Kurz nach den Sommerferien steht Leos erste Klassenfahrt nach Bad Sobernheim in Rheinland Pfalz an. Das ist Tradition in der vierten Klasse unserer Grundschule. Damit haben wir nur leider gar keine Erfahrung, da dieselbige zur Zeit von Sarah Sophies vierter Klasse damals coronabedingt ausgefallen ist und wir da damals etwas selbst organisiert haben. Daß dies nun auch schon wieder vier Jahre her ist erscheint mir schier unglaublich.
Also das übliche Prozedere. Elternabend mit Schwerpunkt „Klassenfahrt“ mit unfassbar schwer nachzuvollziehenden Fragen mancher Eltern; Listen mit unbedingt zu beachtenden und einzupackenden Dingen, welche man unzählige Male verlegt und Diskussionen in der Eltern-WhatsApp-Gruppe, die mich mehrfach an der Schwarmintelligenz in eben diesem Zwangskollektiv zweifeln lassen. Mir fällt Anfang des Monats schlagartig ein, das wir noch bezahlen müssen, erledigen dies aber artig und ich schmunzle noch über den Satz in der Anmeldung „Eine Stornierung ist nach der Anmeldung möglich, eine Kostenerstattung erfolgt aber nicht.“ Also eigentlich alles normal.
Mir ist es nichtmal im Traum in den Sinn gekommen, daß wir darüber sprechen könnten, Dich nicht an der Klassenfahrt teilnehmen zu sehen. Und genau dies ist das ganz große Thema in diesen Tagen. Oder anders ausgedrückt: Leo will nicht. Niemals, nein, auf keinen Fall.
Ich bin sprachlos und weiß nicht wirklich wie ich reagieren, geschweige denn helfen kann. Du hast gegenwärtig ohnehin schwer „nah am Wasser“ gebaut. Du wachst nachts auf, weinst und bist nicht in der Lage zu erklären wieso und warum. Das Ganze wird davon abgerundet, daß Eure Mutter für über zwei Wochen durchgängig in Thailand weilt. Der große Junge mit der noch größeren Klappe ist von jetzt auf gleich ganz klein. Ich verbringe folglich einen Großteil der Zeit damit Dich zu trösten und Deiner Schwester begreiflich zu machen, vielleicht etwas leiser die ein oder andere Spitze gegen Dich zu schießen. Ich habe mich schonmal wohler gefühlt und die fünf Stunden Zeitunterschied in Richtung Bangkok machen abendliche Videocalls von Leo und Eurer Mutter nicht einfacher.
Ich versuche also irgendwie herauszubekommen warum Du partout nicht auf Klassenfahrt möchtest. Keine Chance, immer die gleiche Aussagen: „Ich möchte nicht. Ich weiß nicht warum.“ Alle deine Fussballkumpels aus der Schule fiebern dem Event entgegen und Du offenbar auch, aber eben nur in der Schule. Das weiß ich über einen Umweg. Da Du Montags nicht mit dem Schulbus nach Hause fährst, komme ich zwangsläufig mit anderen Eltern ins Gespräch. Der Vater eines Deiner Fußballjungs aus der Klasse berichtet mir wie ihr augenscheinlich schon die verschiedenen Tage durchplant und ist sehr darüber verwundert, als ich erwähne nicht garantieren zu können, ob Du überhaupt mitfährst. Somit weiß ich noch weniger als bisher. Großartig.
Sarah Sophie ist unterdessen damit beschäftigt unaufhörlich davon zu berichten wie phänomenal ihre erste Klassenfahrt auf dem Gymnasium in der sechsten Klasse war. Nach einer weiteren Woche einigen wir uns auf so eine Art abwartenden Kompromiss. Du bleibst angemeldet und wir verschieben die Deadline für eine eventuelle Absage auf den vorletzten Schultag, also den Freitag vor Tourstart. Bleibt noch zu klären, was eigentlich mit den Kindern passiert, die nicht mit auf Klassenfahrt gehen. Da alle drei der vierten Klassen gemeinsam fahren, scheidet der Besuch einer Parallelklasse aus und Du dürftest in eine der dritten Klassen wandern. Das begeistert weder Dich noch mich.
Doch hier brauche ich mich um nichts zu kümmern: „Papa, ich hab’s! Ich werde krank, wir fahren zum Boot und wir machen diese Tour zu den Burgen am Rhein von denen wir gesprochen haben! Cool, oder?“ „Gewiss!“ entgegne ich. Scheitert nur an drei Umständen: „Erstens wäre Sarah Sophie dann eine Woche alleine, da ich weiß das Eure Mutter irgendwo aushäusig umherwerkelt. Zweitens melde ich Dich nicht einfach so für eine ganze Woche krank und drittens fandest genau Du meine „Boot & Burgen“-Idee im letzten Sommer total doof, falls ich Dich daran erinnern darf. Argument eins wiegelt Sarah Sophie unter Verweis auf die Lieferando-App auf ihrem Telefon ab, Nummer zwei wird gekonnt hüstelnd übersprungen und an Verhaltensäußerungen zu Punkt drei kann sich auf einmal niemand mehr erinnern.
Die Verhandlungen stocken somit und der Hund muss dringend raus. Das muss er in letzter Zeit immer öfter wenn erzieherische Konferenzen unterbrochen werden. Ich vermute da einen Zusammenhang.
Nächster Tag, neues Glück: Du springst aus dem Schulbus und präsentierst mir stolz den Zimmerbelegungsplan. Es gibt nur ein Sechserzimmer in dem Haus und wer hat das bekommen? Natürlich die sechs Fußballjungs mit dem zukünftigen 9er der deutschen Nationalmannschaft.
„Also fährst Du doch mit auf Klassenfahrt?“ frage ich. Kurze Antwort: „Natürlich, Papa. Wir haben jetzt schon den Zimmerplan gemacht. Ich kann die Jungs doch jetzt nicht hängenlassen. Wir sind ja praktisch eine Mannschaft!“ „Natürlich nicht!“ stimme ich zu. Zwei Wochen Palaver und Bangen sind ab sofort beendet. Masel tov.

Mit den Worten „Und die Bootstour zu den Burgen machen wir aber auch noch. Wir schauen jetzt direkt wann. Komm Papa.“ ziehst Du mich zur Haustür.
Wahrscheinlich muss der Hund jetzt nie mehr raus. Gute Fahrt, mein großer 9er.