Im 60./ 8. Monat starten wir in unsere zweite Elternzeit. Gute zwei Monate nur wir, keine Jobs, keine Termine – alles was wir wissen ist eine grobe Reiseroute und ein paar fix gebuchte Fähren. Eure Mutter managt noch flott einen Job bei einem bekannten bayerischen Autobauer (liegt ja sozusagen auf dem Weg) und anschließend geht es via Livorno noch Korsika, Sardinien und Sizilien. Danach durch Kalabrien und Apulien.
Möglicherweise gehe ich etwas zu naiv an die Sache, aber irgendwie habe ich ständig unsere erste Elternzeit mit einem Kind vor Augen und denke mir, jetzt eben Frankreich und Italien anstelle von Spanien und Portugal. Klarer Fall von elterlicher Verirrung, den es ist nichts von alledem. Mit einem Baby kann man bekanntlich so ziemlich alles unternehmen, schließt man Fallschirmspringen und Tiefseetauchen gegebenenfalls mal aus, aber mit Baby und einer fast Fünfjährigen machst Du ganz viel – nämlich das was die Fünfjährige möchte. In Sarah Sophies aktueller Lebensphase bildet sich in diesen Tagen eine interessante Symbiose aus mütterlicher Sturheit und väterlicher Ungeduld. Das will erstmal geschultert werden. Auf Korsika ist noch alles im grünen Bereich und wir beschließen recht zügig nicht all zuviel herumzufahren, sondern bleiben stets mehrere Tage an einem Ort. Wie immer schließt Sarah Sophie schnell Freundschaften und Leo muss nicht täglich als stolz präsentiertes Schwester-Spielzeug herhalten. Auffallend ist allerdings das Du seit einigen Monaten ausschließlich den Kontakt zu Kindern suchst, die Du auch verstehst – also stets deutsch- oder russischsprachige Freundinnen präsentierst. Das war in all den Jahren davor anders und soll die nachfolgende Elternzeit maßgeblich beeinflussen.
An Sarah Sophies fünftem Geburtstag setzen wir von Korsika nach Sardinien über und die Zeit des sprachlichen Stillstandes beginnt. Anders ausgedrückt der elterliche Super-GAU nimmt seinen Anfang. Egal wo wir hinkommen, deutschsprachige Kinder: Fehlanzeige. Wo nun alle Italien-verliebten Teutonen in diesem Jahr Urlaub machen (wir sprechen über Juli und August) weiß ich nicht, jedenfalls nicht da wo wir sind. Ein Umstand den ich kinderlos durchweg als traumhaft bezeichnen würde mutiert aktuell zu einem Problem gesteigerter Dramatik. Sarah Sophie weiß schlicht und ergreifend nichts mit sich anzufangen und wird dann einfach mal zickig – wie die Mama – oder schlechtlaunig – wie der Papa – es zugegebenerweise recht gut sein können. Du bist eben das Kind Deiner Eltern und das wird mir in diesem Monat überdeutlich. Mittlerweile hast Du Dir von mir erklären lassen, wie europäische Autokennzeichen funktionieren und das Autos aus Deutschland eben ein weißes D auf dem blauen Fond am Anfang haben, was Dich veranlasst jeden Campingplatz genauestens nach eben diesem D zu scannen. Das wiederum gestaltet sich recht putzig, denn Du setzt Dich auf Dein Fahrrad und radelst einfach mal los. Findest du dann das ersehnte Zeichen verbalkommunikativer Einheit teilst Du es Deiner Umwelt mit und zwar im selben Moment des Auffinden, selbstverständlich entsprechend lautstark. Anders ausgedrückt brüllst Du Deine Freude quer über jedes italienische Camperidyll und auch die gefühlt hundertste Erklärung, das nicht hinter jedem D auch ein Kind wohnt, läßt Dich beim einhunderteinsten Versuch lediglich noch ein klein bisschen lauter schreien. Wahrscheinlich ob der Vorfreude. Selten, aber manchmal dann doch haben wir Glück und auf dem Gepäckträger über dem D ist ein Kinderfahrrad befestigt. Diese Tage sind selten und bescheren Euren Eltern Glücksmomente und Dir eben eine Freundin oder einen Freund für mindestens einen Tag. Selbstverständlich leistest Du Dir noch den Luxus, trotz der verknappten Angebotslage, manche der Spielprobanden abzulehnen und schleppst dann wieder lieber Deinen Bruder über den Strand. Der wiederum scheint das sonnigste Gemüt überhaupt zu haben, denn wenn ich schon längst glaube, daß es einfach mal reicht grinst Leo fröhlich in der Gegend umher während seine große Schwester der felsenfesten Überzeugung ist, so ein kleiner Mensch gibt eine prima Schubkarre ab. Dafür zolle ich Dir unumwundenen Respekt, mein Sohn.
Dann irgendwann im Nirgendwo landen wir neben einer italienischen Großfamilie bestehend aus Oma, Opa, Eltern sowie drei Jungs und einem Mädchen. Hier spricht zwar auch niemand Deine Sprache, aber das interessiert Dich herzlich wenig. Nach anfänglichem Zögern wird mit dem Ältesten Fußball gespielt oder der kleinste (etwas älter als Dein eigener Bruder) hingebungsvoll am Strand bespaßt. Ich höre kein einziges Mal “Papa, ich verstehe die Kinder nicht, also kann ich nicht mit ihnen spielen.” Alles scheint gut und ich frage mich natürlich woran das auf einmal liegt, während meine kosmopolitische Grundüberzeugung wieder etwas gerader gerückt wird.
Und bereits am nächsten Tag erfahre ich auch den Grund Deiner schlagartigen guten Laune. Quer über alle Generationen hinweg begrüßen Dich unsere Nachbarn als “Bellissima Bambina” während Du stolz Dein neues Kleid vorführst. Das ist also das ganze Geheimnis: Du verstehst zwar kein Wort, begreifst aber, daß Dich hier alle ganz toll finden. Und erstmals seit ein paar Wochen steht ausnahmsweise nicht Dein Bruder im Mittelpunkt nachbarschaftlicher Huldigung. Die gibt es übrigens zu Hauf, aber das ist eine folgende Geschichte.
Jedenfalls bist Du die Tochter Deiner Mutter: Das haben mir unsere italienischen Nachbarn plakativ vor Augen geführt. Ganz überraschend sind wir dann einfach mal über eine Woche hier geblieben und ich möchte nie wieder andere Nachbarn.
Mille Grazie Marcella e Giovanni.