Elternzeit @ Super 8

Das Projekt Laufen lernen in der Super 8 – Version. Das vergangene Jahr stand selbstverständlich unter einem großen Motto: Der aufrechte Gang – und das ganz alleine. Deinem Vater fällt natürlich nichts besseres ein, als ständig mit der Kamera dabei sein zu wollen.


Sarah Sophie 2012 – Part 1/6 – April/Mai/Juni 2012 – Elternzeit
Musik – Element of Crime – Jung und schön


Sarah Sophie 2012 – Part 2/6 – April/Mai/Juni 2012 – Elternzeit
Musik – 2Raumwohnung – Mädchen mit Plan

Geschrieben in Hameln, Niedersachsen, Deutschland.

Der 12. Monat – Alles koscher im Kindergarten

Unser alltägliches Leben hat uns wieder. Wenn auch etwas widerwillig, aber leider ist ein permanentes Herumvagabundieren zwar großartig für Kopf und Seele, finanziell doch eher untragbar. Heißt: Deine Mutter und ich arbeiten wieder. Und allmählich, zumindest streckenweise auch gleichzeitig, was das ganze nicht gerade einfacher macht. Es bedarf also einer Betreuung für Dich.

Irgendwann klingelt aus heiterem Himmel das Telefon und eine pädagogische Stimme eröffnet uns, das der gewünschte Kindergartenplatz ab August verfügbar ist. Ich bin irritiert, weiß ich Dich doch fix und fertig angemeldet in einem privaten Vorkinderkarten wie das so hübsch heißt und zwar ab Dezember diesen Jahres. Deine Mutter hat mich mal vor einer mittleren Ewigkeit gefragt welche Stadtbezirke für Deine professionelle Krabbelgruppe in Betracht kommen und ich habe bei einigen ja gesagt. Sagt jedenfalls Deine Mutter und in diesen Dingen hat sie meistens – eigentlich fast immer – recht. „Wozu brauchen wir jetzt noch einen neuen Kindergarten wenn wie bereits einen fest vereinbart haben“ frage ich sie. „Wir können uns den Städtischen ja mal ansehen.“ meint allen Ernstes Deine Mutter. Dieses Unterfangen setze ich mit absoluter Zeitverschwendung gleich, da mir staatliche oder städtische Einrichtungen dieser Art per se wenig kompetent erscheinen und mich mein Nachfragen wo denn diese Kinderverwarstelle beheimatet ist ebenfalls in dieser Meinung nur noch bestätigt.

„Wo ist denn Unterrath?“ schallt es mir entgegen und eine ganze Wand von Vorurteilen türmt sich vor mir auf. Auf dem Weg zum Flughafen, neben einem Industriegebiet und so eine Art Hochburg nicht allzu bildungsinteressierter Schichten um das ganze mal höflich auszudrücken. Mein Gesamtgebilde persönlicher Abneigung macht Deine Mutter in Ihrer gekonnt eloquenten Art mit nur einem Satz zunichte: Ist nicht Andy nach Unterrath gezogen. Autsch. Eindeutiger Tiefschlag. Stimmt leider. Mein ältester Kumpel wohnt tatsächlich in Unterrath. Jetzt heißt es vorsichtig argumentieren. Ja das stimmt wohl, aber das Haus hat ihm so gut gefallen, der Garten ist groß und die alte Wohnung war ja eh zu klein. Alles Quatsch. Ich gebe zu, mein Unterrathbild ist ungefähr 30 Jahre alt und könnte eventuell möglicherweise durchaus minimal überholt sein. Anschauen können wir uns die Bude ja mal entgegne ich und klopfe mir virtuell selbst auf die Schulter vor lauter Begeisterung über meine neu gewonnene Flexibilität.

Einige Tage später ist es soweit und wir kurven zu dritt durch Unterrath auf der Suche nach dem Cloppenburger Weg. Mitten in einem Wohngebiet parken wir vor einem nicht gerade kleinen Gebäude mit dazugehörigem Spielplatz. Ich gebe zu von außen ganz akzeptabel und innen nicht minder professionell gehandhabt. Überraschend werden wir von einer Dame ohne Doppelnamen begrüßt und es riecht gar nicht nach Bonerwachs und Mate-Tee. Als uns die blonde löwenbemähnte Endvierzigerin stilecht mit Edelmineralwasser bewirtet bin selbst ich erstmals bereit das ein oder andere Vorurteil über Bord zu werfen und höre mir artig an wie so eine Düsseldorfer Familiengruppe funktioniert.

Deine Mutter und ich überspielen unsere völlige Unkenntnis über den hier gebotenen pädagogischen Grundansatz mit gebotener Begeisterung für die Einrichtung der Löwenmähnenfrau. Supermami und Oberpapi haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht und sitzen recht unwissend auf ihren Stühlen umher. Die Verbaleinführung dauert glücklicherweise nicht allzu lange und Du darfst Dir nebst Deinen unwissenden Eltern das ganze Haus ansehen. Kurz vor Halbzeit unserer Besichtigungstour will ich nur noch eins: Irgendein Formular unterschreiben um Dich hier anzumelden.

Habe ich jemals irgendwelche Einwände gegen städtische Einrichtungen gehabt, frage ich Deine Mutter und sie schweigt mit ihrem gewinnenden Siegerlächeln in dem eindeutig „Wer hat’s gefunden“ eingraviert ist, zurück.

Zurück im Löwenmähnenfraubüro erwähne ich gekonnt beiläufig, daß Du allerdings nicht zum standardisierten Krabbelgruppenbeginn Ende August erscheinst sondern erst am 1. Dezember. Stille, Irritation und Kopfschütteln meines Gegenübers sind die Folge.

Also doch – ich wußte es, da ist der Haken: Soviel Flexibilität ist zuviel. Wir erklären das wie und warum des gesonderten Termins und schauen zusätzlich noch recht betroffen bei gleichzeitiger Nichtabnahme des begeisterten Grundgesichtsausdrucks für die hiesige Krabbelgruppe. Planmäßig beginnst Du unaufhörlich zu grinsen um der Umwelt Dein Wohlbefinden kundzutun. Deine Mutter erklärt die Umstände unserer zu erwarteten zeitlichen Sonderbehandlung und erwähnt sogar den süddeutschen Flugzeugklapptischproduzenten namentlich um der ganzen Sache gehöriges Gewicht zu verleihen. „Das bringe den ganzen Ablauf durcheinander und bedürfe auf jedem Fall einer detaillierten Besprechung mit den partizipierenden Pädagogen und vor allem einer gesonderten Bewilligung Ihrer Chefin.“ Wir reden also mit einer weisungsgebundenen Fachkraft, was die Sache nicht vereinfacht.

Ich gebe meine zustimmende Begeisterung für den Umstand, daß Du beim Besuch dieses sozialen Interaktionsgefüges nicht im zarten Alter von drei Jahren das selbigen wieder verlassen musst, wie es in vielen privaten Einrichtungen der Fall ist und treffe damit voll ins Schwarze. Das sei ja genau Ihr Betreuungsansatz und viele Eltern sei dieser wichtige Aspekt gar nicht bewußt. Für einige Augenblicke schweifen wir in erzieherische Feinheiten ab – werden aber von Deiner Mutter wieder auf den Ausgangspunkt unserer Problematik zurückgeholt. Die Löwenmähnenfrau gelobt nach den Ferien Ende August alle Fragen mit den betreffenden Stellen geklärt zu haben und uns dann von Ihrer Entscheidung in Kenntnis zu setzen.

Der Satz ist noch nicht ganz verklungen da verkündet Deine Mutter, daß das nun wiederum überhaupt nicht möglich sei, da wir ja bereits anderswo einen Betreuungsvertrag unterschrieben hätten und das eine Klärung vor den Krabbelgruppenferien doch möglich sein müßte. Die beginnen zwar in zwei Tagen, aber soviel Aufwand sei das ja gar nicht und dann wüssten schließlich alle woran sie seien. Ich rechne mit einen sofortigen Rauswurf, blicke aber freundlich bestimmt in die Runde. Wir müßten sie jetzt mal kurz entschuldigen entgegnet die Löwenmähnenfrau und entschwindet zu Beratungen mit den drei betreuenden Damen Deiner anvisierten Gruppe. Die sind nämlich im Gegensatz zur Oberverantwortlichen vollzählig im Hause anwesend und haben Dich bereits beim vorherigen Rundgang kennenlernen und bewundern dürfen.

Deine Mutter und ich sind uns einig, daß dies hier die richtige Einrichtung für Dich ist und der Formalienzirkus ein zu überstehender sein muß.

Die Beratungen dauern nicht allzu lange an und wir bekommen von der Betreuungstroika grünes Licht. Mit Ihrer Chefin versuche sie das noch vor den Ferien zu klären und melde sich dann telefonisch bei uns. Das klingt gut und mehr scheint mir im Moment nicht erreichbar zu sein. Auf dem Weg nach draußen wolle sie uns aber noch die Küche zeigen und erwähnt in einem Halbsatz, daß in dieser Einrichtung auf Schweinefleisch verzichtet wird. Prima, schießt es mir durch den Kopf, dann jetzt auch das volle Programm: Ich setzte meinen erleichtertsten Gesichtsausdruck gepaart mit würdevoller Dankbarkeit auf, entgegne das dieser Umstand natürlich den ganzen Ablauf um ein Vielfaches vereinfache und kann nicht umhin meiner Freude Ausdruck zu verleihen, daß hier jüdische und nicht-jüdische Kinder dann ja alle das gleiche essen können, was für ein säkulares Miteinander doch so wichtig sei. Die Löwenmähnenfrau schaut ordentlich betroffen-deutsch.

Ob denn bei einem jüdischen Kind noch etwas zu beachten sei, bekomme ich als Rückfrage gestellt. „Nein, eigentlich nicht“, antworte ich, außer das ich davon ausgehe, daß es sich hier um eine religionsfreie Einrichtung handelt. Selbstverständlich, sie seien ja schließlich städtisch.

Am folgenden Morgen kurz vor neun klingelt das Telefon und alle zeitlichen Schwierigkeiten sind obsolet. Ab 1. Dezember gehst Du in einen städtischen Kindergarten und ich revidiere hiermit ein für allemal meine Meinung über Unterrath.

Hatte ich eigentlich erwähnt, daß es immer nur um eine halbtägliche Betreuung ging. Vor dem Mittagessen holt Dich einer Deiner Großeltern ab. Ich finde zu solltest zuhause essen – ob nun koscher oder nicht.

Geschrieben in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.

Der 9. Monat – War noch was?

Dein neunter Lebensmonat steht unter dem Zeichen unserer beginnenden gemeinsamen Elternzeit, also von zwei Monaten die wir zu dritt durch den Westen Europas vagabundieren werden. Die Frage ob wir die beiden gemeinsamen Elternzeit-Monate zuhause oder flink unterwegs verbringen werden stellte sich wenig überraschend nicht wirklich, wohl aber die Frage wohin die Reise geht. Mehrere Faktoren sind abzuwiegen.

Gedanklich kongruent lagen Deine Mutter und ich in der ersten Idee die allerdings an der böswilligen, verachtenswerten politischen Weltlage des Frühjahr 2012 scheitert. In religiösen Dingen ohnehin uneins kommen wir aber dahingehend überein das die Wiege Deiner Vor-Vorväter eine zu besuchende ist, heißt so viel wie Israel wäre ein lohnendes Ziel. Eine wohlklingende Reiseroute ist auszuwählen. Per Flugzeug gen Tel Aviv wäre zu einfach und sprengt ferner durch die zwangsläufige Notwendigkeit einer mehrmonatigen Automiete unser ohnehin nicht vorhandenes Budget. Der Landweg über den Balkan und Istanbul klingt verlockend, scheitert aber an der Unmöglichkeit die Jordanisch-Israelische Grenze zu erreichen. Der hagerer Despot von Damaskus verhindert ein solches Vorhaben, denn es herrscht Bürgerkrieg in Syrien. Einzig eine Fährverbindung ins ägyptische Alexandria bietet eine Alternative unseren Campingbus dann später über die geöffnete ägyptisch-israelische Grenze in den Mittelpunkt der monotheistischen Weltsicht zu bringen. Doch auch diese Variante bleibt verwehrt, da die Fährverbindung über einen syrischen Hafen führt und eben in diesen Tagen unterbrochen ist.

Zu zivilisationsferne Reiseziele in Richtung Osten blockt Deine Mutter vollständig ab und wird nicht müde meine väterliche Verantwortung konsequent einzufordern. Sie hat Recht muss ich – wenn auch etwas unzufrieden – zugeben. Eine medizinische Grundversorgung und die Möglichkeit einer freien Routenwahl stehen ab jetzt im Vordergrund. Prima, denke ich und ergreife den Weltatlas. Um zwei Monate permanenter Mobilität halbwegs finanziell geregelt zu bekommen entscheiden wir uns also final für eine Tour mit unserem Campingbus. Mehr als einmal blicken wir auf eine Europakarte und irgendwann ist daraus dann die iberische Küstenfahrt mit französischem Ausklang geworden. Warum eigentlich nicht. Klingt nicht so irrwitzig aufregend aber dafür wirst Du schon sorgen und die Sache ist beschlossen.

Der Bus geht in die Inspektion, wir kaufen so wichtige Dinge wie eine Wäscheleine die sich mittels Magnetfüsschen an jede Position des Autos anbringen läßt und freuen uns ansonsten einfach munter auf die kommenden Wochen mit Dir.

In der Zwischenzeit habe ich fast verdrängt, daß eine Prophezeiung Deiner Großmutter endlich Wirklichkeit geworden ist. Bereits wenige Monate nach Deiner Geburt leitet meine Mutter aus Deinen eher unverständlichen Lauten das frühzeitige Durchdringen erster Zähne ab. Du hast Dich allerdings mehrmonatig geweigert diesbezügliche Orakel Wirklichkeit werden zu lassen was mich wiederum in der Annahme bestätigt, Vater einer selbstbewussten, weil selbst bestimmenden Tochter zu sein. Wie oft ich die – in felsenfester Überzeugung vorgetragene – Hypothese „Sie bekommt früh Zähne“ gehört habe weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr so genau, aber in diesem Monat war es endlich soweit und Du hast Dich an die Vorhersagen Deiner Großmutter gehalten. Der erste Zahn blickt vorsichtig aus dem Zahnfleisch hervor. Gott sei Dank, Masel tov! Wir haben die schlaflosen Nächte überstanden die diesem brachialen Entwicklungsschritt vorausgingen und können uns endlich wieder Deiner weiteren Entwicklung zuwenden.

Festgestellt hat Deine Mutter diesen Umstand übrigens lapidar nebenbei während sie sich der weit wichtigeren Frage zugewendet hat ob zum gewählten Outfit ein bunt gemustertes Mützchen oder die monochrom gestreifte Matrosenkappe aufzusetzen ist. Glücklicherweise pflegst Du während gravierender Gewissensentscheidungen glücklich grinsend umher zu gucken, so das ein Blick auf die sich bildende Zahnreihe unumgänglich ist.

Somit weißt uns ein kleiner weißer Punkt den Weg in einen weiteren Lebensabschnitt. Und den beginnst Du ab sofort im sitzen, denn diese neue Körperhaltung hast Du ganz nebenbei auch noch für Dich entdeckt.

Und das hat niemand vorhergesehen! Wozu auch.

Geschrieben in Pals, Katalonien, Spanien.

Der 8. Monat – Sowjetische Gewichtszunahme

Dein achter Lebensmonat beginnt so unspektakulär, friedvoll und unaufgeregt das ich beginne mir Sorgen zu machen. Die wahrscheinlich, sowohl meist gehörte, wie auch ebenso gehasste Lieblingsfrage aller Eltern untereinander „Und, schläft sie schon durch?“, schwant es mir, könnte die einzige Aufregung des Monats sein. Für das Protokoll gebe ich hiermit hochoffiziell bekannt: Nein, natürlich nicht. Aber warum auch, lassen sich Nächte nicht sinnvoller und freudiger verbringen als simpel in den Schlaf zu sinken? Ich denke schon und Du pflichtest mir jede Nacht akustisch untermalt einige Male bei. Das ist völlig in Ordnung und läßt sich prima organisieren. Schlaf wird ohnehin überbewertet.

Nicht so Deine Verweigerung der proportional festgelegten statistischen Gewichtszunahme Folge zu leisten. Kommt Deine Mutter mit Dir vom Kinderarzt hat sie für gewöhnlich ein ganzes Bündel an beantworteten Fragen im Gepäck und alles ist gut. Nicht so in diesen Tagen. Der brave Doktor bestätigt Deiner Mutter in jedem Gespräch das Du eben eine zierliche Persönlichkeit bist und es keinen Anlass zur Sorge gibt. Dummerweise verfügt Deine Mutter über eine Zeichnung in der ein Koordinatensystem mittels Graphem den gewichtsmäßigen Zuwachs aller Babies und Kleinkinder in Europa, Deutschland und den Aleuten darstellt. Das wäre nicht weiter wichtig, aber natürlich kennt Deine Mutter genau diese Zeichnung in jeder Nuance. Trägt man Dein Körpergewicht an die entsprechenden Altersstellen ein und verbindet die Punkte zu einer Linie liegt diese dann streckenweise unterhalb der besagten Linie.

Dem approbierten Humanmediziner unseres Vertrauen wird augenblicklich das selbige entzogen und Deine Mutter ist in heller Aufregung. Das Kind nimmt nicht genug zu, verkümmert und wird in seiner weiteren Entwicklung völlig gehemmt. Die Befürchtungen Deiner Mutter befinden sich auf familiärem Rekordniveau. Alle Einwände meinerseits scheinen leider die verbrauchte Atemluft im Moment ihrer Aussprache nicht Wert zu sein und so bleibt mir nichts übrig als einer Eskalation entkommen zu wollen.

Doch Deine Mutter ist bereits schon einen Schritt weiter. Nachdem sie zunächst das gesamte deutsche Gesundheitssystem in Schutt und Asche verflucht hat kommt Rettung aus dem Osten. Diese Rettung wohnt in Düsseldorf in der Nähe des Oberbilker Marktes, hört auf den Namen Lilaja und dürfte bereits zu Sowjetzeiten ihren wohlverdienten Ruhestand angetreten haben. Unser weiblicher Rasputin muss abgeholt und wieder nach Hause gebracht werden, glänzt aber ansonsten mit allerlei medizinischer Fachkenntnis. Sie hört Dich mit einem Stethoskop ab, welches bereits den letzten Zaren diagnostiziert haben könnte. Kurzum die Dame besitzt alle Attribute um eine jüdische Mutter zu beeindrucken und den Vater nicht allzu sehr zu schockieren. Das personifizierte Mütterchen Russland spricht ausnahmslos in ihrer angestammten Sprache und ich demzufolge relativ wenig. Deine Mutter notiert fleißig, welche Nahrungskombinationen anzuwenden sind, ich telefoniere meine Verwandtschaft auf Ihr Geheiß nach Herzfehlern ab und Du scheinst an ihr Gefallen gefunden zu haben.

Eine Stunde später halte ich einen kleinen Zettel in der Hand auf dem unsere Verhaltensänderungen der nächsten Zeit vermerkt sind. Es ist wirklich ein sehr kleiner Zettel und ich erlaube mir die Bemerkung ob diese drei Lebensmittel die ich nicht lesen kann jetzt die Zukunftsträchtigkeit unseres Familienmodells garantieren. Wir gehen einfach mal davon aus.

In den nächsten Tagen beobachten wir gespannt In- wie Output bei Dir und ich stelle mir mehr als einmal die Frage wie gerade der Output quantitativ in Relation zu Deinem Körper stehen kann. Solche Fragen können sich wahrscheinlich nur halbwegs frisch gebackene Eltern stellen – für die ist das aber von wesentlicher Bedeutsamkeit. Es scheint – zumindest für mich – alles in Ordnung, doch dann folgt ein ganz normaler Dienstag. An diesem Tag findet sich Deine Mutter allwöchentlich samt Dir zu einer Art konkurrierendem Krabbelkreis in der Stätte Deiner Geburt ein: Dem Stillcafé. Eine Einrichtung in der etwa ein gutes Duzend glücklicher Muttis ihre Erfahrungen zu Kind und allem was dazu gehört untereinander austauschen und vor allem, das dürfte der Grund Deiner mütterlichen Teilnahme an diesem Kleingruppenzwang sein: Ihre Brut unter immer gleichen Bedingungen zu wiegen. In Deinem Fall wirst Du also Dienstags von Strampelanzug und Wickelbody befreit und unmittelbar nach morgendlicher Befütterung gewogen. Das ist nun all die Wochen gut gegangen aber an diesem einen Dienstag zeigt die Waage eine geringeren Wert als in der vergangenen Woche. Das bedeutet: Nichts ist, wie es wahr.

Meine Erklärungsversuche in Richtung Gerätetoleranzen und dergleichen kommentiert Deine Mutter lediglich mit einem unverständlichen Kopfschütteln. Die sowjetische Ernährungsdoktrin ordnet von nun an eine häusliche Eigenproduktion von Quark an, deren Bereitstellung allabendlich von mir höchstpersönlich erfolgt. Das Kind muss zunehmen, egal wie lautet die Devise. Ohne Frage ist der Quark erst zu dünn, dann zu dick, aber irgendwann paßt er. Ein diätisches Lebensmittel in Form weißen Pulvers deren Konsistenz jeden Drogenfahnder zu Hinzuziehung eines geeigneten Hundes nötigen dürfte ist auf Anraten der sowjetischen Gesundheitsbehörde zwei Deiner Malzeiten zuzuführen. Aus Israel treffen ähnliche Ratschläge ein. Der großelterliche Teil der Familie wurde offensichtlich ebenfalls in die Problembeseitigung mit einbezogen und hat ihrerseits eine Rundfragerunde gestartet. Gegen ein jüdisch-russisches Familienbollwerk ist nicht anzukommen. Ich mische also fleißig was das Zeug hält und mich nicht weiter ein.

In den folgenden Tagen wird der Ernährungsplan auf das kleinste Detail umgesetzt und von Deiner Mutter mit strengem Blick überwacht. Allabendlich findet eine Telefonkonferenz mit unserer neuen Kinder-Gesundheits-Vorsteherin statt und die Lage entspannt sich von Tag zu Tag. Ich ersehne den nächsten Dienstag herbei und als an selbigem Deine Mutter fernmündlich gegen Mittag eine leichte Zunahme Deines Gewichtes übermittelt scheinen wir der Normalisierung des Familienfriedens einen Quantensprung näher zu kommen. Der eben noch verteufelte Doktor muss ebenfalls seinen Segen zur erfolgreichen Zunahme geben und damit leben ab jetzt grundsätzlich in seiner Meinung durch unsere neue Gesundheitsgenossin hinterfragt zu werden. Die verstehe ich zwar immer noch nicht, aber man gewöhnt sich erstaunlich schnell an den Umstand, daß Deine Mutter eben nach jedem Arztbesuch mit Dir erstmal eine auf zwei Stunden telefoniert.

In der nächsten Woche sind wir wieder zum mütterlichen Arbeitseinsatz aufgebrochen und Du hast ebenfalls prima zugenommen. Vielleicht lag es auch daran, das Du neuerdings Eis mit Schlagsahne von meinem Löffel lutscht. Das ist gut so, denn so nimmst Du und nicht ich zu. Ob das ein so kleines Kind überhaupt schon darf ich habe ich allerdings nicht mit der Generalsekretärin des Gesundheitskomitee abgesprochen. Und Deiner Mutter hält dicht, das weiß ich aus sicherer Quelle.

Geschrieben in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.

Der 7. Monat – Bewegungsdrang

In Deinen siebten Lebensmonat fällt eine entscheidende Jahreszeit. Zumindest für Rheinländer. Das, als Brauchtumspflege getarnte Freiluftbetrinken mit optionaler Zwischenmenschkonsolidierung wiederholt sich in mehren deutschen Städten an dafür fest vorgemerkten Tagen einmal jährlich und zwar rund sechs Wochen vor Ostern. Düsseldorf, eine – eigentlich DIE – dieser Zunftstätten verfällt dann in eine Art Schockstarre und wie selbstverständlich erwartet niemand eine vollwertige Arbeitsleistung der Lokalprobanden in der Zeit zwischen Altweiber und Aschermittwoch. Es ist Karneval.

Ganz Verwegene nehmen sich in dieser Zeit frei um mit ihren Gesinnungsgenossen tagelang die Altstadt zu belagern und im gewichtigen Ornat von einem Brauhaus zum nächsten zu pilgern. Es ist müßig diesen Umstand Zugereisten oder Zufallsrheinländern zu erklären, halbwegs plausibel zu machen oder gar Verständnis hierfür einzufordern. Gänzlich unmöglich wie ich in jahrelangen Feldversuchen festgestellt habe.

Rein zufällig fällt eine weitere Arbeitswoche Deiner wundervollen Mutter just in diese fünfte Jahreszeit. Kein Problem bekenne ich gönnerhaft, wer braucht schon Karneval. Über die nicht mehr zu zählenden Mitleidsbekundungen meines Umfeldes hülle ich bewusst den Mantel des Schweigens. Wir sind bis einschließlich Freitag in die badische Provinz verkauft um die Fortschritte in der Effizientssteigerung des bereits bekannten mittelständischen Schäumungsbetriebes miterleben zu können. Du und ich natürlich nur mit dem gebührenden Abstand unseres dreimal täglichen Erscheinen dort um Dich an die labende mütterliche Brust anzudocken. Deine Mutter jedenfalls ist wieder in Ihrem Element. Es wird optimiert was das Zeug hält.

In der Zwischenzeit fragen wir uns allerdings, wann Du wohl die Fähigkeit der Fortbewegung in welcher Form auch immer für Dich entdeckst. Bis dato reckst Du zwar Dein Köpfchen völlig selbstbestimmt gen Himmel, was bei mir stets mittelschwere Begeisterungsströme hervorruft, aber an eigenständiges Fortkommen denkst Du überhaupt nicht. Meine Einwände „das kommt schon noch“ finden natürlich bei Deiner Mutter keinerlei Gehör. „Das kann Sie bereits seit vergangenen November“ schallt es mir entgegen. Alle Kinder ihrer Bekannten in Stillcafe, Pekipkurs und sonst wo robben oder krabbeln munter umher, Du grinst uns lieber fröhlich an und verkennst völlig die Wichtigkeit dieses evolutionären Schrittes. Meine These ist ja, daß Mütter bei Verkündigung der bereits erworbenen Fähigkeiten ihrer Kinder gnadenlos übertreiben um bloß nicht in den Verdacht zu geraten, irgendetwas Elementares an frühkindlicher Entwicklung behindert zu haben. So nicht Deine Mutter. Sie beruft lieber gleich ein motorisches Beobachtungswochenende ein um zu ergründen, was nicht zu ergründen ist. So zumindest meine väterliche Meinung. Freundlicherweise scheint Schnee und Bergluft solche Projekte zu befördern und das ganze Spektakel findet in einem hübschen Skiort statt. Wir beschliessen die genaue Analyse Deines Bewegugnsundrangs auf die Stunden außerhalb der Pistenzeiten zu legen und so verbringen wir den Samstag auf der Sonnenterrasse einer bewirtschafteten Hütte bei bestem Kaiserwetter, zwischenzeitliches Alpin- und Après-Ski inbegriffen.

Am Abend ist es nun soweit, die Bewegungsstudie beginnt und in der Tat es tut sich was. Wir animieren Dich durch allerlei Kuschelgetier, Raschelspielzeug und Klappergeräusche sich auf den Weg zu machen. Anfänglich schaust Du zwar noch etwas zweifelnd, aber dann entwickelst Du Deinen ganz eigenen Bewegungsdrang. Mittels umdrehen, gerne auch mal durch umfallen, entsteht eine schraubende Bewegung die Dich, wenn auch im Zeitlupentempo, nach vorne bringt. Wir sind verblüfft wie das überhaupt funktioniert. Detailliert erfassen lässt sich das alles nicht, aber Zentimeter für Zentimeter eroberst Du das Bett. Landest Du bei den gekonnten Umfallern auf dem Rücken wird solange mit den Armen in der Luft gerudert bis genug Schwung geholt ist um den ganzen Oberkörper erneut eine halbe Schraubbewegung weiter voran zu bringen. Unsere Begeisterung kennt keine Grenzen mehr und wir verbringen den ganzen Abend Dir zuzuschauen wie Du Dich, zwar gemütlich aber konsequent, voranschraubst.

Der sonntägliche Himmel ist leider wolkenverhangen und so beschließen wir bereits nach dem Frühstück gen Heimat aufzubrechen. Außerdem wer motorisch schon so weit ist, der ist auch alt genug für rheinische Brauchtumspflege. Und morgen zieht der Rosenmontagszug durch Düsseldorf. Aber da trage ich Dich dann doch lieber hin. Helau.

6. Monat – Das erste Sylvester

Beim Thema Sylvester gehen die Meinungen Deiner Mutter und mir radikal auseinander. Je weiter das Jahr fortschreitet desto wichtiger wird die Frage wo wir den Sylvester verbringen. Die letzten Jahre vor Deiner Geburt stellte sich diese Frage zwar auch, aber die Antwort lag auf der Hand. Wir waren stets in einem Skiort der Tiroler Alpen und verbrachten Sylvester mit den Menschen die wir am meisten schätzen. Das waren zwar meistens nur wir beide aber alles war gut. Nicht so in diesem Jahr. „Ihr erstes Sylvester und dann nichts besonderes?“ war für gewöhnlich die erste Reaktion Deiner Mutter auf meinen Vorschlag mit einem so kleinen Baby doch einfach Zuhause zu bleiben. Unvorstellbar! In gebetsmühlenartiger Wiederholung wurde ich über den russischen Traditionstag informiert um mir die Unvereinbarkeit möglicher Passivität meinerseits mit dem Familienfrieden zu demonstrieren.

Kurz gesagt: „Es musste etwas passieren“. Deine Mutter wäre nicht die Frau die ich uneingeschränkt liebe hätte sie für diese Situation nicht die passende Lösung. Und die kommt in Gestalt von Katja, ihrer neuen Freundin daher. Katja ist 26 hat eine dreijährige Tochter, sieht ausnahmslos gut aus und kann so herrlich jüdisch betroffen schauen das es des brillierten Davidstern um ihren Hals nicht mehr bedarf. Ursprünglich stammt sie aus Kamtschatka mit mehrjähriger Moskauer Lebenserfahrung. Zu Katja gibt es Gera, einen usbekischen Stahlhändler der in der ersten Emigrantenwelle Anfang der neunziger Jahre in Deutschland eintraf. Gera ist Mitte 40 von überschaubarer Statur und erwähnt in jedem zweiten Satz wie wichtig Familie und Freunde sind. Also rundum verdächtig! Aber ich versuche objektiv zu sein. Kennengelernt haben wir die beiden bei einem Abendessen mit dem ehemaligen Mitarbeiter einer Firma für die Deine Mutter einmal beratend tätig war. Das Ganze in der tiefsten russischen Provinz; der vollständigkeitshalber. Das Essen fand in einem Düsseldorfer Nobelrestaurant statt, dessen Lammrücken ich ausnahmslos empfehlen kann. Auch dies nur vollständigkeitshalber.

Dieser beiden kamen nun also auf die Idee besagten Jahreswechsel mit uns zusammen feiern zu wollen. Es gibt natürlich einen geschäftlichen Kompagnon mit großzügiger Ferienwohnung in den französischen Alben. Damit setzt Deiner Mutter an: „Die Kleine das erste Mal im Schnee. Du kannst Skifahren und wir feiern richtiges russisches Sylvester“ höre ich sie nicht nur einmal sagen. Heißt so viel wie: „ Ich bin begeistert, warum freust Du Dich nicht mit mir?“ Meine Einwände gegen das das ganze Vorhaben verpuffen im Moment ihrer Aussprache. Irgendwann sage ich ja zu der Geschichte und von da an ist Deine Mutter nicht mehr zu bremsen. Schnell ist klar ich koche Sylvester. Koscher muss nicht sein, aber schaden würde es auch nicht. Das ist nicht schwer, das bekomme ich hin. Was schenken wir Ihnen? Das wiederum bekommt Deine Mutter hin. Sie weiß natürlich rein zufällig bereits was wem zu schenken ist.

Die Ferienwohnung liegt in Samoens am Grand Massif in der Nähe des Mont Blanc. 1.000 Meter das Dorf, 1.600 die Talstation, 2.400 der Gipfel. Bestens geeignet für den Saisoneinstieg. Im Jahr Deiner Geburt habe ich vom Gletscherauftakt im Oktober/ November Abstand genommen.
3 Schlafzimmer, 140 qm, eigenes Hamam. Was der bescheidene Russe eben so braucht. Wir verabreden zwei Tage vor Sylvester einzutreffen. Die Fahrt verläuft problemlos, zumal wir uns mit eine Zwischenübernachtung in Basel etwas Zeit lassen. Gegen Mittag am 30. Dezember treffen wir ein und das Begrüßungskomitee ist vollständig erschienen. Wenig überraschend gesellt sich noch ein Freund von Gera zu dem ganzen Spektakel und am frühen Nachmittag eröffnen mir die beiden, daß sie die letzten Tage überhaupt keine Wodka getrunken haben und alle Vorräte auf dem Balkon bereitstehen würden. Die folgenden Stunden gestalten sich recht klassisch. Deine Mutter erkundet, selbstverständlich nebst Dir und ihrer neuen Freundin, ebenfalls mit Kind, die lokale Shoppingszene und ich muß mit den Herren auf den Balkon.

Warum um alles in der Welt Gera irgendwann auf die Idee kommt den übergroßen Flachbildfernseher im Wohnzimmer in Betrieb nehmen zu wollen, weiß ich nicht wirklich, jedenfalls scheint es irgendwann von elementarer Dringlichkeit zu sein. Technisch versiert ist der Mann allerdings überhaupt nicht und so wird der örtlicher Hausmeister gerufen um das Problem zu beseitigen. Der kommt auch alsbald vorbeigeeilt und nestelt fleißig an Kabel und Gerät herum. Meine sprachlichen Fähigkeiten im Französischen sind, wie bei den beiden anderen nicht wirklich auf Konversationsniveau aber recht zeitig wird klar: hier ist nichts zu machen. „Jetzt nicht“ scheint allerdings im Wahrnehmungsverständnis usbekischer Stahlhändler wenig verankert zu sein und ein 100,- EURO –Schein wechselt gleichzeitig gönnerhaft aber auch flehend den Besitzer. Das Gestikulieren des Hausmeister steigert sich merklich. Mittels modellhafter Beschreibung wird uns eine fehlende Leitung bebildert und überraschenderweise findet sich Gera dann doch recht schnell damit ab; zumindest nachdem der wackere Handwerker eine Erledigung für den folgenden Tag avisiert hat. Dieser wird dann – da ja mittlerweile zu Unrecht mit dem 100,- EURO-Schein ausgestattet – kurzerhand mit demselbigen in den benachbarten Supermarkt beordert um ein Versiegen der Vodkavorräte auf dem Balkon zu verhindern. Eine halbe Stunde später stellen sich somit Befürchtungen in dieser Hinsicht glücklicherweise als unbegründet heraus. Der usbekische Stahlhändler ist erleichtert und spült eigenhändig die Gläser. Nach der Rückkehr Deiner Mutter und ihrer neuen Freundin dirigieren uns die Damen in weiser weibliche Umsicht zum Essen in ein ortsansässiges Lokal. Auf dem Weg dorthin entdecken wir noch dieses wundervolle Retrokinderauto welches Dein Bobbycar ersetzen wird. Der Restaurantbesuch gestaltet sich ordentlich lustig und mit vorzüglicher Küche verwöhnt man eine nicht ganz dezent auftretende Deutsch-Russische Touristengruppe.

Irgendwann später sind wir wieder in der Wohnung, liegen friedvoll im Bett, Du wie üblich in den Armen Deiner Mutter schlummernd und ein brachiales Getöse aus Richtung Wohnzimmer beendet jedwede Schlafabsichten. Worüber sich der usbekische Stahlhändler mit der Mutter seiner Tochter streitet lässt sich nicht näher definieren, wohl aber das es unsagbar laut ist. Einigen Minuten lauschen wir zwangsweise dem Spektakel, dann schreitet Deine Mutter zu Tat. Von nun an eskaliert die ganze Szenerie. Deine Mutter und Katja verschanzen sich in einem Zimmer während ich den wildgewordenen Wüterich zu beruhigen suche. Ein sinnloses Unterfangen wie ich feststellen muß und nicht nur gute Worte versagen hier ihren Dienst. Dich interessiert das alles in Gänze überhaupt nicht, Du schläfst tief und fest. Irgendwann gibt der Tobsüchtige in Unterhosen auf und bleibt auf seinem Stuhl unter nicht minder lautstarken Protest endlich sitzen. Zeit sich einen Überblick über die Kollateralschäden zu machen. Diese sind unüberbrückbar und manifestieren sich in einem defektem Türschloß bei verschlossener dazugehöriger Türe. Soweit nicht weiter bedeutsam, wären nicht Deine Mutter und Du durch ebensolche Türe räumlich voneinander getrennt. Ein Blick auf die Uhr läßt uns etwa eine Stunde Zeit bevor Du Deine Augen öffnen wirst und das Recht auf Nahrung mittels der bekannten akustischen Signale einforderst. Während ich versuche das Schloß mit allerlei Küchengeräten zur Freigabe des Schließmechanismus zu bewegen geht Deine Mutter anderweitig ans Werk. Zwischen dem Fenster des verschlossenen Zimmer und dem Balkon in unserem Zimmer liegt nur ein Küchefenster dessen Rahmen sich ideal für eine nächtliche Klettertour anbietet. Keine zehn Minuten später erreicht Deine Mutter den befreiten Teil der Wohnung und dem kindlichen Mitternachtmahl steht nichts mehr im Wege.

Gar nicht so schlecht für so einen „Der Tag vor ihrem ersten Sylvester-Abend“ finde ich und erliege der aberwitzigen Annahme, daß sich selbiges Spektakel nicht mehr wiederholt. Das hat es auch nicht. In den folgende Nächten blieben alle Türen geöffnet und unversehrt, der Rest aber genau gleich.

Wir sind dann etwas früher wieder nach Hause gefahren, aber ich lasse mir nicht nachsagen ich hätte Dein erstes Sylvester in irgendeiner Form blockiert. Prosit Neujahr.

Geschrieben in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.