „What’s up?“
Außen: „I don‘t know. But this is my room!
Innen: „No, this is my room. I’m inside. You are outside.“
Außen: „But with the key to get inside.“
Innen: „Yes, me too. But I am already in.“
Außen: „Congratulations from outside. Good night.“

Irgendwie habe ich das Gefühl Mr. Bean trifft Loriot. Da es wohl unverhältnismäßig erscheint, mir unbekannte Damen mitten in der Nacht ihres Zimmers zu verweisen, gehe ich unverrichteter Dinge wieder runter um Euch über die missliche Lage zu unterrichten. Leo ist sofort außer sich und schwadroniert etwas von „Das geht doch nicht, wieso haben wir jetzt kein Zimmer, usw.“ Schlagartig machen sich nun doch die mehr als elf Stunden Autofahrt bemerkbar, nachdem wir schon wieder im Auto sitzen. Nur diesmal ohne erklärtes Ziel. Die angegebene Notfall-Mobilnummer des Hotel entpuppt sich als nicht besetzt und wir haben ein Problem. Wir brauchen ein Hotel mit geöffneter Rezeption, Hundetauglich und irgendwie am besten hier in der Nähe.

Ich weiß nicht wirklich warum, aber plötzlich fällt mir ein Hotel in Schöneberg ein in dem Eure Großeltern vor Jahren mit Hund abgestiegen sind, als sie Eure Mutter und mich hier in Berlin besucht haben, zu jener Zeit, als wir hier – noch kinderlos – ansässig waren. Der Rest verläuft problemlos. Anruf, Zimmer frei, 5 Minuten später vor Ort, zehn Minuten später im Zimmer. Glück gehabt.

Und am kommenden Morgen ruft uns auch bereits vor dem Frühstück das verhinderte Hotel mit der Nachfrage wo wir den bleiben an? Leo haut sofort einen raus: „Wir sind hier im falschen Hotel, weil uns das richtige Hotel das falsche Zimmer gegeben hat. Dann ist das falsche Hotel die Wirkung auf die Ursache des richtigen Hotel?“ Soweit richtig bestätige ich Dir. Kommt aber noch besser: „Papa, da ja Karneval ist, wären wir aber sowieso hier im falschen Hotel gelandet, auch wenn es die Ursache aus dem richtigen Hotel gar nicht mehr gibt. Stimmt, oder?“

Vollumfänglich kleiner Mann, aber eben nur im Rheinland. Im Osten ziehen wir jetzt wieder um, oder anders ausgedrückt: Die Ursache korrigiert die Wirkung.

Ich wusste es ja immer: Karneval ist eine ernste Angelegenheit. Helau.

Der 126./ 74. Monat – Eislaufen im Erdgeschoss

Es ist das ganz große Drama. Im Parterre unseres Hauses ist Frau Schneider sel. A. vor einigen Wochen verstorben. Der Tod der alten Dame kommt zwar alles andere als überraschend, führt aber zumindest bei Leo zu einer pragmatischen Aussage: „Dann gibt es jetzt wohl unten keine Schokolade mehr.“ Höchstwahrscheinlich erstmal nicht! Pietätsmäßig haben wir noch einiges aufzuholen, wenngleich teleologisch nicht zu beanstanden. Die gute Frau hat Euch bei jeder sich bietenden Gelegenheit stets allerlei Süßigkeiten in die Hände gedrückt, worauf sich Eure Mutter berufen fühlte, diese Geste wiederum mit Selbstgebackenem zu kontern, was dann wiederum eine Kettenreaktion auslöste die wir irgendwann nicht mehr im Stande waren aufzubrechen. Sei es drum.

Die Wohnung ist natürlich perfekt für Euren väterlichen Opa, da sich das Projekt „Betreutes Wohnen“ in seinem Haus immer mehr als wenig praktikabel entpuppt. Er muss grundlos unbedingt in den Keller um auf dem Weg dorthin gepflegt die Treppe herunterzufallen, allerdings nicht bevor er eine Etage darüber seine Betreuerin in den nahenden Wahnsinn treibt, wenn er ihr zum zwanzigsten Mal am Tag die Hundeleine in die Hand drückt und sie zum Spaziergang mit dem Hund auffordert. Kurz gesagt, die Fluktuation der Damen nimmt genauso rapide zu wie meine Fahrerei zu ihm.

Das geht nicht mehr lange gut.

Allerdings sehen nur wir das so, Euer Opa ist der felsenfesten Überzeugung es sei alles in bester Ordnung. Und zwar unumstößlich! Als ich mir dann auch erdreiste das besagte Ableben der Schokoladenlieferantin aus dem Erdgeschoss mit seinem möglichen Umzug in Korrelation zu bringen hängt der Haussegen in der Provinz endgültig schief (Zur Erinnerung: Opa wohnt 50 km von uns entfernt in einem gefühlt menschenleeren Dorf kurz vor der holländischen Grenze). Ich mache es nun kurz um nicht von einer fröhlichen Kindergeschichte in ein Familiendrama abzuschweifen. Es geht hin- und her. Mal stimmt er zu, dann wieder nicht. Einmal verspricht er mit allerhöchstem Ehrenwort er zieht um, nur um am nächsten Tag alles wieder zu kassieren. Schließlich verfällt Eure Mutter in „Guter Polizist vs. Böser Polizist“. Und ich bin überrascht: Es funktioniert. Na, wer ist wohl wer bei uns beiden?

Nach einem Monat hat Opa es immer noch nicht eingesehen, willigt aber ein. In der Zwischenzeit habe ich die Wohnung unten gestrichen und soweit zum Einzug hergerichtet. Das bleibt Euch beiden natürlich nicht verborgen und ihr besucht mich während der Renovierungsarbeiten täglich. So eine 3-Zimmerwohnung ohne jegliche Möbel scheint ein wahres Kinderparadies darzustellen. Im Wohnzimmer entsteht auf dem Parkett eine „Socken-Eislaufbahn“, die im Schlafzimmer lagernden Gardinen der Wohnung werden zum Kostümfundus umdeklariert und geschirrlose Küchenbänke sind geradezu prädestiniert einen Kletterparcours abzubilden. In der Badewanne wollt ihr Fische züchten, was ich noch gerade so verhindern kann. Wenn das so weitergeht, brauchen wir noch eine Wohnung für Opa, denn die hier okkupiert ihr vollumfänglich. Leo erkundigt sich vorsorglich ob denn nicht ein Zimmer für Opa reicht, schließlich hast Du auch nur ein Zimmer für dich. Dann könnte Opa das hintere Zimmer bekommen und ihr nehmt die beiden Vorderen, womit die „Eislaufbahn“ Bestand hätte. Zur Untermauerung des Projekt „Spielwohnung“ schleppst Du täglich immer mehr Spielzeug von oben nach unten und verteilst es in den beiden besagten Zimmern. Sarah Sophie ist der felsenfesten Überzeugung Opa das schon irgendwie erklären zu können und wiegelt das leutselig ab: „Papa ich mach das schon. Mach dir da mal keine Sorgen.“ Ich erwäge es darauf ankommen zu lassen und gebe lediglich zu bedenken, wie es denn so war, als Opa krankheitsbedingt bei uns oben gewohnt hat und wie ein Gespenst durch Eure Zimmer geschlurft ist ohne auch nur einmal Notiz von Euch beiden zu nehmen. Aber auch darauf weiß Sarah Sophie die passende Lösung. Kurzerhand schnappst Du Dir meinen Zollstock und vermisst das hintere Zimmer. Wahrscheinlich rechnest Du aus wieviel Schritte so ein unrüstiger Rentner hier von Wand zu Wand vertippeln kann.

Ihr lasst Euch nicht von der Idee abbringen. Das passiert wundersam von ganz alleine. Wir sind gerade aus den Winterferien zurück, da eröffnet mir die Betreuerin, daß ihre Abreise unmittelbar bevorsteht. Nämlich am nächsten Tag. Vereinbart war zwar Ende des Monats, aber das ist vermutlich Auslegungssache. Ich schaffe es gerade noch jenes so viel diskutierte Zimmer fertig zu renovieren, packe den ganzen Malerkram zusammen und hole am nächsten Morgen Euren Opa aus seinem Haus ab. Der Umzug war natürlich ebenfalls erst zum Ende des Monats geplant und so steht er also in einer komplett leeren Wohnung, sieht man mal von Leos diversem Spielzeug ab. Mittels diverser Campingmöbel kann ich hier zumindest notdürftig zwei Stühle, einen Tisch und ein Klappbett bereitstellen.

Das steht natürlich auch alles im hinteren Zimmer, da unnützes Mobiliar auf „Eisbahnen“ nichts verloren hat, wie mir kinderseits eindrücklich vermittelt wird. Es ist Samstag Vormittags und für den Nachmittag ist die erste „Kinderspielwohnungsrunde“ anvisiert.

Socken- vs. Eislaufbahn, Januar 2022, Düsseldorf, D

Es dauert ganze 20 Minuten, bis ihr beide einträchtig und mit zwei Taschen voller Spielzeug oben vor der Wohnungstür steht und kommentarlos alles in Euren Regalen verstaut.

Praktischerweise ist gerade Winter und Sarah Sophie schlägt vor auf eine richtige Eisbahn zu gehen, die „Socken-Version“ unten sei nämlich viel zu klein und Leo hat noch etwas von einem unverständlichen Gespenst auf der Eisbahn gemurmelt.

Wir lassen die Sache schmunzelnd auf sich beruhen, ich muss mir keine Gedanken mehr machen, wo wir die Betreuerin Eures Opas einquartieren und hole die Schlittschuhe.

Es heißt ja auch Mehrgenerationen-Haus und nicht -Wohnung.